Titel: Bildung von Naphtalin und damit zusammenhängende Fragen; von Dr. F. Tieftrunk.
Autor: F. Tieftrunk
Fundstelle: Band 228, Jahrgang 1878, S. 357
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Bildung von Naphtalin und damit zusammenhängende Fragen; von Dr. F. Tieftrunk. Tieftrank, über Bildung von Naphtalin. Die Bildungsweise des Naphtalindampfes und sein Auftreten im Leuchtgase ist das Product physikalischer und chemischer Processe, die erst in neuerer Zeit näher erkannt worden sind. Bekanntlich findet sich das Naphtalin in der Substanz der Steinkohle nicht fertig gebildet. Reichenbach beschäftigte sich schon im ersten Viertel dieses Jahrhunderts mit der FrageSchweigger's Journal, Bd. 41 S. 175. und erhielt bei niederer Destillationstemperatur aus Steinkohlen Theere, in denen sich selbst nach 20maliger fractionirter Destillation keine Spur Naphtalin entdecken lieſs; da Naphtalin leicht verdampft, so hätte man solche Mengen, wie sie im Gastheer auftreten, sicher finden müssen. Wohl aber bildet sich aus diesem Theer viel Naphtalin, wenn derselbe bei Rothglut destillirt, oder der Theerdampf durch glühende Röhren geleitet wird.Schweigger's Journal, Bd. 68 S. 223. Magnus hat dies bestätigtPoggendorff's Annalen, Bd. 90 S. 1. und fand ferner, daſs ölbildendes Gas, welches als wichtiger Factor der Leuchtkraft des Gases betrachtet wird, bei Dunkelrothglut sich in ausscheidende Kohle und einen stark Naphtalin-haltigen Theer zerlegtSeine Zusammensetzung nähert sich sehr der des Naphtalins. Magnus fandIIIIIIC =  94,1192,46  93,40H =    6,07  6,65    6,81––––––––––––––––––––––––100,1899,11 100,21,während Naphtalin verlangt C = 93,75 und H = 6,25.. Der Theer und das Naphtalin bilden sich bei der Vergasung der Steinkohlen, also auf zwei verschiedene Weisen: Die Substanz der Kohle liefert zunächst Naphtalin- freien Theer und dieser bei höherer Temperatur Naphtalin; aber auch das erzeugte Elaylgas zerfällt, erfolgreich der Rothglut ausgesetzt, in Theer und Naphtalin. Diese Thatsachen haben wiederum ihre Bestätigung durch die Untersuchungen Berthelot's über die Bildung pjrogener Kohlenwasserstoffe (1877 224 109) 226) gefunden. Er fand durch synthetische Versuche, daſs die aufbauende Substanz für die durch trockene Destillation der Steinkohle enstehenden Körper das Acetylen C2H2 ist – ein Gas, welches zu wenigen Zehntausendeln im Leuchtgase vorkommt und dessen Flamme ähnlich stark ruſst wie brennendes Benzol, mit welchem Körper es auch gleiche procentische, nicht aber gleiche atomistische Zusammensetzung besitzt. Bei hoher Hitze scheiden aus 2 Mol. Acetylen 2 Atome Kohlenstoff als Graphit aus und es bildet sich zunächst ölbildendes Gas: 2 C2H2 = C2 H4 + 2C. Gleiche Volume beider Gase sind durch Hitze ferner im Stande, einen neuen Körper, das Crotonylen C4H6 zu bilden: C2H2 + C2H4 = C4H6, welches eine bei 25° siedende Flüssigkeit darstellt und gleichfalls im Leuchtgas vorkommt. Durch directe Aneinanderlagerung dreier Acetylenmolecüle sieht man dann das so wichtige Benzol C6H6 entstehen: 3C2H2 = C6H6 und hieraus wieder bildet sich durch directe Synthese mit Acetylen das Styrol, C6H6 + C2H2 = C8H8, eine aromatisch riechende, bei 146° siedende Flüssigkeit, die neben Benzol sicher im Theer zu finden ist. Aus diesem Körper wie auch aus dem Benzol bildet sich durch Condensation von 1 bezieh. 