Titel: Ueber Sprengstoffe, insbesondere das Nitroglycerin; von Dr. B. C. Niederstadt.
Autor: B. C. Niederstadt
Fundstelle: Band 233, Jahrgang 1879, S. 75
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Ueber Sprengstoffe, insbesondere das Nitroglycerin; von Dr. B. C. Niederstadt. Niederstadt, überSprengstoffe. Geschichtliches. Das Nitroglycerin, der neutrale Salpetersäureäther des Glycerins, wurde von Sobrero (1847) entdeckt, aber erst durch den Schweden Nobel (1863) in die Technik eingeführt, nachdem dieser eine wenig gefährliche Methode zur fabrikmäſsigen Herstellung gefunden hatte. Auf Nobel's Vorschlag wurde das Nitroglycerin, um es vor Stoſs und Schlag zu sichern, in 15 bis 20 Proc. Methylalkohol gelöst. Diese Behandlung erwies sich als höchst unpraktisch, daher ist eine weitere Methode, derzufolge man das Nitroglycerin mit saugfähigen Körpern in Berührung bringt, wozu namentlich der Kieselguhr geeignet ist, als Fortschritt zu begrüſsen gewesen. Die so zugerichteten Sprengstoffe nennt man Dynamite. Das Nitroglycerin ist eine hellgelbe ölartige Flüssigkeit von süſslichem brennendem Geschmack, löslich in Alkohol und Aether. Durch Flamme schwer entzündlich, brennt es in gröſseren Mengen ruhig ab, verdampft zwischen 100 bis 150°, siedet bei 185°, detonirt bei etwa 250°. Es explodirt mit gröſster Heftigkeit, wenn man in einem Theilchen der Flüssigkeit eine kleine Menge Knallsilber oder ein anderes Knallpräparat zur Entzündung bringt. Die Geschwindigkeit der Fortpflanzung der Explosion eines Theilchens beträgt etwa 600m in der Secunde, jedes Theilchen wird also momentan zur Explosion gebracht. Zwischen 8 bis 10° erstarrt das Nitroglycerin zu farblosen Krystallen. Es gelang mir solche in Januarkälte zu erhalten. Das specifische Gewicht dieser Krystalle ist 1,734. Die Zersetzungsproducte, welche sich bei der Explosion bilden, sind Kohlensäure, Stickstoff, Wasserdampf und Sauerstoff. Die Wirkungen des Nitroglycerins und Dynamits zu erforschen, wurden i. J. 1869 die verschiedenartigsten Versuche angestellt. Die englischen Versuche durch Professor Abel (Contribution to the history of explosive agents) erstreckten sich namentlich auf das Verhalten des Nitroglycerins. Es ergab sich, daſs eine gröſsere Maſse Nitroglycerin nur mit Sicherheit durch folgende zwei Methoden zur Explosion gebracht wird: 1) Wenn solche in festen geschlossenen Gefäſsen auf die Temperatur von 180° erhitzt werden. 2) Durch einen Stoſs, der mit solcher Heftigkeit und Geschwindigkeit erfolgt, daſs die getroffenen Theilchen nicht ausweichen können und die lebendige Kraft des Stoffes sich rasch in die zur partiellen Explosion nöthige Wärme umsetzt. Im Zusammenhang mit diesen Versuchen ergab sich, daſs die Zersetzung des Sprengöles bei gewöhnlicher Temperatur immer eine äuſserst langsame, allmälige und ruhige ist. Im Uebrigen geht auch eine Zersetzung des Nitroglycerins im Dynamit dann vor sich, wenn solcher im Wasserbade erwärmt wird. Unter letzteren Verhältnissen ist die Zersetzung eine weit schnellere, die sich entwickelnden Gase sind Dämpfe von salpetriger Säure, das Sprengöl nimmt eine grünliche Farbe an, es bilden sich dann Stickoxydul, Kohlensäure und die weiteren Zersetzungsproducte. Diese Zersetzungen des Nitroglycerins