Titel: Zur Darstellung der rauchenden Schwefelsäure; von Dr. Clemens Winkler, Professor an der k. s. Bergakademie zu Freiberg.
Autor: Clemens Winkler [GND]
Fundstelle: Band 223, Jahrgang 1877, S. 409
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Zur Darstellung der rauchenden Schwefelsäure; von Dr. Clemens Winkler, Professor an der k. s. Bergakademie zu Freiberg. Winkler, zur Darstellung der rauchenden Schwefelsäure. Gegen das von mir in diesem Journal (1876 218 128) mitgetheilte Verfahren der Darstellung von rauchender Schwefelsäure ist von Debray Les Mondes, 1876 2. série t. 41 Nr. 3. der Einwand erhoben worden, daß dasselbe für eine fabrikmäßige Erzeugung des Oleums ungeeignet sei. Derselbe sagt, daß ich mir keine Rechenschaft von den Schwierigkeiten gegeben habe, welche sich an die Herstellung von Sauerstoff durch Zerlegung der Schwefelsäure in hoher Temperatur knüpften, und deren erste in der geringen Haltbarkeit der Zersetzungsgefäße bestehe. Weder metallene noch irdene Gefäße vermöchten der Einwirkung der Schwefelsäuredämpfe zu widerstehen, und das haltbarste Material sei noch das Platin, welches indessen auch, abgesehen von seinem hohen Preise, mancherlei Mängel zeige. Denn einmal seien Platingefäße in der Hitze durchlässig für Ofengase, so daß man sich gezwungen sähe, dieselben durch eine muffelartige Umhüllung vor der directen Einwirkung der Flamme zu schützen, welche Erhitzungsweise einen beträchtlichen Wärmeverlust bedinge; anderseits habe die Beschaffenheit der zu zerlegenden Schwefelsäure selbst großen Einfluß, denn sobald letztere Bleisulfat und Arsen enthalte, würde das Platin rasch angegriffen, und die Gefäße bedürften oftmaliger und kostspieliger Reparaturen. Debray gedenkt hierbei der Versuche über die Zersetzung der Schwefelsäure, die im Laboratorium der École normale in größerm Maßstabe durchgeführt worden sind, und bei welchen ein Platinrohr von 120cm Länge und 25cm Durchmesser als Zerlegungsgefäß diente. Mit Hilfe dieses Rohres vermochte man nicht mehr als 3k Schwefelsäure in der Stunde zu zersetzen; „welche Dimensionen“, sagt Debray, „müßte man den Gefäßen geben, wenn man mit ihnen eine Großfabrikation des Schwefelsäureanhydrids einrichten wollte!“ Debray spricht sich endlich dahin aus, daß die Darstellung von Sauerstoffgas durch Zersetzung der Schwefelsäure in der Glühhitze ganz geeignet sei für den Laboratoriumsgebrauch, daß sie besonders anwendbar gewesen wäre in Paris, wo man die schweflige Säure zu sehr lohnenden Preisen hätte absetzen können und man den Sauerstoff genügend hoch bezahle; aber keinesfalls könne man daran denken, diese Methode in einer Fabrik anzuwenden, wo man auf eine billige Beschaffung von schwefliger Säure und Sauerstoff bedacht sein müsse, um ein Handelsproduct von möglichst niedrigem Preise liefern zu können. So gern ich mich im Uebrigen der Autorität Debray's unterordne, so kann ich doch, schon um der Sache selbst willen, die vorstehend mitgetheilten Einwände nicht unerwiedert lassen. Wie aus der am Eingange citirten Abhandlung ersichtlich ist, begann ich meine Versuche damit, daß ich die Einwirkung des platinirten Asbestes auf verschiedene Gemenge von schwefliger Säure und Sauerstoff oder Luft studirte. Dabei stellte sich heraus, daß eine besonders weit gehende Vereinigung zu Schwefelsäureanhydrid eintrat, sobald man mit reinem Sauerstoff arbeitete und diesen in richtigem stöchiometrischem Verhältniß mit der schwefligen Säure zusammen und dann beide gemeinsam über erhitzten platinirten Asbest hinweg führte. Der Weg zur bequemen Erlangung eines derartigen geeigneten Gasgemenges war bereits vorgezeichnet, denn die Eigenschaft der Schwefelsäure, in der Glühhitze in schweflige Säure, Sauerstoff und Wasser zu zerfallen, ist seit langem bekannt, und somit mußte sich aus der zweckmäßigen Combination dieses Zersetzungsprocesses mit dem ebenfalls bekannten Contact-Vereinigungsverfahren die von mir in Vorschlag gebrachte