2 Mol. Acetylen unter Abspaltung von 2 At. Wasserstoff das Naphtalin (C10H8) : C8H8 + C2H2 = C10H8 + H2 oder C6H6 + 2C2H2 = C10H8 + H2.Durch analoge Vorgänge bilden sich die dem Naphtalin nahe stehenden festen Kohlenwasserstoffe Acenaphten und Anthracen. Da Acetylen ein Gas ist und Benzol wie Styrol in ihren Bildungstemperaturen auch nur Dämpfe sein können, so muſs auch das entstehende Naphtalin dampfförmig aus der Retorte hervorgehen. Denkt man sich eine beliebige Naphtalinmenge in einem Rohgase an der Stelle der Retortenvorlage in dampfförmigem Zustand angelangt, so wird, so lange die vorhandene Temperatur (70°) herrscht, abgesehen von allen übrigen Substanzen, ein Grund zur Aenderung des Aggregatzustandes jenes Naphtalins nicht vorliegen. Wird aber die demselben innewohnende Kraft der Molecularbewegung durch folgende Abkühlung dauernd geschwächt, so tritt ein Punkt ein, an dem die bis dahin überwiegende Kraft der einzelnen Molecüle gegenüber der Gesammtanziehung der Molecüle unter sich dieser letzteren weicht. Gemäſs der Resultante dieser Kraftverminderung wird ein Theil Naphtalindampf aufhören als solcher zu bestehen. Findet man also in den Producten, welche unterhalb 70° aus dem Rohgase ausscheiden, Naphtalin – und dem ist so – dann muſs jede weitere Kühlung des Gases eine Fortsetzung dieses Kraftverlustes in Naphtalindampf bedeuten. Es entspricht dann jedes Temperaturintervall abwärts einem Höhe- bezieh. Wendepunkt in der Kraft jener Dampfmolecüle, im gasförmigen Zustand nach Möglichkeit zu verharren, mithin dem Gipfelpunkt der Spannkraft des Dampfes, d. i. die Dampfdichte. Dampfdichte ist aber Dampfsättigung, mithin ist das Gas für die betreffende Temperatur mit Naphtalindampf gesättigt, also auch, wenn es die Condensatoren und die Scrubber verläſst. Der Theer aller dieser Apparate ist deshalb notwendigerweise Naphtalin- haltig und die Menge ausscheidenden Naphtalins ist in Folge dessen an der Stelle am gröſsten, wo die Condensation die gröſste Temperaturgrenze umfaſst. Ich bezeichne diejenigen nicht wässerigen Condensationsproducte der Gasfabrikation als Theer, in denen – abgesehen von ihrem physikalischen Verhalten – bei fractionirter Destillation Phenol und Homologe noch in gewinnbaren Mengen gefunden werden. Von dem Punkt an, wo Phenol fehlt, verlieren diese Producte ihren bisher innegehaltenen Charakter und werden ölig. So lange das Phenol nachweisbar ist, also Theerabsonderung stattfindet, hat man mit Naphtalinausscheidungen kaum zu kämpfen; hinter der Vorreinigung aber, wo die Theerabsonderung beendet ist, beginnt für manchen Gasfachmann die Noth mit den Naphtalinabsätzen. Das Phenol hat mit dem Naphtalin annähernd die Siedetemperatur, nicht aber die Flüchtigkeit gemein; hinter den Scrubbern, ja im Rohgase überhaupt, findet sich in Folge dieses Umstandes das Phenol nicht als Dampf, sondern als Nebeltröpfchen, und es genügt in Folge dessen die filtrirende Wirkung der Sägespäne* diese Phenol – Naphtalinlösung im Theer der Vorreinigung zurückzuhalten und mit ihm je nach der Temperatur zum groſsen Theil Oeldämpfe mit verschiedener Dampfspannung. Findet sich nun im Lauf der weiteren Behandlung des Gases Grund zu einer Naphtalinausscheidung, so fehlt ihr das ausgezeichnete Lösungsmittel, das Phenol und die Theeröle, deren Lösungsvermögen für Naphtalin jedoch hinter dem des Phenols zurücksteht.Wenn man die Schweröle des Theeres mit Natronlauge schüttelt, somit das Phenol dem Gemisch entzieht, bemerkt man oft Ausscheidung von groſsen Mengen Naphtalin – ein Beweis, daſs das Schweröl nicht mehr fähig ist, das im Phenol aufgelöst gewesene Naphtalin aufgelöst zu erhalten. Die Ausscheidung derjenigen Oele, welche in Folge ihrer Dampfspannung im Straſsengase sich noch finden, und die wiederum ausgezeichnet Naphtalin auflösen, erfolgt erst in minimalen Mengen von 0° abwärts. Dieses Verhalten der Oeldämpfe ist der Grund, warum in einem mageren Gase Naphtalinausscheidung eher zu erwarten ist als in einem Gase mit hoher Leuchtkraft. Um einen Einblick in die obwaltenden Verhältnisse zwischen Naphtalin- und Oeldämpfen zu erhalten, habe ich mit fractionirter Condensation verbundene Destillationen von theerig gewordenem Sägemehl der Vorreinigung wie auch der oft gebrauchten