Titel: Ueber amerikanische Dampfmaschinen: von Professor J. F. Radinger.
Autor: J. F. Radinger
Fundstelle: Band 230, Jahrgang 1878, S. 11
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Ueber amerikanische Dampfmaschinen: von Professor J. F. Radinger. (Schluſs von S. 509 des vorhergehenden Bandes.) Mit Abbildungen. Radinger, über amerikanische Dampfmaschinen. Die schnellgehenden Maschinen. In Amerika ist wohl im Allgemeinen die Kolbengeschwindigkeit der Dampfmaschinen groſser als in Europa und der Unterschied zwischen „normaler“ und „hoher“ Geschwindigkeit nicht so grell als bei uns. Nichts desto weniger gibt es ausgesprochene Schnellläufer, welche entweder zum directen Betrieb von Fabrikstransmissionen, oder noch häufiger für den Antrieb der groſsen Bretschneid-Kreissagen dienen, deren Sägeblätter ohne jede Zwischentransmission auf der verlängerten Kurbelwelle sitzen. Auch für Walzwerke, Schraubenschiffe und ähnliche Triebe finden sich oft vielhundertgängige Maschinen beliebt und in dauernder Verwendung. Damit eine Maschine mit hoher Kolbengeschwindigkeit die vorausgesetzten Effecte ganz entwickeln kann, müssen ihre Dampfwege weite Querschnitte besitzen und mit Rücksicht auf die endliche Dampfgeschwindigkeit in den Kanälen und zum Kolben hin viel früher umgesteuert werden, als dies bei langsamem Gange benöthigt wird. Diese Erkenntniſs ist in Amerika besser verbreitet als bei uns, und man findet sie u.a. aus dem Vergleich der Rohr- und Kanalweiten der Normalmaschinen der Ausstellung (vgl. die zu S. 311 Bd. 229 beigegebene Tabelle) überall heraus. Die „30m in der Secunde“ mittlerer Dampfgeschwindigkeit hört man oft als Regel direct angeführt und liegt auch den Tabellen zu Grunde, welche in amerikanischen „Hütten“ zur Hand sind. In Roper's Handbook“ findet sich eine Tabelle, welche, auf Metermaſs umgerechnet, anweist: Kolbengeschwindigkeit 1,0 1,5 2,0 2,5 3m,0 in der Secunde Dampfwegfläche 0,04 0,055 0,07 0,085 0,1 der Kolbenfläche, welche Tabelle construirt Verf. die Gleichung einer Geraden von der Form \frac{f_1}f=0,01+0,03\,v erkennen lieſs, wobei \frac{f_1}f das Verhältniſs der Dampfweg zur Kolbenfläche und v die secundliche Kolbengeschwindigkeit in Meter bedeuten.Verfasser leitete in der Studie über Dampfmaschinen mit hoher Kolbengeschwindigkeit (Wien 1872) die Formel \frac{f_1}f=\frac1{30}\,r. Diese Formel gibt für:Kolbengeschwindigkeit1,01,52,02,53m,0in der SecundeDampfwegfläche0,0330,050,0660,0830,1der Kolbenfläche. Für die Steuerung hat man meist eigene vom Regulator abhängige Expansionsvorrichtungen, welche das der endlichen Dampfgeschwindigkeit halber benöthigte Einhereilen der Kanaleröffnungen und Abschlüsse vor dem gewünschten Erscheinen der Wirkung derselben auf den Kolben selbstthätig verändern. Maschinen mit hoher Kolbengeschwindigkeit verlangen leichte hin- und hergehende Massen, welche bis zu einem bedeutenden Procenttheil balancirt sein wollen, um die Maschine ruhig auf ihrer Unterlage zu belassen. Dies ist nun dem Anscheine nach sehr wohl bekannt, und der thatsächliche Gang spricht für das Genügen in dieser Richtung. Die notwendigen groſsen Auflagflächen (lange Schalen), um die auftretende Reibungs-Arbeitswärme aufnehmen und fortleiten zu können, sind fast überall verwendet, was hier aber weniger auffällt, indem in Amerika lange Zapfen überhaupt häufiger sind als bei uns.Auch die exacte Arbeit, eine Hauptbedingung des anstandslosen Schnellganges, findet sich meist mustergiltig vor. Dagegen ist der Zusammenbau solcher Maschinen aus vielen Einzelbestandtheilen noch immer beliebt, die Dampfspannung zu klein, das nothwendige und mathematisch begründete Verhältniſs zwischen Füllung und Geschwindigkeit gänzlich unbekannt, und fast in jeder der schnell gehenden Maschinen kommt mindestens ein Verstoſs gegen die Grundprincipien des guten Schnelllaufes vor, welcher in den übrigen Maschinen wohl vermieden, aber dafür durch einen anderen Fehler ersetzt ist. Für kleine und rohe Arbeit genügt nun wohl die Maſsnahme der Dampfwege allein, und wo keine Rücksicht auf die Ruhe des Ganges und die Oekonomie an Dampf zu walten braucht, ist es keine Kunst, viele Umdrehungen zu erzeugen. Aber die anspruchsvolleren dieser Maschinen sind der überwiegenden Mehrzahl nach nur Versuchsexemplare, welche ohne volle innere Berechtigung die Erwartung täuschten, die ihre Construction veranlaſste. Für groſse, dauernd ruhige und ökonomische Arbeit, wozu sie unzweifelhaft voll berufen ist, erscheint heute die schnellgehende Maschine nicht oder höchstens mit einzelnen Ausnahmen verwendet; denn die Erkenntniſs, wie sie gebaut werden muſs, um verläſslich zu sein, dringt erst langsam vor. – Nach Besprechung der bekannten Alien-Maschine (*1871 200 249. 