Titel: Ueber den Dynamit, einen neuen Sprengstoff; von Alfred Nobel.
Fundstelle: Band 190, Jahrgang 1868, Nr. XLI., S. 125
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XLI. Ueber den Dynamit, einen neuen Sprengstoff; von Alfred Nobel. Vorgetragen in der Versammlung der British Association zu Norwich. — Aus dem Mechanics' Magazine, September 1868, S. 246. Nobel, über den Dynamit. Der neue Sprengstoff, „Dynamit“ genannt, ist nichts Anderes als Nitroglycerin in Verbindung mit sehr poröser Kieselerde, und wenn ich demselben einen neuen Namen gab, so geschah dieß wahrlich nicht, um seine Natur zu maskiren; wohl aber treten seine explosiven Eigenschaften in der neuen Form so ganz anders auf, daß eine neue Benennung jedenfalls gerechtfertigt ist. Der Dynamit besteht aus 75 Proc. Nitroglycerin und 25 Procent poröser Kieselerde. Dieser Stoff kann daher nur Dreiviertel von der Sprengkraft des reinen Nitroglycerins besitzen, da das specifische Gewicht beider Substanzen beinahe dasselbe ist. In praktischer Hinsicht gewährt aber die größere Concentrirung der explosiven Kraft im reinen Nitroglycerin keinen Vortheil; denn letzteres darf nicht direct in das Bohrloch eingegossen werden, weil es leicht in Spalten und Klüfte des zu sprengenden Gesteines eindringen, in denselben unter den Gezähen des Bergmannes explodiren und somit Unglücksfälle veranlassen kann. Es muß demnach in Patronen verpackt angewendet werden, welche bedeutenden Spielraum übrig lassen; wogegen Dynamit in Folge seiner etwas teigigen Beschaffenheit dem schwächsten Drucke leicht nachgibt, so daß er die Seiten des Bohrloches vollständig ausfüllt und durchaus keinen Spielraum läßt. Aus diesem Grunde enthält eine Dynamitladung von einer gegebenen Höhe in einem Bohrloche ebensoviel Nitroglycerin, als wenn letzteres in seinem reinen flüssigen Zustande angewendet wird. Ich halte es für nothwendig, diesen Punkt zu möglichst klarer Anschauung zu bringen; denn wenn die sonstigen Vortheile, welche die Umwandlung des Nitroglycerins in Dynamit gewährt, mit einer bedeutenden Abschwächung seiner Sprengkraft erkauft werden müßten, so wäre der Dynamit ein zwar ungefährliches, aber keineswegs vortheilhaftes Surrogat des Nitroglycerins. Der hier vorliegende Schmiedeeisenblock gibt von der großen Sprengkraft des Dynamits Zeugniß. Er bildete ursprünglich einen Cylinder vom besten Eisen, von 11 Zoll Durchmesser und 12 Zoll Höhe, und war von einer Welle abgeschnitten worden. Das durch seine Mitte hindurchgeführte, genau 1 Zoll weite Bohrloch ward mit einer Ladung von 6 Unzen Dynamit gefüllt, diese aber weder gestampft, noch an einem oder beiden Enden mit einem Pfropfen oder dergleichen besetzt. Dieser Cylinder wurde in Gegenwart zahlreicher Zuschauer am 14. Juli d. Js. zu Merstham gesprengt. Das Bohrloch abgerechnet und die absolute Festigkeit des Eisens zu 20 Tonnen per Quadratzoll gerechnet, muß die zum Zerreißen des Blockes erforderliche Kraft gleich 2400 Tonnen gewesen seyn; und da an keiner der beiden Mündungen des Bohrloches ein Besatz vorhanden war, so muß die Ladung offenbar zu stark für die zu erzielende Wirkung gewesen seyn. Außer der Zerreißung des Cylinders hatte der Dynamit die eine hier vorliegende Hälfte desselben mit solcher Gewalt gegen eine in einiger Entfernung befindliche ¾ Zoll starke Kesselplatte geschleudert, daß dieselbe zerbrach. Mit dieser großen Kraft ist eine Ungefährlichkeit verbunden, für welche ich nur die in Glasgow und in Merstham abgeführten Versuche