Titel: Ueber die Messung sehr hoher Temperaturen und die Temperatur der Sonne; von H. Sainte-Claire Deville.
Fundstelle: Band 204, Jahrgang 1872, Nr. XIII., S. 34
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XIII. Ueber die Messung sehr hoher Temperaturen und die Temperatur der Sonne; von H. Sainte-Claire Deville. Nach den Comptes rendus, t. LXXIV p. 145; aus dem chemischen Centralblatt, 1872 Nr. 7. Deville, über die Messung sehr hoher Temperaturen. Seit einiger Zeit spricht man bei Gelegenheit der Betrachtungen über die Wärmeverhältnisse der Sonne viel von sehr hohen Temperaturen. Man bedient sich dabei so großer und wieder auch so von einander abweichender Zahlen, daß der Verfasser es für passend hält, sich über das, was wir über diesen Gegenstand vom physikalisch-chemischen Standpunkte wissen, auszusprechen. Der Begriff der Temperatur ist aus unserer Empfindung für Wärme und Kälte entstanden. Nachdem man beobachtet hatte, daß die Körper sich im Allgemeinen bei der Erwärmung ausdehnen und bei der Abkühlung zusammenziehen, bediente man sich der Flüssigkeiten, um durch deren Ausdehnung Temperaturdifferenzen auszudrücken. Allein man überzeugte sich bald, daß Thermometer mit verschiedenen Flüssigkeiten unter sonst gleichen Umständen doch nicht dieselbe Temperatur ergaben, und adoptirte deßhalb das Luftthermometer, weil man annahm daß die Ausdehnung der Luft eine vollkommen gleichmäßige sey. Diese Annahme involvirt indeß eine petitio principii, welche noch immer nicht aus den physikalischen Lehrbüchern verschwunden ist. Denn man vermag eine gleichmäßige Ausdehnung weder auszudrücken unter Benutzung des Begriffes der Temperatur, welche man ja eben durch die Ausdehnung bestimmt, noch indem man von Wärmemengen ausgeht, welche ihrerseits durch eine Function der Temperatur ausgedrückt werden, noch endlich durch die specifische Wärme, welche von dieser Function abhängt. Man muß daher zu einer mathematischen Vorstellung greifen und diese durch das Experiment prüfen. Man nimmt an, daß in einem vollkommenen Gase die Arbeit der Wärme ausschließlich lebendige Kraft, oder Temperatur, und äußere Arbeit, oder Ausdehnung, erzeugt: das Volumen eines vollkommenen Gases wächst proportional mit der Zunahme dieser unbekannten Ursache, welche man Wärme nennt: die Ausdehnung ist gleichmäßig. Die Luft ist ein fast vollkommenes Gas; dieß drückt man aus, indem man sagt, ihr Ausdehnungscoefficient und ihre specifische Wärme sind nahezu constant und unabhängig von der Temperatur, und deßhalb eben bedient man sich ihrer als Thermometer. In jedem Falle muß diese thermometrische Substanz einer Prüfung unterworfen werden, und wenn dieselbe auch bei nicht allzu großer Entfernung von 0° C. genügende Resultate gibt, so kann man doch sagen, daß die Bestätigung der obigen Annahme für höhere Temperaturen vollständig fehlt. Außerhalb der engen Grenzen, innerhalb deren sich unsere Versuche bewegen, ist es unmöglich, sich eine rationelle Vorstellung von Temperaturen zu machen, welche in Luftvolumen ausgedrückt sind, und anders können diese nicht ausgedrückt werden. Denn wenn sich auch die Luft für solche thermometrische Bestimmungen nicht als ungeeignet erweist, so fehlt es doch vollständig an Gefäßen, um sie einzuschließen. Troost und der Verf. haben gezeigt, daß die für solche Zwecke sich am besten eignenden Metalle schon bei Temperaturen, die in Vergleich mit den für die Sonne angenommenen sehr niedrig sind, für Gase durch dringlich werden. Die Versuche Graham's über die Permeabilität des Platins und des Eisens, welche Graham noch auf das Palladium, das Kupfer und andere Metalle ausgedehnt hat, machen es unmöglich, für Pyrometer einen metallischen Gasbehälter anzuwenden. Das Porzellan allein erscheint passend, aber nur, wenn es mit besonderen Vorsichtsmaßregeln hergestellt ist und man die Geschicklichkeit gewinnt, es mit dem Gaslöthrohre so zuzuschmelzen, wie man Glasröhren vor der Lampe schließt. Unter diesen Bedingungen haben die Genannten bestimmt, daß sich die Luft bis 1554° C. ausdehnt. Aber weiß man, ob sie sich oberhalb