Titel: Versuche über den Kraftbedarf der Maschinen in der Flachs- und Wergspinnerei, von Prof. Dr. Ernst Hartig.
Fundstelle: Band 193, Jahrgang 1869, Nr. CXII., S. 448
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CXII. Versuche über den Kraftbedarf der Maschinen in der Flachs- und Wergspinnerei, von Prof. Dr. Ernst Hartig. Hartig, über den Kraftbedarf der Maschinen in der Flachs- und Wergspinnerei. Vor vier Jahren stellte Prof. Dr. Hartig in Dresden eingehende Versuche über den Kraftbedarf der Maschinen in der Streichgarnspinnerei und Tuchfabrication an; jetzt liegt uns der Bericht über ein Seitenstück zu jenen Versuchen vor in der Schrift: „Versuche über den Kraftbedarf der Maschinen in der Flachs- und Wergspinnerei, ausgeführt von Prof. Dr. Ernst Hartig (Leipzig, B. G. Teubner, Preis 2 Thlr.). Diese Versuche, welche um so werthvoller sind, als die im letzten Jahrzehnt zu so hoher Entwickelung gelangte mechanische Leinenspinnerei über den Kraftbedarf der bei ihr angewendeten Maschinen noch wenig zuverlässige Daten besitzt, wurden in den J. 1867 und 1868 in der Flachsspinnerei von Schulz, Müller und Hirt in Freiberg und in der k. k. privileg. Tetschener Flachsspinnerei zu Bünauburg bei Bodenbach ausgeführt. Die Hauptresultate der Versuche waren folgende. Die erforderliche Betriebskraft beim Arbeitsgang beträgt bei normaler Geschwindigkeit für die einzelnen Maschinen: Betriebskraft inPferdestärken Flachsbreche (nach Guild)         0,55 Schwingmaschine pro Stand         0,12 Einfache Hechelmaschine pro Zange         0,078 Doppelte Hechelmaschine pro Zange         0,042 Anlege pro Einlaß         0,17 Erster Flachsdurchzug pro Kopf         0,29 Zweiter Flachsdurchzug pro Kopf         0,25 Flachsflyer pro Spindel         0,031 Flachsfeinspinnmaschine für Nr. 25–40 pro Spindel         0,022 Werganflockerungsmaschine         3,00 Vorkrempel für Werg         2,36 Feinkrempel für Werg         1,92 Erster Wergdurchzug pro Kopf         0,32 Zweiter Wergdurchzug pro Kopf         0,25 Wergflyer pro Spindel         0,028 Wergfeinspinnmaschine für Nr. 14–16 pro Spindel         0,028 Kreissäge         1,70 Walzendrehbank         0,85 Riffelmaschine         1,00 Schraubenventilator         0,75 Bei diesen Zahlen sind die „normalen Stillstände“ einerseits, welche durch Bedienung der Maschine, Abziehen der Spulen, Oelen der Zapfen u.s.w. veranlaßt werden, und der auf die Transmission zu rechnende Kraftbedarf anderseits nicht berücksichtigt; sie können aber so gebraucht werden, als ob Beides der Fall wäre, da diese Umstände in entgegengesetztem Sinn auf die Werthe einwirken und nach der Größe ihres Einflusses ungefähr gleich zu achten sind. Für die Anlegen, Durchzüge, Vor- und Feinspinnmaschinen, die den größten Theil der gesammten Betriebskraft erfordern, läßt sich aus den zahlreichen Versuchen leicht ein Verfahren ableiten, das mit größerer Schärfe aus wenigen leicht zu erhebenden Daten die Berechnung der Betriebskraft gestattet. Es zeigt sich nämlich, daß, wenn man den gesammten Widerstand solcher Maschinen auf den Umfang der Vordercylinder reducirt und auf die einzelnen Bänder, Nadelfelder oder Spindeln repartirt, sich