als Beweise anführen will. Eine etwa 8 Pfund Dynamit (der Sprengkraft von 80 Pfd. Grubenpulver entsprechend) enthaltende Büchse wurde über ein Feuer gelegt; dieselbe brannte langsam ab. Eine mit der gleichen Menge Dynamit gefüllte Büchse wurde aus einer Höhe von über 60 Fuß auf einen Felsen geschleudert, ohne daß in Folge der starken Erschütterung eine Explosion ihres Inhaltes erfolgt wäre. Es läßt sich nicht wohl einsehen, was von einem Sprengmaterial mehr verlangt werden könnte, damit dasselbe auf die Bezeichnung „ungefährlich“ Anspruch machen darf; indessen ist der Dynamit in dieser Beziehung durch mehrere, in Stockholm vor Kurzem abgeführte Versuche auf eine noch weit härtere Probe gestellt worden. Aus 20 Fuß Höhe wurde auf eine mit Dynamit gefüllte Holzbüchse ein Gewicht von 200 Pfund hinabgeworfen; die Büchse wurde natürlich zerschmettert; eine Explosion erfolgte jedoch nicht. Einen ausführlichen Bericht über diesen Versuch findet man in der Stockholmer Zeitung „Aftonbladet“ vom 7. August d. Js. Eine derartige Probe kann keinen Zweifel darüber lassen, daß der Dynamit einen für alle Zwecke der Praxis hinlänglichen Grad von Sicherheit gegen Concussion darbietet und ich kann wohl behaupten, wie eine preußische Militärcommission kürzlich berichtete, daß diese Substanz das sicherste aller explosiven Präparate ist. Diejenigen, welche mit der Natur des Nitroglycerins nicht völlig vertraut sind, werden sich verwundern, daß die bloße Absorption dieses Stoffes durch eine poröse Substanz hinreicht, die wesentlichsten Eigenschaften desselben so gründlich zu verändern; untersuchen wir aber die Sache näher, so wird sie leicht erklärlich. Die größte und fast die einzige Schattenseite des Nitroglycerins ist sein flüssiger Zustand. So viel auch über die Gefährlichkeit von gefrorenem Nitroglycerin geschrieben wurde, kann ich doch zuversichtlich behaupten, daß wenn dieser Sprengstoff von Natur aus die starre Aggregatform bei gewöhnlicher Temperatur besäße, wir schwerlich einen einzigen von jenen traurigen Unglücksfällen zu beklagen haben würden, zu denen derselbe Anlaß gegeben hat. Es ist ferner eine sehr irrthümliche Ansicht, daß krystallisirtes Nitroglycerin gegen Erschütterungen empfindlicher sey als das flüssige; gerade das Umgekehrte ist der Fall und zwar in sehr bemerkenswerthem Grade. Indessen ist dieser Punkt für die uns hier beschäftigende Frage unwesentlich und ich erwähne diesen Gegenstand nur, um darauf aufmerksam zu machen, wie leicht eingebildete Vorurtheile Wurzel fassen und selbst den klaren Ergebnissen einfacher Untersuchungen Trotz bieten können. Fast sämmtliche durch Nitroglycerin verursachte Unglücksfälle sind, meiner Ansicht nach, durch Ausrinnen des Sprengmateriales aus den Bohrlöchern und Einsickern desselben in Gesteinsklüfte etc., also durch einen in der Praxis sehr schwierig zu vermeidenden Uebelstand, verursacht worden, somit indirect dem flüssigen Aggregatzustande dieses Körpers zuzuschreiben. Ein gegen Percussion empfindlicher Körper läßt sich (wofern er nicht, wie Chlorstickstoff, zu gefährlich, ist, um überhaupt praktisch verwendet werden zu können) leicht dadurch ungefährlich machen, daß man ihn in eine weiche Substanz einhüllt; besitzt aber jener Körper flüssige Aggregatform und findet ein Aussickern durch undichte Stellen statt, so ist derselbe der Gefahr directer Percussion unterworfen und wenn Nitroglycerin unter solchen Verhältnissen der Einwirkung der Sonnenstrahlen ausgesetzt ist, so wird es in