Titel: Ueber Darstellung von pulverförmigem hydraulischem Kalk; von H. de Villeneuve.
Fundstelle: Band 192, Jahrgang 1869, Nr. LVI., S. 221
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LVI. Ueber Darstellung von pulverförmigem hydraulischem Kalk; von H. de Villeneuve. Aus dem Comptes rendus, t. LXVIII p. 389; Februar 1869. Villeneuve, über Darstellung von pulverförmigem hydraulischem Kalk. In der Sitzung der (französischen) Akademie der Wissenschaften vom 15. Juli 1850 habe ich meine Ansicht über die Theorie der hydraulischen Mörtel entwickeltComptes rendus, t. XXXI p. 55. – Villeneuve wurde durch seine Beobachtungen über den hydraulischen Kalk zu der Ansicht hingeführt, daß die hydraulischen Eigenschaften nicht allein der Kieselerde zuzuschreiben seyen, sondern überhaupt allen elektronegativen Körpern, welche mit dem Kalk unlösliche Verbindungen eingehen, besonders aber der Kohlensäure. Die von ihm damals angekündigte ausführliche Abhandlung ist aber bis jetzt nicht erschienen.A. d. Red. und schließlich auf die ausgedehnte Verwendung aufmerksam gemacht, welche der pulverförmige hydraulische Kalk in Verbindung mit zerkleinertem unvollkommen gebranntem Kalkstein bei den öffentlichen Bauten in Südfrankreich damals gefunden hatte. Meine ersten Lieferungen von pulverförmigem hydraulischem Kalk fanden im Jahre 1841 statt. Im J. 1845 wurden meine Producte unter der Leitung des Ingenieur Talabot auf der ganzen Bahnstrecke zwischen Marseille und Avignon verwendet. Im J. 1847 wurde der pulverförmige hydraulische Kalk unter der Direction des Marschalls Niel (damals Ingenieurobrist) zu den Festungsbauten von Paris benutzt. Der Erfolg der durch diese ausgezeichneten Männer im größten Maaßstabe ausgeführten Arbeiten hat allen Bedenklichkeiten ein Ende gemacht und ich will nun die Methode zur sicheren Benutzung meines schon sehr verbreiteten Verfahrens genau mittheilen. Sie besteht darin, daß man 1) zunächst den hydraulischen Kalk zerfallen läßt, und zwar nicht etwa durch Befeuchten mit einem Minimum von Wasser, sondern im Gegentheil durch Begießen mit der größten Wassermenge, welche er zu absorbiren vermag; man darf mit dem Zusätze von Wasser erst an der Grenze aufhören, wo das Kalkpulver teigartig würde; 2) hierauf bringt man den benetzten Kalk in Haufen und läßt ihn mindestens acht Tage liegen, damit alle Klumpen desselben vollständig zerfallen können; 3) dann wird der zerfallene Kalk durchgesiebt, damit die darin enthaltenen unvollkommen gebrannten Stückchen abgeschieden werden; gleichzeitig werden die von einer früheren Operation herrührenden Steinchen oder Knoten, welche bereits durch Anziehen von Feuchtigkeit aus der Luft oder durch leichtes Besprengen mit Wasser hydratisirt worden sind, zerrieben und der übrigen Masse beigemengt. Das auf diese Weise erhaltene pulverförmige Gemenge wird nun vollständig gelöscht; es kann sich dann in dem Mauerwerke, zu welchem es verwendet wird, nicht weiter desaggregiren. Die Maschen des zum Durchsieben oder Durchbeuteln dienenden Drahtgewebes dürfen nicht über ½ Millimet. Durchmesser haben; denn je feiner das Kalkpulver ist, desto rascher und inniger wird es von dem zum Anmachen des Mörtels benutzten Wasser durchdrungen und desto besseren Kalkbrei gibt es. 4) Damit der Kalk seinen pulverförmigen Zustand behält, muß ein dichtes Aufhäufen desselben vermieden werden, indem sonst das durch die atmosphärische Kohlensäure bewirkte Zusammenbacken der Kalkpulvertheile begünstigt würde. Auch durch die Verpackung in Fässern würde das Kalkpulver zu dicht werden; man muß es daher ganz lose aufgeschüttet in Schuppen aufbewahren, welche gegen den Regen gehörig geschützt sind. Auf diese Weise kann sich das Kalkpulver mehrere Jahre lang conserviren. Das Verfahren ist durch sehr ausgedehnte Erfahrungen als bewährt befunden worden. Im Jahre 1847 wurden 1000 Tonnen unter meiner Leitung für die Herstellung des Viaductes der bei Avignon über die Durance führenden Eisenbahn dargestellten pulverförmigen Kalkes in einem Schuppen geborgen. Das Bauwerk konnte erst später im Laufe der Jahre 1849 und 1850 ausgeführt werden. Die mit diesem alten Kalke bereiteten Mörtel gaben in dem reißenden Flusse in Bezug auf Festigkeit ganz ausgezeichnete Resultate. Auch das große Souterrain von la Nerthe bei Marseille, dessen Verkleidung hauptsächlich mit unvollständig und nur halb gar gebranntem pulverförmigem Kalk hergestellt wurde, gab einen glänzenden Beweis für die Güte derartiger Mörtel. Die Vortheile, welche die Anwendung von hydraulischem Kalk in Pulverform gewährt und die von den Pariser Architekten und Ingenieuren jetzt sehr wohl gewürdigt werden, bestehen in der Ersparung von Material, Beschleunigung des Erhärtens, Ersparung an Arbeit beim Anrühren des Mörtels, vollständiger Beseitigung der mit dem Löschen des gewöhnlichen hydraulischen Kalkes verbundenen Uebelstände, Leichtigkeit des Transportes in Säcken und zuverlässiger Conservirung großer Vorräthe des Materiales. Die Materialersparung ist so bedeutend, daß 300 Kilogrm. des pulverförmigen Kalkes zur Anfertigung von einem Kubikmeter Mörtel hinreichen, während dazu bisher 400 Kilogrm. hydraulischer Kalk in Stücken erforderlich waren. Die zahlreichen unvollkommen gebrannten Stücke im hydraulischen Kalk veranlaßten früher Verluste, welche bis 25 Proc. betrugen. Durch die Darstellung von pulverförmigem hydraulischem Kalk ist die Ausführung sehr großartiger öffentlicher Bauten, selbst in weit entfernten Ländern, in unerwarteter Weise begünstigt worden. Die riesigen Arbeitsplätze auf der Landenge von Suez, sowie die Werkstätten der algerischen Eisenbahnen werden jetzt vom Marseiller Hafen aus mit regelmäßigen Zusendungen von pulverförmigem hydraulischen Kalk versehen.