201 1. 176) kommt Verfasser auch auf die Huntoon'sche Maschine, welche das Problem eines Dampfmotors für Kleinbetrieb in auſserordentlich glücklicher Weise gelöst hat und mit deren Beschreibung wir hier die Auslese aus Radingers reichhaltigem belehrendem Bericht abschlieſsen. Dampfmaschine der J. C. Hoadley Company in Lawrence, Mass. Im Gegensatze zu den übrigen Kleinmaschinen, welche meist nur die Verjüngung ihrer groſsen Vorbilder sind, lag die in Fig. 1 bis 3 Taf. 4 abgebildete Stabilmaschine dieser Firma (Constructeur Reuben B. Huntoon) in der Ausstellung, welche trotz ihrer Kleinheit eine völlig ausgewachsene Schnellläuferin war und damit einen keiner wesentlichen. Vergröſserung fähigen, aber für ihre Leistung vollberechtigten Typus repräsentirte. Der Kolbendurchmesser betrug 117,5 und dessen Hub 127mm; da die Maschine normal mit 1080 Touren in der Minute läuft, so beträgt die secundliche Kolbengeschwindigkeit 4m,507. Der doppelwandige Cylinder ragt von der Hinterseite seines oben offenen Colonnenbalkens frei hinaus und wird durch einen eingeschliffenen Kolbenschieber gesteuert, der sonst wie ein gewöhnlicher Schieber, jedoch wie unten zu erörtern, unter veränderlicher Excentricität bewegt wird. Die Kolbenstange ist in den normalen Kreuzkopf mit eingegossenem Zapfen geschraubt, der Zapfen sitzt jedoch genau in der halben Länge der Führungen. Die Schubstange ist genau 6 Mal so lang als der Kurbelarm und mit schraubenversicherten Bügelköpfen versehen. Die gekröpfte Kurbelachse liegt in stellbaren Lagern. In wahrhaft schöner und zweckmäſsiger Weise sind die Ausgleichgewichte und zwar in symmetrischen Kurbelscheiben untergebracht, welche über die Schmiedeisenarme der eigentlichen Kurbelkröpfung geschoben sind und diese decken. Die Gewichte sind in die Höhlung gepaſst und mit Nieten gehalten. Die Bettform, insbesondere bei den Lagern, gibt dem Ganzen eine ungewöhnliche Steifigkeit und verhütet zugleich das Ausschleudern von Oel, indem der Kurbelzapfen drei Viertheile seines Umfanges innerhalb seines Mantels kreist. Die Steuerung erfolgt durch ein Excenter, welches nicht fest auf der Achse, sondern mit schwalbenschwanzförmiger Führung verschiebbar auf einer der Achse aufgekeilten Rechtecksplatte sitzt. Auf dieser Platte reitet senkrecht auf die Excenterführung jederseits ein Federträger, in welch jedem eine lange Blattfeder eingelassen ist. Beide Blattfedern sind mit ihren Auſsen-Enden an einander gehängt und festgehalten. Die Federträger tragen aber auch noch die Schwungkugeln, deren Fliehkraft bei der Umdrehung die Blattfedern spannt und eine bestimmte Gleichgewichtslage sichert. Daſs die Schwungmassen hierbei nicht in Kugel-, sondern in Cylinderform erscheinen, ist ein unerhebliches Detail, welches wegen der Führung dieser Massen an einer runden Stange beliebt wurde. Die Federträger nehmen nun jederseits der Achse je eine kurze ausragende Lenkstange auf, deren Auſsen-Ende mit jener der Gegenseite durch einen Bolzen verbunden ist und derart eine Zange bildet. An einem der beiden Zangen-Enden hängt nun das Excenter, und es ist klar, daſs dieses parallel zu sich selbst desto weiter nach einwärts kommt, je stumpfer der Zangenwinkel wird. War es nun ursprünglich auf vielleicht 30° gegen die Kurbel und mit einer gewissen Gröſse der Excentricität gestellt, so verkleinert sich die letztere beim Einwärtszug, während sich der Voreilwinkel vergröſsert und mit 90° seine Grenze findet. Mit steigender Geschwindigkeit verkleinert sich also die Füllung, während die Voreilung nahe constant bleibt. Das andere Ende der Steuerzange bleibt dabei unbenutzt und ihre Verbindung sichert nur die Parallelführung der Federträger. Es gestattet jedoch ein Umsteuern, indem das Excenter ebenso gut an dieser als an der Gegenseite eingehängt werden kann, was durch einen symmetrischen Anguſs an letzterem jederzeit möglich ist. In solchem Falle steht dann das Excenter genau unter dem gleichen Voreilwinkel und Hub als von der Gegenseite aus. Von den Schwungmassen ragen noch jederseits lange Schrauben nach auſsen, deren Muttern weitere Gewichte (für langsameren Gang wie bei den Locomobilen) aufzustecken und dabei auſser der Geschwindigkeitsänderung auch ein vollständig genaues Ausbalanciren der mittleren Excenterstellung und dieser ganzen rotirenden Vorrichtung gestatten. Dieser Expansionsregulator ist von der Hoadley Company an vielen Locomobilen verwendet, und sie erreicht damit prächtige Diagramme und einen selbst von groſsen Maschinen unübertroffenen ökonomischen Effect.