Folge der aufgenommenen Wärme in so hohem Grade empfindlich; daß es durch die geringste Erschütterung zur Explosion gebracht werden kann. Von Anfang an habe ich der Verpackung des Nitroglycerins besondere Aufmerksamkeit zugewendet; ich muß aber zu meinem Bedauern sagen, daß diese Aufgabe von einer genügenden Lösung noch weit entfernt ist. Fässer sind für ölige Flüssigkeiten nicht dicht genug, und die Eigenschaft des Nitroglycerins, sich beim Gefrieren auszudehnen, veranlaßte mich zur Anwendung viereckiger Zinnkästen. Diese bleiben in der Fabrik nach dem Füllen mindestens einen Monat lang unverpackt stehen, um sich von ihrem dichten Schlüsse zu überzeugen, und doch kann ich mich kaum eines einzigen Falles erinnern, in welchem eine Ladung Nitroglycerin ihren Bestimmungsort erreicht hätte, ohne daß einer oder mehrere dieser Kästen leckten. Der Grund dieser Erscheinung liegt wahrscheinlich in dem Drucke, welchen das Zinn zu erleiden hat, wenn die im Inneren eingeschlossene Luft, sowie das Nitroglycerin selbst, in Folge einer Zunahme der äußeren Temperatur sich ausdehnt. Sehen wir von dem Grunde, welcher diese Erscheinung hervorruft, vorläufig ab, so ist es sicherlich durchaus unrecht, dem Nitroglycerin zur Last legen zu wollen, was einzig und allein Folge einer praktischen Schwierigkeit ist. Nehmen wir z. B. an, ein mit Schießpulver gefüllter Behälter lasse auf dem Transporte fortwährend einen Theil seines Inhaltes auslaufen, so wird ein Unfall fast unausbleiblich die Folge seyn. Es ist wirklich ein Beweis für die Ungefährlichkeit des Nitroglycerins, daß Unfälle fast nur dann entstanden sind, wenn der Sprengstoff (wie bei den Unglücksfällen von Aspinwall und San Francisco) unter falscher Declaration versendet wurde, wenn folglich die Nothwendigkeit einer vorsichtigen Behandlung der Sendung nicht erkannt werden konnte. Diese Winke werden genügenden Aufschluß bezüglich der Wichtigkeit der Umwandlung des flüssigen Nitroglycerins in eine Substanz von festem Aggregatzustande geben. Ich gründe diese Behauptung nicht allein auf Theorie und Experimente, sondern auch auf praktische Erfahrung. Der Dynamit ist erst seit Kurzem zum Handelsartikel geworden und doch beträgt die bis jetzt (Ende August) verkaufte Menge desselben überfünfzig Tonnen, und der schwerste von den durch diesen Stoff verursachten Unglücksfällen war der, in welchem ein Mann die Patrone, nachdem er den Zünder angebrannt hatte, in der Hand behielt, bis sie explodirte und ihm den Arm abriß. Bei einer derartigen Behandlung kann aber kein explosiver Stoff ungefährlich bleiben. Außer der durch seine feste Form bedingten Ungefährlichkeit hat der Dynamit noch besondere Vorzüge vor dem Nitroglycerin. Seine Empfindlichkeit für Concussion ist, wie ich bereits nachgewiesen habe, in sehr bedeutendem Grade vermindert, und da er durch Feuer nicht zum Explodiren gebracht wird, so bietet er bezüglich des Transportes und der Aufbewahrung große Sicherheit gegen Explosionsgefahr dar. Ueberdieß ist es sehr natürlich, daß der Bergmann eine feste Form seines Sprengmateriales der flüssigen, als praktischer, vorzieht. Der Dynamit wird jetzt in fertigen Patronen verkauft, so daß die Arbeiter dieselben nur in das Bohrloch zu stecken und anzuzünden brauchen. Nachdem ich nun die beiden Sprengstoffe, Nitroglycerin und Dynamit, mit einander verglichen und die Gründe angegeben habe, weßhalb der letztere bei gleicher Sprengkraft den ersteren in Bezug auf Ungefährlichkeit und Bequemlichkeit der Benutzung