dieses Punktes durch die Wärme auch noch ausdehnt? Es existirt hierüber kein entscheidender Versuch und da das Porzellan bei jener Temperatur zu erweichen beginnt, so sind wir beim gegenwärtigen Stande der Wissenschaft durchaus nicht in der Lage, den Beweis zu liefern, daß die Luft sich oberhalb 1554° noch ausdehnt. Der Verf. will diese Erwägung nur denjenigen anheim geben, welche von Temperaturen von 10,000, 27,000 und selbst Millionen Graden sprechen; er wirft diesen Zweifel nur auf, um den Anforderungen der Logik zu genügen, ohne jedoch wirklich den Gedanken zu hegen, daß er mit Troost schon in der That die Grenzen der Ausdehnung der Gase durch die Wärme und in Folge dessen die des Thermometers erreicht habe. Wenn man die Hypothese der unbegrenzten Ausdehnbarkeit der Gase annimmt, so muß man auch eine andere annehmen, welche sich wie jene auf die Verallgemeinerung eines gegenwärtig wohl bewiesenen Factums stützt: die progressive und continuirliche Zersetzung oder Dissociation der Körper unter dem Einflusse der Wärme. Wenn man als thermometrische Substanz anstatt Luft, Wasserdampf oder Kohlensäure nehmen würde, deren Ausdehnungscoefficienten nahezu denen der Luft gleichkommen, so würde z.B. die Anwendung von Kohlensäure eine Fehlerquelle einschließen, welche auf die Genauigkeit der pyrometrischen Bestimmung einen großen Einfluß üben müßte. Denn die Kohlensäure erleidet schon bei Rothglühhitze in sehr wahrnehmbarer Weise Dissociation und würde deßhalb höhere Temperaturen anzeigen als die Luft.Dieß konnten Deville und Troost bei den Versuchen über den Siedepunkt des Zinkes wohl wahrnehmen, da bei Anwendung von Kohlensäure immer höhere Zahlen resultirten als bei Anwendung von Wasserstoff. Wer aber will behaupten, daß selbst der Wasserstoff ein einfacher Körper ist und sich bei Temperaturen, die durch Millionen von Graden auszudrücken sind, nicht in seine Bestandtheile zerlegen könnte. Bevor man die Erscheinung der Dissociation kannte, berechnete man die Verbindungstemperaturen der Körper, indem man die Verbindungswärme der Elemente durch das Gewicht und die spec. Wärme der Verbindung dividirte. Man gelangte so durch Erwägungen, die lange Zeit classisch gewesen sind, zu sehr beträchtlichen Zahlen und fand z.B. für die Verbrennungswärme des Wasserstoffes 6800°. Nachdem Debray und der Verf. durch sichere pyrometrische Methoden gezeigt hatten, daß diese Temperatur nur etwa 2500° seyn kann, hätte man daraus nur schließen können, daß sich die spec. Wärme des Wasserdampfes in ganz unvorhergesehener Weise und in außerordentlichem Verhältnisse mit der Temperatur ändere. Glücklicher Weise kannte man schon damals die wahre Ursache der Erscheinung und jene verhältnißmäßig niedere Temperatur bewies nur, daß das Wasser zur Hälfte in der Löthrohrflamme dissociirt ist und daß die Tension der Dissociation sich etwa halb so groß stellt als die Tension der umgebenden Luft. Hier liegt also ein Fall vor, daß Schlußfolgerungen welche auf sehr annehmbaren Voraussetzungen ruhten, doch Zahlen in die Wissenschaft eingeführt haben, welche jetzt durch das Experiment widerlegt worden sind, und dieses Beispiel muß in Bezug auf die Aufstellung von Zahlenwerthen, welche sich weit von der experimentellen Basis entfernen, zur Vorsicht mahnen. Die Unsicherheit nimmt aber noch zu, wenn man versucht, sich Rechenschaft von der Ursache zu geben, durch welche jene hohen Temperaturen erzeugt werden, indem man die durch die Ausdehnung gemessenen Temperaturen mit den Wärmemengen vergleicht, welche durch die chemische Verbindung (z.B. durch die Verbrennung von Wasserstoffgas) an der Oberfläche der Sonne entwickelt werden. Der Verf. nimmt die Hypothese an, welche die Ursache der Verbindungswärme in der Aufhebung der Bewegung der Molecüle, die sich bei ihrer Vereinigung auf einander stürzen, erblickt. Das Auftreten von lebendiger Kraft bei der chemischen Verbindung wird auf mancherlei Weise erkannt: sie ertheilt dem Aether Schwingungen von sehr verschiedener Geschwindigkeit, so daß dadurch Lichtstrahlen, Wärmestrahlen, chemische Strahlen