Titel: Ueber Heaton's Stahlfrischproceß mit Anwendung von Natronsalpeter; von Ferdinand Kohn, Civilingenieur in London.
Fundstelle: Band 191, Jahrgang 1869, Nr. XXVII., S. 144
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XXVII. Ueber Heaton's Stahlfrischproceß mit Anwendung von Natronsalpeter; von Ferdinand Kohn, Civilingenieur in London. Aus Engineering, December 1868, S. 546. Kohn, über Heaton's Stahlfrischproceß. Der Redaction unserer Quelle wurde von dem k. k. österreichischen General-Consulat in London gestattet, den von Hrn. Ferd. Kohn für die österreichische Regierung erstatteten Bericht über Heaton's Stahlfrischproceß zu übersetzen und zu veröffentlichen. Derselbe lautet: „Der Unterzeichnete hat die vom k. k. General-Consulat ihm zur Begutachtung und Berichterstattung übergebenen Actenstücke und sonstigen Papiere sorgfältig geprüft und auch eingehende Nachrichten in Betreff des neuen patentirten Heaton'schen Verfahrens zur StahlfabricationPolytechn. Journal Bd. CXC S. 465 (zweites Decemberheft 1868). sowie bezüglich der Glaubwürdigkeit mehrerer Angaben in den oben erwähnten Actenstücken eingezogen. Ueberdieß hat der Unterzeichnete das in Rede stehende Verfahren von Heaton mit mehreren ausgezeichneten Metallurgen, z.B. mit H. Bessemer, C. W. Siemens und mehreren Anderen besprochen, um die Schlüsse bezüglich des Werthes jenes Verfahrens, zu denen er selbst gelangt ist, mit deren Ansichten zu vergleichen. Als Resultat dieser Nachforschungen überreicht der Unterzeichnete dem k. k. General-Consulate nachstehenden Bericht. Heaton's Verfahren besteht in der Anwendung von salpetersauren und anderen, viel Sauerstoff enthaltenden Salzen zur Umwandlung von Roheisen in ein mehr oder weniger affinirtes Product, welches Heaton„Rohstahl“ (crude steel) nennt, das aber nach der Analyse von Dr. Miller nicht weniger als 1,8 Proc. Kohlenstoff und 0,266 Proc. Silicium enthält, somit gar nicht als „Stahl“ bezeichnet werden kann. Dieses Halbproduct wird im Flamm- oder „Puddelofen“ zu Deulen oder Luppen geformt und als Stabeisen verarbeitet oder unter dem Hammer ausgereckt, in kleine Stücke zerschlagen, und schließlich im Tiegelofen auf Gußstahl verschmolzen. Die Reaction des salpetersauren Natrons auf das Roheisen wird dadurch vermittelt, daß der mit Sand und Eisenstein gemengte Salpeter auf die Sohle eines Ofens oder Converters (einer Birne) aufgegeben und in demselben mittelst einer mit Löchern versehenen Gußeisenplatte niedergehalten wird, worauf man das flüssige Roheisen in den Ofen oder die Birne absticht, so daß es diese bis zu einer bestimmten Höhe füllt. Der Natronsalpeter, welcher in Folge des Versatzes mit anderen Substanzen nicht explodiren kann, zersetzt sich nach und nach und gibt dabei Sauerstoff ab, welcher durch das flüssige Roheisen hindurchstreicht und auf dasselbe eine Reaction ausübt, die in vieler Hinsicht dem Bessemerprocesse ähnlich ist. Der besondere Zweck und der Grundgedanke des Heaton'schen Processes liegt in der Möglichkeit einer Reaction zwischen dem Phosphor und Schwefel des Roheisens und dem Natron des salpetersauren Salzes oder der Basis des sonstig angewendeten Sauerstoffsalzes. Der erwähnte Bericht von Miller enthält einige auf diesen Punkt bezügliche analytische Belege. Aus Roheisen welches 1,455 Proc. Phosphor enthielt, wurde mittelst des Heaton'schen Processes ein Halbproduct gewonnen, welches (nach dem Ausrecken unter dem Hammer) nur noch 0,298 Proc. Phosphor enthielt. In Betreff dieses Resultates ist zu bemerken, daß der zurückbleibende