bei weitem übertrifft, will ich auf die charakteristischen Eigenschaften näher eingehen, welche das Nitroglycerin zu einem so ausgezeichneten Sprengmittel machen. Diejenigen des Dynamits sind wesentlich dieselben, so daß das von der einen dieser Substanzen Gesagte in gleichem Maaße auch für die andere gilt. Die Arbeit des Bohrhäuers besteht aus zwei Theilen; nämlich im Abbohren des Loches zur Aufnahme des Sprengmittels, und im Laden oder Besetzen desselben. Wenn dieses Abbohren nur geringe Kosten veranlassen würde, so wäre es gleichgültig, ob der zu dieser Arbeit erforderliche Kraftaufwand bedeutend oder gering ist. Das Abbohren von Löchern in Gesteinen, namentlich in harten, ist aber ein zeitraubendes und mühseliges Geschäft und es gibt Gruben, auf denen ein Mann drei Tage schwerer Arbeit gebraucht, um ein einziges einzölliges Loch von nur 24 Zoll Tiefe fertig zu bringen. Drei Tage Arbeit, ungerechnet die Abnutzung der Gezähe, repräsentiren eine Ausgabe von mindestens 9 Shilling (in England), während die Pulverladung, welche das Loch aufzunehmen vermag, höchstens sechs Unzen im Werthe von 2 Pence beträgt. Aus diesem Beispiel ersieht man leicht, weßhalb dem Bergmann ein kräftigeres Sprengmittel höchst willkommen seyn muß, und er für ein solches gern einen höheren Preis bezahlt. Allerdings ist das angeführte Beispiel ein extremes; aber auch auf weit weniger hartem Gesteine übersteigen die Kosten der Bohrarbeit immer sehr den Werth des benutzten Sprengmittels. Es bedarf keiner Erklärung, weßhalb ein Sprengstoff, welcher bei gleichem Volum eine zehnmal größere Explosivkraft besitzt als gewöhnliches Sprengpulver, die Anzahl der für eine bestimmte Leistung erforderlichen Bohrlöcher bedeutend zu vermindern gestattet und somit den Ausspruch der schwedischen Bergleute rechtfertigt, daß sie weit lieber mit Sprengöl schießen, selbst wenn sie das Pulver umsonst haben könnten. Ich bin schon oft um positive Angaben über die durch die Anwendung von Dynamit erzielte Arbeitsersparung angegangen worden. Dieß ist jedoch eine Frage, welche sich nicht in positiver Weise beantworten läßt, denn jedes besondere Gestein erfordert eine besondere, auf seine Härte, die Natur der Schichten etc. basirte Berechnung. Da aber diese Verhältnisse sehr schwanken, und zwar nicht allein an verschiedenen Orten, sondern selbst auf einer und derselben Grube, so muß Jeder eine solche Berechnung selbst machen; soweit ich indessen mich zu überzeugen im Stande war, ermöglicht die Anwendung von Dynamit oder Nitroglycerin im Allgemeinen eine Verminderung der Generalkosten für die Bohr- und Schießarbeit um wenigstens ein Drittel, — sicherlich eine bedeutende Ersparniß, wenn wir berücksichtigen daß die Kosten des Sprengmittels nur in seltenen Fällen mehr betragen als zehn Procent von den Gesammtkosten der Sprengarbeit. Leider bin ich nicht in der Lage, bezüglich dieses Gegenstandes so eingehende Aufschlüsse zu geben, als ich dieß gern thun möchte. Die Grubenvorstände und Bergwerksbesitzer sind in Hinsicht auf Mittheilungen dieser Art im Allgemeinen außerordentlich zurückhaltend. Unter meinen zahlreichen Correspondenten finde ich nur einen einzigen, welcher mir klare und positive Zahlenangaben über die erzielte Ersparung gibt; dieser ist Hr. Alexander, Director der Grube „Phönix“ am Obersee (Nordamerika). Seinem, vom 2. Februar 1868 datirten Brief zufolge waren auf dieser Grube bis dahin 7000 Pfd. Nitroglycerin (Dynamit hat man dort noch nicht) verbraucht worden, so