Titel: Ueber das Verfahren von Coupier (in Poissy) zur Fabrication des Anilinroth; Bericht von P. Schützenberger.
Fundstelle: Band 191, Jahrgang 1869, Nr. CII., S. 479
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CII. Ueber das Verfahren von Coupier (in Poissy) zur Fabrication des Anilinroth; Bericht von P. Schützenberger. Aus dem Bulletin de la Société industrielle de Mulhouse, t. XXXVIII p. 925; December 1868. Schützenberger, über Coupier's Darstellung von Anilinroth. In dem Programme der von unserer (der Mülhauser) Industriegesellschaft für das Jahr 1868 gestellten Preisaufgaben wurde auch eine Ehrenmedaille bestimmt für ein Verfahren zur fabrikmäßigen Darstellung des Anilinroth ohne Arsensäure, mit Hülfe anderer Substanzen. Dieses Verfahren muß nach dem Wortlaut der Preisaufgabe mindestens ebenso billig seyn wie die bisher als die vortheilhafteste erkannte Fabricationsmethode mit Arsensäure; es muß dabei eben so schöne Producte geben, als diese, und von den mit der Erzeugung des Anilinroth mittelst Arsensäure verbundenen Gefahren für die Gesundheit der Arbeiter frei seyn. Unsere Gesellschaft, in erster Reihe unablässig besorgt um das Wohl der Arbeiter und um die Mittel, welche zur Verminderung der aus ihren Beschäftigungen entspringenden Gefahren geeignet sind, durfte eine so wichtige, aus den neueren Fortschritten der Farbenchemie und der Farbenindustrie hervorgegangene Frage nicht unberücksichtigt lassen. Neben den sehr nachtheiligen Folgen, welche für den Arbeiter aus dem unmittelbaren und unablässigen Umgange mit so bedeutenden Mengen von Arsensäure erwachsen, müssen wir die Beschwerden betonen, welche dem Anilinrothfabrikanten durch die Anhäufung der bei seinen Operationen fallenden Rückstände bereitet werden, indem sich in diesen das Erzeugungsmittel des Roth, die Arsensäure, eines der heftigsten Gifte, ansammelt. Gestattet ihm die Lage seiner Fabrik diese Rückstände in einen Wasserlauf von Bedeutung, z.B. in einen Fluß oder einen größeren Bach abfließen zu lassen, so werden die giftigen Wirkungen der Arsensäure durch ihre außerordentlich starke Verdünnung theilweise neutralisirt werden; es steht jedoch keineswegs fest, daß selbst unter diesen Verhältnissen nicht mehr oder minder bedeutende Uebelstände, wie z.B. Entvölkerung der Flüsse und Vernichtung des Fischstandes eintreten werden. Stehen dagegen diese Mittel zur Beseitigung der giftigen Rückstände nicht zur Verfügung, so ist der Fabrikant gezwungen die ausgenutzte Arsensäure in irgend einer Form vom Boden absorbiren zu lassen. Indem sich dann dieselbe in die Erde einzieht, kann sie die zum Hausgebrauche dienenden Quellen auf weite Entfernungen hin vergiften. Oder endlich der Fabrikant sieht sich genöthigt, die Arsensäure aus den Rückständen durch kostspielige Mittel wiederzugewinnen. In Frankreich, wo die Erzeugung von Anilinroth in Folge der Ausbeutung eines Patentes für jetzt noch beschränkt ist, konnten alle diese Uebelstände sich noch nicht in weiteren Kreisen bemerkbar machen und die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich ziehen; der Zeitpunkt ist aber nicht mehr fern, wo dieser Fabricationszweig von den ihn beengenden Fesseln befreit, eine bedeutende Entwickelung gewinnen und sich über alle großen Fabricationsmittelpunkte verbreiten wird. Es