Reinigungsmasse angestellt. Die Ausführung geschah unter Anwendung 88° warmer Luft derart, daſs sie durch etwa 1k der zu destillirenden Massen geleitet wurde. Diese befanden sich in einem durch umgebendes Wasser auf 88° erwärmten Kolben; die Luft trat am Boden desselben ein, durchstrich die warmen Producte und gelangte sodann nach U-förmig gebogenen Röhren, die in Wasserbehältern lagen, welche Temperaturen von 63°, 50°, 38,5°, 25°, 12,5° und 0° besaſsen. Den Schluſs bildete eine Glasschlange, die in einer Kältemischung lag, welche auf –21° erhalten wurde. Durch Condensation gewann man: Tempe-ratur I.Vorreinigungsmasse II.GebrauchteReinigungsmasse Naphtalin Oele Naphtalin Oele Proc. Proc. Proc. Proc.      63°    50 0,8      38,5 2,2 1,3   25 2,3 4,1     12,5 1,6 0,9    0 1,8 0,3 –21 6,3 0,5 ––––––– ––––– ––––––– –––– 5,3 9,7 6,6 0,5 Summe Naphtalin =   5,3         =   6,6      „     Oele =   9,7 =   0,5      „     Wasser = 85,0 = 92,9 –––––––––––––––––––––––––––––––––– 100,0 100,0 Aus diesen Zahlen geht hervor, daſs beide Massen Naphtalin und Oele enthalten, die vorher in dem Rohgase enthalten waren. In beiden Massen herrscht bei langsamer Kühlung der erzeugten Dämpfe das Bestreben vor, die dem Leuchtgas entzogenen Körper in zweierlei Aggregatzuständen, dem festen und flüssigen, wieder abzuscheiden. Durch den verhältniſsmäſsig hohen Oelgehalt in I liegt diese Grenze zwischen 125 und 25°, durch den 20mal geringeren Oelgehalt in II liegt sie erst unter 0°. Besäſse das Straſsenleuchtgas die aus ihm stammenden Dämpfe nach der Zusammensetzung I, so wäre die Wahrschein lichkeit einer Ausscheidung festen Naphtalins nicht groſs. – Retorte bis Vorreinigung. – Das Verhältniſs zwischen Naphtalin und Oeldämpfen des von Schwefelwasserstoff befreiten Gases erscheint aber von der Reinigung an verändert, wofür obige Zahlen sprechen. Nicht unwesentliche Mengen von Oeldämpfen bleiben also durch die vollkommene Filtration im bereits theerigen Sägemehl zurück, wie man direct nachweisen kann, wenn Leuchtgas mit Theer der Vorreinigung in Berührung gebracht wird. Leitet man Gas durch einen Blechkasten mit 0qm,52 Fläche, dessen Boden mit obigem Theer bedeckt ist, mit einer Geschwindigkeit von 150l die Stunde, so wird das Gas durch Entziehung selbst der noch vorhandenen Oeldämpfe in seiner Leuchtkraft um 16,5 Proc. geschwächt, ja diese Abnahme kann, wenn der Theer leichtölarm ist und das Gas blasenweise hindurchgeleitet wird, auf 45,3 Proc. steigen. Durch diese Thatsache, ferner durch den gegen Naphtalin geringen Oelgehalt der Reinigungsmasse, der solche Körper betrifft, die erst bei –21° condensirbar sind, endlich durch den Umstand, daſs man groſse Gasquantitäten in langen Glasröhren auf +1° abkühlen kann, ohne irgend eine ölige Ausscheidung zu bemerken, ergibt sich, daſs das Leuchtgas für die Temperaturen von +25 bis 7°, die für seine Leitung durch das Rohrnetz in Betracht kommen, mit Oeldämpfen nicht gesättigt ist.Ein weiterer Beleg hierfür liegt schon in der giltigen Annahme, daſs volle Dampfsättigung dort am schwersten erreichbar ist, wo die Tendenz zur Verdampfung sehr groſs erscheint; welche auſserordentliche Verschiedenheit aber gerade darin die hier maſsgebenden Körper trifft, lehren folgende Verdampfungsversuche, deren graphische Darstellung namentlich zur Veranschaulichung dient:Es verdampft:TemperaturenOel ausLeuchtgas,bei – 20°demselbenentzogenOel aus dem Straſen-rohrnetz bei – 10°Lufttemperatur anBrückenübergängengefundenNaphtalin100cbm Luftnehmen aufProc.Proc.Proc.g    70°7,262130  604,011182  5086,829,92,05  600  4064,624,70,86  258  3047,917,20,35  105  2029,611,20,12    35  1018,9  7,3  0,044      12,5    011,4  4,5    0,0076        2,2– 20in 90l nichts Scheidet also durch Temperaturerniedrigung Naphtalin aus dem Gase