Titel: Die Motoren auf der Wiener Weltausstellung 1873; von Professor J. F. Radinger.
Fundstelle: Band 215, Jahrgang 1875, S. 481
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Die Motoren auf der Wiener Weltausstellung 1873; von Professor J. F. Radinger. Mit Abbildungen. (Fortsetzung von S. 298 dieses Bandes.) Radinger, über die Motoren auf der Wiener Weltausstellung 1873. Dampfmaschine von Tangye Brothers in Birmingham. Bei vorliegender Dampfmaschine bildet die Grundplatte mit dem Kurbellagerblock, den Führungen und dem vorderen Cylinderdeckel sammt Stopfbüchse ein einziges Gußstück. Dadurch sinkt die Zahl der Einzelnbestandtheile und deren Verbindungsstellen und wird eine Stärke in die Construction gebracht, welche selbst für höhere als hier verwendete Kolbengeschwindigkeiten passen würde. Der Cylinder mit dem angegossenen Schieberkasten ragt, nur mit der verschnittenen Vorderflansche getragen, hinten frei hinaus. Dies erlaubt bekanntlich dem Cylinder ein freies Strecken unter dem Wärmeeinfluß und die Erhaltung der sich sonst krümmenden geometrischen Längsachse der ganzen Maschine, ist aber des Gewichtes halber doch nur auf kleinere Constructionen beschränkt. Die Schieberkastenwände schließen sich allseitig tangirend an den Cylinder, oben sitzt das Dampfregulatorventil direct (ohne Hals) aufgeschraubt, und für den seitlichen Schieberkastendeckel sind nach einwärts stehende Flanschen verwendet. Eine kleine Zahl streng benöthigter Linien kommt derart zum Spiel, was einen ernsten und beruhigenden Eindruck hervorbringt. Die Grundplatte formt ein Mittelding zwischen dem unten hegenden Bettrahmen und dem seitlichen Bajonnetbalken und ist eine Verschmelzung beider. Die Ausstellungsmaschine hatte nun einen Cylinder von 228 Millim. Bohrung und einen Kolben mit 0,457 Meter Hub; dessen Geschwindigkeit war aber mäßig und betrug bei den normalen 90 Kurbelumläufen in der Minute 1,37 Meter per Secunde. Textabbildung Bd. 215, S. 482 Textabbildung Bd. 215, S. 482 Textabbildung Bd. 215, S. 483 Das Einströmrohr hatte 45 Millim. lichten Durchmesser und bot damit eine Fläche von 1/25 des Cylinders, was nach der Formel f/f = Cv die Konstante C = 1/34 gibt und noch ausreichend sein dürfte. Das Ausströmrohr besaß bei 63 Millim. Durchmesser den doppelten Querschnitt der Einströmung. Die Dampfwege am Cylinder und die Durchlaßspalten des Vertheilschiebers (24 Mm. breit und 150 Mm. lang) hielten reichlich den Querschnitt des Ausströmrohres oder 1/12 der Cylinderfläche, wodurch gute Dampferöffnungen auftreten, aber große Schieber entstehen. Textabbildung Bd. 215, S. 483 Das Grundbett war mit vier Fundamentschrauben jederseits, also acht Schrauben im Ganzen auf breiter Basis niedergehalten. Die angegossenen Führungen waren flach und nahmen den centrisch belasteten, oben und unten nachstellbaren Corlißkreuzkopf zwischen sich. Der Zapfen saß ziemlich schmal in den dünnen Wänden des Kreuzkopfes eingeschliffen, und sein freies Mittelstück war mit dem Kurbelzapfen gleich groß. Für die Schubstange war innen ein geschlossener, außen beim Kurbelzapfen ein offener Marine-Schubstangenkopf verwendet. Letzterer zeigte nur zu plötzlich ausspringende Flanschen-Ausschmiedungen für die Aufnahme der Schrauben, um tadellos zu sein. Eine wenig balancirte Kurbelscheibe mit nach Außen vorspringender Nabe nahm den Treibzapfen von 67,5 Mm. Durchmesser und 105 Mm. Länge auf. Das aus Bett gegossene Kurbellager war einfach schief