Titel: Ueber Deacon's Chlorbereitung; von Robert Hasenclever.
Autor: Robert Hasenclever
Fundstelle: Band 222, Jahrgang 1876, S. 253
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Ueber Deacon's Chlorbereitung; von Robert Hasenclever. Hasenclever, über Deacon's Chlorbereitung. Die Mittheilungen über Deacon's Verfahren zur Darstellung von Chlorkalk, welche Lunge (1875 215 141) publicirte, stimmen mit Privatnachrichten über denselben Gegenstand vollständig überein. Das Weldon'sche Verfahren wird sowohl in England als auf dem Continent immer mehr eingeführt, während meines Wissens mit dem Deacon'schen Apparate dauernd zufriedenstellende Resultate bisher nirgendwo zu erzielen waren. Während man in der Regel den Grund für den Mißerfolg einer neuen Fabrikation genau angeben kann, ist dies bei dem Deacon'schen Verfahren für die Chlorkalkfabrikation nicht der Fall. Die verschiedenen Betriebsresultate stimmen darin überein, daß anfangs in dem Zersetzungsapparate aus Chlorwasserstoff reichlich Chlor entsteht, daß aber diese Zersetzung nach einiger Zeit aufhört, auch ohne daß ein erheblicher Kupferverlust in den Thonkugeln nachzuweisen ist. In der chemischen Fabrik Rhenania hatten wir wochenlang eine Zersetzung von 60 Proc. des in den Gasen enthaltenen Chlorwasserstoffes, bis dieselbe im Zeitraum von drei Tagen von 60 auf 50, 25, 14, 7, 3 und 2 Proc. herabsank. Der Chlorgehalt betrug dem entsprechend zuerst etwa 10 und dann 2 Vol. Proc. Es fehlte uns anfangs jede Erklärung für diese eigenthümliche Erscheinung, als im November 1874 auf der Rhenania schwefelsäurefreie Salzsäure verlangt wurde und Hr. Sartori, damals Chemiker auf der Rhenania und mit der Leitung des neuen Chlorkalkverfahrens betraut, die beim Deacon'schen Processe sich bildende Salzsäure zum Versenden an eine Zuckerfabrik empfahl. Er hatte dieselbe früher schwefelsäurefrei gefunden, als die Chlorentwicklung eine lebhafte gewesen. Mittlerweile hatte die Zersetzung des Chlorwasserstoffes aber abgenommen, und zeigte sich die Salzsäure, abweichend von frühern Untersuchungen, schwefelsäurehaltig. Sartori untersuchte eine Salzsäure aus England, fand diese frei von Schwefelsäure und theilte mir das Resultat dieser Untersuchungen mit. Ich hielt diese Thatsachen nicht für zufällige Erscheinungen und ließ die unwirksamen Thonkugeln untersuchen. Es ergab die Analyse einen Gehalt von 1,2 Proc. Kupfer und 8,0 Proc. Schwefelsäure (SO₃), während dieselben frisch getränkt nur 1,2 Proc. Kupfer mit einem dem Vitriol entsprechenden Gehalte von 1,5 Proc. Schwefelsäure enthalten hatten. In Folge dessen nahm ich an, daß die Beimengung von Schwefelsäure im Chlorwasserstoffe der Chlorentwicklung in den Deacon'schen Apparaten schädlich sei. Es steht fest, daß die Thonkugeln aus den Gasen Schwefelsäure absorbiren, da dieselben nach dem Durchleiten 8,0 Proc. Schwefelsäure und vorher nur 1,5 Proc. enthielten, und nehme ich an, daß diese Absorption nach der Richtung, in welcher die Gase durch den Apparat passiren, allmälig fortschreitet. So lange die ersten Schichten Thonkugeln noch Schwefelsäure zurückhalten, geht in dem übrigen Theile des Apparates die Zersetzung des reinen Chlorwasserstoffes in Chlor und Wasser ungestört vor sich. Ist jedoch mit dem Gang der Gase eine Sättigung der gesammten Thonkugeln mit Schwefelsäure eingetreten, so bleibt mit dem Chlorwasserstoff Schwefelsäure gemengt und die Chlorentwicklung hört nahezu auf. Die Unwirksamkeit der Kugeln kann ihren Grund darin haben, daß auf der Oberfläche derselben durch die Bildung von schwefelsauren Salzen die Kupfervitriolschicht mechanisch überlagert ist, oder darin, daß die Schwefelsäure chemische Reactionen