Titel: Ueber die Galvanometerwaage von Bourbouze; Bericht von Lissajous.
Fundstelle: Band 207, Jahrgang 1873, Nr. LIX., S. 196
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LIX. Ueber die Galvanometerwaage von Bourbouze; Bericht von Lissajous. Aus dem Bulletin de la Société d'Encouragement, December 1872, S. 673. Mit Abbildungen auf Tab. IV. Bourbouze's Galvanometerwaage. Dieses neue Instrument ist ein Galvanometer, dessen Multiplicatorrahmen mit horizontalen Drahtwindungen umwickelt und dessen Nadel durch einen magnetisirten Waagebalken ersetzt ist. Kleine mit Muttergewinden versehene Gewichte, welche sich längs Schraubenspindeln vor- und zurückschrauben lassen, gestatten den Schwerpunkt des Waagebalkens seitwärts oder aufwärts zu verrücken und dadurch 1) den Waagebalken horizontal zu stellen, indem man der Inclination, als Folge der richtenden Wirkung des Erdmagnetismus, durch geeignete Entfernung jener Gewichte von der Aufhängungsachse entgegenwirkt; 2) die Empfindlichkeit des Apparates zu reguliren, indem man die Hauptresultirende der auf das System wirkenden Kräfte, wovon der von der Schwere herrührende Theil dem Experimentator zur Verfügung steht, so nahe wie möglich an die Aufhängungsachse bringt. Ein langer und leichter Zeiger gibt auf einer Kreistheilung die Richtung und Amplitude der Ablenkung an, welche der Magnetstab erfährt, sobald ein Strom im Multiplicator circulirt. Das Instrument muß so orientirt werden, daß der Südpol des Magnetstabes so nahe wie möglich nach Norden zeigt; sonst würde der Stab, bevor der Strom den Apparat durchläuft, nur eine labile Gleichgewichtslage annehmen. Durch Verschiebung der genannten Gewichtchen gelingt es rasch, den Magnetstab in der erfahrungsmäßig richtigen Ebene horizontal zu stellen. Eben so kann man ihn durch Verschiebung der Gewichte mehr oder weniger dem Zustande des indifferenten Gleichgewichtes nähern, welcher ihm den Charakter einer astatischen Nadel verleihen würde. Es läßt sich demnach die Empfindlichkeit der Vorrichtung, je nach der Art des anzustellenden Versuches, mehr oder weniger erhöhen. Ebenso kann die Empfindlichkeit des Apparates dadurch modificirt werden, daß man den Magnetstab mehr oder weniger von der Mitte des Multiplicators entfernt. Zu diesem Zweck läßt sich die Säule, welche den magnetischen Waagebalken mit seinem Zeiger und den graduirten Bogen trägt, vermittelst einer Zahnstange und eines Getriebes höher oder niedriger stellen. Die speciellen Eigenschaften dieses Instrumentes sind durch den Gebrauch, welchen Hr. Desains in seinen Vorlesungen während eines ganzen Jahres fortwährend von demselben gemacht hat, außer Zweifel gesetzt, indem dasselbe bei Vorführung der Inductionsphänomene und der elektrochemischen Wirkungen, sowie bei den so difficilen Untersuchungen über strahlende Wärme ausgezeichnete Dienste leistete. Wir können daher bestätigen, daß Hr. Bourbouze die Wissenschaft mit einem sinnreichen Instrumente bereichert hat, welches mit vollkommener Empfindlichkeit eine unbestreitbare Genauigkeit vereinigt. Fig. 19 stellt das Instrument in der vorderen Ansicht, mit verticalem Durchschnitte der Spule längs ihrer großen Achse dar. Fig. 20 ist eine partielle Ansicht desselben im Profil und ohne Spule; Fig. 21 der Grundriß eines Theiles der Spule. A bezeichnet eine hohle Säule, welche den ganzen Apparat trägt und auf einem Dreifuß befestigt ist. Letzterer läßt sich mittelst dreier Fußschrauben B horizontal stellen. An die Säule A ist die flache zweidrähtige Spule C mit Hülfe einer Platte und vier Schrauben D befestigt. E sind Klemmschrauben zur Verbindung der Leitungsdrähte mit der Spule. Die Säule F, welche den Waagebalken und den graduirten Quadranten trägt, ist in der hohlen Säule verschiebbar und zu dem Ende mit einer Zahnstange (Fig. 20) versehen, in die ein kleines an die Säule A befestigtes und durch einen Einschnitt der letzteren in das Innere hineinragendes Getriebe greift. Zur Drehung dieses Getriebes dient ein an jedem Ende seiner Achse zu beiden Seiten des Apparates befestigter Knopf G. Der Magnetstab H oscillirt, wie der Balken einer Waage, in einer auf dem Kopf der Säule F befestigten Gabel, und liegt mittelst Schneiden auf stählernen Platten. Senkrecht auf der Mitte des Magnetes ist ein langer Zeiger I