Titel: Ueber Explosionsversuche mit Dampfkesseln; von Prof. R. H. Thurston.
Fundstelle: Band 204, Jahrgang 1872, Nr. XX., S. 83
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XX. Ueber Explosionsversuche mit Dampfkesseln; von Prof. R. H. Thurston. Aus dem Journal of the Franklin Institute, März 1872, S. 180. (Fortsetzung der Abhandlung im vorhergehenden Heft S. 11.) Thurston, über Explosionsversuche mit Dampfkesseln. Discussion des dritten, zu Sandy Hook (New-York) angestellten Explosionsversuches. Die Heftigkeit womit der dritte Kessel explodirte, hat bei manchen Ingenieuren die Frage aufkommen lassen, ob bei der Erzeugung so erstaunlicher Wirkungen nicht irgend eine außergewöhnliche und unbekannte Ursache mitgewirkt haben sollte. Wenn nun auch kein positiver Beweis von der Nichtexistenz solcher Ursachen geliefert werden kann, so wird man dagegen aus den folgenden Betrachtungen ersehen, daß wohl verstandene und sicher existirende Ursachen vollkommen genügen, um jene Wirkungen zu erklären. Der in Rede stehende Dampfkessel wog 40000 Pfund, und enthielt ungefähr 30000 Pfund Wasser und 150 Pfund Dampf. Alles zusammen hatte im Momente vor der Explosion, wo die Dampfspannung 53 1/2 Pfund über den atmosphärischen Druck betrug, eine Temperatur von 301° F. (149° C.). Als der Kessel platzte, wurde die ganze Masse auf einmal auf die unter dem atmosphärischen Druck stattfindende Temperatur des Dampfes abgekühlt. Bei diesem Vorgang gab das Wasser 30000 × 89° = 2670000 brittische Wärmeeinheiten ab, und der Dampf verlor die Differenz zwischen seiner Totalwärme bei 301° und derjenigen von 212° F., oder 150 × 27,2° = 4080 Wärmeeinheiten. Die Summe 2670000 + 4080 = 2674080 Wärmeeinheiten hat ein mechanisches Aequivalent von 2674080 × 772 = 2064389760 Fußpfund, eine Kraft welche im Stande gewesen wäre, den ganzen Kessel nebst Inhalt, im Gewichte von 70000 Pfund, auf eine Höhe von 29491,28 Fuß d.h. von mehr als 5 engl. Meilen zu schleudern. Diese Leistung repräsentirt das Maximum des möglichen Effectes. Die geringste Wirkung würde erfolgt seyn, wenn das Freiwerden der Wärme und die Erzeugung weiterer Dampfmengen innerhalb der Wassermasse und an ihrer Oberfläche so langsam und träge vor sich gegangen wäre, daß dadurch das Umherschleudern der Fragmente des geborstenen Kessels nicht hätte befördert werden können, daß also das ganze Werk der Zerstörung der bloßen Expansion des die Dampfräume füllenden Dampfes zuzuschreiben gewesen wäre. Der Totalbetrag der von dem Dampf allein entwickelten mechanischen Arbeit belief sich auf 4080 × 772 = 314976 Fußpfund; sie war also hinreichend, den ganzen Kessel für sich auf eine Höhe von 78,74 Fuß und mit dem Wasser auf eine Höhe von 44,99 Fuß zu heben. Wegen der großen Trägheit des unteren Theiles des Dampfkessels und insbesondere seiner unelastischen Wasserlast, erstreckte sich ohne Zweifel diese Arbeit hauptsächlich auf den oberen Theil und den Dampfschornstein des Kessels im wahrscheinlichen Gewichte von 6000 Pfund, und war, in dieser Richtung verwendet, äquivalent der Hebung dieser 6000 Pfund auf eine Höhe von 525 Fuß. Der letztere Fall läßt sich auch auf einem von dem obigen sehr verschiedenen Wege behandeln. Da der Kessel vollständig in Stücke zerrissen wurde, so mußte sich der Dampf ganz gleichmäßig nach allen Richtungen, ausgenommen nach unten, ausgedehnt haben; man dürfte daher den Dampf betrachten können, als hätte er eine sich rasch ausdehnende Halbkugel gebildet, deren Mittelpunkt im Dampfraum des Kessels lag. Die Expansion dieser Dampfhemisphäre dauerte so lange, bis die Spannung des Dampfes auf die der umgebenden Luft reducirt war, und erstreckte sich nach einer annähernden Schätzung auf einen durchschnittlichen Raum von 4,5 Fuß. Die mittlere Spannung dürfte ungefähr 25 Pfund über den atmosphärischen Druck betragen haben. Der Querschnitt der Dampftrommel betrug 4071 Quadratzoll und die bei ihrem Emporschleudern verrichtete mechanische Arbeit 4071 × 25 × 4,5 = 457987,5 Fußpfund. Das Gewicht der 6 Fuß im Durchmesser haltenden, 8 Fuß 8 Zoll hohen Dampftrommel nebst Streben betrug bei einer Wanddicke von 1/4 Zoll 