Methode der Anhydriddarstellung ganz von selbst ergeben. Der Erfolg, welcher bei der praktischen Prüfung dieser Methode im Laboratorium erzielt wurde, war gleich beim ersten Versuche ein so ausgezeichneter, daß ein Zweifel an der Durchführbarkeit im Großen ganz unmöglich erschien. Obwohl nur sehr einfache Hilfsmittel zu Gebote standen, obwohl als Zersetzungsgefäß nur ein Stück schmiedeisernes Gasleitungsrohr verwendet wurde und alle übrigen Theile des Apparates aus Glas bestanden, entwickelte sich doch sogleich eine Miniaturfabrikation, die viele Tage lang fortgesetzt wurde, ohne daß eine wesentliche Schädigung des Apparates, insbesondere des eisernen Zersetzungsrohres, wahrnehmbar geworden wäre. Dasselbe Rohr hat inzwischen oft für die gleiche Operation gedient und ist bis heute völlig brauchbar geblieben. Wenn man nun auch bei Uebertragung eines Processes in die Technik mit ganz andern Verhältnissen rechnen muß und das Gelingen eines Laboratoriumversuches durchaus noch keine volle Sicherheit für das gleiche Gelingen im Großen darbietet, wenn fernerhin nicht geleugnet werden kann, daß von allen Schwierigkeiten, welche es bei Einführung des neuen Verfahrens zu überwinden gilt, die Beschaffung dauerhafter, feuerbeständiger und dichter Zersetzungsgefäße für die Schwefelsäure vielleicht die größte sein wird, so hat die Technik doch noch ganz andere Hindernisse zu beseitigen gewußt, und grade hier sind selbst größere Vorversuche viel zu günstig ausgefallen, als daß man Veranlassung hätte, mit Debray den Stab über ein Verfahren zu brechen, welches, einmal zur Lebensfähigkeit entwickelt, von höchster industrieller Bedeutung sein würde. Im richtigen Erkennen dieser Bedeutung hat eine Anzahl deutscher und ausländischer Fabrikanten dem Processe der Anhydriddarstellung seine Aufmerksamkeit zugewendet und, obwohl von mehreren Seiten über geringe Haltbarkeit der Zersetzungsgefäße und etwas schwierige Condensation der wasserfreien Säure geklagt worden ist, so bleibt es doch zweifellos, daß man sich auf dem besten Wege befindet, ungeachtet dieser Hemmnisse zum Ziel zu gelangen. Dem Vernehmen nach fabricirt die Badische Anilin- und Sodafabrik in Ludwigshafen am Rhein bereits seit mehreren Monaten regelmäßig wasserfreie Schwefelsäure nach meinem Verfahren; Majert und Comp. in Schlebusch sollen im Besitze einer Anlage für den Großbetrieb sein, ausreichend um den Bedarf von Westdeutschland, Frankreich und England zu decken, auch W. Squire und R. Messel in London scheinen die ersten, nie ausbleibenden Fabrikationsschwierigkeiten überwunden zu haben.Vgl. Chemical News, 1876 v. 33 p. 177. Die Ausmittlung eines widerstandsfähigen Materials für die Herstellung der Zersetzungsgefäße dürfte somit bereits erfolgt sein, und zwar weiß ich von zweien der genannten Fabriken mit Bestimmtheit, daß sie sich nicht des kostspieligen Platins bedienen. Sobald man übrigens Bedacht darauf nimmt, die Schwefelsäure nicht ohne weiteres in die glühende Zersetzungsretorte einfließen zu lassen, wodurch deren Wandung ein zu plötzliches Abschrecken erfahren würde, sondern an der Einführungsstelle eine dicke poröse Unterlage, z.B. ein Bett von Thonerde oder Eisenoxyd, gibt, in welchem sich die Säure versickert, um gleich darauf zur Verdampfung zu gelangen, kann man selbst irdene Gefäße vor dem Springen bewahren, und man wird mit solchen weit mehr erreichen, als durch Anwendung theurer, durchlässiger und leicht zerstörbarer Platinrohre. Was die Leistungsfähigkeit der Zersetzungsgefäße anlangt, so gilt es, über diese noch Erfahrungen zu sammeln. Debray gibt das Schwefelsäurequantum, welches er in einem Platinrohre von 120cm Länge und 25cm Durchmesser zu zerlegen vermochte, auf 3k pro Stunde an, wobei nicht gesagt ist, ob das Rohr mit einer Füllung von Porzellan- oder Ziegelstücken versehen war, welche außerordentlich zersetzungsfördernd wirkt. In einem Zersetzungsgefäße von der Größe einer Retorte, wie die