Titel: Ueber das Abziehen der Anilinfarben in der Lappenfärberei und für andere Zwecke; von Dr. M. Reimann.
Fundstelle: Band 201, Jahrgang 1871, Nr. XX., S. 61
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XX. Ueber das Abziehen der Anilinfarben in der Lappenfärberei und für andere Zwecke; von Dr. M. Reimann. Aus Reimann's Färberzeitung, 1871, Nr. 24 u. 25. Reimann, über das Abziehen der Anilinfarben von Webstoffen. Im Folgenden soll die Frage erörtert werden, auf welche Weise man aufgefärbte Anilinfarben (besonders für die Zwecke der Lappenfärberei) von den halbwollenen, wollenen und seidenen Stoffen entfernen kann. Es versteht sich, daß man die Anilinfarben durch solche Körper zerstören kann, welche überhaupt Farbstoffe zerstören. Vor Allem gehört hierzu das Chlor, welches auch zu diesem Zwecke sehr gute Dienste leistet, wenn es sich um Baumwolle handelt, die bekanntlich die Behandlung mit Chlor recht gut verträgt. Dagegen ist die Behandlung mit Chlor (Chlorkalk) ausgeschlossen, wenn es sich um Wolle allein oder Wolle enthaltende Webstoffe handelt. In diesem Falle gibt es zuerst ein, wenn ich mich so ausdrücken darf, mechanisches Mittel. Dieses besteht darin, daß man die mit Anilinfarben gefärbten Stoffe mit Spiritus von ungefähr 90 Proc. Tralles erhitzt; die Stoffe werden dabei gewöhnlich genügend entfärbt. Der Spiritus kann einigemale hintereinander benutzt und dann leicht durch Rectification gereinigt werden. Die Behandlung der Stoffe geschieht am besten in einem gut zugedeckten kupfernen Kessel, welchen man in kochendes Wasser einsetzt. In diesem läßt man die Stoffe so lange mit dem Spiritus kochen, bis ihre Farbe matt genug ist, um ein Auffärben zu gestatten. Man kann dem Spiritus, wenn die Stoffe nicht zu zart sind, auch etwas Salzsäure zusetzen; dieß befördert die Löslichkeit der Anilinfarben. Diese beiden Methoden, mit Chlor und mit Spiritus, wollte ich voranschicken, ehe ich zu der Entfärbung übergehe, von welcher ich eigentlich sprechen will. Diese gründet sich auf das Verhalten der Anilinfarben den Reductionsmitteln gegenüber. Sämmtliche Anilinfarben gehen in ungefärbte Verbindungen über, wenn man ihnen Wasserstoff zuführt. Das rothe Fuchsin entfärbt sich fast sofort, wenn man in seiner Lösung Wasserstoff sich entwickeln läßt. Dasselbe geschieht mit dem Violett, dem Blau und dem Grün. Diese Methode findet schon lange Zeit für den sogenannten Aetzdruck Anwendung, bei welchem man mit Hülfe des Wasserstoffes die Anilinfarben an einzelnen Punkten der Gewebe fortnimmt. Beim Druck bewerkstelligt man dieß durch Auftragen einer Schicht metallischen Zinkes mit Wasser und dem entsprechenden Verdickungsmittel. Das metallische Zink nimmt aus dem Wasser den Sauerstoff auf, und der dabei frei werdende Wasserstoff macht die Anilinfarben farblos. Man hat dann nur nöthig, die Stoffe zu spülen, um die farblose Verbindung fortzunehmen. Es ist allerdings möglich, bei zu entfärbenden Stoffen ebenso zu verfahren. Es ist kein Zweifel, daß wenn man einen mit Anilinfarben gefärbten und zu entfärbenden Stoff mit einer schwachen Säure, z. B. Essig oder auch wohl ganz verdünnter Salzsäure tränkt und den ganzen Stoff vollständig mit Zinkpulver bestreut, die Farbe alsdann verschwinden wird, besonders wenn man die ganze Masse ein wenig erwärmt. Dieser Weg würde aber im Allgemeinen zu umständlich seyn. Zu den Flüssigkeiten welche im Stande sind Wasserstoff abzugeben, also reducirend zu wirken, gehört die Auflösung des Zinnchlorürs (sogen. Zinnsalzes); dasselbe muß aber, wie ich gleich bemerken will, in sehr guter Qualität angewendet werden, wenn es wirksam seyn soll. Eine Auflösung von solchem Zinnsalz wird in einen Steintopf gebracht, darin soweit verdünnt, daß die Lösung dem zu behandelnden Stoffe nicht mehr schadet (etwa 1–2° Baumé stark gemacht) und zweckmäßig auf den Boden des Gefäßes einige Stanniolblätter gebracht. Man bringt nun den zu entfärbenden Stoff hinein, welchen man, wenn er schon getragen wurde, vorher von dem Fett und anderen Unreinigkeiten gut zu befreien hat. Man deckt dann den Topf gut zu und erwärmt ihn. Am besten geschieht dieß, indem man den Topf in kochendes Wasser einsetzt. Von Zeit zu Zeit sieht man nach, wie weit die Entfärbung gediehen ist, und sobald dieselbe genügt, nimmt man den Stoff heraus und wirft ihn in reines Wasser, welches man für wollene Stoffe vorher besonders zu erwärmen hat. In der heißen Lösung des Zinnsalzes hält sich die Farbe nicht lange. Nach meiner Beobachtung ist es am besten, den Stoff ¼–½ Stunde lang in der Flüssigkeit und dann den zugedeckten Topf erkalten zu lassen. Die Farbe ist gewöhnlich fast vollständig verschwunden. Sollte die Entfärbung länger dauern, so darf man dieselbe nicht durch Erhitzen übereilen, da einige Zeit nothwendig ist. Es kommen Fälle