Titel: Kritische Beiträge zur Kenntniss des Chlorkalkes; von Dr. E. Richters und G. Juncker.
Fundstelle: Band 211, Jahrgang 1874, Nr. XI., S. 32
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XI. Kritische Beiträge zur Kenntniss des Chlorkalkes; von Dr. E. Richters und G. Juncker. Richters und Juncker, kritische Beiträge zur Kenntniß des Chlorkalkes. Ueber die chemische Zusammensetzung des Chlorkalkes sind in den letzten Jahren eine Reihe Arbeiten publicirt worden, die fast ausnahmslos zu dem Ergebnisse geführt haben, daß entgegen derjenigen Ansicht, welche nach der Entdeckung der unterchlorigen Säure durch Baland unter den Chemikern fast allgemein Anerkennung fand, der Chlorkalk kein Gemenge von unterchlorigsaurem Kalk und Chlorcalcium (mit überschüssigem Aetzkalk), sondern eine aus Chlor und Kalk bestehende Verbindung sey, für welche die stöchiometrische Zusammensetzung verschieden angegeben worden ist. Die letzterwähnte Theorie hat ihre glücklichsten Vertreter in Odling,Dessen Handbuch der Chemie. Kolb,Bulletin de la Société chimique, 1868; polytechn. Journal, 1868, Bd. CLXXXVII S. 55. und neuerdings in Göpner polytechn. Journal Bd. CCIX S. 204. gefunden; während Crace Calvert polytechn. Journal Bd. CCVI S. 144. bei dieser Gelegenheit die Wissenschaft mit einer Untersuchung bereicherte, die weniger durch ihre Gründlichkeit, als durch die Kühnheit und Leichtigkeit, mit welcher der Verf. für seine Person alle Zweifel zu beseitigen verstand, zu imponiren geeignet war. Es ist dem gegenüber eine eigenthümliche Erscheinung, daß in den verbreitetsten neueren Lehrbüchern der Chemie jene moderne Auffassung gleichsam nur historisch erwähnt wird, während alle Eigenschaften des Chlorkalkes vom Standpunkte der älteren Hypothese betrachtet und erläutert werden. Will man den Grund hierfür nicht in einem gewissen geistigen Beharrungsvermögen suchen, wofür doch, namentlich bei der gegenwärtig in der Chemie herrschenden Zeitströmung keine rechte Veranlassung vorliegt, so bleibt nur die Annahme übrig, daß die Beweisführung für die neue Theorie doch noch an allerlei Schwächen leidet und mehrfach zu Bedenken anregt, die es rathsam erscheinen lassen, vorläufig noch an der älteren Hypothese festzuhalten, zumal dieselbe fast alle Eigenthümlichkeiten des Chlorkalkes befriedigend zu erklären vermag. Einen ähnlichen Standpunkt nahmen wir ein, als wir uns vor längerer Zeit entschlossen, durch eigene Untersuchungen der Frage näher zu treten und die verschiedenen Ansichten und Mittheilungen der Chemiker, welche den Gegenstand in den Kreis ihrer Betrachtungen gezogen haben, einer umfassenden kritischen Prüfung zu unterziehen. Die Veröffentlichung unserer Untersuchungen in der Anfangs beabsichtigten Form gaben wir in Folge des Erscheinens der trefflichen Arbeit Göpner's auf, welche die Mehrzahl der von uns gewonnenen Resultate anticipirte. Dagegen wollen wir im Nachfolgenden das auf die Constitution des Chlorkalkes bezügliche Material einer kritischen Sichtung unterwerfen, und wo es uns erforderlich erscheint, die Beweisführung für die Richtigkeit der neueren Auffassung zu ergänzen und auf diese Weise dazu beizutragen suchen, derselben eine allgemeinere Anerkennung zu verschaffen, als sie bisher, namentlich in den Compendien der Chemie gefunden hat. Wir halten uns zu dieser Arbeit um so mehr für berufen, als wir, unseren conservativen Neigungen auf chemischem Gebiete folgend bei Beginn der Untersuchungen für die ältere Ansicht stark eingenommen und entschlossen waren, sie Schritt für Schritt zu vertheidigen und nicht ohne genügenden Grund aufzugeben. Daß wir am Ende dennoch alle Positionen verlassen und uns nothgedrungen, aber aus voller Ueberzeugung der modernen Anschauung anschließen mußten, dürfte für die letztere ein nicht ganz bedeutungsloses Argument abgeben. – Nach der Entdeckung der unterchlorigen Säure durch Balard hielt man, wie erwähnt, den Chlorkalk allgemein für ein Gemenge von Chlorcalcium, unterchlorigsaurem Kalk und Kalkhydrat, welches sich folgender Formel entsprechend bilde: 2 CaOHO + 2 Cl + x CaOHO = CaOClO + CaCl²HO + x CaOHO. Kolb gab dagegen seinem Chlorure de chaux type folgende Formel: 2 (CaOClHO) + CaOHO. Nach ihm ist Wasser ein