Titel: Ueber das elektrische Leitungsvermögen wässeriger Lösungen; von F. Kohlrausch.
Autor: F. Kohlrausch
Fundstelle: Band 225, Jahrgang 1877, S. 604
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Ueber das elektrische Leitungsvermögen wässeriger Lösungen; von F. Kohlrausch. Kohlrausch, über das elektrische Leitungsvermögen wässeriger Lösungen. F. Kohlrausch Nachrichten der königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, 1877 S. 181 bis 199, vom Verfasser gef. eingeschickt. hat seine Versuche über das Leitungsvermögen wässeriger Lösungen (vgl. 1876 222 589) fortgesetzt. Er zeigt, daß jedem elektrochemischen Elemente als solchem ein bestimmter Widerstand in verdünnter wässeriger Lösung zukommt, gleichgiltig aus welcher Verbindung er elektrolysirt wird. Hiernach läßt sich das Leitungsvermögen einer solchen Lösung aus den Zahlen, welche die Beweglichkeit der Bestandtheile darstellen, einfach durch Addition berechnen, wenn man noch die relative Anzahl der gelösten Molecüle kennt. Um die Anzahl der Molecüle in der Volumeinheit durch bestimmte Zahlen ausdrücken zu können, dividirt er den Gehalt der Volumeinheit (Liter) der Lösung an Gewichtstheilen (Gramm) des gelösten Körpers durch das elektrochemische Moleculargewicht (chemisches Aequivalentgewicht) des Körpers. Die entstehende Zahl μ nennt er kurz die in der Volumeinheit enthaltene Molecülzahl. Dieser Molecülzahl μ kann nun das Leitungsvermögen k einer verdünnten Lösung annähernd proportional gesetzt werden. Die Grenze, welcher sich das Verhältniß k/μ annähert, wird das specifische moleculare Leitungsvermögen der gelösten Substanz genannt und durch l bezeichnet. Die Leitungsvermögen k gelten für 18° und beziehen sich, wenn man sie durch 10₇ dividirt, auf Quecksilber von 0°. Es wird nun zunächst gezeigt, daß man die molecularen Leitungsvermögen der einbasischen Säuren und ihrer Salze nahe als die Summe der molecularen Beweglichkeiten oder „Leitungsvermögen“ der beiden Bestandtheile erhält, wenn man für diese Leitungsvermögen folgende Zahlen setzt: H K NH₄ Na Li 1/2Ba 1/2Sr 1/2Ca 1/2Mg J Br Cl F NO₃ ClO₃ C₂H₃O₂ 273 48 46 30 19 31 28 24 21 55 53 50 29 47 36 22.   l beob. l ber. n beob. n ber. HCl 323 323 0,16 0,15 – 0,01 KCl   98   98 0,51 0,51 NH₄Cl   95   96 +   1 0,51 0,52 + 0,01 NaCl   81   80 –   1 0,63 0,62 – 0,01 LiCl   68   69 +   1 0,73 1/2 BaCl₂   80   81 +   1 0,65 0,62 – 0,03 1/2 SrCl₂   78   78 0,68 0,64 – 0,04 1/2 CaCl₂   74   74 0,69 0,68 – 0,01 1/2 MgCl₂   71   71 0,69 0,70 + 0,01 HJ 319 328 +   9 0,26 0,17 – 0,09 KJ 105 103 –   2 0,50 0,53 + 0,03 NH₄J 102 101 –   1 0,54 NaJ   82   85 +   3 0,63 0,65 + 0,02 LiJ   74   74 0,74 HBr 310 326 + 16 0,18 0,16 – 0,02 KBr 101 101 0,51 0,52 + 0,01 HNO₃ 336 320 – 16 0,14 0,15 + 0,01 KNO₃   93   95 +   2 0,49 0,49 NH₄NO₃   93   93 0,51 NaNO₃   74   77 +   3 0,61 0,61 1/2 Ba (NO₃)₂   82   78 –   4 0,62 0,60 – 0,02 KClO₃   84   84 0,45 0,43 – 0,02 KC₂H₃O₂   70   70 0,32 0,31 – 0,01 NaC₂H₃O₂   54   52 –   2 0,43 0,42 – 0,01 KF   77   77 0,38 Die beiden ersten Spalten der vorstehenden Tabelle geben die molecularen Leitungsvermögen l, wie sie aus der Beobachtung abgeleitet und aus den angegebenen Zahlen berechnet werden. Wo eine Substanz nur einmal vorkommt, wo also keine Prüfung des Gesetzes in der Uebereinstimmung liegt, werden die Unterschiede zwischen Beobachtung und Rechnung nicht aufgeführt. Die letzten Spalten enthalten die Ueberführungszahl n des Anions nach Hittorf und daneben denjenigen Werth, welcher aus den oben angegebenen Zahlen berechnet wird. Die Uebereinstimmung der Leitungsvermögen und der Ueberführungszahlen ist derartig, daß an der Giltigkeit des ausgesprochenen Satzes nicht zu zweifeln ist. Aus der weiteren Untersuchung folgert F. Kohlrausch: 1) Daß der Verlauf des Leitungsvermögens mit der Concentration der Lösung bei den verschiedenen Salzen von einer auffallenden Aehnlichkeit erscheint. Die graphische Darstellung der Zahlen liefert lauter nach unten gekrümmte Curven von unverkennbar verwandtem Charakter. Diese Curven schneiden sich bei