hervorruft, welche die Chlorentwicklung hindert. Als eine solche für die Chlorentwicklung hinderliche Reaction ist die Zersetzung der Schwefelsäure in Sauerstoff und schweflige Säure anzusehen, durch deren Auftreten aus Chlor und Wasserdampf wieder Salzsäure entstehen würde. In den Deacon'schen Apparaten findet sich Gelegenheit für diese Reactionen. In den Erhitzungsröhren entsteht durch Einwirkung der Schwefelsäure auf metallisches Eisen schwefelsaures Eisenoxyd und schweflige Säure. Diese Reaction könnte jedoch nur eine bestimmte Menge Chlor in Chlorwasserstoff verwandeln. Nachtheiliger ist die Zersetzung der Schwefelsäure bei Berührung mit schwefelsauren Salzen in schweflige Säure (vgl. Wagner's Jahresbericht, 1867 S. 214). Mit Schwefelsäure getränkte Thonkugeln zeigen schon bei 450° die Fähigkeit, Schwefelsäure in schweflige Säure überzuführen, wie Laboratoriumsversuche beweisen. Tritt diese Reaction im Zersetzungsapparate auf, so können folgende Reactionen vor sich gehen: H₂SO₄ = SO₂ + O + H₂O 2 HCl + O = 2 Cl + H₂O 2 Cl + SO₂ + 2 H₂O = 2 HCl + H₂SO₄ H₂SO₄ = SO₂ + O + H₂O u.s.w. Die Dauer der Wirksamkeit des Materials im Zersetzungsapparate variirte in verschiedenen Fabriken von 1 1/2 bis zu 10 Monaten und scheint mir von dem Gehalte der salzsauren Gase an Schwefelsäure abzuhängen. Es ist zu bemerken, daß der zur Darstellung von Natriumsulfat dienende Ofen stets zwei Abtheilungen hat, die Pfanne, in welcher das Chlornatrium mit Schwefelsäure zuerst gemengt und etwa 2/3 zersetzt wird, und der Calcinirofen, in welchem das breiartige Gemenge übergefüllt und die Umwandlung in Sulfat vollendet wird. Die Gase aus der Pfanne enthalten etwa 1,5 Schwefelsäure auf 100 Gew. Th. Chlorwasserstoff, während die Ofengase etwa 7,5 SO₃ enthalten. Die Erfahrung in der Praxis lehrt, daß diejenigen Fabrikanten am längsten ohne Unterbrechung mit wirksamem Zersetzungsmaterial arbeiteten, welche nur die Pfannengase aus dem Sulfatofen benützten, daß dagegen die Chlorentwicklung in denjenigen Fabriken rasch aufhörte, welche gleichzeitig die Pfannen- und Herdgase in die Deacon'schen Apparate leiteten. So konnte eine Fabrik in England mit denselben Thonkugeln 10 Monate lang arbeiten, welche nur die Pfannengase verwendete und dieselben vor ihrem Eintritt in die Apparate noch einen Steintrog passiren ließ, wo ein geringer Theil der Salzsäure sich mit viel Schwefelsäure condensirte. Andere arbeiteten 5 bis 6 Monate ohne Unterbrechung; sie benützten ebenfalls nur die Pfannengase, führten dieselben aber direct in die Apparate. Auf der Rhenania hatten wir nur während 1 1/2 Monate Zersetzung: die Gase waren sehr reich an Schwefelsäure, denn sie wurden mit Deacon's Einverständniß sowohl von der Pfanne als vom Calcinirofen direct in die Apparate geführt. Die erwähnten Thatsachen scheinen daher zu dem Schlusse zu berechtigen, daß die mit Kupfersulfat getränkten Thonkugeln für die Zersetzung des Chlorwasserstoffes um so länger fähig bleiben, je weniger Schwefelsäure den salzsauren Gasen beigemengt ist. Es ist unsere Absicht, auf der Rhenania die Schwefelsäure vor dem Eintritt in den Zersetzungsapparat zu absorbiren und gereinigten Chlorwasserstoff zur Chlorbereitung zu verwenden. Nachschrift. Zu der ausführlichen Arbeit des Hrn. Dr. Jurisch (* 1876 221 356. 