aus, so kann eine gleichzeitige Oelausscheidung nicht erfolgen, weil die Dampfsättigung derselben nicht erreicht wird, und die Naphtalinverstopfung tritt ein. Die stete Anwesenheit des Naphtalins im Theer, ein Blick auf die groſsen Unterschiede im Verdampfungsvermögen dieses Körpers, welches bei 70°, der ungefähren Temperatur der Ofenvorlagen, tausendmal so groſs ist als bei 0°, endlich die Thatsache, daſs für alle festen Körper mit Dampfspannung, insonderheit für das Naphtalin die Zeitdauer bis zur erlangten Dampfsättigung eine sehr kurze istBerichte der deutschen chemischen Gesellschaft, 1871 S. 647 und 783., beweist, wie erwähnt, seine Dampfsättigung im Rohgase. Da nun nachgewiesen ist, daſs bei der Reinigung des Grases schwache Temperaturerhöhung entsteht, so ist eine Ablagerung von Naphtalin in der Reinigungsmasse nicht geboten. Findet man dennoch, wie ich gezeigt habe, in gebrauchter Masse NaphtalinIn ein bis zweimal gebrauchter Reinigungsmasse kann man bei aufmerksamer Beobachtung oft Naphtalinblättchen in groſser Menge nachweisen., so ist dies nothwendigerweise ein Act der Oberflächen-Anziehung dieser porösen, als Schwamm wirkenden Masse. Wie z.B. Ammoniakgas von Holzkohle in groſsen Mengen absorbirt wird, so läſst sich auch Naphtalindampf durch frisch geglühte Holzkohle einem Gasgemisch entziehen. Erwägt man die groſse Porosität neuer Reinigungsmasse, andererseits die jedesmal wiederhergestellte Porosität durch die chemische Reaction auf dem Regenerirboden, wo aus Schwefeleisen Schwefel und Eisenhydroxyd in denkbar feinster Form gebildet wird, und bedenkt man, daſs ein gesättigter Dampf der Kraft der Oberflächenanziehung viel leichter folgt als im ungesättigten Zustand, so liegt in der Reinigungsmasse für jede Jahreszeit Grund zur Absorption von Naphtalindampf zum festen Naphtalin vor, wofür obige Destillation der gebrauchten Reinigungsmasse spricht. Befindet sich also das hinter der Eisenoxydreinigung auftretende Gas nicht mehr in mit Naphtalin gesättigtem Zustande, so muſs eine besondere Veranlassung, z.B. eine starke Temperaturerniedrigung eintreten, um den Sättigungsgrad wieder zu erreichen, bezieh. zu überschreiten; die Resultante ist dann erneute Ausscheidung festen Naphtalins. Diesen Vorgang beobachtet man im Spätherbst, wo bei bereits hohem Gasconsum – für den Winterbetrieb namentlich neue Reinigungsmasse, die sicher poröser ist als bereits gebrauchte – zur Gasreingung Anwendung findet. Die durch diese Masse kräftig unterschrittene Naphtalindampfsättigung erlaubt dem Gase eine Temperaturerniedrigung um mehrere Grade, ohne Naphtalin auszuscheiden, und erst in plötzlich eintretenden kalten Tagen ist das Maximum der Spannung wieder eingeholt, und man sieht in der Nähe der Gasanstalt die festen Naphtalinverstopfungen, die plötzlich sein müssen, weil bei sprungweiser Sättigung die Möglichkeit fehlt, das Naphtalin auf längere Strecken und in weiten Hauptröhren vertheilt abzusetzen, und die sich erst dann verlieren, wenn bei andauernd kalter Witterung die durch die Reinigungsmasse unterbrochene Sättigung mit Naphtalin durch kühlere Temperatur in der Reinigung selbst, bezieh. dem Gaszähler oder Gasbehälter eintritt und dadurch das ausscheidende Naphtalin in den Apparaten und Rohren gleichmäſsig vertheilt in verhältniſsmäſsig geringer Menge ist, so daſs Störungen in den Zuleitungen der Häuser nicht auſsergewöhnlich eintreten. Ist die Temperatur der Reiniger aber nicht die der Vorreinigung, d.h. sind namentlich die tiefsten Punkte der Reiniger kälter als das zuströmende Gas, so findet Uebersättigung statt, man sieht Naphtalin an den Gefäſswänden der untersten Horden, an den Reinigerdeckeln und Ausgängen auftreten, wenn durch Zugluft in das Reinigungsgebäude diese den oberen Theil der Reiniger abkühlt. (Schluß folgt.)