chemisch näher verwandten Substanzen nicht, und die wenigen Schnitte, welche überhaupt vorkommen, verlaufen ziemlich flach. Vergleiche z.B. die Zahlen der ersten Reihe; ferner BaCl₂, SrCl₂ und CaCl₂; dann MgCl₂ und KC₂H₃O₂, Li₂SO₄ und NaC₂H₃O₂; (NH₄)₃SO₄ und K₂CO₃ (Im Gegensatz hierzu liefert die Darstellung nach gewöhnlichen Gewichtsprocenten auch nach oben gekrümmte Curven und eine große Menge Schnittpunkte der Curven.) Man wird hieraus folgern dürfen, daß die Ursachen, welche den Leitungswiderstand bedingen, bei den verschiedenen Salzen hauptsächlich nur quantitativ verschieden sind. 2) Weit größere Unterschiede ergeben sich zwischen den Salzen einerseits und den Aetzalkalien anderseits (vgl. z.B. KJ mit NaOH und LiOH); unter sich aber zeigen auch die letzteren einen nahe ähnlichen Verlauf. 2) Die Verbindungen des Ammoniums und des Kaliums mit derselben Säure zeigen fast überall eine nahe Gleichheit des Leitungsvermögens. 4) Die Natriumverbindungen leiten durchweg schlechter als die entsprechenden des Kaliums und Ammoniums. 5) Noch weiter unten stehen die Lithiumverbindungen. 6) Eine ungefähre Uebereinstimmung des Leitungsvermögens findet sich bei den Chloriden von Barium, Strontium und Calcium, während Chlormagnesium erheblich zurücksteht. 7) Dagegen leiten nahe gleich gut die Sulfate von Magnesium und Zink. 8) Den Einfluß des negativen Bestandtheiles betreffend, so leiten weitaus am besten die Hydrate. 9) Chloride, Bromide und Jodide leiten nicht erheblich verschieden, doch zeigt das Jod einen deutlichen Vorzug. 10) Fluor steht beträchtlich hinter den eben genannten Haloiden zurück. 11) Auch Nitrate und mehr noch Acetate leiten wesentlich schlechter. 12) Sulfate und Carbonate leiten nicht sehr verschieden; sie leiten schlechter als die Salze mit den einbasischen unorganischen Säuren. 13) Das geringste Leitungsvermögen kommt den Salzen der zweiwerthigen Metalle mit der zweibasischen Schwefelsäure zu. F. Kohlrausch hebt ferner die Gesetzmäßigkeiten hervor, welche sich unter den Temperaturcoefficienten des Leitungsvermögens zeigen. Vor Allem wird hier 14) der Satz bestätigt und verallgemeinert, daß die Temperaturcoefficienten der Salzlösungen sich bei wachsender Verdünnung Grenzwerthen nähern, welche nahe gleich sind, indem diese Grenzwerthe zwischen etwa 0,0215 und 0,0235 liegen. Auffällig ist hierbei die außerordentliche Uebereinstimmung zwischen allen Kali- und Ammoniakverbindungen mit Chlor, Brom und Jod, die sämmtlich etwa der Grenze 0,0215 zustreben. 15) Auch die Temperaturcoefficienten der Aetzalkalien nähern sich ungefähr einem und demselben Grenzwerthe, der aber kleiner ist als die obigen (etwa 0,019). 16) Aus den früheren Ergebnissen erinnert Verfasser daran, daß die Salpetersäure und die Wasserstoffsäuren auch einen gemeinsamen Grenzcoefficienten 0,016 haben, während die Schwefelsäure etwa 0,011, die Phosphorsäure 0,0095 zeigt. 17) Mit steigendem Salzgehalt nehmen zuerst die Temperaturcoefficienten sämmtlicher untersuchter Salze mit einbasischen Säuren ab. 18) Bei allen Salzen, welche ein Maximum des Leitungsvermögens besitzen, tritt vor der Erreichung dieses Maximums ein Wachsthum des Temperaturcoefficienten ein. Sämmtliche Maxima rücken also mit steigender Temperatur weiter nach größern Salzgehalten. 19) Bis zu den höchsten untersuchten Gehalten bleiben die Temperaturcoefficienten abnehmend bei sämmtlichen Kali- und Ammoniaksalzen, mit Ausnahme des kohlensauren und essigsauren Kalis. 20) Die Haloidsalze des Kaliums und des Ammoniums haben so, wie ein gleiches Leitungsvermögen (3), auch nahe gleiche Temperaturcoefficienten. Gleiches zeigt sich in den Gruppen BaCl₂, SrCl₂ und CaCl₂, sowie MgSO₄ und ZnSO₄. 2) Im Allgemeinen vermindern sich die Unterschiede des Leitungsvermögens verschiedener Körper von ähnlicher Zusammensetzung mit wachsender Temperatur. 21) Das schwefelsaure Natron, welches bekanntlich für die Menge seines Krystallwassers gewisse Grenztemperaturen zeigt, läßt keinen ungewöhnlichen Einfluß dieser Temperaturen auf sein Leitungsvermögen wahrnehmen.