Titel: Zur Bestattungsfrage; von Professor Clemens Winkler in Freiberg.
Fundstelle: Band 215, Jahrgang 1875, S. 468
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Zur Bestattungsfrage; von Professor Clemens Winkler in Freiberg.Nach einem vom Verfasser gefälligst gesendeten Separatabdruck. Winkler, zur Bestattungsfrage. Die Möglichkeit der vollkommen geruchlosen Leichenverbrennung steht außer allem Zweifel. Selbst wenn die RegenerativfeuerungDies Journal, 1874 214 387. nicht für diesen Zweck ausreichen sollte, so würde sich diesem Mangel auf das Leichteste dadurch nachhelfen lassen, daß man die Verbrennungsgase durch eine glühende Schicht eines leicht reducirbaren Metalloxydes (Mangan-, Eisen-, Kupferoxyd) führte, welche den letzten Rest brenzlicher Producte oxydiren würde. Den abgegebenen Sauerstoff würden die Oxyde aus der überschüssig nachströmenden Luft wieder zurückentnehmen, und diese dadurch aufs Neue wirksam werden. Die durchgängige Einführung der Feuerbestattung wird, abgesehen von den ethischen Bedenken, schon am Kostenpunkte scheitern müssen. Daß kleinere Ortschaften unter Aufwendung eines großen Kapitals ebenfalls einen Verbrennungsapparat bauen und bei jedem einzelnen Sterbefall besonders in Glut bringen sollten, erscheint doch zu unpraktisch, und der Vorschlag von Küchenmeister,Küchenmeister: Ueber Leichenverbrennung, S. 53 (Erlangen 1874. Pr. 0,8 M.). in solchen Fällen die Leichen unter Wasser aufzubewahren, bis eine genügende Anzahl für eine Verbrennungscampagne zusammengekommen ist, kann höchstens dem Anatomen annehmbar erscheinen. Es ist ferner erwähnenswerth, daß die Verwesung den im menschlichen Körper enthaltenen Stickstoff der Hauptsache nach in assimilirbarer Form an die Humusdecke der Erde und an die den Untergrund durchrieselnden Wässer überführt, während er bei der eigentlichen Verbrennung in gasförmigem Zustande frei wird, sich der Atmosphäre beimengt und dadurch für die Pflanzenernährung verloren geht.45Vergl. dagegen dies Journal, 1874 214 479. Bevor man an ein völliges Aufgeben der bestehenden Begräbnißweise denkt, sollte man sich wohl fragen, ob diese nicht einer Verbesserung fähig wäre, welche die Beseitigung der mit Recht getadelten und gefürchteten Uebelstände in sich schließt. Bis jetzt ist nach dem Verf. diese Frage noch nicht erörtert worden.54Vergl. Daheim, 1874 Nr. 44. Ihre Lösung würde darin bestehen, daß man ein Mittel ausfindig machte, welches den Verlauf der Verwesung ermöglichte und beschleunigte, welches die dabei entstehenden Producte derart zu verändern vermöchte, daß die Anhäufung von Fettsubstanz um den Leichnam und die Sättigung der als Decke dienenden Erdschicht mit fettähnlichen Substanzen verhindern würde, wodurch ein stetiges Lockerhalten des Erdreiches und damit der ununterbrochene, ausreichende Sauerstoffzutritt herbeigeführt werden müßte. Wie dies am einfachsten zu erreichen sei, läßt sich selbstverständlich nicht ohne weiteres sagen, und nur durch geeignete Versuche wird man hierüber zur Klarheit gelangen. Immerhin möge es gestattet sein, darauf aufmerksam zu machen, daß das Vorhandensein einer starken alkalischen Basis wahrscheinlicherweise eine Modification des Verwesungsprocesses in der angedeuteten Weise zur Folge haben würde. Als eine solche Basis dürfte sich am besten der gebrannte Kalk eignen, welcher ohne erheblichen Kostenaufwand allenthalben zu beschaffen ist. Es könnte das Wesen und die Feier des heutigen Begräbnisses in keiner Weise stören, wenn man vor dem Einsenken des Sarges auf die Sohle der Gruft ein Bett von gebranntem Kalk in groben Stücken brächte, welches jenem als Unterlage diente, und wenn die nachherige Zufüllung der. Gruft anfänglich, vielleicht schuhhoch, ebenfalls mit Kalk und dann erst mit Erde erfolgte. Wollte man sich ferner entschließen, die Seitenwandungen des Sarges durchbrochen herzustellen und die Oeffnungen mit Tuch zu verkleiden, wodurch der äußere Anblick in keiner Weise beeinträchtigt würde, so waren muthmaßlich alle Bedingungen zur geeigneten Abänderung des nachfolgenden Verwesungsprocesses gegeben. Unter dem Einfluß des Kalkes und bei gleichzeitigem allmäligem Luftzutritt, wie