werden namentlich dann leichter bewirkt, wenn eine ungenügende Neutralisirung derselben vorliegt, ebenfalls bei zufälligen Verunreinigungen. Feuer ruft unter gewöhnlichen Verhältnissen beim Sprengöl keine Explosion hervor. Durch den elektrischen Funken wird das Nitroglycerin nur unter besonderen Verhältnissen zur Entladung gebracht. Gegen Stöſse, Schläge, wie solche beim Transport von Gefäſsen o. dgl. entstehen können, ist das Nitroglycerin nahezu unempfindlich. Weitere ausführliche Versuche über das Verhalten des Dynamits wurden in Zürich unter Mitwikung von Bolley, Kundt und K. Pestalozzi i. J. 1869 ausgeführt. Es wurde von den Genannten noch besonders hervorgehoben, daſs die kupfernen Zünder, die durch Stoſs explodiren können, nicht gleichzeitig mit dem Dynamit in eine Kiste verpackt werden dürfen. Im nämlichen Jahre wurden von Carstens und Fuchs aus Hamburg Versuche ausgeführt, welche die relative Sicherheit des neuen Sprengstoffes gegenüber Feuer zeigen. Eisen-bereifte Holzfässer brannten im offenen Holzfeuer, mit Dynamit gefüllt, ruhig ab, die sich entwickelnden Gase gaben heftig flackernde Flammen. Eine Bickford-Zündschnur ohne Zündhütchen wurde in eine Blechbüchse mit Dynamit eingeführt und entzündet, ohne Entzündung des Dynamits herbei zu führen. Ein Fäſschen mit Dynamit wurde aus der Höhe von etwa 30m auf Felsboden herabgeschleudert; das Fäſschen wie der Inhalt blieben unbeschädigt. Gleichfalls werden allen Theilnehmern der Naturforscherversammlung in Hamburg die schönen Experimente unvergeſslich sein, welche dort in Krümel bei Lauenburg mit Dynamit angestellt wurden (vgl. 1877 223 224). Sollen Dynamitsprengungen unter Wasser vorgenommen werden, so ist es nothwendig, einen wasserdichten Verschluſs des Sprengstoffes herbeizuführen, da sonst eine Endosmose zwischen Wasser und Glycerin stattfindet. Die verbreitetste Sorte von Dynamit ist das Nobel'sche Kieselguhr-Dynamit; dasselbe besteht aus 75 Proc. Nitroglycerin und 25 Proc. Kieselsäure. Es hat bei Verwendung in festem Gestein die 6 bis 7fache Kraft des Sprengpulvers. Der gegrabene Kieselguhr ist wasserhaltig. Eine Sorte weiſser Guhr ergab folgendes Resultat: Im Naturzustande Unlösliche SiO2, Fe2O3, Al2O3, CaSO4   15,43 Lösliche SiO2   77,30 Wasser     7,27 –––––– 100,00. Im wasserfreien Zustande Unlösliche SiO2 und Fe2O3 u.s.w.   16,64 Lösliche SiO2   83,36 –––––– 100,00. Grüner Kieselguhr hatte folgende Zusammensetzung: Im Naturzustande Unlösliche SiO2, Fe2O3, A12O3, CaCO3   10,97 Lösliche SiO2   62,92 Organische Substanz   17,76 Wasser     8,35 ––––– 100,00. Im wasserfreien Zustande Unlösliche SiO2 und Fe2O3   11,96 Lösliche SiO2   68,67 Organische Substanz   19,37 –––––– 100,00. In einer dieser Sorten fand sich: Eisenoxyd 0,70 Proc. Kohlensaurer Kalk 0,73 Thonerde 0,13 Die Infusorienerde wird vorerst in Flammöfen gebrannt, um organische Stoffe zu zerstören, das Wasser auszutreiben und sie zur Aufnahme einer gröſseren Menge Nitroglycerin befähigter zu machen. Das Mengen mit den Aufsaugestoffen geschieht am sichersten durch Handarbeit in mit Blei oder Kautschuk gefütterten Holztrögen. Die Patronen werden den gewöhnlichen Bohrlochsdurchmessern entsprechend in den Fabriken hergestellt. Mit gröſster Sachkenntniſs und Vollkommenheit