Titel: Ueber sogenannte Zinnkapseln; von Dr. G. C. Wittstein.
Autor: G. C. Wittstein
Fundstelle: Band 208, Jahrgang 1873, Nr. LXXXV., S. 341
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LXXXV. Ueber sogenannte Zinnkapseln; von Dr. G. C. Wittstein. Wittstein, über sogen. Zinnkapseln. In neuerer Zeit findet man die Glasflaschen, in welchen Mineralwässer, Biere, Weine, Liqueure, Senfe etc. verkauft werden, an der Verschlußstelle, außer mit Kork, Draht und Siegel, häufig auch noch mit einer Hülle von dünnem Blech überkleidet, welche Zinn seyn soll, aber, wie ich mich wiederholt überzeugt habe, diesen Namen nicht verdient, da sie reich an Blei ist, und zwar so reich, daß sie nicht einmal als bleihaltiges Zinn angesehen werden kann, sondern als zinnhaltiges Blei bezeichnet werden muß. Die Prüfung geschah durch Digeriren einer abgewogenen Menge des Metalles mit reiner Salpetersäure, Abstumpfen der freien Säure des Filtrats mit Soda, Fällen mit Schwefelsäure und Berechnen des Bleies aus dem Gewichte des Niederschlages. Die Ergebnisse überstiegen meine Erwartungen in hohem Grade, denn der Bleigehalt betrug in sechs Fällen mehr als 90 Procent! Es enthielt nämlich die Metallkapsel von einer Flasche Champagner. Liqueur. Senf. Mineralwasser. Bier. Bier. 90,13 91,33 92,4 93,1 94,2 99,4 Proc. Blei. Ich will die Urheber dieser Sorglosigkeit vorläufig nicht nennen, da sie von der Tragweite derselben vielleicht keine Ahnung haben, sondern sie nur darauf aufmerksam machen, damit sie und alle ihre Collegen einen solchen Uebelstand abstellen d.h. die Metallkapseln entweder ganz weglassen oder sie durch solche von reinem Zinn ersetzen. „Warum das?“ wird vielleicht mancher fragen. „Beseitigt man doch vor dem Oeffnen der Flaschen die Metallkapseln; mithin kommen letztere mit dem Inhalte derselben gar nicht in Berührung.“ Dagegen muß ich erwiedern, daß diese Kapseln häufig nicht gleich weggeworfen, sondern nach jedesmaligem Gebrauche des Inhaltes wieder über den Kork gestülpt werden; daß dadurch das Metall mit den außen an der Mündung der Flasche hängen gebliebenen Tropfen der Flüssigkeit in Berührung kommt; daß die meisten dieser Flüssigkeiten freie Säure enthalten, welche das Blei angreift; daß sich in Folge dessen um die Flaschenmündung herum eine Bleisolution bildet, welche beim nächsten Ausschenken mit in das Trinkglas gespült wird und so in den Magen des Trinkenden gelangt. Es werden dadurch acutere Bleivergiftungen veranlaßt, als durch anhaltendes Schnupfen von in bleihaltiger Zinnfolie aufbewahrtem Tabak oder durch anhaltenden Gebrauch bleihaltiger Haarfärbemittel. – Ich habe auch Gelegenheit gehabt Zinnfolie, in welche Käse verpackt war, zu untersuchen, und dieselbe gleichfalls stark bleihaltig gefunden. Hier liegt die Gefahr einer Bleivergiftung außer Zweifel, wenn die mit dem Metalle in unmittelbarer Berührung gewesene Käsefläche nicht in einer wenigstens messerrückendicken Schicht beseitigt, sondern mitverzehrt wird, denn diese Schicht enthält Blei in löslicher Form.