u.s.w. entstehen, deren Wellenlängen unter einander sehr verschieden sind. Nur eine einzige Gattung dieser Strahlen, die Wärmestrahlen, kann das Volumen der thermometrischen Substanz verändern. Die anderen Strahlen dagegen üben keinen Einfluß darauf, und es wird erlaubt seyn anzunehmen, daß von einem gewissen Momente an, wenn die Temperatur des zusammengesetzten Körpers eine gewisse Höhe erreicht hat, die Lichtschwingungen und chemischen Schwingungen die einzigen Producte der Verbrennungsarbeit sind und daß durch sie allein die Transformation der verschwundenen Molecularbewegung manifestirt wird. Diese Idee läßt sich vielleicht noch anschaulicher machen. Man denke sich eine Dampfmaschine, die auf einer ungenügenden Grundlage in einem Gebäude aufgestellt ist, dessen Balken beweglich sind, so daß die Bewegung der Dampfmaschine ein allgemeines Erzittern und eine beträchtliche Vibration aller Träger erzeugt. Steigert man allmählich den Druck des in den Cylinder eintretenden Dampfes, so ist es möglich, daß in einem gewissen Zeitpunkte die Geschwindigkeit des Schwungrades oder die Arbeit der Maschine nicht mehr zunimmt, sondern daß die lebendige Kraft, welche durch die Schwingungen des Fundamentes und des Gebäudes vernichtet wird, fast die ganze Wärme, die man oberhalb einer gewissen Grenze aufwendet, absorbirt. Es kann daher auch eine gewisse Temperatur geben, welche man durch den Act der chemischen Verbindung nicht mehr steigern kann, oder mit anderen Worten: die Temperaturzunahme kann möglichen Falles keine unbegrenzte seyn. Es ist daher wenigstens klug, nicht solche Temperaturen anzunehmen, welche sich in so außerordentlicher Weise von den uns bekannten entfernen. Es scheint indeß geeignet, die Grenzen zu bestimmen, innerhalb deren die Messung der Temperaturen durch Zusammendrückung der Luft in Folge ihrer Erwärmung möglich ist. Es ist klar, daß Metallhüllen zu diesem Zwecke ebenso ungeeignet sind, wie für die Untersuchung der Ausdehnung, und daß Gefäße von Porzellan der Einwirkung des Feuers weniger widerstehen, wenn sie von Innen heraus einen starken Druck auszuhalten haben, als wenn der Druck von Innen und Außen beinahe gleich groß ist. Aber man kann in einem sehr widerstandsfähigen Eudiometer eine lebhafte, fast momentane Verbrennung ausführen und durch Gewichte, die man auf ein Ventil setzt, den Maximaldruck der Gase, z.B. von Wasserstoff im Inneren, messen. Dieß hat bereits Bunsen gethan und ist durch solche Versuche dazu gelangt, die Verbrennungstemperatur des Wasserstoffes auf 2800° festzustellen. Wenn die Dissociation des Wassers und anderer Substanzen nicht bekannt gewesen wäre, so hätte Bunsen natürlicher Weise nicht dazu kommen können, aus dem verhältnißmäßig niedrigen Drucke von 10 Atmosphären, den er in seinem Eudiometer beobachtete, zu schließen, daß nur die Hälfte des Sauerstoffes und Wasserstoffes sich verbunden haben. Er würde wohl entweder eine beträchtliche Zunahme der spec. Wärme des Wasserdampfes mit der Temperatur oder eine beträchtliche Abnahme der Zusammendrückbarkeit der Gase bei sich steigernder Temperatur haben annehmen müssen. Indessen kann auch heute noch diese letztere Hypothese nicht von der Hand gewiesen werden, und der Verf. hält es für unerläßlich, daß nach dieser Richtung hin entscheidende Versuche (die freilich sehr schwer auszuführen sind) angestellt werden müssen.Der Verf. bemerkt, daß die Zahl 2800, welche Bunsen für die Verbrennungswärme erhalten und die Zahl 2500°, welche er und Debray gefunden haben, wohl nur deßwegen von einander abweichen, weil die Versuche unter verschiedenen Bedingungen angestellt worden sind. Ebenso wie der Condensationspunkt des Wasserdampfes mit dem Drucke steigt, ebenso wird auch die Tension des Wasserdampfes (die der Dissociationstension complementär ist) in der Flamme eines Knallgasgebläses mit dem äußeren Drucke steigen und somit auch die Temperatur der Flamme selbst zunehmen. Dieß ist der Grundgedanke, welchen der Verf. in Gemeinschaft mit Gernez gegenwärtig auf experimentellem Wege verfolgt. In einer cylindrischen Kammer aus