geschnitten und hielt ziemlich lang vorspringende Lagerschalen, deren Stärke die Schmalheit des Lagerblockes ausgleichen konnten. Hinter dem Lager schlossen sich die zwei Excenter für die Steuerung direct an. Zwischen ihnen saß die Riemenscheibe für den Regulator und hinter ihnen folgte ein 660 Kilogr. schweres gedrehtes Schwungrad von 1,5 Meter Durchmesser und 180 Mm. Breite, welches gleich für die Aufnahme des Transmissionsriemens diente. Die Welle war durchwegs cylindrisch, maß 100 Mm. Durchmesser und lag nahe hinter dem Schwungrad noch in einem zweiten Stehlager, welches schwerer als das Kurbellager zu sein schien. Besonderer Beachtung werth sind die Steuerung und der Regulator dieser Maschine. Die Dampfvertheilung geschah mit einer Meyer-Steuerung. Die Schieberstange lag näher der Cylinderachse als das Excenter, indem sie vor der Stopfbüchse in einem Auge geführt war, hinter welchem die Excenterstange außen angriff. Die Expansions-Excenterstange ging aber centrisch durch eine Stellvorrichtung zu ihren Platten. Das Vertheilexcenter stand unter 15° und das Expansionsexcenter unter 55° Voreilung, und ersteres hatte 30 und letzteres 42 Millim. Excentricität. Die Canalbreite im Schiebergesichte maß 24 Mm., und da der Schieber 6 Mm. äußere Deckung besaß, so öffnete er eben vollständig die Canäle. Nun waren aber diese, wie schon oben erwähnt ist, für die Einströmung unnöthig breit, daher die Wirkung der Einströmkanten einem langen Offenlassen des verlangten Querschnittes gleichkam. Die innere Deckung war Null, daher keine merkbare Compression angewendet erschien, aber die Ausströmung gleichfalls gut vor sich gehen mußte. Die Deckplatten des Expansionsschiebers hingen verstellbar, wie es das System verlangt, an ihrer Stange. Diese war jedoch im Dampfraum nur mit einem einzigen durchlaufenden flachen Schraubengewinde versehen, welches die bronzenen Einlagmuttern beider Platten anfaßte. Die Mutter der einen (der äußeren) Platte war dabei drehbar eingelegt und mit einem Durchsteckstift fest mit der Stange verbunden. Die andere (vordere) Mutter war aber nicht drehbar, dafür wurde sie von den Gewinden weitergeschoben und ihre Platte der anderen näher gerückt oder entfernter gestellt, wenn man die Stange außen umdrehte. Um aber die symmetrische Lage der beiden Platten gegen das Schiebermittel zu wahren, war die Stange außerhalb der Stopfbüchse unterbrochen und mit einem übergeschraubten langen Schraubenrohr wieder verbunden. Hinten, den Schiebern zugekehrt, saß die Stange mit Gegenmutter fest im Rohr, welches also gleichsam mit ihr ein einziges Stück bildete. Die vordere Hälfte der Stange griff aber lebendig in die Gewinde und zog das Rohr sammt Plattenstange und Platten gegen auswärts oder schob es weiter in den Schieberkasten hinein, je nachdem die Drehung erfolgte. Die Gewinde des Rohres waren nun verkehrt gegen jene der Platteneinlagen geschnitten, und da ihre Ganghöhe nur halb so groß als die der letzteren war, so wurde das Deckplattensystem, welches ohne dieses Außenrohr unsymmetrisch gestellt worden wäre, doch symmetrisch erhalten. Textabbildung Bd. 215, S. 484 Wirkung der Innenschraube; Wirkung der Außenschraube. Textabbildung Bd. 215, S. 485 Durch diesen Vorgang, welcher an und für sich keine weitere Complication birgt, wird aber die Construction der Einlagmuttern und die Montirung wesentlich gegen die gebräuchliche Art mit linkem und rechtem Gewinde im Schieberkasten vereinfacht, und darum