Titel: Ueber die Erhöhung der Elasticitätsgrenze der Metalle durch dauernde Spannung; von Generalmajor Uchatius.
Autor: Franz Ritter Uchatius [GND]
Fundstelle: Band 223, Jahrgang 1877, S. 242
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Ueber die Erhöhung der Elasticitätsgrenze der Metalle durch dauernde Spannung; von Generalmajor Uchatius. Uchatius, über die Erhöhung der Elasticitätsgrenze der Metalle. Veranlaßt durch die von Professor Thurston (1877 223 17) ausgesprochene Bemerkung, daß ich eine Erhöhung der Elasticitätsgrenze durch Spannung allein nicht bewiesen habe, und daß das Kanonenmetall diese Eigenschaft gar nicht besitze, habe ich Nachfolgendes anzuführen. Seit 1842 mit dem Gusse von Kanonen beschäftigt, hatte ich sehr viel Gelegenheit, das Verhalten der Metalle bei den Festigkeitsproben zu beobachten, und war es mir, so wie gewiß auch vielen Andern, schon seit lange aufgefallen, daß die zähen Metalle bereits bei verhältnißmäßig geringer Belastung die erste bleibende Verlängerung erfahren, während sie später, wo schon eine bedeutende Streckung und Verminderung des Querschnittes eingetreten ist, oft das 3- bis 4fache dieser Belastung tragen, ohne eine weitere Streckung hierdurch zu erfahren. Es mußte demnach im Allgemeinen die Widerstandsfähigkeit solcher oft weit über die Elasticitätsgrenze gestreckten Metalle gewachsen sein. Die Elasticität der Metalle konnte ich erst bestimmen, nachdem ich mir im Frühjahre 1872 einen eigenen Apparat dazu construirte, der in meinem am 10. April 1874 gehaltenen Vortrage über Stahlbronze gezeichnet und beschrieben ist. Dieser Apparat gibt die Verlängerung der 75mm langen Probestäbchen mit einer Genauigkeit bis auf 0,00001 der Länge – oder 0,00075mm – während der Belastung an und erlaubt deshalb die Elasticitätsgrenze so genau zu bestimmen, wie dies zur Erzeugung bereifter Kanonen nöthig ist. Mit diesem Instrumente ausgerüstet, ging ich die Reihe derjenigen Metalle, welche zur Geschützerzeugung Verwendung finden, prüfend durch und fand, daß alle Metalle in ihrer Elasticität gesteigert werden, wenn sie eine andauernde Belastung über ihre erste Elasticitätsgrenze erfahren haben, wie dies aus der meinem Vortrage beigegebenen Tabelle ersichtlich und auch im Texte ausgesprochen ist. (Vgl. 1875 217 122.) Die Resultate vielfältiger Versuche, welche zu dem Zwecke im J. 1873 angestellt waren, um zu lernen, wie hoch diese Steigerung getrieben werden kann, sind hier protokollarisch verzeichnet. Daß ich diese Resultate einer großen Anzahl von Fachkundigen, die mich in dem Jahre der Wiener Weltausstellung besuchten, mittheilte, worunter auch Professor Kick und die von ihm genannten Personen sich befanden, ist vollkommen richtig. Meine Methode der Geschützerzeugung gründet sich auf die Steigerung der Elasticität des Kanonenmetalles – im Innern der Rohre durch einen Walzproceß, der aber nicht lief eingreift, im übrigen weit größern Theile durch blose Streckung. Daß die Ansicht Thurston's: die Bronze könne durch blose Spannung nicht in ihrer Elasticität gesteigert werden – sondern nur durch Verdichtung – nicht richtig ist, zeigt nachfolgender Versuch. Von 4 Stäbchen (75mm lang, 0qc,5 Querschnitt) aus ein und demselben homogenen Bronzegußstück wurde Nr. 1 aus einem Prisma im natürlichen Zustande gearbeitet und unverändert belassen; Nr. 2 ebenfalls aus einem Prisma im natürlichen Zustande gearbeitet und dann andauernd mit 2500k belastet, wobei es sich um 16,7 Proc. bleibend verlängerte; Nr. 3 aus einem Prisma gearbeitet, welches vorher durch 10 Minuten einem Drucke von 2500k pro 1qc ausgesetzt war; Nr. 4 aus einem Prisma, welches vorher bis zu einer Längenstreckung von 20 Proc. ausgewalzt war. Die