2500 Pfund, und die Höhe zu welcher die Trommel durch die bloße Expansion des eingeschlossenen Dampfes emporgeworfen werden konnte, 457987,5 : 2500 = 183,2 Fuß. Wie sich jedoch nach der Explosion herausstellte, hing ein beträchtliches, aber verhältnißmäßig leichtes Stück der Kesseldecke, welches einem ähnlichen Dampfdruck ausgesetzt gewesen war, mit der Trommel noch fest zusammen. Dieses Stück mußte das Aufsteigen der Trommel eher bedeutend beschleunigt als verzögert haben. Noch eine andere Methode der Berechnung läßt sich auf die beobachtete Wirkung dieser Explosion gründen. Man sah die Dampftrommel unter einem steilen Clevationswinkel sich erheben und in einer Entfernung von 450 Fuß von ihrem ursprünglichen Ort niederfallen. Betrug dieser Winkel 60° – und es machte allgemein den Eindruck, daß er nicht kleiner war – so mußte die der Wurfweite R = 450 Fuß entsprechende Wurfhöhe, vom Widerstande der Luft abgesehen, h = R/(2 sin 2 α) = 450/(2 × 0,866) = 260 FußWir müssen hier ein Versehen des Prof. Thurston berichtigen. Obige Formel ist, wie sogleich nachgewiesen werden soll, unrichtig, weßhalb wir auch alle weiteren vom Verfasser daraus abgeleiteten numerischen Resultate als werthlos übergehen. Es handelt sich nämlich hier offenbar um die Aufgabe: aus der gegebenen Wurfweite R = 450 Fuß und dem gegebenen Elevationswinkel α = 60° die Culminationshöhe des geworfenen Körpers zu bestimmen. Nun ist nach den bekannten Gesetzen der Ballistik:Wurfhöhe h=(c² . sin² α)/2gWurfweite R=(c² . sin² α)/gwobei c die Anfangsgeschwindigkeit und g die Beschleunigung der Schwere bedeutet. Durch Division der ersten Gleichung durch die zweite ergibt sich sofort:h = (R . sin² α)/(2 . sin 2 α) = R/4 tang α = 194,8 Fußals der richtige Werth.A. P. betragen. Der Verfasser knüpft endlich an vorstehende Discussion folgende Schlußfolgerungen: 1) Es ist nicht zu bezweifeln, daß die Gewalt der in Rede stehenden Explosion und alle ihre furchtbaren Wirkungen hauptsächlich der bloßen Expansion einer Dampfmasse zuzuschreiben sind, welche bei dem Auseinanderbersten eines Dampfkessels von gleichmäßiger aber unbedeutender Stärke plötzlich in Freiheit gesetzt wurde. 2) In vorliegendem Falle scheint die Dampfentbindung innerhalb der im Kessel befindlichen Wassermasse, welche bei der Verdampfung von 1 Pfund auf je 13 Pfd. Wasser stattfand, wobei ungefähr 70000 Kubikfuß Dampf in Freiheit gesetzt wurden, nicht rasch genug erfolgt zu seyn, um die Intensität der Explosionswirkung noch bedeutend zu unterstützen. 3) Zerah Colburn erklärt das heftige Bersten von Dampfkesseln durch die Annahme, daß der im Momente der Explosion aus der Wassermasse plötzlich entbundene Dampf große Quantitäten Wassers gewaltsam gegen die nächste Umgebung der ersten Bruchstelle der Kesselwand schleudert, welche durch ihren Stoß den Bruch erweitern und die zerstörenden Wirkungen vergrößern. Es scheint indessen sehr zweifelhaft, ob diese Hypothese zur Aufklärung des fraglichen Falles beitragen kann. Wir stellen nicht in Abrede, daß eine solche Wirkung in manchen Explosionsfällen vorkommen mag. Das in allen Lehrbüchern der Physik beschriebene Experiment, bei welchem das in einem geschlossenen Gefäß bis nahe an den Siedepunkt erwärmte Wasser in heftiges Kochen geräth, wenn man den Druck auf die Oberfläche desselben durch rasche Abkühlung des Gefäßdeckels vermindert, erläutert auf eine sehr anschauliche Weise die Wahrscheinlichkeit einer nach Colburn's Annahme stattfindenden Wirkung. Das gewaltsame Ausströmen des Inhaltes einer mit einem moussirenden Getränk gefüllten Flasche, welches beim Herausziehen des Korkes häufig stattfindet, dient gleichfalls zur Erklärung eines solchen Phänomens, wornach also kaum ein Zweifel obwalten kann, daß Fälle vorkommen, wo ein analoger Vorgang die zerstörenden Wirkungen von Dampfkesselexplosionen vermehrt. Der in Rede stehende Fall jedoch spricht für die Wahrscheinlichkeit, daß die Intensität der Explosionswirkung einer Dampferzeugung außerhalb oder an der Grenze der im Kessel befindlichen Wassermasse, nicht aber der Expansion von inmitten der Masse gebildetem Dampfe zuzuschreiben ist.