Titel: Kritik über R. H. Thurston's Untersuchungen über Festigkeit und Elasticität der Constructions-Materialien von Friedrich Kick.
Autor: Friedrich Kick [GND]
Fundstelle: Band 218, Jahrgang 1875, S. 185
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Kritik über R. H. Thurston's Untersuchungen über Festigkeit und Elasticität der Constructions-Materialien von Friedrich Kick. Mit Abbildungen. Kick, Thurston's Untersuchungen über Festigkeit und Elasticität der Constructions-Materialien. Die Resultate von Thurston's Untersuchungen über Festigkeit und Elasticität der Materialen, wie nicht minder die an dieselben geknüpften geistreichen Folgerungen, forderten um so mehr zu einem genauen Studium heraus, als sich wesentliche Widersprüche zwischen Thurston's Resultaten (216 1,97 und 465. 217 161 und 345) mit jenen von mir über die Beziehungen von Druck und Stoß bei Formänderungen angestellten comparativen Versuchen (216 377) ergaben. Das Studium der Thurston'schen Abhandlung zeigte, daß den Resultaten desselben ein veränderlicher, oft verschwindender, oft namhafter Fehler anhaftet, welcher seine Quelle in der Thurston'schen Festigkeitsmaschine findet. Diese Maschine, dynamisch wirkend, registrirt ihre Resultate als statische selbstthätig, und zwar um so fehlerhafter, je größer die benützten Geschwindigkeiten sind. Es wird diese Behauptung im Nachstehenden erwiesen werden. Es sei ein Gewicht, an einer Schnur aufgehängt, so ist für den Gleichgewichtszustand (sei dieser nun Ruhe oder Bewegung) die Spannung der Schnur gleich dem Gewichte. So wie aber eine Beschleunigung eintritt, also sowohl beim Uebergang aus der Ruhe in Bewegung, als bei Veränderung der Geschwindigkeit während der Bewegung, muß sich die Spannung der Schnur ändern, und zwar wird sich dieselbe für gleichförmig beschleunigte Bewegung nach aufwärts ausdrücken lassen durch: S = G + vG/gt, wobei S die Schnurspannung, v die Geschwindigkeit am Ende der Zeit t und g die Acceleration gleich 9m,808 bedeutet. Sei t = 1 Secunde und habe v der Reihe nach nachstehende Werthe, so sind die zugehörigen Werthe des Weges s und der Spannung folgende. Für v gleich: ist der Weg s: die Spannung S annähernd: m m G 0,1   0,05   1,01 0,2 0,1   1,02 0,3   0,15   1,03 0,4 0,2   1,04 0,5   0,25   1,05 1    0,5 1,1 2    1,0 1,2 3    1,5 1,3 4    2    1,4 Also schon dann, wenn die mit gleichförmiger Beschleunigung erfolgte Erhebung nur 1m pro Secunde beträgt, ist die Spannung um 20 Proc. größer als im Gleichgewichtszustande. Uebertragen wir nun diese Betrachtung auf die Thurston'sche Maschine (wie sie Bd. 216 S. 2 abgebildet ist), welche die Probestäbchen auf Torsion in Anspruch nimmt. Beim Niederdrücken des Hebels C steigt B in die Höhe, indem die Achsen beider Hebel – von welchen Fig. 2 (auf S. 2 a. a. O.) ein Bild liefert – durch das in ihre Nuthen eingelegte Probestäbchen verbunden sind. Wir können diesen Apparat mit einer Zeigerwaage vergleichen, die noch überdies mit einem selbstthätigen Schreibapparat versehen ist, welcher die auf den Druckhebel C ausgeübten, allmälig wachsenden Drücke, die durch Vermittelung des auf Torsion beanspruchten Probestäbchens auf den Gewichtshebel BD übertragen werden, registrirt. Dieser Registrirung können aber nur die statischen Gesetze zu Grunde liegen, weil Thurston den beweglich mit dem Gewichtshebel BD verbundenen schreibenden Stift durch eine feste unveränderliche Leitcurve F bethätigt, welche eben nur entsprechend den statischen Drehungsmomenten des Gewichtes D construirt sein kann. Ganz abgesehen von den unvermeidlichen Fehlerquellen, welche in allen selbstthätigen graphischen Apparaten ruhen, leidet der vorliegende daher an einem principiellen Fehler. Er ist construirt mit Zugrundelegung der statischen Verhältnisse; bei Benützung der Maschine aber