er durch eine normal beschaffene Erdschicht stattfindet, vereinigen sich die Elemente, aus denen der menschliche Körper aufgebaut ist, allmälig zu Wasser, Ammoniak und Kohlensäure – Verbindungen, die theils vom Kalke, theils vom Humus gebunden werden, um endlich der Pflanzenwelt zur Ernährung zu dienen. Die Entwickelung übelriechender Gase, die Verjauchung, der Würmerfraß, die Erhaltung der Haar- und Hornsubstanz, sie alle würden durch die Gegenwart des Kalkes unmöglich gemacht werden. Welche Zeitdauer die Auflösung eines Leichnams beim Vorhandensein von Kalk in Anspruch nehmen könnte, läßt sich nicht in voraus sagen; daß dieselbe aber dem jetzigen Verwesungsproceß gegenüber eine beträchtlich abgekürzte sein muß, steht außer allem Zweifel. Aber nicht allein, daß die Begräbnißplätze auf solche Weise in kürzerer Zeit wieder verfügbar werden; wichtiger noch ist es, daß die Beschaffenheit des Erdreiches fortdauernd dieselbe lockere, für den Verwesungsproceß geeignete bleiben wird. Ein Verfetten und Verstopfen desselben mit fauligen Producten ist nicht mehr möglich und beim späteren Aufgraben würde sich nichts, als eine durchlässige Schicht von kohlensaurem Kalk vorfinden, die in ihrer mechanischen Beschaffenheit der ursprünglichen Friedhoferde gleichkommen würde. Mit gleicher Vollkommenheit müßte jener Kalkzusatz dem Verderben des die Begräbnißstätten durchrieselnden Wassers vorbeugen. Erwägt man endlich, wie wenig abweichend der vorgeschlagene Bestattungsmodus von dem jetzt üblichen, wie das für denselben erforderliche chemische Agens, der Kalk (oder an Stelle dessen auch eine noch kräftiger wirkende Basis) allenthalben zu einem Preise zu haben ist, welcher, selbst bei Anwendung von 100 bis 200 Kilogrm. Kalk für jeden einzelnen Fall, eine Verausgabung von nur wenigen Mark erfordert, so muß es uns der Feuerbestattung gegenüber als ein minder gewaltsamer Eingriff in die bestehenden Verhältnisse, im Vergleich mit der jetzigen Bestattungsweise aber als eine außerordentliche Verbesserung erscheinen. Die Beerdigung unter Zuhilfenahme von gebranntem Kalk läßt sich ohne weiteres sofort und allenthalben, in der Großstadt wie im einsamen Dorfe, durchführen, und angesichts so günstiger Verhältnisse müßte es doppelt wünschenswerth erscheinen, wenn die Abstellung der unserem Friedhofwesen anhaftenden Mängel wenigstens versuchsweise auf dem in diesen Zeilen angedeuteten Wege angestrebt würde. Fr. v. Hellwald Ausland, 1875 S. 9. spricht sein völliges Einverständniß mit der von Professor Winkler vorgeschlagenen, schon von Kaiser Joseph II. mit Gesetz vom 15. Sept. 1784 gebotenen Anwendung des Kalkes beim Begräbnisse der Leichen aus. Auch Hofrath A. Ecker zeigte in einem am 11. December 1874 zu Freiburg gehaltenen Vortrage, daß doch auch manches gegen die Einführung des Verbrennens in unserer Zeit spreche, daß diese Art, die Leichen schnell wegzuschaffen, nur bei Epidemien und nach großen SchlachtenRegely spricht sich ganz entschieden gegen die Leichenverbrennung im Kriege aus. (Vergl. den amtlichen Bericht über die Wiener Weltausstellung, 14. Heft S. 161. Vieweg und Sohn, Braunschweig 1874.) als wirklich im Interesse der Ueberlebenden geboten erscheine, daß aber für das gewöhnliche Leben selbst in großen Städten den Uebelständen, die aus den Friedhöfen entspringen, gewiß durch chemische Mittel, consequente Desinfection u.s.w. werde abgeholfen werden können, ohne daß man die Leichenverbrennung irgendwo zwangsweise einführe. Von anderer SeiteZur Frage der Leichenverbrennung. Betrachtung der vorgeschlagenen Verbrennungsarten, von einem praktischen Techniker. (Bleuler-Hausheer u. Comp. Winterthur 1875.) wird dagegen wieder auf die Schwierigkeit der rauchfreien Verbrennung aufmerksam gemacht. – K. Birnbaum Deutsche Warte, Bd. 7 S. 709. nennt das Begraben der Leichen die theuerste Methode ihrer Beseitigung. Dieses würde nur bei großen Städten zutreffen können; auf dem Lande ist es entschieden die billigste. Die Leichenverbrennung wird wohl ein kostspieliger Luxus bleiben, ohne daß die Sanitätsverhältnisse durch die geringe Anzahl verbrannter Leichen in Nennenswerther Weise gebessert würden.