Phosphorgehalt für verkäuflichen Stahl irgend welcher Sorte noch viel zu groß ist. Mittelmäßige Sorten von Bessemerstahl enthalten niemals ein Drittel von jener Phosphormenge, und die besten Sorten von Gußstahl oder Bessemerstahl enthalten nicht über 0,055 Proc. Phosphor. Ueberdieß fragt es sich, ob die Entfernung eines Theiles des Phosphors wirklich der Gegenwart einer basischen Substanz zuzuschreiben ist. Der Hauptpunkt, auf welchem der praktische Werth des neuen Verfahrens und die Möglichkeit seiner Anwendung beruht, liegt in den Productionskosten. Wenn es möglich wäre, guten Stahl aus Eisenerzen und aus Roheisen von geringer Qualität herzustellen, und wenn die Kosten dieses Umwandlungsprocesses nicht beträchtlich höher seyn würden als diejenigen anderer Stahlerzeugungsmethoden, dann würde der Heaton'sche Proceß allerdings einen wichtigen Fortschritt bilden und es würde die Einführung desselben sicherlich besondere Vortheile gewähren. Der Unterzeichnete kann jedoch in dieser Beziehung dem neuen Verfahren ein günstiges Prognosticon nicht stellen. Die Beschaffung der erforderlichen Mengen von Salpeter ist schwierig, da die Nachfrage nach diesem Salze in allen Industriezweigen sehr bedeutend ist. Der niedrigste Preis des salpetersauren Natrons beträgt gegenwärtig in England 10 Pfd. St. per Tonne. Nach Dr. Miller's Bericht sind zur Verarbeitung einer Tonne Roheisen auf Stahl ungefähr 3 Ctr. Natronsalpeter erforderlich; demnach belaufen sich die Ausgaben für die zur Umwandlung erforderliche Menge dieses Salzes auf 15 österr. Gulden (10 Thlr.) per Tonne Roheisen, oder 75 kr. (15 Sgr.) per Ctr. Roheisen. Berücksichtigen wir den unvermeidlichen Abbrand und andere während des Umwandlungsprocesses stattfindende Verluste, so ergibt sich, daß der Betrag von 1 Gulden (20 Sgr.) per Ctr. producirten Stahles als der niedrigste Satz für den Aufwand an salpetersaurem Natron anzusehen ist. In Oesterreich würden diese Kosten noch bedeutender seyn, da dort der Marktpreis jenes Salzes höher ist als in England. Der Unterschied im Preise von phosphorhaltigem Roheisen und von vergleichsweise phosphorfreiem Roheisen ist ungefähr ebenso groß, als der oben angegebene Preis des Natronsalpeters; es ist demnach offenbar weit einfacher, das theurere Roheisen zu kaufen und aus demselben wirklich reinen Stahl zu produciren, als schlechteres Roheisen in einer sicherlich sehr unvollständigen Weise zu reinigen und für die zu diesem Reinigungsprocesse erforderlichen Chemikalien die ganze Preisdifferenz des guten und des schlechten Roheisens aufzuwenden. Die im Vorstehenden über den praktischen und commerciellen Werth des Heaton'schen Processes ausgesprochene ungünstige Ansicht soll übrigens nur für das Verfahren im Allgemeinen gelten, ohne jede Berücksichtigung örtlicher Verhältnisse. Sie gründet sich auf die in Prof. Miller's Bericht enthaltene Angabe, daß zur Umwandlung von 12 1/2 Centner Roheisen 169 Pfund salpetersaures Natron angewendet wurden – die einzige zuverlässige Mittheilung über diesen Gegenstand, welche bisher überhaupt zur Oeffentlichkeit gelangt ist. Ziehen wir die mögliche Bedeutung des Heaton'schen Processes speciell für Oesterreich in Erwägung, so kann diese notwendigerweise nur gering seyn, selbst wenn sich das Verfahren wirklich als brauchbar erweisen sollte; denn die meisten österreichischen Eisenbergwerke liefern Erze von ausgezeichneter Reinheit und von vortrefflicher Qualität, deren Producte somit einer künstlichen Reinigung nicht bedürfen.“ London, 9. November 1868. (gez.) Ferdinand Kohn.