ist daher sehr zu wünschen, daß sobald jene Beschränkungen für die Anilinfarbenindustrie fallen, die Arsensäure sofort durch eine minder gefährliche Substanz ersetzt werden kann. Ein durch seine zahlreichen und interessanten Untersuchungen über die fractionirte Trennung der Hydrocarbüre des Steinkohlentheeres und die fabrikmäßige Darstellung von reinem Anilin und Toluidin, sowie durch seine Arbeiten über das Toluidinroth rühmlichst bekannter Fabrikant, Coupier in PoissyMan s. Coupier's Abhandlung und den von Rosenstiehl über dieselbe erstatteten Bericht im polytechn. Journal Bd. CLXXXI S. 385 (ferner Rosenstiehl's spätere Resultate in Bd. CLXXXIX S. 393 und Bd. CXC S. 60)., ist als Bewerber um den erwähnten Preis aufgetreten. Der Ausschuß für Chemie beauftragte mich, die von Coupier angewandten Verfahrungsarten zur Anilinrothfabrication ohne Arsensäure zu prüfen und mich zu überzeugen, ob dieselben den im oben erwähnten Programme gestellten Bedingungen entsprechen. Ich berichte im Folgenden über die von mir in Poissy gemachten Beobachtungen. Coupier erzeugt sein Roth durch die bei einer angemessenen Temperatur hervorgerufene Reaction eines Gemenges von (reinem) Anilin, Nitrotoluol, Salzsäure und metallischem Eisen, welches letztere in kleinen Quantitäten angewendet wird. Ebenso kann man das gewöhnliche Anilin, wie es im Handel vorkommt (d.h. ein Gemisch von Anilin und Toluidin), in Verbindung mit käuflichem Nitrobenzol (Gemisch von Nitrobenzol und Nitrotoluol) mit Salzsäure und Eisen behandeln. In beiden Fällen ist das entstandene Roth mit dem gewöhnlichen Anilinroth identisch; seine Basis ist Rosanilin. Wendet man dagegen Gemische von Nitrotoluol und Toluidin, von Nitroxylol und Xylidin an, so erhält man das von Coupier sogenannte Toluidinroth oder Xylidinroth, d.h. ein Roth dessen Basis Rosatoluidin, bez. Rosaxylidin ist.In seinem am 5. April 1866 genommenen Patente ersetzt Coupier das metallische Eisen durch Eisenchlorid.Die von ihm angewendeten Mengenverhältnisse sind die folgenden:Nitrotoluol95;    Salzsäure65;Toluidin67;Eisenchlorid  7 bis 8.Offenbar wird durch die in Gegenwart einer Nitroverbindung stattfindende Einwirkung der Salzsäure auf das metallische Eisen im Anfange Eisenchlorid erzeugt und somit fällt das jetzt befolgte Verfahren mit dem im erwähnten Patente angegebenen bezüglich des Resultates zusammen. Ohne uns hier mit der Frage bezüglich der Identität oder Nichtidentität dieser rothen Farbstoffe zu beschäftigen, haben wir nachstehende Fragen zu beantworten: 1. Läßt sich durch Erhitzen derartiger Gemische von Alkaloid und Nitrohydrocarbür mit Salzsäure und Eisen überhaupt Roth erzeugen? 2. Ist die Menge des erzeugten Roth mindestens eben so groß wie die, welche man mit Arsensäure aus Anilin und Nitrobenzol oder Nitrotoluol erhält, vorausgesetzt, daß die beiden letzteren Körper vorher in Alkaloid umgewandelt worden sind? 3. Ist das erhaltene Roth ebenso schön wie das normale Fuchsin? Wenn das neue Verfahren diesen drei Bedingungen entspricht, so muß dasselbe offenbar vortheilhafter seyn, als die bis jetzt befolgte Methode. Bei der Darstellung des Roth nach dem neuen Verfahren wird die Anwendung jeder neuen Substanz vermieden und es kommen nur diejenigen in Benutzung, welche zur Umwandlung des Nitrobenzols in Anilin