Titel: Ueber die Bestandtheile und das Bleichen der Flachsfaser; von J. Kolb, Director der chemischen Fabrik von Kuhlmann und Comp. in Amiens.
Fundstelle: Band 190, Jahrgang 1868, Nr. XXII., S. 63
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XXII. Ueber die Bestandtheile und das Bleichen der Flachsfaser; von J. Kolb, Director der chemischen Fabrik von Kuhlmann und Comp. in Amiens. Aus den Comptes rendus, t. LXVI p. 1024; Mai 1868. Kolb, über die Bestandthile der Flachsfaser und das Bleichen derselben. Die Beobachtungen, welche ich über den Bleichproceß angestellt habe, beziehen sich besonders auf das Bleichen der Flachsfaser. Der erste Theil meiner Arbeit, welchen ich hiermit der Akademie einreiche, enthält die Resultate der Behandlung der Flachsfaser mit Alkalien, die zu dem Zweck unternommen wurde um die Natur der Substanz, welche sich dabei auflöst, und welche man bisher als Harz, gummiartige Substanz, Gummiharz, verseifbare Materie etc bezeichnet hat, näher zu bestimmen. Durch mikroskopische Untersuchung habe ich zunächst festgestellt, daß die gummiartige Substanz, welche die Faser vor dem Rotten gleichmäßig überzieht, nach dieser Operation verschwindet, um Schuppen Platz zu machen, die ungleichmäßig vertheilt sind und durch ihre Rauhigkeiten der Faser anhängen. Diese Schuppen, welche schwach bernsteinfarbig sind, färben sich in Berührung mit Alkalien stärker und lösen sich vollständig darin auf. Die Art, wie sie mit der Faser verbunden sind, ließ vermuthen, daß das Hecheln einen großen Theil derselben mechanisch der Faser entziehen muß; die mikroskopische Untersuchung und die Analyse haben diese Vermuthung bestätigt. Die Elementar Analyse des Flachses hat mir nichts gelehrt; sie gibt Zahlen, welche nothwendig denen der Cellulose sich nähern mußten. Dagegen hat die Anwendung der verschiedenen, in der organischen Chemie gebräuchlichen Lösungsmittel durch eine Verknüpfung der Thatsachen, welche ich in diesem Auszuge meiner Abhandlung nur kurz anführen kann, zu sicheren Schlüssen geführt. Der Flachs läßt nach der Behandlung mit den Alkalien die Laugen stark braun gefärbt zurück; sie haben eine gewisse Neigung zu schäumen, was mich darauf führte, an eine Verseifung zu denken, und Alkohol, Aether und ätherische Oele als Lösungsmittel zu versuchen. Der gelbe Farbstoff ist darin ganz unlöslich, und diese Flüssigkeiten entziehen der Faser nur ein weißes Fett von Wachsconsistenz und ein grünes Oel, dessen durchdringender Geruch sich in schwächerem Grade in den Laugen der Bleicher wiederfindet. Das Ganze macht nur 4,8 Proc. vom Gewicht der Faser aus und bildet den wirklich durch caustische Alkalien verseifbaren Theil derselben; die kohlensauren Alkalien, welche der Faser diese fette Materie lassen, erhalten ihr zugleich mehr Geschmeidigkeit. Nach der Erschöpfung durch Alkohol wurde der Flachs mit verdünntem Kali, Natron oder Ammoniak gekocht, bis er dabei nicht mehr an Gewicht verlor; der Gewichtsverlust betrug in diesen drei Fällen 22 Proc. Das kohlensaure Natron hat genau dasselbe Auflösungsvermögen, wirkt aber langsamer. Die so erhaltenen braunen Laugen geben, wenn man sie mit verdünnter Salzsäure neutralisirt, einen gelatinösen braunen Niederschlag; aber die Färbung, welche die Flüssigkeit behält, zeigt an, daß die Fällung nur partiell ist. Weder überschüsfige Salzsäure, noch Kalk, noch Baryt schlägt den in der Lösung gebliebenen Antheil des Farbstoffes nieder. Dieser Antheil variirt übrigens je nach der Menge des Alkalis und besonders je nach der Dauer des Kochens; nach 12stündigem Kochen mit Ammoniak bringen Säuren in der Flüssigkeit gar keinen Niederschlag mehr hervor. Bei der Behandlung mit kochendem Wasser verliert der Flachs nach Verlauf einer Woche 16 Procent an Gewicht; läßt man dabei Druck mitwirken, so beträgt der Gewichtsverlust 18 Proc. Die aufgelöste Materie röthet Lackmus, färbt das Wasser kaum, und besitzt die auffallende Eigenschaft, in Berührung mit einem Alkali sich zu bräunen. Nach diesen Eigenschaften dürfte die Gegenwart einer harzartigen Substanz nicht anzunehmen seyn. Die caustischen oder kohlensauren Alkalien wirken nicht als einfache Lösungsmittel; denn wenn man bestimmte Mengen von kohlensaurem Natron oder Schwefelnatrium mit überschüssigem Flachs kocht, so ist nach achtstündigem Kochen keine Spur von Kohlensäure oder Schwefelwasserstoff (Schwefel) in der Flüssigkeit mehr vorhanden. Die Harze geben kein ähnliches Resultat; denn sie verseifen sich eben so gut mit den Schwefelverbindungen als mit den Oxyden der Alkalimetalle. Der Kalk schlägt die in den Alkalien gelöste Substanz nicht nieder. Beim Kochen mit Kalkmilch erleidet der Flachs denselben Gewichtsverlust wie mit Natron, und es entsteht dabei eine lösliche Verbindung, welche 48 Theile Kalk auf 100 Theile Farbstoff enthält. Selbst die Kreide gibt, obschon langsamer, dieselben