daß obige Angabe sicherlich auf eine hinreichende praktische Erfahrung gegründet ist. Das Material war von New-York für den Preis von 1 Dollar 50 Cents Per Pfd. — ungerechnet die Kosten des Transportes zum Lake Superior — bezogen worden. Eine andere Mittheilung über diesen Gegenstand verdanke ich Hrn. Nordenfelt, Director der schwedischen „großen Nordbahn,“ welcher mir bereits am 19. Juli 1865 schrieb, daß die Benutzung von Nitroglycerin ihm die Herabsetzung der für die Sprengarbeiten contrahirten Beträge um 25 Proc. ermöglicht habe. Nach einer Mittheilung des Hrn. Unge, welcher in Stockholm einen großen Tunnel anlegte, wurden durch die Anwendung von Nitroglycerin 23 Proc. der Sprengkosten erspart und der Tunnelbau schritt um 87 Proc. rascher vorwärts, als wenn zur Sprengarbeit Pulver gebraucht worden wäre. Diese Resultate beweisen, daß selbst bei dem gegenwärtigen Zustande von verhältnißmäßiger Unerfahrenheit in der Benutzung des neuen Sprengmittels eine große Ersparniß erzielt wird. Die durch den Dynamit ermöglichte Arbeitsersparung bildet den charakteristischen Vortheil dieses Stoffes; ferner müssen wir die durch ihn bedingte Ersparniß an Zeit in Betracht ziehen. Das Gedeihen fast jeder Grube hängt von einem möglichst raschen Abteufen der nothwendigen Schächte ab, und was Eisenbahntunnels anbetrifft, so gibt der vielbesprochene Tunnel durch den Mont-Cenis ein offenkundiges Zeugniß von der Nothwendigkeit, die Vollendung eines so mühseligen Werkes möglichst zu beschleunigen. Nächstdem müssen wir die Anwendbarkeit des Dynamits in feuchtem Boden hervorheben, insofern Wasser auf die Ladung eine nachtheilige Wirkung auszuüben nicht vermag. Jeder Bergmann hat mehr oder weniger häufig die Erfahrung gemacht, wie schwierig es ist, mit gewöhnlichem Pulver in nassem Gesteine zu sprengen, eine Nothwendigkeit, die doch so häufig vorkommt. Ein anderer sehr bedeutender Vortheil des Dynamits liegt darin, daß er nicht besetzt zu werden braucht; dadurch werden zahlreiche Unfälle von geringerer Bedeutung vermieden, welche im Allgemeinen wenig beachtet werden, da sie zu gewöhnlich sind, um in Zeitungen erwähnt zu werden, die aber dennoch eine sehr lange und traurige Liste von fortwährendem Unheil bilden. In Cornwall wurde mir mitgetheilt, daß die bei weitem größere Anzahl der in den Gruben jener Grafschaft vorkommenden Unglücksfälle beim Besetzen vorkommt; es ist daher sehr wünschenswerth, sich gegen eine solche Quelle von Unfällen zu sichern, welche nach jahrhundert langer Erfahrung noch immer so zahlreiche Opfer fordern. Es würde eine bedeutende Abschwächung der hier erörterten Vortheile der in Rede stehenden Sprengstoffe seyn, wenn, wie mitunter behauptet worden ist, die Dämpfe von Nitroglycerin und Dynamit wirklich gesundheitsschädlich wären. Die beste Antwort für Diejenigen, welche eine solche Behauptuug aufstellen, dürfte wohl die seyn, daß sehr zahlreiche Gruben diese Sprengmittel unter Tage fortwährend anwenden, ohne daß die Bergarbeiter im Geringsten klagen. Wahr ist es freilich, daß das Nitroglycerin, wenn es aus einem Bohrloche in Klüfte und Spalten des Gesteines eindringt, sich dort versitzt und gar nicht zum Explodiren kommt, dann in die Grubenatmosphäre verdampft und heftige Kopfschmerzen hervorruft. Dieser Uebelstand läßt sich indessen leicht vermeiden durch Anwendung von Patronen, welche jedes Auslaufen verhindern; bei Anwendung von Dynamit fällt er von selbst weg. Seit der Einführung des letzteren Sprengstoffes sind keine