Leuchtgasfabriken sie verwenden, würde man mindestens das fünffache Säurequantum, also 15k in der Stunde, zu zersetzen im Stande sein, in einem Ofen mit 5 Retorten demnach stündlich 75k, oder täglich 1800k. Nimmt man nun das Ausbringen zu 75 Proc. vom Anhydridgehalte der Schwefelsäure an, so vermöchte ein solcher Ofen täglich etwa 1000k wasserfreie Schwefelsäure zu liefern, die beim Auflösen in 1500k 66 grädiger Schwefelsäure 2500k Oleum von 85 Proc. SO₃ geben; somit würden vier Oefen ausreichen, um die ganze derzeitige Production von 3000t Vitriolöl jährlich zu beschaffen. Aus dieser Schätzung, die absichtlich eher ungünstig als günstig gehalten ist, geht deutlich hervor, daß die von Debray selbst festgestellte Leistungsfähigkeit der Zersetzungsapparate eine befriedigende und ungleich größere ist als diejenige der jetzigen Oleumöfen, welche letztere außerdem keinen continuirlichen Betrieb zulassen, ein starkes, ganz besonders eingeübtes Arbeiterpersonal erfordern und jährlich gegen eine Million Kolben und Vorlagen verbrauchen, deren Beschaffung allein eine Verausgabung von über 30000 fl. ö. W. mit sich bringt.Auf den v. Starck'schen Werken in Böhmen befanden sich im J. 1873 8 Oleumhütten mit 120 Oefen im Gange. Die Zahl derselben dürfte sich, der gesteigerten Production entsprechend, inzwischen eher vermehrt als vermindert haben. Vgl. Wagner's Jahresbericht, 1873 S. 226. Diese Thatsachen sprechen zu deutlich, als daß ich noch weiter nöthig hätte, die Debray'schen Einwürfe zu widerlegen. Räthelhaft bleibt mir nur, wie grade Debray sich veranlaßt fühlen konnte, in so absprechender Weise zu urtheilen, da er selbst es ja gewesen ist, welcher dereinst die Zersetzungsfähigkeit der Schwefelsäure als Grundlage für ein Verfahren der Sauerstoffdarstellung im Großen benutzt und empfohlen hat. Als Deville und Debray in den J. 1857 bis 1859 ihre schönen Arbeiten über das Schmelzen des Platins durchführten, sahen sie sich vor Allem genöthigt, eine billige Sauerstoffquelle zu beschaffen. Sie schlugen zuerst die Zersetzbarkeit der Schwefelsäure, sowie diejenige gewisser Sulfate, insbesondere des Zinksulfats, in höherer Temperatur zur technischen Gewinnung des Sauerstoffes vor (vgl. 1861 159 50). Anfänglich verwendeten sie Retorten aus schwerschmelzbarem Glase, die mit Platinblech oder auch mit Ziegelstücken gefüllt und dann zum Rothglühen erhitzt wurden, während Schwefelsäure in dünnem Strahle einfloß. Die entweichenden Gase wurden durch Kühlvorrichtungen geführt, um die mitgerissene Schwefelsäure zu condensiren, und dann in Wasser geleitet, welches die schweflige Säure absorbiren sollte. So wurden aus 2k,436 Schwefelsäure von 1,827 spec. Gew. 240l Sauerstoff erhalten. Nach Moigno Les Mondes, 1867 p. 494; vgl. auch A. W. Hofmann, Bericht über die Entwicklung der chemischen Industrie, 1875 J. Hälfte S. 5. stellte die Firma José de Susini und Comp. im J. 1867 zu Paris auf gleiche Weise aus 60grädiger Schwefelsäure Sauerstoff dar, mit der Abänderung, daß sie die entstehende schweflige Säure unter einem Druck von 3at verflüssigte und sodann, neben gleichzeitiger Ausnutzung bei der Eisbereitung, in Schwefelsäure zurückverwandelte. Das erhaltene Sauerstoffgas wurde schließlich durch Waschen mit Kalkmilch vom letzten Rest anhaftender schwefliger Säure befreit. Auch durch Clomadene und Moret ist die fabrikmäßige Darstellung von Sauerstoffgas durch Zersetzung von Schwefelsäuredämpfen empfohlen worden.Annales du Génie civil, October 1868 S. 741; Wagner's Jahresbericht, 1868 S. 256. Durch Tessié du Mothey in MetzKunst- und Gewerbeblatt für das Königreich Bayern, 1867 S. 332; Wagner's Jahresbericht, 1867 S. 214. wurde das Deville-Debray'sche Verfahren der Sauerstoffdarstellung aus Schwefelsäure dahin abgeändert, daß man metallene Zersetzungsgefäße anwendete und die Schwefelsäure auf eine dicke Lage von schwefelsaurer Thonerde tropfen ließ, welche sich in Glut befand. Durch diese Einrichtung wurde