vor, in welchen die Farbe mit dem Zinnsalz nicht vollständig heruntergeht, und in diesen muß man zu dem letzten Auskunftsmittel greifen. Man wende dasselbe aber niemals an, wenn es nicht durchaus nöthig ist. Ein Körper, welcher die Anilinfarben unfehlbar und unter allen Umständen reducirt oder verschwinden macht, ist das Cyankalium. Eine warme Auflösung von Cyankalium entfärbt die vorher gereinigten, mit Anilin gefärbten Stoffe in sehr kurzer Zeit und nimmt jede Anilinfarbe ohne Unterschied bei einigem Stehen damit fort. Das Cyankalium ist aber bekanntlich eines der heftigsten Gifte und bewirkt, direct in das Blut gebracht oder in nur merklicher Quantität genossen, den sofortigen Tod. Aus diesem Gruude muß man mit der Anwendung dieses Körpers so lange wie möglich zögern und sie nur unter den größten Vorsichtsmaßregeln vornehmen. Die Art, wie man mit der Cyankaliumlösung ohne Nachtheile operiren kann, ist folgende: Man überzeugt sich zuerst, daß derjenige welcher mit der Cyankaliumlösung zu thun hat, keine wunde Stelle an den Fingern oder Unterarmen hat. Der bloßen Haut schadet eine Berührung mit Cyankalium nicht. Alsdann nehme man einen Steintopf, bringe in diesen einige Loth Cyankalium oder so viel, daß die Lösung ½–1° Baumé wiegt, hinein und gieße heißes Wasser darauf mit der Vorsicht, daß man nie das Gesicht über den Topf bringt. Man rühre nun mit einem starken gläsernen Stabe, welchen man recht lang zu nehmen hat, um. Die ganze Manipulation mit dem Cyankalium muß unter freiem Himmel vorgenommen werden, damit der Arbeiter von den Ausdünstungen der Lösung nicht beeinträchtigt wird. Den vorher gereinigten Stoff wirft man nun in den Steintopf, taucht ihn mit dem Stabe gut unter und deckt den Topf zu. Sehr zweckmäßig ist es, den Topf in ein größeres hölzernes Gefäß zu stellen, und in diesem Gefäß durch Dampf Wasser kochend zu machen, so daß die Lösung im Topf immer heiß ist. Zugleich vertheilt sich dann, wenn etwa der Topf einmal springt, die giftige Lösung in eine große Menge Wasser und wird dadurch weniger schädlich. Nach einiger Zeit nimmt man den Deckel des Topfes ab. Dieß muß sehr behutsam geschehen, weil sich unter dem Deckel meist die giftigen Ausdünstungen ansammeln. Man thut also gut, den Deckel von Weitem mit einem langen hölzernen Stabe zu heben und die Ausdünstungen erst heraus zu lassen, ehe man herantritt. Alsdann hebt man mit dem gläsernen Stabe den Stoff ein wenig heraus, um zu sehen wie weit die Entfärbung ist; genügt dieselbe noch nicht, so deckt man den Topf wieder zu, und erhitzt weiter. Die Stoffe, welche dunkelpensé, blau oder roth gefärbt waren, sind nach gehöriger Behandlung mit Cyankalium vollständig weiß. Sobald die Entfärbung genügt, welche für viele Zwecke keine vollkommene zu seyn braucht, stellt man neben den Topf ein großes Gefäß mit heißem Wasser, nimmt nach Oeffnung des Deckels den behandelten Stoff mit dem Glasstabe heraus und wirft ihn schnell in das Wasser. Man rührt dann um, nimmt heraus und spült nun wie gewöhnlich. Die Cyankaliumlösung kann man dann weiter benutzen, aufheben indessen läßt sie sich nicht, ohne bald unwirksam zu werden. Es ist am Besten, um alle Gefahren zu vermeiden, eine Auflösung von Eisenvitriol in die giftige Lösung zu schütten, welche einen Niederschlag von Berlinerblau darin hervorruft. Man läßt dann im Freien noch einige Zeit stehen und gießt die ganze Masse mit vielem Wasser gemengt fort. Vor Allem beachte man, daß die Lösung niemals direct an die Haut kommen darf. Man gestatte also den Arbeitern unter keinen Umständen den Stoff auch nur am Zipfel mit den Fingern aus dem Bade zu heben. Man darf sich schließlich nur des Glasstabes oder einer Zange zum Herausnehmen bedienen. Glasstab oder Zange müssen nach dem Gebrauch gut abgespült werden. Ebenso hat man darauf zu achten, daß kein Arbeiter das Gesicht über den Topf hält, besonders während derselbe erhitzt wird. Wenn man die Operation durchaus im geschlossenen Raum vornehmen will, so stellt man denselben unter einen gut ziehenden Rauchfang. Dieses sind in Kürze die Mittel, welche zur Entfernung von Anilinfarben von Stoffen irgend welcher Art dienen. Man kann die Methode, besonders die mit Zinnsalz und Cyankalium, auch in der gewöhnlichen Färberei mit Vortheil benutzen. Angenommen, man habe Baumwolle, Wolle oder Seide mit irgend einer Anilinfarbe zu dunkel gefärbt, so kann man die Farbe durch Behandlung mit Zinnsalz leicht ein wenig herabstimmen. Wirkt das Zinnsalz für den Stoff zu heftig, so kann man dieß mit Cyankalium thun. Die Hauptanwendung findet die Methode aber immer in der Lappenfärberei, wo sich auf Stoffen, die vorher in den dunkelsten Nüancen mit Anilinfarben gefärbt waren, die zartesten und hellsten Farben wieder erzeugen lassen, wenn der Färber beim Abziehen richtig verfährt.