werden diese Dynamite seitens der Dynamit-Actien-Gesellschaft in Hamburg angefertigt. Dieselbe liefert als stärkste Sorte Patronen mit 75 Proc. Nitroglycerin, die als Aufsaugungsmaterial Cellulose oder Kieselguhr zugleich enthalten. Die Bestimmung des Nitroglycerins ist meinerseits stets mit Methylalkohol vorgenommen worden, welcher sich in vollständiger Reinheit und zu billigem Preise beschaffen läſst. Es wurden jedesmal etwa 10g Dynamit verwendet und ein Extractionsapparat für ätherische Flüssigkeiten nach Mohr's Princip construirt in Anwendung gebracht.Solche Apparate werden in passender Form zu billigem Preise in Glas durch Carl Stelling in Hamburg geliefert. Es gelingt selbst bei Anwendung einer noch gröſseren Menge Dynamit nicht, die zugesetzten 75 Proc. bis auf 0,5 Proc. wieder zu erhalten, da mit der Operation ein gröſserer Verlust Hand in Hand geht. Gleichzeitig findet auch eine Zersetzung des Nitroglycerins statt, da der Auszug stets stark sauer reagirt. Die stärksten Dynamite hatten folgende Procent-Zusammensetzung: Nitroglycerin 75,63 74,26 74,94 73,16 74,64 72,05 Kieselguhr 24,16 24,92 24,78 26,35Zugleich etwas schwefelsauren Kalk enthaltend. 24,33Zugleich etwas schwefelsauren Kalk enthaltend. 27,43 Wasser   0,21   0,82   0,28   0,49   1,03   0,52. Die schwächere Sorte Dynamit obiger Gesellschaft enthält etwa 50 Proc. Nitroglycerin, wie nachfolgende Analysen zeigen: Nitroglycerin 50,62 47,92 Kieselguhr 48,49 50,78 Wasser   0,89   1,30. Rhexite bestehen aus Gemengen von 30 bis 65 Proc. Nitroglycerin mit Kalisalpeter, Kreide und Sägespänen; es wurden gefunden: Nitroglycerin 66,12 64,95 Salpeter, Sägespäne 33,18 34,85 Wasser   0,70   0,20. Dahin sind auch nach ihrer Zusammensetzung folgende Proben zu rechnen: Nitroglycerin 67,99 Nitroglycerin 68,26 Kohle 22,89 Kohle 23,05 KNO3 6,23 Gesammtsalze 7,59 NaNO3.NaCl 0,48 Wasser 1,10 Ca(NO3)2 1,40 Wasser 1,01 In neuerer Zeit soll in der Montanindustrie eine Mischung von Nitroglycerin mit gelöster Schieſswolle praktische Verwendung finden. Das Nitroglycerin besitzt zwar Mängel, wie die leichtere Trennbarkeit des Nitroglycerins von Kieselguhr durch Wasser und das Hartwerden der Dynamitpratronen bei niederer Temperatur; indeſs sind beide Fehler für die Civiltechnik ohne jede praktische Bedeutung, und ist das Dynamit für fast alle Verwendungen namentlich bei Gesteinssprengungen und im Grubenbau als ein vortreffliches, allen Anforderungen entsprechendes Sprengmittel zu bezeichnen. Das Dualin und der Lithofracteur sind beides Präparate, die ebenfalls fabrikmäſsig hergestellt werden. Der Lithofracteur enthält 52 Proc. Nitroglycerin, gemischt mit Kieselguhr, Steinkohle, Natronsalpeter und Schwefel. Er ist immerhin schlecht zusammengesetzt, da er Dynamit mit 20 Procent eines Schieſspulvers, mit einem groſsen Ueberschuſs an Kohle vorstellt. Von dem Dualin läſst sich sagen, daſs es immerhin schon praktischer zusammengesetzt ist. Es enthält 50 Proc. Nitroglycerin mit Sägespänen und Kalisalpeter. Diese Salpeter inprägnirten Späne haben die Eigenschaft, das Nitroglycerin schlecht aufzusaugen. Da das specifische Gewicht des Dualins nur die Hälfte von jenem des Dynamits ist, so hat es dem Volum nach auch blos eine um 50 Procent geringere Sprengkraft.