constituirender Bestandtheil der bleichenden Verbindung des Chlorkalkes; ob er auch die Gruppe CaCl, 2 HO dafür hält, ist aus seinen Mittheilungen zwar nicht klar ersichtlich, aber wahrscheinlich. OdlingBei Odling und Göpner ist Ca = 40, O = 16, Cl = 35,5; bei Kolb und den Verfassern ist Ca = 20, O = 8, Cl = 35,5. schreibt die Formel für Chlorkalk Ca ClOCl er betrachtet ihn als Kalk, in welchem der bivalente Sauerstoff zur Hälfte durch das einwerthige Chlor, zur anderen Hälfte durch das ebenfalls einwerthige Molecül ClO vertreten ist. Göpner gibt der bleichenden Verbindung im Chlorkalk die Formel CaOCl². Die Frage, ob dieselbe zugleich Wasser enthalte, läßt er unerörtert, dagegen spricht er sich bestimmt darüber aus, daß der Aetzkalk bloß ein mechanischer Gemengtheil unseres Präparates sey, der sich außer aller Verbindung mit dem bleichenden Bestandtheile befinde. Gleichfalls als bloßer Gemengtheil tritt nach ihm in jedem Chlorkalk freies Chlorcalcium auf, für dessen Entstehung Göpner bestimmte Quellen angibt und aus dessen stetigem Vorkommen er die Unmöglichkeit zu erklären sucht, durch einen noch so großen Ueberschuß von Chlor allen Kalk in die bleichende Verbindung zu verwandeln. Die von Kolb, Odling und Göpner aufgestellten Formeln stehen insofern in einem gewissen Zusammenhang, und gleichzeitig in einem unverkennbaren Gegensatz zu der Balard'schen Formel, als sie den Chlorkalk, beziehungsweise dessen bleichenden Bestandtheil als eine aus den Elementen Ca, O und Cl zusammengesetzte ternäre Verbindung, theils mit, theils ohne Wasser und Kalkhydrat als constituirende Bestandtheile erscheinen lassen, während nach der älteren Anschauung Chlorcalcium und unterchlorigsaurer Kalk fertig gebildet in dem Präparate enthalten sind. Wir wollen nun an die Erörterung des zuletzt angedeuteten Punktes, und unter speciellem Hinweis auf die Arbeiten von Kolb und Göpner, die weiteren Fragen knüpfen und zu beantworten suchen, ob die bleichende Verbindung des Chlorkalkes unzersetzt von Wasser aufgenommen wird oder nicht, aus welchen Quellen das im Chlorkalk als zufälliger Gemengtheil auftretende Chlorcalcium hervorgeht, von welcher Bedeutung für die Eigenschaften des Chlorkalkes es ist, und endlich, auf welche Weise sich der stetige Gehalt des letzteren an Kalkhydrat erklären läßt. I. Die Annahme, daß der Bleichkalk ein Gemenge von unterchlorigsaurem Kalk und Chlorcalcium sey, wurde wohl zunächst durch die Beobachtung erschüttert, daß bei der Behandlung desselben mit einer zur Zersetzung des Hypochlorits unzureichenden Menge freier Säure nicht, wie man erwarten sollte, unterchlorige Säure, sondern Chlor frei wird. Nach Kolb wird ein Chlorkalk, der rigoureusement sec, d.h. der Formel 2(CaOHO Cl) + CaOHO entsprechend zusammengesetzt ist, durch Kohlensäure vollständig zersetzt, und zwar unter Freiwerden allen Chlors und Bildung von kohlensaurem Kalk. Aus dem feuchten Chlorkalk entwickele sich dagegen unter denselben Bedingungen Unterchlorigsäure. Chlorwasserstoffsäure mache stets Chlor frei; es bilde sich zwar anfangs unterchlorige Säure, die ihrerseits dann wieder durch die Chlorwasserstoffsäure selbst sofort zu Chlor und Wasser zersetzt werde. Schwefelsäure entwickele, wie schon Gay Lussac gefunden, Unterchlorigsäure wenn man sie verdünnt, Chlor wenn man sie concentrirt auf den Chlorkalk einwirken lasse. Nach Göpner wird bei der Behandlung des (trockenen?) Chlorkalkes mit Chlorwasserstoffsäure, Schwefelsäure, Kohlensäure, nur Chlor frei, und niemals unterchlorige Säure. Durch Behandlung mit Kohlensäure ist nach ihm eine vollständige Zersetzung nicht zu erreichen. Beim Einleiten von Kohlensäure in eine Chlorkalklösung tritt gleichfalls vorzugsweise Chlor auf, nebenbei allerdings auch etwas unterchlorige Säure, diese indessen nur als secundäres Zersetzungsproduct, welches durch die Einwirkung des freigewordenen Chlors auf den gefällten kohlensauren Kalk gebildet wird. Auf die vielen Widersprüche dieser Angaben dürfen wir die Leser wohl kaum besonders aufmerksam machen. Nach Kolb wird der trockene Chlorkalk durch Kohlensäure vollständig, nach Göpner nur unvollständig zersetzt. Nach Kolb entwickelt sich unter den gleichen Bedingungen aus dem feuchten