Klagen mehr laut geworden, und auf manchen Bergwerken behaupten die Leute, der Dynamit könne gar kein Nitroglycerin seyn, da seine Dämpfe so ganz verschieden seyen. So viel von den Eigenschaften des neuen Sprengmateriales; gehen wir jetzt zu einer näheren Prüfung der mit ihm erzielten praktischen Resultate über. Die Einführung des Dynamits ist so neu, daß die Vorzüge, welche diese Substanz vor anderen Sprengmaterialien voraus hat, durch statistische Angaben noch nicht nachgewiesen werden können. Indessen ist der Dynamit in jeder Beziehung — mit Ausnahme der Gefährlichkeit — dem Nitroglycerin analog, so daß die mit dem Nitroglycerin erzielten Resultate uns eine klare Beurtheilung seines commerciellen Werthes ermöglichen. Schweden ist das einzige Land, in welchem Nitroglycerin seit 1865 unausgesetzt angewendet worden ist; es gibt uns demnach den richtigsten Anhaltspunkt. Der Absatz betrug den Angaben der Bücher der Stockholmer Nitroglycerin-Compagnie zufolge im Jahre 1865 32 258 Pfd. im Jahre 1866 48 785 Pfd. im Jahre 1867 76 575 Pfd. in den ersten sechs Monaten des Jahres 1868 64 293 Pfd. Diese Zahlen ergeben einen steten und raschen Zuwachs des Consums. Die angegebenen Quantitäten sind allerdings nicht „enorm;“ man muß indessen in Erwägung ziehen, daß Schweden ein zwar großes, aber nicht sehr productives Land ist und daß die einzige Grafschaft Cornwall allein dreimal mehr Grubenpulver verbraucht als ganz Schweden. Der Absatz von 221900 Pfd. Nitroglycerin in diesem Lande — eine Menge, welche in Bezug auf Sprengkraft mindestens 2½ Millionen Pfund Bergpulver entspricht — ist demnach sicherlich ein Beweis von entschiedenem Erfolge. Wäre das Material bei gleichem Gewichte ebenso billig wie gewöhnliches Grubenpulver, so könnte man die bedeutende Nachfrage vielleicht einer vorübergehenden und übel verstandenen Sparsamkeit zuschreiben; da aber 1 Pfd. Nitroglycerin dem Bergmann so viel kostet wie 8 Pfd. Grubenpulver, so muß ihm ersteres offenbar eine entsprechende Leistung gewähren, sonst würde er es nicht kaufen. Die Einführung des Nitroglycerins in Schweden ist zweifelsohne dadurch sehr erleichtert worden, daß durch den Transport, die Aufbewahrung und die Verwendung der oben angegebenen Quantität, kein Unfall von ernstlicher Bedeutung und im Ganzen eine geringere Anzahl von kleineren Unfällen verursacht worden ist, als wenn anstatt desselben Bergpulver angewendet worden wäre. Dieses Resultat ist aller Wahrscheinlichkeit nach dem kälteren Klima Schwedens zuzuschreiben, in Folge dessen das Nitroglycerin fast das ganze Jahr hindurch in gefrorenem Zustande transportirt werden kann. In England ist das Nitroglycerin, obgleich im Allgemeinen ein starkes Vorurtheil gegen dasselbe vorherrscht, seit 1866 in den Nordwaleser Steinbrüchen beständig im Gebrauch und steht bei den Bergleuten in hoher Gunst. Zwei Steinbrüche allein (Brynderven und Driwrevic) haben bis jetzt für etwa 3000 Pfd. Sterling oder etwa 9 Tonnen von diesem Material verbraucht und daß sein Absatz in North Wales stationär bleibt, rührt einzig davon her, daß die Fabrication und der Verkauf des Artikels in England nicht ein organisirtes Geschäft gewesen ist, wie in Schweden. Die Nordwaleser Bergleute bezahlen das Nitroglycerin mit 3 Shilling 3 Pence per Pfund, während Sprengpulver nur 4½ Pence kostet, und daß sie dieses bereits einige Jahre lang thun, beweist, daß sie bei dessen Anwendung einen Vortheil haben, obgleich dieses Sprengmittel in Schieferbrüchen seine Vorzüge