Titel: Ueber R. Mushet's Specialstahl; von L. Gruner.
Fundstelle: Band 207, Jahrgang 1873, Nr. LXXXVIII., S. 317
Download: XML
LXXXVIII. Ueber R. Mushet's Specialstahl; von L. Gruner. Aus dem Bulletin de la Société d'Encouragement, Februar 1873, S. 84. Gruner, über Mushet's Specialstahl. In den Werkstätten der französischen Westbahn benutzt man seit einiger Zeit zum Abdrehen der stählernen Radbandagen mit großem Erfolge Drehstähle, welche aus Mushet'schem Specialstahl angefertigt sind. Dieses Metall wird von der Titanic Forest Steel-Works Company fabricirt, welche ihren Sitz zu Coleford in Gloucestershire und eine Niederlage in Paris, (82, rue de la Folie-Méricourt) hat. Der Preis dieses Stahles beträgt 3 bis sogar 3 1/2 Francs per Kilogrm. Derselbe besitzt eine außerordentliche Härte; auf dem Bruche erscheint er matt silberweiß, sammetartig glänzend; selbst unter der Loupe erscheint das Korn gleichförmig. Er läßt sich nur bei schwacher Rothgluth und unter häufigem Anwärmen schmieden; er zerspringt oder reißt, wenn man versucht ihn in Wasser abzulöschen. Seine Härte reicht hin, daß er, selbst ohne Härtung, gewöhnlichen Stahl zu schneiden vermag. Er läßt sich jedoch in Oel härten; zu diesem Behufe muß man aber das ganze Stück, und nicht bloß das zu härtende Ende, gleichmäßig erwärmen, und ihn dann langsam in das Oelbad tauchen. Ein zu plötzliches Ablöschen veranlaßt das Reißen oder Zerbrechen des Stückes. Wegen seiner außerordentlichen Härte kann dieser Stahl nicht für Meißel oder Stücke welche einen Stoß empfangen müssen, verwendet werden; ebenso untauglich ist er zur Fabrication der eigentlichen Schneidwerkzeuge, weil er zu leicht ausbricht und schartig wird. Dagegen ist er sehr gesucht zur Anfertigung großer Schrothaken mit rechtwinkeligen Kanten, wie sie zum Abdrehen der harten Metalle, z.B. der stählernen Radbandagen, verwendet werden. Wegen dieser ganz besonderen Eigenschaften wünschte ich die Zusammensetzung des Mushet'schen Stahles kennen zu lernen. Der Name der Gesellschaft, welche ihn fabricirt, die zahlreichen Patente (über dreißig) welche Mushet, Vater und Sohn, auf die Fabrication von Titanstahl genommen haben,Mushet's Patente auf Benutzung des Titans bei der Eisen- und Stahlfabrication sind mitgetheilt im polytechn. Journal Bd. CLV S. 317, Bd. CLVI S. 76, Bd. CLXIV S. 74, Bd. CLXVI S. 156. – Mushet nahm auch ein Patent auf Stahlfabrication mittelst Anwendung von Wolfram, mitgetheilt in Bd. CLV S. 316. konnten glauben lassen, daß die in Rede stehende Stahlsorte ihre so eigenthümlichen Eigenschaften wirklich einem Titangehalte verdanken müsse. Dieß schien mir jedoch mehr als zweifelhaft. Vergebens hatten Berthier und andere Chemiker versucht, Legirungen von Eisen und Titan darzustellen. Letzteres Metall hat stets das Bestreben, sich in Form von Kohlenstickstoff-Titan auszuscheiden oder im Zustande von Titansäure in die Schlacke zu gehen. Als ich versuchte, in einem mit Kohlengestübbe ausgeschlagenen Tiegel Titaneisen sowohl für sich allein, als auch mit verschiedenen Zuschlägen versetzt, bei der höchsten Temperatur eines Schmiedefeuers zu reduciren, erhielt ich bloß Könige von Stabeisen oder von mehr oder weniger hämmerbarem Gußeisen, nebst einer Schlacke welche äußerlich mit einem kupferrothen, aus Wöhler's Cyanstickstoff-Titan (TiCy² + 3Ti³N²) bestehenden Häutchen überzogen war. Das Eisen hält nicht über 0,0015 Titan zurück, und es ist noch keineswegs gewiß, daß diese fünfzehn Zehntausendtel mit dem Eisen wirklich verbunden sind. Vor mehreren Monaten versuchte Ponsard, dessen Versuche zur Reduction der Eisenerze im Flammofen bekannt sind, mit dem in der Gegend von Neapel vorkommenden Titaneisensande Roheisen zu fabriciren. Indem er dieses Erz wie gewöhnliches