Chlorkalk (oder bei der Einwirkung von Feuchtigkeit) unterchlorige Säure, nach Göpner zunächst nur Chlor. Nach Kolb machen Mineralsäuren unter Umständen unterchlorige Säure frei, nach Göpner wiederum nur Chlor. Wir wollen versuchen, diese scheinbar widersprechenden Angaben zu erklären, zuvor aber möchten wir hier in aller Kürze unsere eigenen Beobachtungen mittheilen. a) Der Chlorkalk, dessen Zusammensetzung dem Chlorure de chaux typeKolbs entspricht, ist durch trockene Kohlensäure so gut wie unzersetzbar. Ueber 1 Gramm eines solchen Präparates wurde 8 Tage lang ein Strom von Kohlensäure geleitet. Es entwichen zwar anfangs geringe Mengen Chlor, die durch angefeuchtetes Jodkaliumstärkepapier deutlich nachgewiesen werden konnten; dieselben waren aber so unbedeutend, daß bei der nachfolgenden Untersuchung weder durch arsenigsaures Natron, noch durch Silberlösung nach vorhergegangener Behandlung des Chlorkalkes mit Ammoniak, eine nachweisbare Abnahme des Chlorgehaltes desselben constatirt werden konnte. Derselbe Chlorkalk, mit 10 Proc. Wasser angefeuchtet, gab bei der Behandlung mit Kohlensäure neben Chlor gleichzeitig unterchlorige Säure. b) 1 Gramm frisch bereiteter Chlorkalk mit 34,6 Proc. bleichendem Chlor und 27,4 Proc. Kalkhydrat wurde trocken in 50 Kub. Cent. Wasser eingetragen, welche zuvor mit 27,0 Kub. Cent. 1/2 Normalschwefelsäure versetzt waren. (Die letztere genügte um das freie Kalkhydrat und 4/5 des hypothetischen unterchlorigsauren Kalkes zu zersetzen.) Bei der darauf folgenden Destillation war in dem Destillate nur Chlor, ohne unterchlorige Säure nachweisbar. Dasselbe Resultat erhielten wir, als die Säure unverdünnt, und endlich auch, als statt der Schwefelsäure 1/2 Normalsalzsäure angewendet wurde. Es ist wohl ohne Weiteres einleuchtend, daß, wenn es gelänge trockenen Chlorkalk vollständig durch Kohlensäure zu zersetzen, von dem Vorhandenseyn von Chlorcalcium in dem Präparate nicht mehr die Rede seyn könnte. Ein besserer Beweis für die Unrichtigkeit der älteren Anschauung könnte überhaupt nicht beigebracht werden. Dagegen sind die Resultate der Versuche, den Chlorkalk mit starken Mineralsäuren (Schwefelsäure und Salzsäure) zu zersetzen, kaum als maßgebend zu betrachten, denn einestheils ist nicht abzusehen, weßhalb nicht das hypothetische Chlorcalcium und der unterchlorigsaure Kalk gleichzeitig zersetzt werden sollten, in welchem Falle nur Chlor frei werden könnte, und andererseits läßt sich das Auftreten von Chlor auch noch auf andere Weise erklären, ohne daß man genöthigt wäre, die Gegenwart von unterchlorigsaurem Kalk und Chlorcalcium auszuschließen, worauf wir sogleich näher eingehen wollen. Alle diese Bedenken würden dagegen als beseitigt zu betrachten seyn, wenn es gelänge die vollständige Zersetzung des Chlorkalkes unter Entbindung von allem oder fast allem darin enthaltenen Chlor durch eine Säure zu bewerkstelligen, die ebenso wenig wie die Kohlensäure das Chlorcalcium zu zersetzen vermag. Dieß gelingt in der That mit einer mäßig verdünnten Lösung von Phosphorsäure, welche aus Chlorcalcium keine Spur von Salzsäure frei macht, wovon man sich leicht durch das Experiment überzeugen kann. c) 1 Grm. des oben erwähnten trockenen Chlorkalkes wurde in einem Retörtchen mit 100 Kub. Cent. einer, 4 Proc. 3HO, PO⁵ enthaltenden Phosphorsäurelösung versetzt. Die stark sauer reagirende Flüssigkeit wurde destillirt. 20 K. C. des Destillates mit 1/10 arsenigsaurem Natron titrirt, erforderten 2 K. C. Weitere 20 K. C. mit NH³ versetzt, abgedampft und darauf unter Zusatz von KOCrO³ mit 1/10 Silberlösung titrirt, erforderten 4,2 K. C. der letzteren. Es war also in dem Destillat nur Chlor ohne eine nachweisbare Menge unterchlorige Säure vorhanden. Wir wollen bei dieser Gelegenheit bemerken, daß wir die so eben angegebene Methode zur Unterscheidung der unterchlorigen Säure von Chlor, der von Wolters mitgetheilten, auf welche Göpner ein so großes Gewicht legt, ihrer Zuverlässigkeit wegen weit vorziehen. Denn da die Zersetzung nach den Formeln ClO + AsO³ + HO = AsO⁵ + HCl 2 Cl + AsO³ + 2 HO = AsO⁵ + 2 HCl AgONO⁵ + NH⁴Cl = AgCl + NH⁴ONO⁵ verläuft, so sind Chlor oder unterchlorige Säure auf die angegebene Weise sehr leicht zu