befestigt, welcher über einem an die Säule F befestigten Quadranten L spielt, um die durch elektrische Ströme hervorgerufene Ablenkung des Magnetstabes anzuzeigen. Die Graduirung ist auf Glas ausgeführt, hinter welchem eine Lichtquelle angeordnet wird, damit das Auditorium in einem Amphitheater den Vorgang aus der Entfernung beobachten könne. Zur Regulirung der Horizontalität des Waagebalkens H dienen die kleinen Massen J, J, welche sich durch Vor- und Zurückschrauben auf der kleinen horizontalen Spindel dem Zeiger beliebig nähern oder von demselben entfernen lassen. K sind ähnliche kleine Massen, die man auf- und niederschraubt, je nachdem man den Schwerpunkt des Waagebalkens höher oder tiefer legen will. Um von dem Instrumente Gebrauch zu machen, versichert man sich zunächst vermittelst der Fußschrauben B der Verticalität der Säule A, hebt dann durch Drehung des Knopfes G den Waagebalken bis über die Mitte der Spule, und führt, indem man die Lage seines Schwerpunktes regulirt, die Zeigerspitzen auf den Nullpunkt des Quadranten. Hierauf läßt man den galvanischen Strom durch den einen oder den anderen der beiden Spulendrähte circuliren, oder auch, um die Intensität der Wirkung zu erhöhen, durch beide zugleich. Der Zeiger nimmt alsdann eine sehr langsame Bewegung an, und zeigt selbst unter dem Einfluß sehr schwacher Ströme eine bedeutende Ablenkung. Theorie der Galvanometerwaage. Nehmen wir der Einfachheit wegen an, die Drehungsachse des Magnetstabes sey perpendiculär zur Pollinie und horizontal; letztere selbst sey horizontal, wenn die Zeigernadel auf dem Nullpunkt der Theilung steht. Fig. 1., Bd. 207, S. 197 Es sey AB (Fig. 1) die Pollinie des Magnetstabes, O die Projection der Aufhängungsachse auf der durch AB gelegten Verticalebene; α der azimuthale Winkel welchen diese Ebene mit dem magnetischen Meridian bildet; G der Schwerpunkt des Magnetstabes. In G wirkt das Gewicht p des letzteren; A und B sind die Angriffspunkte der Kräfte F und – F, welche das terrestrische Paar bilden. Zerlegen wir jede dieser Kräfte in drei Componenten: eine verticale, eine horizontale perpendiculär zu AB, und in eine horizontale mit AB in einer Ebene liegende. Von diesen drei Componenten sind es nur die erste und dritte, welche auf das Gleichgewicht des Magnetstabes AB influiren. Bezeichnen wir die wirksamen horizontalen Componenten durch φ und – φ und die verticalen Componenten durch f und – f, so ist offenbar f = F sin I, φ = F. cos I. cos α wobei I den Neigungswinkel bezeichnet. Die drei Kräfe f, – f und p haben eine Resultirende gleich ihrer Summe p, welche in einem Punkte G¹ angreift, der eben so wie G auf einer zu AB parallelen Linie liegt. Die Resultirende der beiden Kräfte p und – f greift in K an (wenn man p > f annimmt. Man hat daher KG/KB = f/p; die Resultirende der in K wirkenden Kraft p – f und der Kraft f, welche in A angreift, ist in G¹ wirksam und es ergibt sich KG¹/AG¹ = f/(pf), mithin KG¹/KA = f/p = KG/KB; die Punkte G¹ und G liegen daher in gleichem Abstande von AB. Ferner ist der Punkt G¹ in Bezug auf den Magnetstab fest, welches auch die Neigung des letzteren seyn möge. Die drei Regulirungsgewichtchen setzen uns in den Stand, den Schwerpunkt des Systemes zu verrücken; mit Hülfe der seitlichen Gewichte können wir ihn in die zum Waagebalken Senkrechte verlegen, welche durch den Punkt O geht; das dritte Gewicht dient zur Hebung oder Senkung es Schwerpunktes. Will man sich des Instrumentes bedienen, so beginnt man mit der Verschiebung der horizontalen Massen, bis der Waagebalken horizontal steht. Damit diese Bedingung erfüllt sey, ist es offenbar nothwendig, daß der Punkt G¹ in der zu AB perpendiculären Linie OQ liege. Wenn wir nun AB aus der horizontalen Lage entfernen, so wirkt auf den Waagebalken ein System von Kräften, deren statisches Moment mehr oder weniger groß ist. Dieses Totalmoment, auf den Punkt O bezogen, liefert offenbar das Empfindlichkeitsmaaß des Galvanometers. Seine Berechnung ist es, worauf der ganze Nutzen der Theorie des in Rede stehenden Instrumentes beruht. Um nun dieses Moment zu berechnen, bemerken wir, daß die in's Spiel kommenden Kräfte sich reduciren auf φ wirkend in A, φ B, p G¹. Es sey OG¹ (Fig. 2) durch d, AB durch 2a, und der Winkel welchen die Linie AB mit dem Horizont