sehr nahe übereinstimmende Zahlen für jede einzelne Maschinengattung ergeben, wie aus folgender Uebersicht hervorgeht. Betriebskr.per Band od.SpindelMet. Klgrm.pro Sec. UmfangsgeschwindigkeitderVordercylinderMtr. Widerstanda. UmfangderVordercylinderKlgrm. Anlege von Lawson (Nr. 10)       15,8 0,479 33,0    „        „        „            (Nr. 11)       15,2 0,422 36,0    „        „   Combe   (Syst. II)       10,3 0,366 28,1    „        „        „            (Syst. I)       10,4 0,366 28,4 Erster Flachsdurchzug von Lawson (Nr. 12)         7,19 0,327 22,0    „              „                 „         „          (Nr. 14)         6,87 0,299 23,0    „              „                 „   Combe (Syst. I)         2,67 0,275    9,71    „              „                 „         „        (Syst. II)         1,97 0,311    6,33 Zweiter Flachsdurchzug von Lawson (Nr. 11)         4,50 0,299 15,1      „            „                   „          „         (Nr. 15)         3,00 0,249 12,0      „            „                   „   Combe  (Syst. I)         1,69 0,291    5,81      „            „                   „          „        (Syst. II)         1,94 0,291    6,67 Flachsflyer von Lawson (Nr. 16)         2,76 0,323    8,54       „           „          „          (Nr. 17)         2,85 0,311    9,16       „           „   Combe   (Syst. I)         1,89 0,254    7,44       „           „          „          (Syst. II)         1,71 0,280    6,11 Feinspinnm. für Flachsg. Nr. 30 von Lawson (Nr. 10)         0,900 0,099    9,09          „           „       „       Nr. 40  „          „          (Nr. 18)         0,804 0,105    7,66          „           „       „       Nr. 25  „    Combe         2,07 0,132 15,7 Erster Wergdurchzug von Lawson (Nr. 4)         5,62 0,228 24,6     „             „              „        „            (Nr. 6)         3,88 0,228 17,0     „             „              „  Combe   (Syst. I)         6,17 0,311 19,8     „             „              „        „           (Syst. II)         3,58 0,328 10,9 Zweiter Wergdurchzug von Lawson (Nr. 5)         2,50 0,192 13,0      „               „             „          „           (Nr. 7)         3,83 0,192 20,0      „               „             „  Combe  (Syst. I)         2,87 0,314    9,14      „               „             „          „       (Syst. II)         1,72 0,253    6,80 Wergflyer von Lawson (Nr. 8)         2,32 0,221 10,5        „         „   Combe   (Syst. I)         2,51 0,226 11,1        „         „         „          (Syst. II)         1,63 0,184    8,86 Feinspinnm. für Werggarn Nr. 16 von Lawson (Nr. 1)         1,42 0,159    8,93         „            „         „       Nr. 16   „         „           (Nr. 2)         1,31 0,159    8,24         „            „         „       Nr. 14   „    Combe         2,50 0,135 18,5 Die in den Zahlen der letzten Rubrik noch vorhandenen Unterschiede charakterisiren die specielle Unordnung, Ausführung, Montirung und Instandhaltung der Maschinen. Läßt man diese Unterschiede verschwinden und berechnet für die einzelnen Maschinengattungen die arithmetischen Mittel, so findet sich der mittlere Widerstand,reducirt auf den Umfang