unterscheiden. Schüttelten wir dagegen nach Wolters die Flüssigkeiten mit Quecksilber, so erhielten wir, auch wenn nur Chlor zugegen war, stets einen durch fein zertheiltes Quecksilber grau gefärbten Niederschlag von Chlorür, der eine etwaige Beimengung des braunen Niederschlages, den unterchlorige Säure hervorbringt, nur sehr schwer erkennen läßt. d) Ferner wurde 1 Grm. des Chlorkalkes mit 20 K. C. einer 20 Procentigen Phosphorsäure in einem Kölbchen versetzt und so lange gekocht bis aller Chlorgeruch verschwunden war; mit Silberlösung gefällt, gab die Flüssigkeit 0,077 AgCl = 2,99 Proc. CaCl, die als zufälliger Gemengtheil im Chlorkalk vorhanden gewesen sind. Wäre derselbe ein Gemenge aus unterchlorigsaurem Kalk und Chlorcalcium gewesen, so hätten von letzterem mindestens 27,04 Proc. gefunden werden müssen.In manchen Chlorkalken, namentlich älteren, wurde der Gehalt an Chlorcalcium erheblich höher – bis zu 7,7 Proc. – gefunden, doch blieb die Menge desselben stets weit hinter derjenigen zurück, die hätte vorhanden seyn müssen, wenn der Chlorkalk wirklich ein Gemenge von unterchlorigsaurem Kalk und Chlorcalcium gewesen wäre. Nach diesen Ergebnissen kann es durchaus nicht mehr zweifelhaft seyn, daß in dem frisch bereiteten Chlorkalk unterchlorigsaurer Kalk und Chlorcalcium als constituirende Bestandtheile nicht zugegen sind. II. Ist es sonach sicher, daß derselbe in der That als eine Verbindung von Chlor mit Kalk anzusehen ist, so fragt es sich weiter, ob dieselbe unverändert von Wasser gelöst wird, oder, ob sie sich unter dem Einfluß desselben in Chlorcalcium und unterchlorigsauren Kalk zersetzt. Der letzteren Ansicht ist Kolb, während aus den Ausführungen Göpner's hervorgeht, daß er auch in der Lösung keinen unterchlorigsauren Kalk annimmt. Es ist nicht zu verkennen, daß die Ansicht Kolb's eine gewisse Stütze in der namentlich von Fresenius Polytechn. Journal Bd. CLXI S. 444. und Rose näher ermittelten Thatsache findet, daß bei der Behandlung des trockenen Chlorkalkes mit Wasser zuerst vorwiegend unwirksames Chlor (Chlorcalcium) und erst später bleichendes Chlor (unterchlorigsaurer Kalk) in Lösung tritt. Die Erscheinung läßt sich indessen ebensowohl mit Göpner durch die Annahme erklären, daß das im Bleichkalk als zufälliger Bestandtheil auftretende Chlorcalcium als leichtlöslichste Verbindung zuerst vom Wasser aufgenommen wird, wie durch das von anderer Seite unterstellte Zerfallen des Körpers CaOCl in CaOClO und CaCl, obwohl nicht zu verkennen ist, daß die erst erwähnte Auffassung einen verhältnißmäßig sehr bedeutenden Gehalt des Chlorkalkes an Chlorcalcium zur Voraussetzung hat. Noch werthloser für die Entscheidung der Frage sind die von Kolb hervorgehobenen Unterschiede, welche der trockene Chlorkalk einerseits, und seine Lösung andererseits in ihrem Verhalten zu Chlor, beim Erwärmen und unter dem Einflusse des Sonnenlichtes wahrnehmen lassen sollen. Denn, wenn man auch die Richtigkeit dieser Beobachtungen durchweg zugeben wollte, so würden sie doch nichts beweisen, da schon das bloße Vorhandenseyn von Wasser die erwähnten Verschiedenheiten sehr begreiflich erscheinen läßt. Von entscheidender Bedeutung, namentlich in Verbindung mit den Beobachtungen von Fresenius und Rose, würde dagegen das Freiwerden von unterchloriger Säure bei der Zersetzung von Chlorkalklösung mit Mineralsäuren (z.B. Schwefelsäure) seyn; bekanntlich weichen aber die Angaben der verschiedenen Beobachter in dieser Beziehung sehr von einander ab. Wir wollen wiederum zuerst die wichtigsten unserer eigenen Versuche kurz mittheilen und hierdurch zugleich den Schlüssel zur Erklärung der widersprechenden Beobachtungen Kolb's und Göpner's zu geben versuchen. Versetzt man eine verdünnte, filtrirte Chlorkalklösung mit soviel freier Säure (SO³, PO⁵) daß alles etwa vorhandene Hypochlorit noch nicht vollständig zersetzt wird, oder leitet man Kohlensäure in dieselbe, so entwickelt sich, nach unseren Beobachtungen, anfangs nicht der geringste Chlorgeruch; die Flüssigkeit riecht eben wie eine verdünnte Lösung von unterchloriger Säure. Destillirt man nun sofort nach dem Zusatz der Säure, so erhält man nur oder fast nur unterchlorige Säure. Läßt man dagegen die Flüssigkeit eine Weile