herrscht nicht Gleichgewicht, sondern Bewegung. Die Diagramme müssen daher um so mehr von der Wahrheit abweichen, je ungleichförmiger und rascher der Druckhebel C in Bewegung gebracht und erhalten wird. Wird daher nicht mit der äußersten Vorsicht, mit ruhiger Hand und sehr geringen Geschwindigkeiten experimentirt, so sind die Diagramme ungenau, zu strengen wissenschaftlichen Untersuchungen aber überhaupt nicht verläßlich. Es bedarf keines Beweises, daß für eine bestimmte Beschleunigung des Gewichtshebels stets die gleiche Kraft erforderlich ist, in welcher Stellung sich der Gewichtshebel beim Beginne der Beschleunigung auch befindet. Das Moment der zur Beschleunigung der Masse erforderlichen Kraft addirt oder subtrahirt sich aber – je nach der Bewegungsrichtung – zu dem statischen Drehungsmomente des Gewichtes D. Nur letzteres wird graphisch registrirt, ersteres aber nicht. Der hierdurch für eine bestimmte Beschleunigung entstehende Fehler wäre nun zwar ein constanter und ließe sich durch eine zur gezeichneten Curve äquidistante Linie berichtigen, wenn es möglich wäre, den Hebel C mit gleichförmiger Beschleunigung zu bewegen. Da dies aber von Hand aus nicht möglich ist, so kann eine solche Berichtigung der graphischen Angabe des Thurston'schen Apparates auch nicht vorgenommen werden. Hierzu kommt aber, daß die obenbezeichnete zu addirende oder zu subtrahirende Größe relativ um so mehr von Einfluß ist, je kleiner das Drehungsmoment des Gewichtes D ist, oder, mit anderen Worten, die durch die Bewegung bedingten Fehler des Diagrammes sind gerade in den anfänglichen Diagrammpartien bis zur Elasticitätsgrenze von besonders störendem Einflusse. Es ist möglich, daß die eigenthümliche, zur Abscissenachse convexe Form der Diagramme 6, 100 und 85 Taf. B (Bd. 216) in der schnelleren Bewegung des Druckhebels bei diesen Experimenten liegt, sowie die Unregelmäßigkeiten der Diagrammlinien zum Theile gewiß ihre Erklärung in der dynamischen Benützung der Maschine finden. Wenn Thurston daher S. 465 (Bd. 216) sagt: „Zur Bestimmung der Homogenität des Materiales in Bezug auf innere Spannungen dient die Beobachtung des vom Nullpunkte aufsteigenden Theiles der Diagrammlinie bis zur Erreichung der Elasticitätsgrenze; ist dieselbe vollkommen oder nahezu gerade bis zu dem die Elasticitätsgrenze bezeichnenden Bogen, so ist dies ein deutlicher Beweis, daß das Material frei von inneren Spannungen ist... Jede Abweichung von der Geraden zeigt die Anwesenheit solcher Spannungen und mißt durch ihre Größe den Betrag derselben.“ so ist namentlich der Schlußsatz mit Bezug auf den gerügten principiellen Fehler des Apparates in seiner Allgemeinheit unrichtig. Einen unumstößlichen und durchschlagenden Beweis, daß sich Thurston's Maschine für wissenschaftliche Untersuchungen nicht eignet, weil ihr der gerügte principielle Fehler anhaftet, liefern die Diagramme 101 und besonders 118 auf Tafel C, welche ihre Besprechung auf S. 165 und 166 (Bd. 217) finden. Das Diagramm zeigt bei b, c und b', c' etc., daß eine rasche Vermehrung der Geschwindigkeit auch ein rasches Sinken der Diagrammlinie zur Folge hat. Es muß dies sein, weil der schreibende Stift vermöge der Construction des graphischen Apparates jenes Moment nicht angibt, welches zur Beschleunigung des Gewichtes D (überhaupt der vom Probestäbchen aus bewegten Massen) verwendet wird. Thurston aber folgert aus diesen Diagrammen, daß sie die erste directe Entscheidung der Frage liefern, wie sich der Widerstand der Materialien gegen rasche oder langsame Inanspruchnahme verhalte; er folgert aus den mit der Geschwindigkeit der Bewegung fallenden Diagrammlinien, daß der Widerstand der Materialien abnehme, wenn die Geschwindigkeit der Beanspruchung zunimmt. Wir haben gesehen, daß diese Behauptung aus jenen Diagrammen ihre Begründung nicht empfängt. Daß Kirkaldy zu derselben Behauptung gelangte, dürfte seinen Grund in einer ähnlichen Mißdeutung der Versuchsergebnisse finden (vergl. 