Titel: Ueber die Verwendbarkeit des Broms in der Hydrometallurgie, der Probirkunst und der chemischen Technologie; von Rudolf Wagner.
Fundstelle: Band 218, Jahrgang 1875, S. 251
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Ueber die Verwendbarkeit des Broms in der Hydrometallurgie, der Probirkunst und der chemischen Technologie; von Rudolf Wagner. Wagner, über die Verwendbarkeit des Broms in der chemischen Technologie. Nachdem Berthier, Nicklès, P. Waage, E. Reichardt und H. Kämmerer die Anwendbarkeit des Broms in der chemischen Analyse dargethan, war es an der Zeit, das Brom in die Hydrometallurgie und die Fabrikation gewisser Producte der chemischen Großindustrie einzuführen. Es unterliegt wohl kaum einem Zweifel, daß nach Realisirung einiger der im Nachstehenden zu besprechenden Vorschläge der Bromverwendung eine erhebliche Preisreduction des Broms, das in jedem beliebigen, von der Industrie geforderten Quantum beschafft werden kann, eintreten wird. I. Hydrometallurgie des Quecksilbers. Kein zweites Metall wird mit so enormen Verlusten verhüttet wie das Quecksilber. Nach amtlichen Veröffentlichungen betrug in Idria der Quecksilberverlust bei Anwendung: von Flammöfen von Schachtöfen 1870    46,7 Proc.     59,0 Proc. 1871 37,1    „ 75,0    „ 1872 48,2    „ 72,0    „ und selbst bei den Muffelöfen der besten Construction macht der Verlust an Quecksilber immer noch gegen 10 Proc. aus. Es lag daher nahe, den bei Gold, Silber und Kupfer mit großem Erfolg betretenen hydrometallurgischen Weg auch bei dem Ausbringen des Quecksilbers einzuschlagen. Man versuchte Kupferchlorid, man schlug ferner NatriumsulfhydratVergl. R. Wagner's Methode in Wagner's Jahresbericht, 1865 S. 216. 1872 S. 214. als Lösungsmittel des Quecksilbersulfurets vor, ohne jedoch daraus ein den praktischen Bedürfnissen genügendes Resultat zu erzielen. Bei der großen Leichtigkeit, mit welcher Zinnober von wässeriger Bromlösung zu Quecksilberbromid, Bromwasserstoffsäure und Schwefelsäure gelöst wird, wurde ich veranlaßt, Idrianer und Pfälzer Quecksilbererze im gepulverten Zustande mit gesättigtem Bromwasser (ca. 3 Proc. Brom enthaltend) oder mit einer Lösung von Brom in concentrirter Salzsäure (die nach P. Waage Zeitschrift für analytische Chemie, 1871 S. 207. etwa 13 Proc. Brom enthält) zu digeriren. Nach mehrtägiger Digestion in verschlossenen Glasgefäßen war dem Erz das Sulfuret so gut wie vollständig entzogen, wenn das Brom im Ueberschusse angewendet worden war, somit die über dem erschöpften Erze stehende Flüssigkeit noch eine gelbliche Farbe besaß. Metallisches Quecksilber wird durch eine salzsaure Lösung von Brom gleichfalls in Quecksilberbromid übergeführt. HgS + 4 Br₂ + 4 H₂O = HgBr₂+ H₂SO₄ + 6 BrH. Die Einwirkung des Broms erstreckt sich zunächst auf das Quecksilber und erst später geht die Oxydation des durch Zinnoberpartikelchen stets noch roth gefärbten Schwefels vor sich. Es wäre daher, will man eine gewisse Menge Quecksilber preisgeben, denkbar, daß die Zinnoberzersetzung auch mit weniger Brom ungefähr nach folgendem Schema ausgeführt werden könnte: HgS + Br₂ = HgBr₂ + S. Das den Zinnober begleitende Gestein (Quarz, Kalkspath, Spatheisenstein) ist selbstverständlich auf die Zusammensetzung der Quecksilberlösung von EinflußBei der Analyse und Prüfung des käuflichen Zinnobers führt die Anwendung von Bromwasser minder beschwerlich zum Ziele als das jüngst von Gramp (Journal für praktische Chemie, 1875 Bd. 11 S. 77) befolgte und empfohlene Verfahren.. Das Quecksilber wird aus der Flüssigkeit als schwarzes Sulfid durch einen Strom Schwefelwasserstoffgas (nach dem bekannten Sinding'schen Verfahren dargestellt) gefällt und das Schwefelquecksilber nach dem Trocknen durch Zuschläge zersetzt. Die vom Quecksilber befreite Flüssigkeit, neben Schwefelsäure nur Bromwasserstoffsäure enthaltend, wird auf Bromcalcium, Brombarium und ähnliche Präparate verarbeitet, wenn nicht in der Praxis Mittel und Wege gefunden werden, sie von Neuem zur Zinnoberlösung zu verwenden. Der Brombedarf hierbei ist ein sehr bedeutender. Für je 1 Ctr. gewonnenen Quecksilbers finden sich 3 1/5 Ctr. Brom