stehen, so stellt sich ein deutlicher Geruch nach Chlor ein und letzteres findet sich dann auch neben unterchloriger Säure im Destillat. – Nimmt man endlich die Destillation erst einige Tage nach dem Zusatz der Säure vor, so erhält man ausschließlich Chlor; die früher vorhandene unterchlorige Säure ist vollkommen aus der Flüssigkeit verschwunden, in welcher sich jetzt außer Chlorcalcium beträchtliche Mengen chlorsaurer Kalk nachweisen lassen. Diese eigenthümlichen Erscheinungen sind durch die Fähigkeit der freien Unterchlorigsäure bedingt, unterchlorigsaure Salze unter Entbindung von Chlor in chlorsaure Salze umzuwandeln, und zwar verläuft der Proceß nach folgender Formel: a) 5 CaOClO + 4 SO³ = 4 CaOSO³ + CaOClO + 4 ClO. b) CaOClO + 4 ClO = 4 CaOClO⁵ + 4 Cl. Wir beabsichtigen bei einer anderen Gelegenheit diese Vorgänge eingehender zu erörtern und beschränken uns deßhalb hier nur auf die Mittheilung folgender leicht zu wiederholender Versuche. a) 50 Kub. Cent. einer Lösung von Chlorkalk, welche 2,5 Gramme des letzteren mit 34,6 Proc. bleichendem Chlor enthielt, wurde mit 19,5 K. C. 1/2 Normalschwefelsäure versetzt und dann destillirt. 10 K. C. des Destillates mit arsenigsaurem Natron titrirt, gebrauchten 3,0 K. C. Weitere 10 K. C. mit Ammoniakflüssigkeit eingedampft und unter Zusatz von KOCrO³ mit 1/10 Silberlösung titrirt, erforderten von letzterer 3,1 K. C. Das Destillat enthielt demnach fast nur unterchlorige Säure. b) 50 K. C. derselben Lösung wurden mit der gleichen Menge SO³ versetzt. Schon nach 2 Stunden stellte sich ein deutlicher Chlorgeruch ein, der stetig an Intensität zunahm. Nach 2 Tagen wurde destillirt. 10 K. C. mit arsenigsaurem Natron titrirt, erforderten 1,2 K. C. 10 K. C. wie vorhin mit Silberlösung titrirt, gebrauchten 2,2 K. C. Es war also fast nur Chlor übergegangen. Der Rückstand von der Destillation enthielt kein Chlor mehr; als derselbe mit Eisendoppelsalz und Salzsäure versetzt, aufgekocht und darauf mit chromsaurem Kali titrirt wurde, waren von dem Eisensalz 5,679 Grm. oxydirt worden, was einem Gehalt von 0,25 Grm. CaOClO⁵ in der Flüssigkeit entspricht; die ursprüngliche Chlorkalklösung war frei davon. Wenn der aufmerksame Leser die angegebene Einwirkung der unterchlorigen Säure auf den unterchlorigsauren Kalk im Auge behalten, und dann die Angaben Kolb's und Göpner's vergleichen will, so wird ihn das anscheinend Widersprechende in denselben nicht weiter überraschen, denn es ist ganz klar, daß man bei der Zersetzung einer Chlorkalkflüssigkeit durch freie Säuren ganz nach der Art und Weise des Manipulirens bald Chlor bald unterchlorige Säure, bald beide zugleich erhalten kann. Es ergibt sich aus dem Gesagten aber auch, daß die ausschließliche Entwickelung von Chlor bei der Behandlung des trockenen Chlorkalkes mit einer Mineralsäure an sich noch nicht die Abwesenheit von unterchlorigsaurem Kalk beweist, die wir erst durch die mitgetheilten Versuche zweifellos festgestellt zu haben glauben. Und ferner dürfte wohl aus den eben mitgetheilten Beobachtungen mit Sicherheit geschlossen werden können, daß die im trockenen Chlorkalk vorhandene, bleichende Verbindung sich unter dem Einfluß des Wassers in Chlorcalcium und unterchlorigsauren Kalk zersetzt, welche beide letzteren als solche in der Lösung vorhanden sind. III. Wie bereits erwähnt, ist nach Göpner in jedem Chlorkalk außer der bleichenden Verbindung CaOCl auch eine größere oder geringere Menge Chlorcalcium vorhanden, aus dessen Bildung Göpner verschiedene eigenthümliche Erscheinungen zu erklären sucht, welche man bei der Einwirkung von Chlor auf Kalkhydrat beobachtet. Wohl verstanden, ist dieses Chlorcalcium kein wesentlicher, sondern nur ein nebenbei und zufällig auftretender Bestandtheil des Chlorkalkes. Es entsteht nach Göpner zum Theil durch die Einwirkung der Chlorwasserstoffsäure (von welcher sich das Chlor unter keinen Umständen vollständig befreien läßt) auf das Kalkhydrat, zum Theil ist sein Vorkommen auf den größeren oder geringeren Gehalt des zur Chlorkalkfabrication verwendeten Kalkhydrates an kohlensaurem Kalk zurückzuführen, der durch Chlor unter Bildung von freier Unterchlorigsäure und Chlorcalcium zersetzt wird. Da, wie bereits bemerkt, das