488), welche ich mit vielem Interesse gelesen, habe ich zu bemerken, daß ich die schädliche Einwirkung der Schwefelsäure beim Deacon'schen Chlorprocesse nicht gleichzeitig, sondern früher als Jurisch erkannt habe und schon im December 1874 in England ein Patent auf die Reinigung des Chlorwasserstoffes nahm. Meiner Erklärung für die Wirkung der Schwefelsäure trat Sartori nicht bei, so daß die darauf bezügliche Mittheilung Jurisch's auf einem Irrthum beruht. Mir scheinen die Versuche von Jurisch zu bestätigen, daß der Schwefelsäure eine chemische Wirkung beizumessen sei. Wenn nur durch mechanische Umhüllung die Thonkugeln unwirksam geworden wären, so müßte die Chlorentwicklung nicht allein bei Gegenwart von Schwefelsäure, sondern überhaupt aufhören; während nach seinen Versuchen dieselben Thonkugeln wieder reinen Chlorwasserstoff zersetzten, welche vorher beim Durchleiten eines Gemenges von Schwefelsäure und Chlorwasserstoff fast unwirksam gewesen waren. Ich habe im Mai d. J. in vier englischen Fabriken den Deacon'schen Chlorproceß in gutem Betriebe gesehen und überall wie bei uns constatiren können, daß die Salzsäure, welche unzersetzt entweicht, frei von Schwefelsäure war. Ich verstehe daher nicht, wie Hr. Dr. Jurisch (S. 366) schreiben kann: „Uebrigens zeigt die Salzsäure, welche sich in den ersten Kühlgefäßen aus dem Gasgemenge condensirt, nachdem dasselbe den Zersetzungsapparat verlassen hat, in ihrem großen Gehalt an freier Schwefelsäure, daß nur ein sehr kleiner Bruchtheil der Schwefelsäure, welche in Dampfform in den Proceß gelangt, von den Thonkugeln zurückgehalten wird, während der überwiegend größere Theil den Versetzungsapparat in Dampf form passirt und erst nachher in den Kühlgefäßen condensirt wird.“ Nach meinen Erfahrungen hört die Zersetzung des Chlorwasserstoffes nahezu auf, wenn die Thonkugeln mit Schwefelsäure gesättigt sind und neben Salzsäure noch Schwefelsäure in den Zersetzungsapparat gelangt. Jurisch sagt ferner (S. 367): „In England hat man es vorgezogen, die Schwefelsäuredämpfe auf nassem Wege, durch partielle Condensation der Dämpfe, ehe sie in den Erhitzungsapparat eintreten, aus dem Gasgemenge zu entfernen.“... Ich habe hierauf zu bemerken, daß kein Fabrikant bisher die Absicht hatte, die Schwefelsäure als schädlich zu entfernen. Einer wollte den Wasserdampf nicht in die Apparate leiten, bei Andern ließ es der Platz nicht zu, den Erhitzer und Zersetzer, wie Deacon es vorschrieb, in der Nähe des Sulfatofens aufzustellen. So kam es, daß bei vier Fabrikanten eine partielle Condensation der Salzsäure stattfand, ehe dieselbe in den Chlorentwicklungsapparat gelangte, und zwar eine Condensation von schwefelsäurehaltiger Salzsäure. Gerade diese Fabrikanten haben am längsten mit derselben Füllung von Thonkugeln gearbeitet und das Deacon'sche Verfahren beibehalten, viele Andere haben es aufgegeben. Weshalb der Eine bessere Resultate als der Andere erzielte, wußte man nicht. Ich habe nicht bestätigt gefunden – was Dr. Jurisch (S. 356) sagt –, daß große Veränderungen in der Construction der Apparate stattgefunden haben; gerade die besten Resultate wurden mit der ursprünglichen, von Deacon angegebenen Anlage erzielt. Daß gewisse Theile der Apparate wesentlicher Verbesserungen fähig sind, wird allenthalben zugegeben; aber diese Aenderungen sind zu regelmäßigem Betriebe nicht unerläßlich. Der größte Nachtheil war, daß man über den chemischen Vorgang beim Deacon'schen Processe im Dunkeln blieb und sich die Unwirksamkeit der Thonkugeln nicht erklären konnte. Es wäre von großem Vortheile für die Praxis, wenn unsere Ansicht über die Wirkung der Schwefelsäure im Deacon'schen Chlorprocesse bestätigt oder widerlegt und mehr Klarheit in den chemischen Vorgang der Chlorentwicklung aus Salzsäure bei Gegenwart von Kupfervitriol gebracht würde. Gerade der Deacon'sche Proceß zeigt von Neuem, wie ungemein wichtig es ist, wenn bei der praktischen Ausführung vollständige Klarheit über die Theorie herrscht, und wie sehr J. v. Liebig Recht hatte, wenn er die Aufgabe empfahl: rerum cognoscere causas.