schien sie der längeren Erörterung werth. Tangye's Modelle sind so eingerichtet, daß sie mit oder ohne diese Expansionssteuerung ausgeführt werden können, oder daß letztere nachträglich hinzukommen kann. Der normale Schieberkasten endet nämlich im ersteren Falle über dem Vertheilschieber mit dem Deckel, statt welchem für den zweiten Fall ein Gehäuse aufgeschraubt wird, welches vorn mit einer Stopfbüchse versehen, die Expansionsplatten umschließt. Dies kann einen kleineren Deckel oder auch den früheren wieder erhalten, falls die Expansionszugabe erst später erfolgt. Daß dann ein anderer Schieber, der Durchlaßspalten wegen, das zweite Excenter und die vordere Stellvorrichtung mit Index hinzukommen, ist selbstverständlich. Der Regulator dieser Maschine ist auf das Anlaßventil-Gehäuse gesetzt und hebt oder senkt ein gefenstertes Rohr, durch welches (und die Hohlwand des Ventilgehäuses) die Einströmung stattfindet. Von Außen zeichnet er sich durch seine kleinen Dimensionen aus, welche durch die fast völlige Entlastung des allseitig gleichmäßig von Dampf umgebenen Rohres und durch die directe Anordnung zulässig sind, wobei der Regulator nur die Stopfbüchsenreibung einer ganz dünnen Stange zu überwinden hat. Es ist ein einfacher offener Pendelregulator; die Kugeln bilden mit ihren Stangen und je einem Druckdaumen im Innern des Ständers ein einziges Schmiedestück. Diese Daumen suchen die Centralstange niederzudrücken und dadurch die Einströmung zu verengen, wobei sich aber die Spannung einer gewundenen Stahldrahtfeder entgegenstemmt, welche im ausgebohrten Ständer untergebracht und durch eine an dessen Kopf angebrachte Schraube gestellt ist. Durch verschiedene Spannung der Feder kann der Regulator für verschiedene Geschwindigkeiten justirt werden, indem höhere Belastung der Kugeln dessen schnelleren Gang bedingt. Die in das Gehäuse tretende Stange für das regulirende Rohr besitzt einen Querschnitt, der eben zur Balancirung der Gewichte durch den normalen Dampfdruck hinreicht. (Vergl. 1870 196 108.) Diese Regulatoren sollen so energisch die Geschwindigkeit der Maschine gleichmäßig erhalten, daß selbst das Abwerfen des Hauptriemens keine für das Auge merkbare Beschleunigung verursachen kann, wie den Verf. der Besitzer eines solchen Regulators selbst versicherte. Sie werden fabriksmäßig angefertigt und kosten einzeln zwischen 5 und 13 Pf. Sterl., wenn die Dampfrohr-Durchmesser zwischen 20 und 65 Millim. messen. Tangye's Maschinen sind schön in ihrer Form und vollendet in ihrer Art. Die wenigen, streng die Construction kennzeichnenden Linien, welche relativ große Flächen begrenzen, gaben der Ausstellungsmaschine eine Ruhe, die man sonst an den übrigen Dampfmaschinen oftmals vermißte. Das Geschlossene und doch überall reichlich Bemessene verbürgen aber ein gutes Arbeiten selbst bei forcirtem Betriebe. Die Ausstellungsmaschine, deren Dimensionen oben angegeben sind, wurde als nominell 8pferdig bezeichnet; bei 3 1/2 Atmosphären Ueberdruck im Kessel und der normalen Geschwindigkeit soll sie aber 19,4 indicirte Pferdekräfte liefern. Der Kohlenverbrauch soll bei 3 Atmosphären 21,6 Kilogr. per Stunde betragen und dabei 182 Liter Wasser benöthigt werden. Sie kostet loco Birmingham 90 Pfd. Sterl. sammt Speisepumpe, welche am Vertheilexcenter unterhalb der Schieberstange hängt und an die Hinterwand des Bettes geschraubt ist. Für die veränderliche Expansionszugabe erhöht sich der Preis um weitere 12 Pf. Sterling.