derStreckwalzen in Klgrm. Anlege 31,4 Erster Flachsdurchzug 15,3 Zweiter Flachsdurchzug    9,87 Flachsflyer    7,81 Feinspinnmaschine für Flachsgarn Nr. 25–40 10,8 Erster Wergdurchzug 18,1 Zweiter Wergdurchzug 12,2 Wergflyer 10,2 Feinspinnmaschine für Werggarn Nr. 14–16 11,9 Mit Hülfe dieser Zahlen läßt sich unter Einführung folgender Bezeichnungen D = Durchmesser der Vordercylinder oder Streckwalzen in Mtrn. U = Umdrehungen derselben pro Minute N = Zahl der Bänder (Nadelfelder) oder Spindeln P = Widerstand auf den Umfang der Streckwalzen bezogen in Klgrm. F = Coefficient für die normalen Stillstände der Maschine N = Betriebskraft der Maschine in Pferdestärken für die Betriebskraft der Anlegen, Strecken, Flyer und Feinspinnmaschinen die einfache Formel aufstellen: Textabbildung Bd. 193, S. 451 Man erhält z.B. für eine Feinspinnmaschine für Werggarn von n = 150 Spindeln, deren Streckwalzen einen Durchmesser D = 0,060 Met. haben und 40 Umdrehungen pro Minute machen, bei 15 Proc. Stillständen, da für diese Maschinengattung p = 11,9 Kilogr. die erforderliche Betriebskraft N = (0,060 . 40 . 0,85 . 11,9 . 150)/1432 = 3641/1432 = 2,54 Pfrdstrkn. Bezeichnet man die pro Minute von den Streckwalzen ausgegebene Band- oder Garnlänge, die sich an einer im Gang befindlichen Maschine sehr leicht direct beobachten läßt, mit L, so nimmt obige Formel, weil L = DπU, die einfachere Gestalt an: N = f . p . L . n/450 Pfedstrkn., wornach z.B. der Arbeitsaufwand für einen Flachsflyer von n = 60 Spindeln, dessen Streckwalzen pro Minute L = 15 Met. Vorgarn ausgeben, bei 20 Proc. Stillständen und da für Flachsflyer der auf den Streckwalzenumfang reducirte Widerstand p = 7,81 Kilogr. beträgt, sich zu N = (0,80 . 7,81 . 15 . 60)/4500 = 5623/4500 = 1,25 Pfedstrkn. berechnet. Es ist oft üblich, für überschlägliche Berechnung der Betriebskräfte ganzer Spinnereien anzugeben, wie viel Feinspindeln (alle Vorbereitungsmaschinen eingerechnet) auf eine Pferdestärke kommen. Eine im Organ des deutsch-österr. Leinenindustrie-Vereines“ Jahrg. 1868 Nr. 3 mitgetheilte Tabelle englischen Ursprungs kommt z.B. darauf hinaus, daß für Spinnereien von 2000–12000 Feinspindeln, für Nr. 35 Flachs und Nr. 18 Werg als Mittelnummern, 25 Feinspindeln auf eine indicirte Pferdekraft zu rechnen sind. Die hier vorliegenden Versuche geben hierfür folgende Durchschnittszahlen: Auf 1 Pferdest. kommenFeinspindeln          Maschinensystem vonSaml. Lawson u. Söhne in Leeds Flachsgarn Nr.  35 .. 51Werggarn    Nr. 16 .. 29 durchschittlich 40           Maschinensystem vonJames Combe u. Comp. in Belfast Flachsgarn   Nr. 25 .. 30Werggarn    Nr. 14 .. 23 durchschnittlich 26 Hierbei ist der nöthige Abzug für Stillstände und der Zuschlag für Transmission nicht berücksichtigt. In einer noch andern Form lassen sich die Resultate endlich darstellen, wenn man berechnet, welches Materialquantum bei den verschiedenen Arbeitsmaschinen pro Pferdekraft und Stunde bearbeitet werden kann. Folgende Uebersicht gibt die hierfür erhaltenen Durchschnittszahlen: Bearbeitetes Quantumpro Pferdekraftund Stunde inKlgrm. Zur Bearbeitungvon 100 Klgrm.pro Stunde sindan BetriebskrafterforderlichPfedkrft. Flachsbreche (Syst. Guild) 121 0,83 Schwingmaschine 37,5 2,67 Hechelmaschine 100 1,00 Anlege für Langflachs 43,0 2,33 Erster Flachsdurchzug 32,6 3,07 Zweiter Flachsdurchzug 41,0 2,44 Flachsflyer 12,3 8,13 Flachsfeinspinnmasch. für Garn Nr. 22–40    1,10 90,9   Wergauflockerungsmaschine 41,9 2,39 Vorkrempel für Werg 26,6 3,76 Feinkrempel für Werg 23,3 4,29 Erster Wergdurchzug 46,7 2,14 Zweiter Wergdurchzug 61,0 1,64 Wergflyer 27,3 3,66 Wergfeinspinnmaschine für Garn N. 14–16    2,10 47,6   Mit Hülfe dieser Zahlen läßt sich leicht für solche Flachssorten, die zur Herstellung der vorbezeichneten Nummern geeignet sind und bei denen man die relativen Beträge der in den verschiedenen Arbeitsmaschinen entstehenden Abgänge kennt, die gesammte Betriebskraft zusammenstellen, die nöthig ist, um pro Stunde ein gewisses Quantum gerösteten Flachs in Werg- und Flachsgarn zu verwandeln. Für einen mittelguten böhmischen Flachs von den Ernten der J. 1864–66, von welchem stündlich 1000 Kilogr. (in geröstetem Zustand) verarbeitet werden sollen, ergibt sich z.B. Folgendes: 1000 Klgrm. gerösteten Flachs pro Stunde zu brechen erfordert 1000 . 0,0083 = 8,30 Pferdestärken (nach 26 Proc. Verlust) 740 Klgrm. gebrechter Flachs erfordert zu schwingen 740 . 0,0267 = 19,67 Pferdestärken. 164,3 Klgrm. geschwungenen Flachs 2 Mal zu hecheln erfordert 164,3 . 0,02 = 3,29 Pferdestärken. Pfrdstrkn. 90,9 Klgrm. gehechelten Flachs in Bänder zu formiren 90,9. 0,0233 2,12 (nach 3 Proc. Verlust) 58,2 Klgrm. zum ersten Mal zu strecken 88,2. 0,0307 2,71 (nach 2 Proc. Verlust) 86,4 Klgrm. zum zweiten Mal zu strecken 86,4. 0,0244 2,11 (nach 2 Proc. Verlust) 84,5 Klgrm. vorzuspinnen 84,5. 0,813 6,87 (nach 2 Proc. Verlust) 82,7 Klgrm. feinzuspinnen 82,7. 0,0909 75,17 –––––––––         ergibt (nach 3 Proc. Verlust) 80 Klgrm. Flachsgarn Nr. 30              und erfordert in Summa 88,98 72,0 Klgrm. Hechelwerg Pfrdstrkn. 33,7 Klgrm. spinnbares Schwingwerg, zusammen mit vorstehenden 72,0Klgrm. Hechelwerg, also 105,7 Klgrm. spinnbares Werg zu krempeln105,7 . 0,0805 8,51 (nach 20 Proc. Verlust) 84,6 Klgrm. zum ersten Mal zu strecken 84,6 . 0,0214 1,81 (nach 4 Proc. Verlust) 80,3 Klgrm. zum zweiten Mal zu strecken 80,3 . 0,0164 1,32 (nach 3 Proc. Verlust) 77,1 Klgrm. vorzuspinnen 77,1 . 0,0366 2,82 (nach 3 Proc. Verlust) 74,0 Klgrm. feinzuspinnen 74,0 . 0,476 35,22 ergibt (nach 4 Proc. Verlust) 70 Klgrm. Werggarn Nr. 15 ––––––––      und erfordert in Summa 49,68 Verarbeitet man also stündlich 1000 Kilogr. gerösteten Flachs, so bedarf man einer Betriebskraft für die Vorbereitungsmaschinen   31,35 Pfrdstrkn. für die Verspinnung des Langflachses   88,98       „ für die Verspinnung des Werges   49,68       „ ––––––––––––– zusammen 170,01 Pfrdstrkn. oder abgerundet 170 Pfrdstrkn. und erhält damit 80 Kilogr. Flachsgarn Nr. 30 und 70 Kilogr. Werggarn Nr. 15. Man kann auch sagen: zur stündlichen Erzeugung von 100 Kilogr. Flachsgarn Nr. 30 aus gehecheltem Flachs ist eine Betriebskraft von 111 Pfrdstrkn. und zur stündlichen Erzeugung von 100 Kilogr. Nr. 15 aus Schwing- und Hechelwerg eine solche von 71 Pfrdstrkn. erforderlich. (Deutsche Industriezeitung, 1869, Nr. 35.)