Titel: Ueber neue Dampfmaschinen-Steuerungen; von Ingenieur Müller-Melchiors.
Fundstelle: Band 222, Jahrgang 1876, S. 205
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Ueber neue Dampfmaschinen-Steuerungen; von Ingenieur Müller-Melchiors. Mit Abbildungen auf Taf. VI [a.b/1]. (Nachtrag zu S. 499 des vorhergehenden Bandes.) Müller-Melchiors, über neue Dampfmaschinen-Steuerungen. Unter den Ventilsteuerungen, welche in unserm letzten Berichte nur mit einem einzigen Exemplare, der Dampfmaschine von Ch. Nolet, Maschinenfabrikant in Gent, vertreten waren, wäre noch ein zweiter Mechanismus von weit größerer Vollkommenheit anzuführen gewesen. Es ist dies die Ventilsteuerung mit variabler Expansion, Patent Hartung, ausgeführt von der Harzer Actiengesellschaft, vormals Thelen und Weydemeyer in Nordhausen am Harz, welche nun schon über ein Jahr an der Betriebsmaschine des genannten Werkes in Thätigkeit ist, und neuerdings an einer Spinnereimaschine von 550mm Cylinderdurchmesser, 1000mm Hub, 45 Touren pro Minute angebracht wurde. Dieselbe ist in Figur 1 in der allgemeinen Disposition des Dampfcylinders, in Figur 2 in vergrößerter Darstellung der Eintrittsteuerung, in Figur 3 endlich im Detail der Bewegungstheile skizzirt. Die Anordnung oben liegender Eintrittventile, unten liegender Austrittventile, welche statt in einem eigenen Ventilkasten direct an dem Cylinder ansitzen, ist der bekannten Sulzer'schen Ventilsteuerung entlehnt; während aber bei letzterer der Antrieb mittels einer längs des Cylinders laufenden Steuerwelle stattfindet, auf welcher für die Eintrittventile zwei Excenter, für die Austrittventile zwei Herzscheiben aufgekeilt sind, erfolgt hier die Bewegung der Ein- und Austrittventile durch je ein Excenter direct von der Schwungradwelle aus, wodurch der ganze Mechanismus sowohl einfacher, als auch billiger werden dürfte wie bei der Sulzersteuerung. Von diesen Excentern ist das für den Austritt bestimmte mit dem gewöhnlichen Voreilen auf der Schwungradwelle aufgekeilt; das Excenter für den Eintritt dagegen darf, falls variable Füllungen bis 90 Proc. erzielt werden sollen, nur um einige Grade der Kurbel vorauseilen, so daß in Folge dessen beim Beginne des Hubes das Ventil nur langsam angehoben wird, ein Uebelstand, welcher bei Anwendung von Ventilen allerdings weniger ins Gewicht fällt als bei Schiebern, der jedoch bei der Sulzersteuerung nicht vorhanden ist. Der Auslösemechanismus selbst ist bei der Hartung'schen Steuerung äußerst sinnreich und compendiös construirt. Die in Figur 1 mit E x bezeichnete Excenterstange setzt mittels des Hebels H die kurze Antriebswelle o des vordern Eintrittventiles in oscillirende Bewegung; von dieser aus wird in der aus Figur 1 ersichtlichen Weise die Welle o des hintern Ventiles angetrieben. Die Bewegungstheile der letztern sind in Figur 2 im Schnitt dargestellt, in Figur 3 einzeln herausgezeichnet und bestehen aus einem im Mittel der Welle frei beweglich aufsitzenden Daumen a, den Bewegungshebeln b, welche mit o fest verbunden sind, und dem Mitnehmerbügel c, der über den Daumen a gebogen ist, durch einen Schlitz demselben sowie der Ventilspindel Spielraum läßt und außerhalb der Ventilspindel durch einen Bolzen mit den Bewegungshebeln b verbunden ist. Nach rückwärts ist der Bügel c verlängert und ragt in die Schleife s hinein, welche bei wachsender Geschwindigkeit' vom Regulator nach aufwärts, bei abnehmender Tourenzahl nach abwärts verschoben wird. Der Daumen a ist mit einer Stahlbüchse gefüttert und mit einer stählernen Anschlagplatte armirt; in diese greift bei der Stellung der Figur 2 der Zahn des Mitnehmerbügels c, so daß dann der Daumen a mittels des Bügels c mit den Hebeln b und der Welle o gekuppelt ist und beim Rechtsgange der Excenterstange E x (Fig. 1) das hintere Eintrittventil anhebt. Dabei sinkt das rückwärtige Ende des Mitnehmerbügels c in der Schleife s nach abwärts, bis es endlich an die untere Kante derselben anstößt und dadurch an weiterm Niedergange verhindert wird. Dann aber wird der Mitnehmerbügel, dessen vorderes Ende, mit den Hebeln b verbunden, weiter aufwärts steigen muß, in seinem mittlern Theile von der Nabe des Daumens abgehoben, der Eingriff wird ausgelöst, und der Daumen a schnellt unter dem Einflusse der die Ventilspindel belastenden Feder in seine Anfangsstellung zurück. Die Welle o mit den Hebeln b wird weiter nach rechts verdreht, das vordere Ende des Bügels steigt noch höher, bis endlich die in Figur 4 gezeichnete Stellung der einzelnen Theile eintritt, bei welchen der Bügel c gänzlich abgehoben, der Daumen a dagegen in der Ruhestellung bei geschlossenem Ventile angelangt ist. Bei dem nun folgenden Rückgange des Excenters gehen die Hebel b wieder nach abwärts, bis die Endstellung erreicht ist, wo der Bügel c wieder auf der Nabe des Daumens a einklinkt und ein neuer Anhub beginnen kann.

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