Eisen, welche 40 Kub. Cent. Rauminhalt hat und deren Wände so stark sind, daß sie einem Drucke von 11 Atmosphären Widerstand leisten, haben sich die Verf. ein besonderes Laboratorium eingerichtet. Nachdem sie sich selbst in den Raum begeben haben, wird die Luft durch eine Maschine comprimirt, dann bestimmen sie, wie in freier Luft, auf bekannte Weise den Zustand der Substanzen in dem Augenblicke in welchem sie sich innerhalb der Flammen verbinden, und beobachten die dadurch erzeugten Temperaturen. Wenn man einige Vorsichtsmaßregeln anwendet, so ist die Steigerung des Luftdruckes mit keinen besonderen Gefahren verknüpft. Die Unbequemlichkeit, welche man anfänglich beim Athmen empfindet, legt sich nach einiger Zeit, selbst wenn man den Druck auf 27/10 Atmosphären steigert, wie dieß schon geschehen ist; allein man darf diese Versuche nur während des Sommers ausführen wegen der großen Abkühlung die während der Ausdehnung der Luft eintritt. In dieser Weise wurde bis jetzt schon die durch Sauerstoff angeblasene Kohlenoxydgasflamme untersucht. In derselben schmilzt bei einem Drucke von 17/10 Atmosphäre Platin unter lebhaftem Funkensprühen und mit großer Leichtigkeit, was an freier Luft nicht stattfindet, und schmilzt in den oberen Theilen des Flammenkegels, wo es bei gewöhnlichem Luftdrucke nur roth glüht. Die Temperatur dieser Flamme steigert sich daher mit dem Drucke, weil die Substanzmengen welche sich mit einander verbinden, größer sind und die Dissociation geringer ist. Hiernach läßt es sich, wie Vicaire bemerkt hat, erklären, weßhalb Bunsen bei seinen Versuchen eine höhere Temperatur erhalten hat. Vicaire macht darauf aufmerksam, daß die Verbrennung des Wasserstoffes in dem Eudiometer größer seyn muß als in einem offenen Kalkherde, dessen sich Debray und Deville bedient haben. Der Druck in dem Eudiometer schwankt zwischen 1 und 10 Atmosphären und deßhalb kann die Temperatur darin 2800° erreichen, während die Genannten nur 2500° berechnen. Man weiß übrigens durch die Versuche von Frankland (polytechn. Journal, 1869, Bd. CXCII S. 285), daß die Helligkeit der Wasserstoffstammen mit dem Drucke beträchtlich zunimmt. Wenn man Knallgas in einem geschlossenen Eudiometer verbrennt, so sieht man dasselbe lebhaft leuchten, während die Flamme des Knallgases bei gewöhnlicher Temperatur kaum sichtbar ist. Es ist also bei Bunsen's Versuchen eine Verlustquelle vorhanden, für welche man schwer einen bestimmten Werth annehmen kann, nämlich die Strahlung. Dieser Verlust ist im Kalkherde gleich Null, weil derselbe undurchdringlich für Wärme ist. Ebenso ist letzterer undurchdringlich für Licht und für chemische Strahlen, deren Einfluß auf die Entwicklung der Temperatur sich kaum ahnen läßt. Der Verf. glaubt, daß bei der Bestimmung der Verbrennungswärme eines Körpers, welcher mit leuchtender Flamme brennt, verschiedene Werthe erhalten werden, wenn man mit einem undurchsichtigen und athermanen oder mit einem durchsichtigen und diathermanen Eudiometer arbeitet. Die Resultate, welche Cailletet in anderer Zeit erhalten hat, indem er die Volumenverminderung von Gasen unter einem Drucke von mehreren 100 Atmosphären bestimmte, zeigen, wie richtig es ist, nicht zu schnell für die Luft eine gleichmäßige Zusammendrückbarkeit bei hohen Temperaturen durch die Wärme anzunehmen. Man sollte sich daher, ehe man von solchen Temperaturen spricht, wie man sie für die Sonne annimmt, fragen, ob die unbegrenzte Zunahme der von einem Gase absorbirten Wärme auch eine unbegrenzte Zunahme des Druckes, der zur Messung der Temperatur dient, bewirkt. Luft von 27000° und 760 Millimeter Druck würde eine solche Verdünnung haben, wie man sie mittelst einer gewöhnlichen Luftpumpe hervorbringen kann. Wie weit sind wir von der experimentellen Erreichung einer solchen Grenze entfernt! Kurz, wenn man von excessiven Temperaturen und deren Messung spricht, so heißt dieß, eine unbegrenzte Ausdehnbarkeit oder Zusammendrückbarkeit der Gase durch die Wärme, oder aber eine unbegrenzte Temperatursteigerung durch die chemische Verbindung annehmen, was nicht bewiesen ist.