bildet, durch ω bezeichnet. Lassen wir in O zwei gleiche Kräfte p und – p angreifen. Die Kraft p wird durch den Widerstand des Stützpunktes aufgehoben; es wirken alsdann auf das System, zwei Kräftepaare (p – p), (φφ). Fig. 2., Bd. 207, S. 199 Betrachtet man die Momente, welche AB auf dem kürzesten Wege in die horizontale Lage zurückzubringen streben, als positiv d.h. in der Richtung des Pfeiles wirkend, so ist das totale Moment M = 2φa . sin ω + pd . sin ω Setzt man nun M = μ . sin ω so ergibt sich μ = 2 φa + pd = 2 aF . cos I . cos α. + pd Die Discussion dieser Formel wird die merkwürdigen Eigenschaften der Galvanometerwaage näher hervortreten lassen. Wir sehen schon aus der einfachen Betrachtung der Formel M = μ . sin ω, daß der unter irgend einem Azimuth horizontal in's Gleichgewicht gesetzte Waagebalken unter jedem Azimuth ohne Ausnahme das Gleichgewicht im horizontalen Sinne behauptet. Die durch μ dargestellte Empfindlichkeit ändert sich mit dem Azimuth, weil μ eine Function von α ist. Man kann d so wählen, daß unter einem beliebigen Azimuth μ > 0, = 0 oder < 0 wird. Für μ > 0 ist das Gleichgewicht stabil, für μ < 0 ist das Gleichgewicht labil. Ist endlich μ = 0, so ist das Gleichgewicht indifferent und die Nadel wird in strengem Sinne astatisch. Man kann demnach dem Galvanometer jeden beliebigen Grad der Empfindlichkeit ertheilen. Gibt man im Voraus dem d einen bestimmten Werth, so läßt sich leicht nachweisen, wie sich die Zeigernadel bei den verschiedenen Azimuthen verhalten wird. Ist nämlich pd > 0 und > 2aF . cos I, so ist μ immer > 0 und das Gleichgewicht immer stabil; ist pd < 0 und sein absoluter Werth größer als 2aF . cos I, so ist das Gleichgewicht immer labil. Es ist stabil für gewisse Werthe von d und labil für andere Werthe, wenn pd innerhalb + 2aF . cos I. und – 2aF . cos I liegt. In diesem Falle ist in der That μ immer Null für einen gewissen Werth von α; denn, löst man die Gleichung μ = 0 nach cos α auf, so ergibt sich cos α = – pd/(2aF . cos I) ein Werth, der zwischen – 1 und + 1 liegt. Bezeichnet A den aus dieser Gleichung gezogenen Werth von α, so ist für α = A, μ = 0 und das Gleichgewicht ist indifferent. Ist der absolute Werth von α kleiner als A, so ist das Gleichgewicht stabil, ist er größer als A, so ist das Gleichgewicht labil. Fig. 3., Bd. 207, S. 200 Vorstehende Discussion läßt sich in Form einer ganz einfachen geometrischen Construction übersichtlich darstellen. Es sey C¹OC (Fig. 3) eine Horizontale. Zieht man eine Linie OA = 2aF, welche mit OC einen Winkel COA = I bildet, und projicirt dieselbe auf OC, so ist OC = 2a F . cos I. Man beschreibe nun über CC¹ als Durchmesser den Kreis C¹HC, zähle die Bögen von C als Anfangspunkt aus, trage von O aus eine Länge OP = pd in der Richtung OC¹ ab, wenn d < 0, und in der umgekehrten Richtung, wenn d < 0, und errichte in P ein Perpendikel KK¹. Für alle Azimuthe von OC bis OK und OK¹ wird das Gleichgewicht des Stabes stabil, für alle Azimuthe von OC¹ bis OK und OK¹ wird es labil seyn. Liegt der Punkt P jenseits C¹, so ist das Gleichgewicht für alle Azimuthe stabil; entfernt sich jedoch P in der Richtung OC über den Punkt C hinaus, so ist es labil. Zur Erhöhung der Empfindlichkeit seines Instrumentes hat Bourbouze die Massen so angeordnet, daß man die drei Gleichgewichtszustände, den stabilen, labilen und den indifferenten erhalten kann, wenn der Südpol des Magnetstabes genau nach Norden gerichtet ist, d.h. wenn α = 0. Hieraus folgt, daß pd < 0 ist und von 0 bis – 2aF . cos (1 – ε) variiren kann, wobei ε eine sehr kleine Größe bezeichnet. Stellt man das Gleichgewicht unter einem Azimuth α < 90° her, so muß der absolute Werth von pd ein wenig kleiner als 2aF . cos I cos α seyn. Wendet man den Magnet vollständig bis zu seiner entgegengesetzten Lage, was mit dem Zeichenwechsel von cos α gleichbedeutend ist, so ist das Moment 2a F . cos I cos α + pd aus zwei negativen Ausdrücken zusammengesetzt, daher negativ und das Gleichgewicht labil. Diese merkwürdige Eigenschaft steht, wie aus vorstehender Discussion hervorgeht, mit der von Bourbouze adoptirten eigenthümlichen Vertheilung der Massen in wesentlichem Zusammenhange, und ist eine Garantie für die Empfindlichkeit des Apparates.

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