nicht ganz zu entwickeln vermag, welche nur bei der Arbeit auf festem und hartem Gesteine vollständig hervortreten können. Wenn nun auch die Erfolge, welche das Nitroglycerin sich errungen, sehr bedeutend sind, so läßt sich doch sicherlich nicht annehmen, daß es dieselben einer allgemein günstigen Aufnahme zu verdanken hat. Wohl kein Fortschritt hat sich seinen Weg unter einer so gewichtigen Opposition gebahnt, wie das Nitroglycerin, und diese Thatsache gibt den besten Beweis für seine werthvollen Eigenschaften. Von der Schießbaumwolle, welche seit länger als 20 Jahren wiederholt in den Vordergrund gedrängt wurde, ist während dieser ganzen Zeit nicht so viel zum Sprengen verwendet worden, als Nitroglycerin binnen einem halben Jahre, weil der Bergmann in der Benutzung derselben durchaus keinen Vortheil gefunden hat. Bei dieser Gelegenheit muß ich erwähnen, daß die Schießbaumwolle neuerlich durch Professor AbelPolytechn. Journal Bd. CLXXXV S. 154. bedeutend verbessert worden ist und jetzt in verdichteter Form in den Handel kommt, in welcher sie ein gutes Sprengmaterial bildet und als solches dem Dynamit am nächsten steht. Noch vor wenigen Jahren erschienen mir die Bemühungen, das Sprengpulver durch die Schießbaumwolle zu ersetzen, als gänzlich fruchtlos. Bei gleichem Volum entwickelt sie weniger Kraft als ersteres und selbst diese Kraft kommt theurer zu stehen als mit Grubenpulver, welches sie verdrängen sollte. Comprimirte Schießbaumwolle aber übertrifft als Sprengmaterial das Grubenpulver sehr bedeutend und wenn sie mit Dynamit zu concurriren nicht im Stande ist, so rührt dieß nur daher, daß die Darstellungskosten des letzteren geringer sind, und daß der Dynamit eine mindestens dreimal so große Kraft entwickelt, während er zugleich eine weit größere Arbeitsersparniß ermöglicht. Die Verwendung des Nitroglycerins ist neuerlich in Belgien und auch in Schweden verboten worden. Mit Ausnahme der Möglichkeit einer freiwilligen Verbrennung kenne ich aber keinen Grund, durch den das absolute Verbot einer Substanz gerechtfertigt werden könnte. Was die organischen Nitroverbindungen im Allgemeinen anbetrifft, so ist es eine entschieden irrthümliche Ansicht, daß dieselben jene gefährliche Eigenschaft wirklich besitzen. Diese Meinung hat ihren Ursprung lediglich in der unvollständigen Neutralisirung der diesen Producten stets anhängenden Säure, wie sie bei deren Darstellung in den Laboratorien fast in der Regel vorkommt. Bekanntlich wird fast jede organische Verbindung durch die andauernde Einwirkung von Salpetersäure zersetzt; daher müssen sich auch die Nitroverbindungen im Laufe der Zeit zersetzen, wenn sie von anhaftender Säure nicht vollständig befreit worden sind. Aus dem angegebenen Grunde finden wir in den meisten Werken über Chemie die Angabe, daß das Nitroglycerin sich nach und nach unter Ausscheidung von Oxalsäure zersetze, während eine derartige Veränderung bei dem in großem Maaßstabe fabricirten Präparate niemals stattfindet. Bei Anwendung geeigneter Apparate ist zur vollständigen Neutralisirung einer Tonne Nitroglycerin kaum eine Stunde Zeit erforderlich; zur weiteren Controlle werden Proben von dem Producte eines jeden Arbeitstages, nachdem dieselben möglichst gut gemischt worden sind, in einem versiegelten Gefäße für spätere Untersuchungen aufbewahrt. Dieses Verfahren wird seit nunmehr achtzehn Monaten in sechs Fabriken befolgt und es ist bei keiner der zahlreichen Proben die geringste Spur einer Veränderung wahrzunehmen.