Resultate der Festigkeitsproben waren folgende: Nr. Absolute Festigkeit. Elasticitätsgrenze. Streckung in Proc. Dichte. k pro 1qc beim Reißen(Zähigkeit). Elastische 1 3050   400 50 0,040 8,863 2 3330 2480    37,3 0,478 8,856 3 3900   500    29,5 0,058 8,957 4 5066 1700      2,1 0,170 8,975 Hieraus ist zu ersehen, daß grade die homogene Bronze einer außerordentlichen Steigerung ihrer Elasticität durch bloses Strecken ohne Verdichtung fähig ist. Nur 17,6 Proc. der vorhandenen 50 Proc. Zähigkeit gingen verloren und wurden in eine Steigerung der Elasticität auf das 6fache umgewandelt. Eine Bronze, welche 2480k Elasticitätsgrenze und zugleich 37,3 Proc. Zähigkeit besitzt, war bisher noch nicht bekannt, und kann auch nur auf diesem Wege hergestellt werden. Weiters geht aus diesem Versuche unzweifelhaft hervor, daß nur die Streckung der Metalle über die Elasticitätsgrenze, wobei die Molecüle in Fluß gerathend auf einander verrutschen und eine ganz neue, dem Widerstande günstigere Lagerung annehmen, die Steigerung der Elasticität bedingt, und daß, wie Nr. 3 zeigt, eine blose Verdichtung nur eine Vergrößerung der absoluten Festigkeit und Verminderung der Zähigkeit, aber keine wesentliche Vermehrung der Elasticität hervorruft. Beim Walzprocesse tritt Verdichtung und Streckung gleichzeitig ein, aber die Steigerung der absoluten Festigkeit und Elasticität hat einen großen Verlust an Zähigkeit zur Folge, wie das Probestäbchen Nr. 4 zeigt. Neuerer Zeit prüfte ich auch das Kupfer auf seine Fähigkeit, größere Elasticität anzunehmen. Sein Verhalten ist aus nachfolgender Tabelle zu entnehmen: FeinKupfer. Streckungin Proc. durchandauerndeBelastung. Elasticitätsgrenze. AbsoluteFestigkeit. Streckung in Proc. k pro 1qc Elastische beim Reißen(Zähigkeit.) Homogener Guß. 00,07410,000   190  470  750 220024002400 0,0280,0340,082 606050 Gewalzt. 0 1100 3600 0,108    18,6 Die geringe, bleibende Verlängerung von 0,074 Proc. der Länge des Stäbchens, d. i. 0mm,055, hatte schon eine Steigerung der Elasticität auf mehr als das Doppelte zur Folge. Bei Schmiedeisen und den weichen Stahlsorten ist ebenfalls eine ganz geringe Streckung schon von großem Werthe, und es scheint mir unzweifelhaft, daß Eisen- und Stahlstangen, deren Tragkraft bei Dachstuhl- oder Brüöenconstructionen der Länge nach in Anspruch genommen wird, bedeutend schwächer construirt werden könnten, wenn dieselben vor ihrer Anwendung derart belastet würden, daß eine bleibende Verlängerung von 1 bis 2 Proc. eintritt, und unter dieser Spannung so lange verblieben, bis keine weitere Streckung stattfindet. Die letzte Ausarbeitung, bei welcher die Länge des Gegenstandes fixirt wird, müßte erst nachträglich erfolgen. Man wendete mir dagegen ein, daß, wenn man am Gewichte sparen wolle, man nur eine härtere, mehr elastische Stahlsorte wählen, oder die weichen Sorten durch Härten in Oel mehr elastisch zu machen brauche. Diese beiden Mittel sind aber nicht so vortheilhaft wie die Streckung, was nachstehend verzeichneter Versuch lehrt: Gattung des Materials. AbsoluteFestigkeit. Elasticitätsgrenze. Streckungbeim Reißen(Zähigkeit). k pro 1qc Proc. Weicher Stahl 3840   600    25,3     Derselbe Stahl durch 24 Stundenbelastet, bis eine bleibende Verlängerungvon 0,033 der ursprünglichen Längeeintritt 3840 2800    21,5 Derselbe Stahl in Oel gehärtet 7580 2800    10,6 Mittelharter Stahl 5000 1400 20 Da der technische Werth eines Materials viel weniger von der absoluten Festigkeit, welche ja niemals zur vollen Geltung kommt, als von der Elasticität und der zugleich vorhandenen Zähigkeit abhängt, so muß man von obigen 4 Sorten unstreitig dem weichen gestreckten Stahle den Vorzug einräumen, weil er neben der größten