Chlorcalcium in der Arbeit Göpner's eine sehr bedeutungsvolle Rolle spielt, so müssen wir bei dem Gegenstand etwas länger verweilen. Zunächst ist es jedenfalls ein eigenthümlicher, und für die Auffassung Göpner's verhängnißvoller Zufall, der ihn mit Chlorkalksorten operiren ließ welche 14 Proc. und darüber Chlorcalcium enthielten. Gestützt auf zahlreiche, im hiesigen Laboratorium seit einer Reihe von Jahren fast täglich wiederholte Untersuchungen dürfen wir aussprechen, daß ein so hoher Gehalt an Chlorcalcium, wie Göpner ihn constatirt hat, in dem frisch bereiteten Präparate äußerst selten vorkommt, und sicher nur in mißrathenen oder in der Zersetzung begriffenen Fabricaten anzutreffen ist. In einem fabrikmäßig dargestellten, frisch aus den Kammern genommenen, normalen und unzersetzten Chlorkalk, der, wohl bemerkt, bis zur vollständigen Sättigung mit Chlor behandelt ist, wird der Gehalt an freiem Chlorcalcium nur selten 2 Proc. erreichen, gewöhnlich aber noch erheblich geringer seyn. Wir sind überzeugt, daß jeder rationell arbeitende Fabrikant, der sich um die Zusammensetzung und Beschaffenheit seiner Producte kümmert, dieser Behauptung beitreten wird. Ferner dürften die von Göpner mitgetheilten Ursachen der Bildung des Chlorcalciums, wenn auch ohne Zweifel wirksam, so doch nicht die einzigen seyn. Fast in jedem Chlorkalk, auch in dem frischbereiteten, lassen sich kleine Mengen chlorsaurer Kalk nachweisen. Dieselben sind im Allgemeinen um so bedeutender, je älter der Chlorkalk ist; ihre Zunahme hält, soweit wir beobachtet haben, gleichen Schritt mit der sogen. Zersetzung des Chlorkalkes, die namentlich dann eintritt, wenn derselbe längere Zeit in feuchter Luft aufbewahrt wird. In einem Präparate, welches sich unter lebhafter Wärmeentwickelung und massenweisem Auftreten von freiem Chlor zersetzt hatte, fanden wir unmittelbar nach der sogen. Explosion außer Kalkhydrat nur Chlorcalcium und chlorsauren Kalk. Das bleichende Chlor war vollständig verschwunden. Wir theilen diese Beobachtung hier mit, da sie möglicherweise geeignet ist, weiteren Untersuchungen über die Explodirbarkeit des Chlorkalkes als Ausgangspunkt zu dienen. Zugleich wollen wir versuchen, die Erklärung für die Bildung des chlorsauren Kalkes und des Chlorcalciums zu geben, ohne dieselbe schon jetzt als unbedingt zutreffend und erschöpfend hinstellen zu wollen. Wir gehen von der Thatsache aus, daß, 1) die bleichende Verbindung im Chlorkalk der Formel CaOCl entsprechend zusammengesetzt ist; 2) daß sich diese Verbindung unter dem Einfluß des Wassers in CaCl und CaOClO zersetzt und fügen hinzu, daß 3) die Verbindung CaOClO sich unter dem Einfluß des Chlors in CaCl und CaOClO³ zersetzt, derart, daß 3 CaOClO = 2 CaCl + CaOCO⁵ geben. Die letzte Thatsache ist nicht neu, aber die ihr zu Grunde liegenden chemischen Vorgänge, welche wir zum Gegenstande einer anderen Abhandlung zu machen beabsichtigen, sind keineswegs hinreichend studirt worden. In den obigen Formeln sind nun zwei neue Quellen für die Bildung des Chlorcalciums gegeben, die in der Arbeit Göpner's unberücksichtigt geblieben sind. Denn, da bei der Fabrication des Chlorkalkes stets Feuchtigkeit in's Spiel kommt, so ist auch anzunehmen, daß sich schon in den Kammern ein kleiner Theil der Verbindung CaOCl in Chlorcalcium und unterchlorigsauren Kalk zersetzt und daß der letztere wiederum durch weiter einwirkendes feuchtes Chlor gleichfalls in Chlorcalcium und chlorsauren Kalk umgewandelt wird. Daß diese Processe wirklich vor sich gehen, scheint uns aus dem fast stets zu beobachtenden, wenn auch geringen Gehalt des Chlorkalkes an chlorsaurem Kalk umsomehr geschlossen werden zu müssen, als dessen Bildung sich auf keine andere bekannte Weise erklären läßt. IV. Wir gelangen nunmehr zur Erörterung einer im höchsten Grade eigenthümlichen und interessanten Thatsache, welche die Aufmerksamkeit einer nicht geringen Anzahl Chemiker auf sich gezogen hat, für die aber unseres Erachtens eine ausreichende Erklärung noch nicht gegeben worden ist: Woher kommt es, daß durch einen auch noch so großen Ueberschuß von Chlor nicht alles Kalkhydrat in die bleichende Verbindung umgewandelt werden kann, daß vielmehr jeder Chlorkalk eine größere