Resultate. Die Behandlung mit Kreide und Kalk bietet das Eigenthümliche dar, daß die erhaltenen Flüssigkeiten farblos bleiben, und daß die darin hervorgebrachten Niederschläge weiß sind. Die aufgelöste Substanz ist gleichwohl identisch mit derjenigen, welche durch Alkali aus dem Flachs ausgezogen wird, wie daraus hervorgeht, daß die mittelst Kalk oder Kreide erhaltenen Flüssigkeiten und die aus denselben gewonnenen Niederschläge auf Zusatz von Natron oder Ammoniak ebenfalls eine fahle Farbe annehmen. Aus dem Vorstehenden ergab sich der Schluß, daß der in Rede stehende Körper die Natur einer Säure hat, und daß er im reinen Zustande weiß ist, daß nämlich nur seine Vereinigung mit einem Alkali die fahle Farbe hervorruft, wegen deren man ihn bisher für einen Farbstoff gehalten hat. Ich suchte nun die Natur dieser Säure zu ermitteln. Nach der Elementar-Analyse hat dieselbe folgende procentische Zusammensetzung: Wasserstoff 5,0 Kohlenstoff 42,8 Sauerstoff 52,2 Dieses Resultat gestattete bereits, eine zahlreiche Gruppe von organischen Säuren von der Berücksichtigung auszuscheiden. Die gummiartige Natur, die Färbung, der Mangel an Krystallisation bei den Alkalisalzen, die Löslichkeit des Kalk- und Barytsalzes, die Unlöslichkeit der Säure in Alkohol und viele andere genau bestimmte Charaktere beschränkten den Kreis der Nachforschungen noch immer mehr. Dieselben bezogen sich lange Zeit, aber unnützer Weise, auf die gummiartigen Stoffe und die Metagummisäure, deren Zusammensetzung derjenigen, welche ich für die Säure aus dem Flachs gefunden hatte, ziemlich nahe kommt; es ergab sich jedoch keine allgemeine Uebereinstimmung des Verhaltens beider Körper. So neutralisirt die Metagummisäure 3 Proc. ihres Gewichtes Kalk, während 100 Theile der Säure aus dem Flachs von 48 Theilen Kalk gesättigt werden. Die Fromherz'sche Flüssigkeit, welche auf die Gummiproducte ohne Wirkung ist, gab dagegen hier einen Niederschlag von rothem Kupferoxydul. Diese Eigenschaft, welche nur wenigen organischen Substanzen gemeinsam ist, trug sehr dazu bei, mich in den Pectinverbindungen das Ende meiner Ungewißheiten sinden zu lassen. Die schönen Arbeiten von Fremy über die Pectose und deren Derivate sind bekannt; dieser Chemiker hat, indem er für die Pectinkörper so deutliche Neactionen und so entschiedene Charaktere aufstellte, nicht nur jeden Irrthum in Bezug auf diese Körper unmöglich, sondern auch jede Constatirung derselben leicht gemacht. Ich beschränke mich hier darauf, zu sagen, daß ich alle Reactionen, alle Zahlen der Zusammensetzung und alle Zahlen der Sättigung durch Baryt und Bleioxyd erhalten habe, welche die Pectinsäure und Metapectinsäure charakterisiren. Die ziemlich lange Reihe von Versuchen, welche ich anstellte, führt mich also zu folgenden Schlüssen: Die gummiartige Substanz, welche die Fasern des Flachses verbindet, ist nichts Anderes als Pectose. Das Rotten scheint den Zweck zu haben, die Pectingährung zu veranlassen, und die Pectinsäure, welche dadurch entsteht, bleibt auf dem Flachse fixirt, sey es mechanisch oder zum Theil als pectinsaures Ammoniak. Die caustischen Alkalien bilden in der Kälte gelatinöse pectinsaure Salze, welche eine kleisterartige Hülle um den Flachs bilden und ihn vor einem vollständigen Angriff schützen. Da die Pectinsäure eine schwache Säure ist, so üben die kohlensauren Alkalien in der Kälte auf die Flachsfaser nur geringe Wirkung aus. Beim Kochen dagegen werden die kohlensauren Alkalien, da die Pectinsäure dabei in eine stärkere Säure, die Metapectinsäure, übergeht, stark angegriffen, und ihre Anwendung wird nun ebenso wirksam als diejenige der caustischen Alkalien. Die Schwefelverbindungen der Alkalimetalle wirken ebenso gut als die Oxyde derselben. Was die Schwächung des Fadens durch diese verschiedenen Behandlungen anbetrifft, so ist sie nicht proportional dem Gewichtsverlust und rührt nicht von der Entfernung der Pectinkörper her. Das kohlensaure Natron ist, selbst in starkem Verhältniß angewendet, keine Ursache der Schwächung des Fadens. Dieser verliert dagegen mehr an Festigkeit durch Behandlung mit caustischem Natron, besonders wenn die Lauge concentrirt ist. Die Behandlung der Flachsfaser mit Kalk veranlaßt schon in der Kälte eine beträchtliche Verminderung der Festigkeit derselben. Die wirksamste Ursache der Zerstörung der Stärke der Faser ist aber die übertriebene Dauer des Beuchens, besonders mit caustischem Natron. Nachdem ich die Existenz der Pectose in dem nicht gerotteten Flachs und diejenige der Pectinsäure in demselben Flachs nach dem Austritt aus der Rottegrube constatirt habe, darf ich wohl hoffen, daß die von mir ausgesprochenen neuen Ansichten die Aufmerksamkeit der Chemiker auf die Pectingährung lenken werden, welche zwar wissenschaftlich wohl bekannt ist, von welcher man aber bisher nicht ahnte, daß sie eine so wichtige technische Anwendung findet.