eine Schonung der Metallgefäße erreicht. Das erhaltene Gemenge von schwefliger Säure und Sauerstoff leitete man über Magnesia oder Natron, wodurch die schweflige Säure zur Absorption gelangte und ein Sulfit erhalten wurde, welches bei der Schwefelsäurefabrikation an Stelle der Pyrite zur Erzeugung von schwefliger Säure benutzt werden sollte. (?) Nach der Behauptung von Tessié soll dieses Verfahren ebenso gute Resultate gegeben haben, wie das ebenfalls von ihm beschriebene Verfahren der Sauerstoffdarstellung aus atmosphärischer Luft unter Zuhilfenahme von mangansaurem Natrium, welches bekanntlich auch in Wien der Prüfung unterworfen wurde und zwar nach Kuppelwieser Berg- und hüttenmännische Zeitung, 1873 S. 354. mit vollkommenstem Erfolge. Zur Zeit der Pariser Ausstellung 1867 wurde die Methode der Darstellung von Sauerstoff durch Zerlegung der Schwefelsäure in hoher Temperatur als vollkommen ausgebildet und lebensfähig, ja als besonders rentabel bezeichnet und figuirte als besonderes Ausstellungsobject unter Nr. 105 der Klasse 51 der französischen Abtheilung. Den Mittheilungen R. v. Wagner's zufolge diente dieselbe zur Beschaffung des Sauerstoffgases, welches für die Speisung der Gebläse zur Erzeugung hoher Temperaturen erforderlich war, die sich in einem besondern, unter L. Grandeau's Leitung stehenden Laboratorium am Seineufer (à la Berge) aufgestellt fanden. Allerdings sagt R. v. Wagner in einer spätern Notiz vom 29. October 1867Wagner's Jahresbericht, 1867 S. 215., daß die Ergebnisse der Sauerstoffdarstellung zu technischen Zwecken im Laboratorium à la Berge keineswegs befriedigend ausgefallen seien, daß vielmehr, den Aeußerungen des Surveillant des Laboratoriums Dumontel zufolge, die Urheber der neuen Methode der Sauerstoffgewinnung ihre Versuche plötzlich abgebrochen hätten. Es scheine somit, als habe das Laboratorium der Ausstellung eigentlich nur zu decorativen Zwecken gedient. Ferner war es R. v. Wagner auffallend, daß im Laboratorium der École normale, wo ganz erstaunliche Mengen Sauerstoff consumirt wurden, das Sauerstoffgas nicht nach dem von den Leitern des Laboratoriums, Deville und Debray, herrührenden Verfahren der Zersetzung von Schwefelsäure oder Zinkvitriol, sondern nach althergebrachter Weise aus einem Gemisch von Kaliumchlorat und geglühtem Braunstein bereitet wurde. Mag der Grund hiervon gewesen sein, welcher er wolle, mag die Zersetzung der Schwefelsäure wirklich Schwierigkeiten öder Umständlichkeiten mit sich gebracht haben, die sich unter entsprechendem Kostenaufwand bequemer durch die Anwendung des zwar theuern, aber erprobten Kaliumchlorats umgehen ließen, oder mag, als mit Schluß der Ausstellung die Decoration überflüssig wurde, der Eifer, das neue Verfahren weiter auszubilden, wieder erloschen sein: Thatsache bleibt es, daß Debray der Miturheber und Verfechter einer Methode gewesen ist, die vor 10 Jahren mit großem Geräusch die industrielle Arena betrat. Wenn Debray seine Angaben, obwohl sie von verschiedenen Seiten Bestätigung gefunden haben, hinterher als irrthümlich erkannte, so wäre es nach meinem Ermessen richtiger gewesen, zu jener Zeit corrigirend einzutreten, wo ihr Werth am höchsten geschätzt wurde, wo die Frage der fabrikmäßigen Sauerstoffgewinnung die ganze technische Welt beschäftigte. Aber jetzt, wo ich die Zersetzbarkeit der Schwefelsäure in der Hitze zu ganz anderem Zwecke vorgeschlagen, wo ich nachgewiesen habe, daß man mit ihrer Hilfe im Stande ist, einen chemischen Artikel darzustellen, welcher dereinst vielleicht berufen ist, eine ebenso wichtige Rolle zu spielen, wie heute etwa die kaustische Soda, jetzt scheint es mir unstatthaft und verwunderlich, wenn Debray aus unbegreiflichen Gründen das Gewicht seiner Stimme in die Wagschale wirft zu Ungunsten eines jungen, aber sicherlich lebensfähigen Processes, zu dessen Ausarbeitung theilweise seine eignen Publicationen die Grundlage gegeben haben. Freiberg, 18. Januar 1877.