oxydisches Erz behandelte, erhielt er allerdings ein körniges weißes Roheisen, gleichzeitig aber eine außerordentlich ätzende Schlacke, welche die Sohle und die Wandungen des Ofens stark angriff. Ich analysirte zwei verschiedene Proben von diesem als titanhaltig angenommenen Eisen. Die eine war hart und ziemlich kohlenstoffhaltig; die andere war halb-hämmerbar, und den unter der Bezeichnung Wildstahl bekannten Sorten von Herdstahl sehr ähnlich. Ich fand: in dem harten Metalle: in dem streckbaren Metalle: Silicium 0,005 0,005 Titan 0,002           unter 0,002 Kohlenstoff 0,030 0,015 Beide Proben waren übrigens ziemlich schwefelhaltig. Jedenfalls ist auch hier, wie man sieht, äußerst wenig Titan mit dem Eisen reducirt worden; dasselbe ist in der Schlacke geblieben. Die von dem streckbaren Metalle herrührende Schlacke war derb, dicht, schwarz gefärbt und gab mir bei der Analyse: Kieselerde 0,37 Titansäure 0,10 Kalk 0,32 Thonerde 0,03 Eisenoxydul 0,18 –––– 1,00 Endlich hat man auch bei den auf verschiedenen Eisenhütten abgeführten Versuchen bekanntlich die Erfahrung gemacht, daß Titaneisen, selbst wenn nur geringe Mengen desselben mit aufgegeben werden, sogleich einen kalten Ofengang und die Erzeugung von weißem Roheisen verursacht. Nach allen diesen Thatsachen mußte man die wirkliche Existenz eines Titanstahles bezweifeln, ungeachtet des charakteristischen Namens welchen sich die diesen Specialstahl erzeugende Gesellschaft beigelegt hat. Ich analysirte sonach den in Rede stehenden Stahl gleichfalls. Hr. Le Clére, früher Gußstahlfabrikant zu St. Etienne, verschaffte mir zu diesem Zwecke zwei von der Titan-Gesellschaft R. Mushet's gelieferte und aus den Werkstätten der französischen Westbahn herrührende Schrothaken. Dieser Stahl enthält aber gar kein Titan, oder nur ganz unbestimmbare Spuren von diesem Metalle. Dagegen enthält dieser sogen. Titanstahl 8 Procent Wolfram und ist eine wahrhafte Wolframeisenlegirung von folgender Zusammensetzung: Wolfram 0,0798 Kohlenstoff 0,0140 Silicium 0,0024 Titan zweifelhafte Spuren. Ich habe in diesem Stahle weder das Mangan, noch den Schwefel aufgesucht; offenbar würden die geringsten Mengen dieser Elemente, welche zu dem so starken Wolfram- und Kohlenstoffgehalte hinzukämen, das Metall ganz und gar spröde machen. Uebrigens kann ich die vollkommene Richtigkeit des Kohlenstoffgehaltes nicht verbürgen, weil ich denselben nach dem Boussingault'schen Verfahren mit Quecksilberchlorid bestimmte, dessen Resultate etwas unsicher ausfallen, wenn der Wolframgehalt einigermaßen bedeutend ist, indem etwas Wolfram beim Kohlenstoffe zurückbleibt.Eine von Dr. Gintl, Professor am deutschen Polytechnicum in Prag, ausgeführte Analyse des Mushet'schen Specialstahles (mitgetheilt im polytechn. Journal, 1872, Bd. CCV S. 489) ergab in 100 Theilen desselben:Wolfram8,741Mangan2,480Silicium0,759Kohlenstoff0,386Phosphor0,009Schwefel0,018 Den Wolframstahl kennt man seit fünfzehn bis zwanzig Jahren. Die ersten Versuche zur Fabrication dieser Stahlsorte datiren aus den Jahren 1855 und 1856; sie wurden von Dr. Köller aus Wien auf der österreichischen Eisenhütte Reichmaring ausgeführt.Ueber Köller's Wolframstahlfabrication sind Notizen und Berichte mitgetheilt im polytechn. Journal Bd. CL. S. 315, Bd. CLII S. 318, Bd. CLIII S. 265. – Ueber den von Franz Mayr in Leoben (Steiermark) fabricirten Wolframstahl s. man Bd. CLII S. 178, Bd. CLV S. 122 und 461. Die HHrn. Jacob und Köller erhielten in Frankreich am 29. Januar 1858 ein Patent auf ihr Verfahren zur Fabrication von Wolframstahl. Unter der Leitung dieser beiden Chemiker wurden im Jahre 1860 auf der Eisenhütte der HHrn. v. Dietrich zu Mutterhausen Versuche im Puddelofen und auf der Wolframgrube von Puyles-Vignes