Elasticität die größte Zähigkeit besitzt. Stahl, welcher 2800k pro 1qc als Elasticitätsgrenze und zugleich 21,5 Proc. Zähigkeit besitzt, kann weder durch irgend einen Erzeugungsproceß, noch durch irgend ein Härteverfahren, sondern nur durch Strecken über die Elasticitätsgrenze hergestellt werden. Ich besitze 2 Stäbe, welche parallel aus einem größern Stahlbarren herausgeschnitten sind. Beide Stäbe haben quadratischen Querschnitt und sind an beiden Enden mit Köpfen zum Einspannen in die Zerreißmaschine versehen. Die Länge des prismatischen Theiles beider Stäbe beträgt 350mm. Der Querschnitt des einen Stabes 0qc,5, der des andern 2qc. Beide Stäbe erreichen bei der Last von 3600k ihre Elasticitätsgrenze, obgleich sie von ein und derselben Stahlsorte erzeugt sind und der eine den 4fachen Querschnitt des andern besitzt. Dieses Resultat wurde dadurch erzielt, daß ich den dünneren Stab, welcher ursprünglich seine Elasticitätsgrenze bei 900k besaß, so lange mit 3600k belastete, bis er keine weitere Veränderung mehr zeigte, und wobei sich derselbe um 2,085 Proc. streckte. Für Diejenigen, welche sich mit ähnlichen Versuchen befassen wollen, dürften noch folgende Daten Interesse haben: 1) Mit Ausnahme von Blei und Zinn läßt sich bei allen Metallen die Elasticität durch dauernde Belastung steigern. Zink hat in gegossenem Zustande nur sehr geringe Elasticität und Tragfähigkeit, im gewalzten Zustande folgt es aber den Gesetzen der andern Metalle; nur braucht es sehr lange, bis es unter einer aufgelegten Last zur Ruhe kommt. 2) Die Elasticitätsgrenze läßt sich bis nahe zur Reißfestigkeit steigern, so daß sie in manchen Fällen das 6- bis 7 fache der ursprünglichen beträgt. Die härteren Metalle, z.B. fast alle Stahlsorten, bleiben bei einer Steigerung bis zu 0,7 der Reißfestigkeit im Aussehen an der Oberfläche, selbst für das bewaffnete Auge, unverändert; die weicheren Metalle nehmen, besonders wenn sie vorher nicht geschmiedet sind, eine mit der Größe ihrer Krystalle im Einklange stehende wellige Oberfläche an. Will man dies vermeiden, so darf man mit der Belastung nicht so weit gehen. 3) Das blose Strecken durch kurze Zeit nutzt nur wenig. Es muß die Spannung längere Zeit wirken; auch ist es gut, die Last langsam ansteigend aufzulegenBei meiner Zerreißmaschine ist die Einrichtung getroffen, daß ein entsprechendes Gewicht längs eines Hebelarmes fortgeschoben wird, wodurch die Belastung successive bis zur gewünschten Größe steigt., so daß bis zur vollständigen Belastung etwa 5 Minuten vergehen, und diesen Vorgang nach 1 oder 2 Stunden so oft zu wiederholen, bis der Elasticitätsmesser nicht die mindeste Verlängerung mehr anzeigt. So z.B. zeigte ein Stäbchen aus Schmiedeisen ursprünglich 500k Elasticitätsgrenze. Nach 2stündiger Belastung mit 1200k erlangte es 11,737 Proc. bleibende Streckung und 900k Elasticitätsgrenze, und nach fernem 2 Stunden 11,938 Proc. Streckung und 1200k Elasticitätsgrenze. Nun konnte die Belastung beliebig oft wiederholt werden; es trat keine Veränderung mehr ein. Nicht so schnell erreicht man das Ziel mit andern Metallen. Bei Bronze und Stahl kann es vorkommen, daß dieser Vorgang 10 bis 12 Mal wiederholt werden muß; immer aber wird man finden, daß die letzten, oft sehr unbedeutenden Streckungen erst den größten Zuwachs an Elasticität liefern. Endlich ist noch die Erscheinung interessant, daß nach jedesmaligem Abheben einer größern Belastung der Zeiger des Elasticitätsmessers anfangs schnell um so viel zurückweicht, als die elastische Ausdehnung des Stäbchens beträgt. Wartet man nun einige Minuten ab, ohne etwas zu berühren, so sieht man den Zeiger langsam noch um 0,00008 bis 0,00010 zurückgehen. Wien, 6. Januar 1877.