oder geringere Menge Kalkhydrat in freiem Zustande enthält? Rose und Fresenius waren der Ansicht, daß der für die Angriffe des Chlors durchaus indifferente Antheil Kalkhydrat sich in Verbindung mit dem Chlorcalcium befinde, welches sie als wesentlichen Bestandtheil des Chlorkalkes voraussetzten, daß es also als basisches Chlorcalcium vorhanden sey. 4 Aequivalente Kalkhydrat sollten nicht mehr als 2 Aequiv. Chlor aufnehmen, der Chlorkalk dessen Zusammensetzung sich durch die Formel CaOClO + (CaCl 2CaO) + 4HO veranschaulichen lasse, also nicht über 32,3 Proc. bleichendes Chlor enthalten können. Bolley wies aber kurz darauf nach, daß in der Bildung von basischem Chlorcalcium nicht der Grund des Vorkommens von Kalkhydrat liegen könne, indem er zeigte, daß jenem selbst keineswegs die Fähigkeit abgehe Chlor zu absorbiren. Kolb deutet an, daß das durch Chlor nicht weiter veränderliche Kalkhydrat, sich in einer mehr oder weniger engen chemischen Verbindung mit dem bleichenden Bestandtheile des Chlorkalkes befinde, und daß dem letzteren im vollkommen chlorgesättigten Zustande die Formel 2(CaOClHO) CaOHO zukomme. Nach ihm würde der Chlorkalk höchstens 39 Proc. Chlor aufnehmen können. Aber Graham hat schon gezeigt, daß es möglich ist Chlorkalk mit 42 Proc. bleichendem Chlor darzustellen, und Göpner erwähnt in seiner mehrfach citirten Abhandlung eines Präparates mit sogar 42,84 Proc. Chlor. Die mitgetheilten Zahlen zeigen, daß, wie zu erwarten war, die Versuche, das freie Kalkhydrat als integrirenden und wesentlichen Bestandtheil des Chlorkalkes in die chemische Constitution des letzteren mit einzufügen, ohne jedes Resultat geblieben sind. Göpner ist der Meinung, daß das als zufälliger Gemengtheil nebenbei auftretende Chlorcalcium durch mechanische Umhüllung das Kalkhydrat der Einwirkung des Chlors entziehe. Er stützt sich darauf, daß es ihm durch Behandlung von Kalkhydrat mit Chlorwasserstoff nur gelungen sey 58 Proc. desselben in Chlorcalcium umzuwandeln, während die übrigen 42 Proc. intact blieben. Es will uns scheinen, daß die eigenen Zahlen Göpner's das beste Argument gegen seine Ansicht abgeben, denn wenn 87 Gewichtstheile Chlorcalcium dazu erforderlich waren, um 42 Gewichtstheile Kalkhydrat den Angriffen des Chlorwasserstoffes zu entziehen, so ist schlechterdings nicht zu begreifen, wie 1 Proc. Chlorcalcium und weniger (denn die Mehrzahl der gesättigten Chlorkalke ist nicht reicher daran) im Stande seyn sollten, circa 20 Proc. Kalkhydrat von der Umwandlung in Chlorkalk auszuschließen. Ueberdieß spricht Göpner von einer steinfesten Masse, welche er bei Behandlung des Kalkhydrates mit Chlorwasserstoff erhielt, während ein frisch bereiteter guter Chlorkalk ein trockenes Pulver ist, welches beim Schütteln stäubt und erst in feuchter Luft allmählich zusammenballt. Man sieht, die Analogie fehlt hier vollständig, und die Auffassung Göpner's, die auch Bolley gelegentlich ausspricht, dürfte nicht stichhaltiger seyn, wie die von Fresenius und Kolb. Worin liegt also der Grund? Derselbe ist in der durch Graham zuerst ermittelten Thatsache zu suchen, daß ein von Feuchtigkeit vollkommen freies Kalkhydrat von Chlor nicht im geringsten angegriffen wird, und sich demnach auch nicht in Chlorkalk verwandeln läßt. Es ist nun, wie wir sogleich zeigen werden, hierbei für den Erfolg ganz gleichgültig, ob dem Kalkhydrat das hygroskopische Wasser durch Wärme resp. durch Austrocknen, oder durch die Gegenwart einer Substanz entzogen wird, welche zum Wasser ein größeres Anziehungsvermögen hat, wie das Kalkhydrat selbst. Das letztere gehört keineswegs zu den hygroskopischen Körpern. In einer bei 15° mit Wasserdampf gesättigten Atmosphäre zieht es circa 1,15 Proc. Wasser an, welches es bei Erwärmen bis auf 60° C. vollständig wieder verliert. Zur Chlorkalkfabrication wendet man das Kalkhydrat gewöhnlich in einem solchen lufttrockenen Zustande an, in welchem es der jeweiligen Temperatur resp. dem Wassergehalt der Luft entsprechend, Feuchtigkeit auf seiner Oberfläche verdichtet hat. Die Menge der letzteren wird selten viel mehr wie 1–2 Proc., kaum jemals aber, wie Göpner meint, 8 Proc. betragen, da ein so viel Wasser enthaltendes Hydrat effectiv feucht und für die