dienen. Mit anderen Worten: zunächst wird nur die Hälfte oder bloß der dritte Theil des Nitrohydrocarbürs in Alkaloid umgewandelt; der Rest wird erst während der Operation selbst, welche das Roth erzeugt, durch eine analoge Reaction desoxydirt. Daß durch Einwirkung der Nitroverbindungen auf ihre respectiven Alkaloide Farbstoffe erzeugt werden, weiß man bereits seit d. J. 1861; aber einerseits war die Mitwirkung der Salzsäure und des Eisens nicht in Betracht gezogen worden, und andererseits verlangte das Programm der Preisfrage nicht, daß das Verfahren gänzlich neu sey. Coupier führte in meiner Gegenwart Versuche ab, welche ich selbst in kleinerem Maaßstabe wiederholte; dieselben überzeugten mich von dem regelmäßigen Verlaufe seiner Operationen. Ich fand, daß das Noch bei Anwendung von 200 Grammen Substanzen im Kleinen sich ebenso gut bildet, wie bei Anwendung von 100 Kilogrm. auf einmal. Das oben angegebene Gemisch wird in einer Retorte aus emaillirtem Gußeisen allmählich auf etwa 200° C. erhitzt. Der Gang der Operation wird nach den Angaben eines in die Retorte eintauchenden Thermometers, nach der Beschaffenheit der entweichenden Dämpfe und nach dem Ansehen der Masse, von welcher man von Zeit zu Zeit Proben zieht, regulirt. Nach Beendigung der Reaction ist das Product teigartig, bei höherer Temperatur halbflüssig; es erstarrt sehr bald zu einer spröden, brüchigen, zerreiblichen, glänzenden Masse, welche die gleich den Flügeldecken mancher Käfergattungen schimmernde, goldgrüne Färbung des rohen Fuchsins zeigt. Nach dem Erstarren wird das Product aus der Retorte entfernt, zerstoßen und mit kochendem Wasser ausgezogen. Die klar gewordene Flüssigkeit wird mit Natron gefällt und der erhaltene Niederschlag in der üblichen Weise gereinigt. Färbeversuche überzeugten mich, daß die Menge des erhaltenen Roth in Uebereinstimmung mit Coupier's Angabe, der Quantität, welche man mit Arsensäure erhält, mindestens gleich, wenn nicht größer ist; selbstverständlich mit Berücksichtigung der Alkaloidmenge, welche dem Nitrohydrocarbür in dem Gemische entspricht. Was den Farbeton des erhaltenen Roth anbetrifft, so ist derselbe, je nach der Beschaffenheit der benutzten Substanzen, verschieden. Bei Anwendung eines Gemisches von Anilin und Nitrotoluol nähert er sich dem des Fuchsins; mit Toluidin und Nitrotoluol erhält man ein mehr in's Violette stechendes Roth. Unzweifelhaft wird es mit Anwendung der bekannten Reinigungsmethoden gelingen, ein fabrikmäßig krystallisirtes Fuchsin darzustellen, welches ebenso schön und satt ist, wie die besten der jetzt im Handel vorkommenden Sorten. Somit hat Coupier durch Vervollkommnung und praktische Verwerthung einer theilweise bekannten Reaction den Bedingungen des aufgestellten Programmes zum größeren Theile entsprochen. Seine Arbeiten haben sich keineswegs auf bloße Laboratoriumversuche beschränkt, sondern haben in seiner Fabrik die Dimensionen eines regelmäßig betriebenen Industriezweiges angenommen, und es ist im Interesse der uns beschäftigenden gesundheitlichen Frage sehr zu wünschen, daß Coupier's Methoden die Aufmerksamkeit der Anilinfarbenfabrikanten immer mehr auf sich ziehen und durch die Großindustrie sanctionirt werden. Jedenfalls dürfte der Erfinder dieses neuen Verfahrens die Preismedaille mit Recht verdient haben.