als Bromwasserstoff in der Lösung. Die von mir in Vorschlag gebrachte Gewinnung des Quecksilbers auf nassem Wege ist daher nur dann realisirbar, wenn mit der Darstellung des Quecksilbers die der Brompräparate parallel geht. Es bedarf kaum des Hinweises, daß es gegebenen Falles rationeller sein wird, die Quecksilberlösung nicht auf Metall, sondern direct auf Quecksilberpräparate zu verarbeiten. Es könnte möglicher Weise das Quecksilberbromid zum Kyanisiren der Bahnschwellen sofort als Lösung in den Imprägniranstalten Verwendung finden. II. Feinen des Goldes. Eine Lösung von Brom in Wasser oder besser in Salzsäure, ebenso auch ein Gemisch von Bromwasserstoffsäure und Salpetersäure (Bromkönigswasser) lösen metallisches Gold (Feingold) überaus leicht zu Goldbromid auf. Letztere Verbindung gibt beim Erhitzen alles Brom ab und hinterläßt das Gold in metallischer Form. Das Brom verhält sich daher in dieser Hinsicht dem Chlor durchaus analog. Es würde das Brom somit ein vortreffliches Mittel darbieten, alle die Dehnbarkeit des Goldes schädigenden Metalle (Blei, Wismuth, Antimon, Tellur) aus dem Gold zu entfernen, wenn man zu diesem Metall im geschmolzenen Zustande eine gewisse Menge Goldbromid setzte. Daß in dem sinnreichen und bewährten Affinationsverfahren von T. B. Miller in SydneyVergl. Wagner's Jahresbericht, 1869 S. 123. 1870 S. 101. 1872 S. 148. die Trennung des Silbers vom Golde unter Umständen besser durch eingeleitete Bromdämpfe als durch Chlorgas bewirkt werden könnte, ist sehr wahrscheinlich. III. Goldextraction mittels Brom. Der von C. F. Plattner C. F. Plattner: Vorlesungen über allgemeine Hüttenkunde; herausgegeben von Th. Richter. Freiburg 1863. Bd. 2 S. 286. im J. 1848 in die Hydrometallurgie eingeführte Goldextractionsproceß mittels Chlor, welcher sich ganz besonders zur Entgoldung goldhaltiger Arsenabbrände, Pyritabbrände und goldhaltigen Sandes eignet und noch vortheilhaft angewendet werden kann, wenn andere Processe, wie Amalgamation und Verbleiung, nicht mehr zulässig sind, ist in vielen Fällen einfacher und bequemer ausführbar, wenn man dem Chlor Brom substituirt. Die Bromirung wird sich als praktisch erweisen bei der Behandlung der Rückstände (Abbrände) von der Gewinnung der Arsenikalien aus Arseneisen, wie sie zu Reichenstein in Schlesien ausgeführt wird. Diese Rückstände bestehen namentlich aus Eisenoxyd, einigen Procenten Arseneisen und 0,0022 bis 0,0024 Proc. Gold. Die Röstrückstände vieler Pyrite enthalten außer Zink, Kupfer und Silber auch geringe Mengen von Gold. Nachdem aus den Abbränden in bekannter Weise durch Wasserlaugerei Zink, Kupfer und Silber in Lösung gebracht wurden, wird das Silber entweder nach Claudet durch Jodcalcium oder Silberjodid oder nach Gibb's Methode mittels Schwefelwasserstoff nebst einem geringen Antheil des Kupfers als Silbersulfuret gefällt. Das Gold bleibt hierbei in regulinischer Gestalt in den wesentlich aus Eisenoxyd bestehenden Abbränden und kann daraus durch Anrühren derselben mit Bromlösung und Absaugen der eisenhaltigen Goldbromidlösung extrahirt werden. Durch Einleiten von schwefeliger Säure, wodurch das überschüssige Brom beseitigt und das vorhandene Eisenbromid zu Bromür reducirt wird, geht die Ausfällung des Goldes vor sich, nachdem vorher der Ueberschuß an schwefeliger Säure durch Erhitzen der Lauge entfernt wurde. Daß für die Goldextraction aus goldarmem Sand und goldhaltigem Quarz das Brom alle Beachtung verdient, bedarf keiner weiteren Ausführung. IV. Platingewinnung auf nassem Wege. Das von Deville und Debray vor etwa 15 Jahren in Vorschlag gebrachte Verfahren der Platingewinnung aus rohem Platin mittels Bleiglanz u.s.w. hat in der Platinindustrie nicht viel Anklang gefunden und noch immer findet das seiner Zeit von Wollaston empfohlene Verfahren auf nassem Wege in den großen Pariser Platinfabriken Anwendung. Das Behandeln des Rohplatins mit Königswasser ist eine langwierige Arbeit, die bedeutend abgekürzt wird, wenn man anstatt des Königswassers ein Gemisch von Brom oder Bromwasserstoffsäure mit Salpetersäure verwendet. Seltsamer Weise ist wässerige und salzsaure Bromlösung ohne alle Einwirkung auf Platin, wie bereits P. Waage im J. 1871 beobachtet hat. Der Indifferentismus des Platins gegen Brom dürfte ein Fingerzeig sein, das Feinen des Platins mittels Brom zu versuchen. V. Zur Darstellung einer ziemlichen Anzahl chemischer Präparate erscheint das Brom besonders geeignet. Beispielsweise seien folgende angeführt. 