Chlorkalkfabrication vollkommen unbrauchbar ist. Ueber 2 Gramme eines lufttrockenen Hydrates mit 1,25 Proc. Feuchtigkeit wurde nun langsam 1 Liter Chlorgas geleitet, welches durch feuchten Braunstein resp. durch Chlorcalcium von Salzsäure und Wasser befreit war. Es nahm hierbei 30,4 Proc. von seinem Gewicht an Chlor auf. Demselben Hydrat wurden darauf 1, 2, 3, 4 und zuletzt 5 Proc. feingeriebenes Chlorcalcium, welches vorher bei 160° C. getrocknet war, zugemischt. Die Gemische wurden in ganz derselben Weise mit Chlorgas behandelt wie das reine Hydrat. Es nahmen dabei auf: das Gemisch mit 1 Proc. Chlorcalcium 27,1 Proc. Chlor 2 25,2 3 24,0 4 24,0 5 0,5 Der Zusatz von 5 Proc. Chlorcalcium war demnach hinreichend um die Absorptionsfähigkeit des Kalkhydrates so gut wie vollständig aufzuheben. Man wird nicht einen Augenblick darüber im Zweifel seyn, daß diese Wirkung lediglich durch die wasserbindende Kraft des Chlorcalciums hervorgebracht wurde, welches dem Hydrat alle Feuchtigkeit entzog und es dadurch zur Aufnahme von Chlor unfähig machte. Von einer mechanischen einhüllenden Wirkung, von einer Mauer, hinter welcher, um mit Göpner zu reden, das Kalkhydrat Schutz gegen die weiteren Angriffe des Chlors finde, kann hier keine Rede seyn, da beide Körper, vollkommen trocken zusammengemischt, in dem Gemenge nur als nebeneinanderliegend gedacht werden können. Charakteristisch für die Wirkung des Chlorcalciums ist es ferner, daß die Aufnahme von Chlor gewissermaßen mit einem Schlage aufhört; wissen wir doch durch die Untersuchungen von Tschigianjanz, Fricke und Reimer,Polytechn. Journal Bd. CXCII. S. 297. daß auch die minimalste Menge Wasser genügt, um die Absorption des Chlors, die dann in Folge des Freiwerdens von Wasser von selbst weiter vorschreitet, einzuleiten. Wenn wir zu den mitgetheilten Versuchen zufällig Chlorcalcium las wasserentziehendes Mittel angewandt haben, so soll damit nicht gesagt seyn, daß wir das im Chlorkalk nebenbei sich bildende Chlorcalcium im Allgemeinen für die Ursache des Vorkommens von Kalkhydrat in ersterem ansehen; die bleichende Verbindung CaOCl ist vielmehr selbst in den meisten Fällen die wasserentziehende Substanz, da ihre Hygroskopicität in der That eine sehr beträchtliche ist. Um dieselbe comparativ zu bestimmen, brachten wir a) 5 Gramme frisch bereiteten, über Schwefelsäure getrockneten Chlorkalk, welcher 30 Proc. Kalkhydrat und 80 Proc. der (wasserhaltigen) bleichenden Verbindung) enthielt, und b) 5 Grm. eines gleichfalls über SO³ getrockneten Gemenges aus 20 Proc. Kalkhydrat und 80 Proc. Chlorcalcium unter eine Glasglocke, in der die Luft durch eine kleine Schale mit Wasser stets feucht gehalten wurde. Es hatte absorbirt: a) der Chlorkalk: b) das Gemenge aus Kalkund Chlorcalcium: nach 1 Stunde 0,75 Proc. Wasser 5,00 Proc. Wasser 3 2,10 „        „ 11,20 „        „ 4 3,08 „        „ 15,48 „        „ 5 3,88 „        „ 19,10 „        „ 7 4,68 „        „ 25,42 „        „ 8 5,44 „        „ 28,56 „        „ 9 6,16 „        „ 33,40 „        „ 10 6,86 „        „ 38,32 „        „ 24 13,70 „        „ 64,00 „        „ 48 20,14 „        „ 89,98 „        „ Hiernach dürfte sich die Hygroskopicität der bleichenden (wasserhaltigen) Verbindung CaOCl zu der des Chlorcalciums ungefähr wie 1 : 5 verhalten. Daß sich der erstere dabei langsam in Chlorcalcium und unterchlorigsauren Kalk zersetzt, halten wir zwar für wahrscheinlich, gleichzeitig aber auch für die Erklärung des Vorkommens von freiem Kalkhydrat im Chlorkalk, wofür, nach dem Mitgetheilten, in der wasserabsorbirenden Kraft der bleichenden Verbindung selbst der zunächst wirksame Grund zu suchen seyn wird, für nebensächlich. Die etwa noch übrig bleibende Frage, ob, wie Kolb, übrigens ohne alle genügenden und beweisenden Gründe annimmt, zur chemischen Constitution der bleichenden Verbindung CaOCl 1 Aequivalent HO gehört, oder ob sie wasserleer ist, wie es die Versuche Göpner's vermuthen lassen, müssen wir vorläufig unerörtert lassen, da uns hier die zur Ausführung darauf bezüglicher Untersuchungen erforderlichen Apparate und sonstigen technischen Hülfsmittel nicht in wünschenswerther Vollkommenheit zur Verfügung stehen. Chemische Fabrik Silesia bei Saarau, December 1873.