bei Saint Léonard im Departement Haute-Vienne Tiegelschmelzversuche zur Darstellung von Wolframstahl abgeführt. Der bei diesen Versuchen erzeugte Stahl wurde von Tresca im Conservatoire des arts et métiers zu Paris eingehend geprüft (den Bericht über diese Untersuchungen findet man in den Annales du Conservatoire vom Januar 1861). In einer von mir in Gemeinschaft mit Hrn. Lan im Jahre 1862 veröffentlichten Abhandlung über Stahl beschrieb ich die Eigenschaften des Wolframstahles. Ich will hier speciell an die Thatsache erinnern, daß das Wolframmetall sowohl die Zähigkeit (Dehnbarkeit) als die Härte des Stahles erhöht, sobald seine Menge nicht über drei Procent beträgt, während mit einem größeren Wolframgehalte zwar die Härte noch immer zunimmt, die Zähigkeit dagegen sich vermindert. Das Metall wird dann spröde, es hat nicht mehr so viel Körper. So zeigte sich z.B. ein in Puy-les-Vignes producirter Stahlstab mit sechs Procent Wolframgehalt, spröde wie Glas. Nun haben wir hier einen Stahl, welcher acht Procent Wolfram enthält und doch noch soviel Körper besitzt, daß er zur Anfertigung großer Schrothaken mit rechtwinkeligen Kanten verwendet werden kann. Es muß dieß eine außergewöhnlich reine, aus Stabeisen erster Qualität dargestellte Stahlsorte seyn, denn sonst würde ein so starker Wolframgehalt das Metall sicherlich ganz spröde machen. Das in der Hütte zu Coleford befolgte Verfahren zur Fabrication des Wolframstahles kenne ich nicht; die zu diesem Zweck verwendeten Rohmaterialien müssen aber, wie ich schon bemerkte, jedenfalls ganz rein seyn. Zur Erzeugung eines Stahles von bestimmtem Kohlenstoffgehalte kann man überdieß ein Gemenge von Holzkohle und mehr oder weniger oxydirten Materialien nicht verwenden. Es ist folglich mehr als wahrscheinlich, daß der in Rede stehende Stahl durch Zusammenschmelzen von reducirtem Wolframmetall mit einem aus dem besten schwedischen Stangeneisen erzeugten Cementstahl im Tiegel dargestellt wird. Schließlich bemerke ich, daß sich seit dem Jahre 1862 mehrere Chemiker und Techniker mit dem Studium und der Fabrication des Wolframstahles beschäftigt haben; man beschränkte sich jedoch im Allgemeinen auf einen Wolframzusatz von 1 bis 2 Procent; den außerordentlich hohen Gehalt von acht Procent hatte man in eigentlichem Stahle bisher nicht erreicht. Besonders haben sich zwei französische Stabsofficiere, die Majore Caron und Le Guen mit diesen Legirungen eingehend beschäftigt.Polytechn. Journal Bd. CLXXII S. 43, Bd. CLXXV S. 362, Bd. CLXXXIII S. 220, Bd. CLXXXIV S. 430, Bd. CXCII S. 217. Le Guen constatirte, daß das Wolframmetall den Schienen eine größere Widerstandsfähigkeit und Härte ertheilt. Diese Schienen, welche im Jahre 1868 zu Terre-Noire fabricirt wurden, enthielten jedoch nach einer in der Pariser Bergakademie ausgeführten Analyse nur ein halbes Procent Wolfram. Im Jahre 1865 lieferte das Haus Petin und Gaudet der Paris-Lyon-Marseiller Eisenbahngesellschaft 40 Tonnen Federn aus Wolframstahl. In diesem Stahle fand ich ein Procent Wolfram; denselben Gehalt fand auch Boussingault in einem von Holtzer in Firminy fabricirten Wolframstahle. Die von Petin und Gaudet gelieferten Federn haben allerdings sehr gut ausgehalten, zeigten jedoch keine besonderen Vorzüge vor den aus gewöhnlichem Stahle bestehenden. Später fabricirte auch Micolon von Saint-Etienne auf seinem Hüttenwerke zu Maisons-Alfort mehrere Jahre lang Wolframstahl; er schmolz von der Waffenfabrication herrührende Stahlabfälle im Schmelztiegel ein, und veredelte diesen Stahl durch Zusatz von reducirtem Wolframmetall. Sein Product hatte einen Wolframgehalt von 1 bis 2 Procent. Micolon's Nachfolger, Mazeline Sohn, wendet dieses Verfahren zur Fabrication von Wolframstahl noch jetzt an.