216 389). Wenn die Thurston'schen Diagramme in dieser Frage eine bestimmte Antwort ertheilen könnten, so wäre aus denselben eher zu lesen, daß der Widerstand von der Geschwindigkeit der Inanspruchnahme unabhängig ist. Mit Bezug auf die von Thurston irriger Weise gezogene Folgerung ist es überraschend, wenn auf S. 466 (Bd. 216) gesagt wird: „Die Größe der Stoßarbeit, welche eine bestimmte Setzung des Materiales hervorbringen soll, wird ebenso durch die Fläche gemessen, welche der betreffenden Abscisse entspricht, sowie die totale Widerstandsarbeit des Materiales oder die Größe des Schlages, welcher den sofortigen Bruch herbeiführt, durch die Gesammtfläche des Diagrammes bis zur Bruchgrenze bestimmt ist.“ während andererseits (Bd. 217 S. 166) geschlossen wird, daß „die Schnelligkeit der Beanspruchung, wo Stöße in Betracht kommen und bewegte Lasten auszuhalten sind, ein sehr wichtiges Element in der Bestimmung der Widerstandskraft ist, nicht allein wegen der unvollkommenen Vertheilung der lebendigen Kraft, sondern auch weil, je rascher das Material gebrochen wird, desto geringer der Bruchwiderstand ist.“ Da der letzte Satz, welcher dem ersten widerspricht, unrichtig ist, kann der erstere richtig sein, aber bewiesen ist er nicht. Ebenso unmotivirt ist die Behauptung: „Der Effect von wiederholtem Biegen oder anderer Art der Beanspruchung kann auf diese Weise (durch ein Diagramm) ohne weitere Versuche aus dem Spannungsdiagramm des Materiales entnommen werden, so daß man von einem einzigen Experiment eine Bestimmung erhält, welche bis jetzt nur durch einen mühsamen Proceß oft wiederholter Inanspruchnahmen erlangt werden konnte.“ (Bd. 216 S. 468.) Es wird hier stillschweigend vorausgesetzt, daß das Arbeitsdiagramm des auf Torsion beanspruchten Probestäbchens bis zur Bruchgrenze, auch für alle anderen Arten der Beanspruchung die Größe der Arbeit für den Bruch angibt. Der Beweis hierfür fehlt. Er wird sich auch schwerlich erbringen lassen. Auf S. 161 bis 163 Bd. 217 bespricht Thurston die Thatsache, daß die Widerstandskraft durch andauernde Spannung wächst und sagt: „das hier entdeckte Phänomen ist eine Erhöhung der Elasticitätsgrenze durch andauernde Spannung.“ Diese „Entdeckung“ wurde auch 1873 durch General Uchatius Die Stahlbronze. Vortrag, gehalten am 10. April 1874. Wien, Selbstverlag. (Vergl. auch 217 122 ff.) gemacht und publicirte sie dieser mit den Worten: „Bei allen Metallen, welche einen größeren Grad von Zähigkeit besitzen, ist es interessant, die Untersuchung auch über die Elasticitätsgrenze hinaus fortzusetzen. Man lernt hieraus, daß diese Metalle ihre höchste Leistungsfähigkeit erst erhalten, wenn sie über die Elasticität hinaus bis zu einem gewissen Punkte angestrengt und folglich bleibend verlängert worden sind.“... „Dieser Vortheil wird aber bisher gar nicht ausgebeutet.“ Thurston's Festigkeitsmaschine prüft die Stäbchen auf Torsion, und können die aus dem Verdrehungswinkel berechneten Dehnungen der äußeren Fasern aus zweierlei Gründen nicht als gleichbedeutend mit den Dehnungen der Fasern bei Prüfung auf absolute Festigkeit angesehen werden. Erstens darum nicht, weil eine Verkürzung des verdrehten Probestückes eintreten muß, welche durch den von der Maschine graphisch bestimmten Torsionswinkel nicht gemessen wird; und zweitens auch aus dem Grunde nicht, weil die äußeren Schichten von den inneren, weniger in Anspruch genommenen Schichten durch die seitliche Cohäsion gehalten und gekräftigt werden. Nur so ist es erklärlich, daß S. 100 (Bd. 216) von 69 Proc. Dehnung und S. 101 (Bd. 216) sogar von 120 Proc. Dehnung eines Schmiedeisen die Rede sein