1. Wie E. Reichardt Vergl. Wagner's Jahresbericht, 1869 S. 270. im J. 1869 schon gezeigt, geht die Umwandlung des Ferrocyankaliums in Ferridcyankalium durch Brom sofort, vollständig und ohne die Bildung der bei der Anwendung von Chlor auftretenden lästigen Nebenproducte vor sich. In der über dem Ferridcyankalium stehenden Mutterlauge ist unreines Bromkalium enthalten, das irgend eine Verwendung als verkäufliches Product finden muß. 2 K₄FeCy₆ + Br₂ = K₆Fe₂Cy₁₂ + 2 KBr. 2. Kaliumpermanganat läßt sich aus dem Manganat (nach Staedeler) durch Einleitung von Chlorgas in die Lösung des letzteren darstellen. Weit einfacher erfolgt die Permanganatbildung durch Zusatz der erforderlichen Menge von Brom. 2 K₂MnO₄ + Br₂ = 2 KMnO₄ + 2 KBr. 3. Die Arsensäure, welche bis auf die jüngste Zeit herab in der Fuchsinfabrikation eine große Rolle spielte, wird bekanntlich im Großen aus der arsenigen Säure dargestellt entweder durch Oxydation derselben mittels Salpetersäure oder durch Einleiten von Chlor in eine Suspension von fein gemahlenem weißen Arsenik in Wasser. Wendet man anstatt des Chlores Brom an, so nimmt man an der entstehenden und nicht mehr verschwindenden gelblichen Färbung der Flüssigkeit sofort das Ende wahr. As₂O₃ + 5 H₂O + 2 Br₂ = 2 H₃AsO₄ + 4 BrH. Wie Versuche im Kleinen gezeigt haben, kann die neben der Arsensäure entstandene wässerige Bromwasserstoffsäure ohne Zersetzung von der Arsensäure abdestillirt werden. 4. Die Phosphorsäure läßt sich in ähnlicher Weise wie die Arsensäure aus einer Lösung von Brom in Phosphorbromür (Br₂ + PBr₃) darstellen. Die Bromwasserstoffsäure läßt sich von der Phosphorsäure ziemlich vollständig durch Destillation trennen, wenn man nicht vorzieht, nach Analogie der von Liebig Wagner's Jahresbericht, 1862 S. 257. im J. 1862 gegebenen Vorschrift die beiden Säuren (Phosphorsäure und Bromwasserstoff) in Bariumverbindungen überzuführen und das unlösliche Variumphosphat durch Schwefelsäure in Phosphorsäure und Blanc fixe (Baritweiß) umzuwandeln. Der Entdecker des Broms, Balard, hat schon auf die Zersetzung des Phosphorbromids durch Wasser in Phosphorsäure und Bromwasserstoff hingewiesenUeber Darstellung von Bromwasserstoff mittels Phosphorbromür vergl. Aug. Kekulé (1864), Annalen der Chemie und Pharmacie, Bd. 130 S. 16 und W. Knop, Pharmaceutisches Centralblatt, 1854 S. 436.. Die Entscheidung der Frage, ob die Darstellung der Phosphorsäure mittels Brom der üblichen mit Hilfe von Salpetersäure vorzuziehen ist, sei den pharmaceutischen Kreisen überlassen. Eine 1863 von F. Klein F. Klein (1863), Annalen der Chemie und Pharmacie, Bd. 127 S. 237. veröffentlichte Arbeit über die Darstellung mehrerer Brommetalle, in welcher der Verfasser seltsamer Weise die als Nebenproduct fallende Phosphorsäure glänzlich außer Acht läßt, ist in der vorliegenden Frage beachtenswerth. VI. Die Fabrikation der künstlichen Farbstoffe hat mit mehr oder weniger Erfolg von dem Brom Gebrauch gemacht. Die Erwartung, die Bromverbindungen der Alkoholradicale an Stelle der entsprechenden Jodide in der Anilinfarbenindustrie zu ausgedehnter Verwendung gelangen zu sehen, hat sich nicht realisirt. Eben so wenig hat die Fabrikation des Alizarins aus dem Anthracen, welche in ihren ersten Anfängen sich des Broms zum Bromiren des Anthrachinons bediente, als ein bromconsumirender Gewerbzweig sich erwiesen. In der Darstellung des Cyanins (Chinolinblau) läßt sich das Jod nicht durch Brom ersetzen; dagegen ist die jüngste der Theerfarben, das Morgenroth oder Eosin (vergl. 1875 215 449. 217 506) ein bromhaltiges Resorcinderivat, nämlich Tetrabromfluoresceïn von der Formel C₂₀ H₈ Br₄ O₅. Das Chiningrün (Thalleiochin) läßt sich mit Bromlösung aus Chinin mit großer Schönheit darstellen. (Aus der deutschen Industriezeitung. 1875 S. 402.)