konnte, – eine Dehnung, welche bekanntlich kein Schmiedeisen gestattet. Wenn Thurston hieran nichts Außergewöhnliches findet, sondern bemerkt, daß diese Faserverlängerung „proportional der bei gewöhnlichen Festigkeitsmaschinen beobachteten Querschnittsverminderung an der Bruchstelle ist“, so muß dem entgegen bemerkt werden, daß es ganz unzulässig ist, die procentische Dehnung mit dieser Querschnittsverminderung in Relation zu bringen. Textabbildung Bd. 218, S. 190 Robert Lane Haswell hat dies schon vor einiger Zeit dargethan. Zerreißt man ein Probestäbchen, wie dies durch beistehenden Holzschnitt dargestellt sein mag, so findet die Querschnittsverminderung zumeist an der Bruchstelle bei c statt und in der Nähe derselben auch die meiste Dehnung. Wird nun die Verlängerung oder die procentische Dehnung dadurch bestimmt, daß man die größte Länge a ' b' unmittelbar vor dem Reißen ermittelt und den Quotienten (a'b'ab)/ab als procentische Dehnung bezeichnet, so bekommt man für dasselbe Materiale, je nach der absoluten Größe der gewählen Länge ab, sehr abweichende Werthe, weil die Größe der Dehnung an der Rißstelle, welche für lange wie kurze Stäbchen ziemlich genau gleich ist, sich auf ungleiche Längen als verschiedener Procentsatz der Dehnung umrechnet. Es ist leicht einzusehen, daß bei sehr kurzen Probestückchen eine höhere procentische Dehnung als bei langen Stäbchen desselben Materiales erhalten werden muß. Die Querschnittsverminderung gibt daher wohl ein Maß für die Zähigkeit des Materiales ab, gestattet aber keinen bestimmten Schluß auf die procentische Dehnung, welche einen bestimmten Werth eigentlich nur dann liefern würde, wenn sie innerhalb der Elasticitätsgrenze aufgesucht würde. Es ist die Theorie der Festigkeit ein Gebiet der Mechanik, in welchem ganz besonders die äußerste Vorsicht in den Schlußfolgerungen geboten ist; auch will es uns scheinen, daß es besser ist, dort, wo genügende Resultate mangeln, dies offen zu gestehen, als mit vagen Sätzen im Reiche der Vermuthungen sich zu bewegen. In dem Abschnitte, wo Thurston von dem Einflusse der Wärme auf die Festigkeit spricht (Bd. 217 S. 348 ff.) sind die Folgesätze 1 bis 9 für die Technik nichtssagend und lassen fast alle den Refrain zu: „Nichts Gewisses weiß man nicht.“ Nicht viel Besseres bieten die weiteren Sätze. So sagt 10) „Im Allgemeinen hat die Erhöhung oder Verminderung der Temperatur den Effect, die Widerstandsfähigkeit der Materie gegen Bruch und Formänderung unter ruhender Belastung zu verringern oder zu vermehren.“ 11) „Gleichzeitig damit wird aber die Dehnbarkeit gewöhnlich im umgekehrten Verhältnisse und zwar im höheren Grade verändert, so daß die Widerstandsarbeit und Fähigkeit, Stöße und bewegte Lasten auszuhalten, im Allgemeinen mit der Temperatur im gleichen Verhältnisse zu- und abnimmt.“ Hingegen 19) „Bei einem wohlverarbeiteten Metalle ist mit der Abnahme der Temperatur sowohl eine Erhöhung der Festigkeit als Zunahme der Dehnbarkeit und Widerstandsarbeit verbunden.“ Dieser letzte Folgesatz steht doch gewiß mit dem Folgesatz 11 in Widerspruch. Was ist nun wahr? – Bei der uns bekannten Sorgfalt, welche auf die Uebertragung verwendet wurde, müssen sich diese Widersprüche wohl auch im Originale finden, welches uns nicht zur Hand ist. Wir sind dessen um so mehr überzeugt, als wir noch manche Mängel aufgefunden haben, die ihrer Natur nach nur aus dem Originale überkommen sein können, wenn sie auch von geringerer Bedeutung sind. Mit diesen Gegenbemerkungen wird der Werth der Thurston'schen Maschine für die Versuche der Praxis nicht bekämpft. Für viele Fälle werden die Diagrammangaben, wie sie dieser unstreitig einfache Apparat liefert, genügen und unbestritten sei auch das Verdienst Thurston's, beigetragen zu haben, Festigkeitsproben in die Praxis einzubürgern.