Titel: Zur Classification der Dampfmaschinen-Steuerungen.
Autor: Rudolf Doerfel
Fundstelle: Band 233, Jahrgang 1879, S. 177
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Zur Classification der Dampfmaschinen-Steuerungen. Doerfel, zur Müller-Melchiors'schen Classification der Dampfmaschinen-Steuerungen. Der um die Literatur der Steuerungen hochverdiente Referent von Dingler's polytechnischem Journal, Hr. Ingenieur Müller-Melchiors, entwickelt in Bd. 232 S. 385 ff. eine neue Gruppirung der Steuerungen auf Grundlage der Art des Antriebsmechanismus, welche Verfasser um so mehr freudig begrüſsen kann, als er selbst die Unzulänglichkeit der bisherigen, sowie den Vortheil der kinematischen Auffassung erkannt und in einem (noch nicht veröffentlichten) Vortrag im Architecten- und Ingenieurverein für BöhmenUeber die Brown'sche und die Collmann'sche Steuerung am 28. November 1878. dargelegt und begründet hat. In der Aufstellung der Hauptgruppen weicht aber das Resultat unserer Betrachtungen von dem Müller-Melchiors' ab, und es dürfte nicht ungerechtfertigt erscheinen, wenn wir dasselbe als kleinen Beitrag zur Lösung der vorliegenden Aufgabe hiermit vorbringen. Wir sehen ebenfalls den Antriebsmechanismus als ausschlaggebend an und finden als für Construction sowie Beurtheilung desselben hauptsächlich entscheidend, ob die verschiedenen Functionen der Steuerung für Einströmung und Auslaſs: A)gemeinschaftlich durch die bestimmte Bewegung eines einzigen Organs oder B) durch das Zusammenwirken mehrerer Organe unter (wenigstens zeitweilig) verschiedenen Bewegungen (z.B. Doppelschieber, Schleppschieber) oder C) durch getrennte selbständig bewegte Organe (z.B. Ventile, Corliſssteuerung) bewirkt werden soll. Mit der Vertheilung der Functionen unter mehrere Organe verringert sich selbstverständlich die Zahl der Bedingungen, welche beim Antrieb des einzelnen Organes einzuhalten sind, und es können Bewegungsmechanismen in einer Weise zur Anwendung kommen, die bei gemeinschaftlich steuernden unzulässig ist. Wir legen daher diese drei Anordnungen, welche zugleich auch alle möglichen Fälle repräsentiren, unserer Eintheilung als Hauptabtheilungen zu Grunde.Müller-Melchiors unterscheidet (1879 232 386) vor Allem positive Steuerungen mit unlösbarem Zusammenhang und Präcisionssteuerungen mit Auslösung; bei ersteren ferner oscillirende und rotirende Bewegung und obige drei Gruppen als Unterabtheilungen der Steuerungen mit oscillirender Bewegung. Je nachdem eine Steuerung eine dieser Anordnungen erfordert oder zuläſst, gehört sie in eine dieser drei Gruppen; es kann hierbei naturgemäſs nicht ausgeschlossen werden, daſs derselbe Mechanismus in mehreren Gruppen zugleich auftritt. Auch die Präcisionssteuerungen fügen sich zwanglos in die zwei letzteren Klassen. Sie kennzeichnen sich dadurch, daſs früherer oder späterer Abschluſs durch rechtzeitige Unterbrechung des (kraftschlüssigen) Zusammenhanges im Antriebsmechanismus unter Einwirkung äuſserer Kräfte (Gewichte, Federn, Dampfbuffer) bewirkt wird. Wir halten es für zulässig und nicht ungerecht, wenn dieses Princip derselben nicht höher gestellt wird als das anderer Systeme, bei welchen der gleiche Zweck durch Variation des Bewegungsgesetzes (verstellbare Excenter, Coulissen, Collmann-Steuerung) o. dgl. in gewiſs nicht minder geistreicher Weise erreicht wird. Es kann nur für unsere Ansicht sprechen, wenn darauf hingewiesen wird, daſs bekanntlich jede Eigenschaft, welche mit dem Begriff oder besser Namen Präcisionssteuerung in Zusammenhang gebracht werden kann, wie präciser Abschluſs, directe Einstellung des Füllungsgrades durch den Regulator, in jedem wünschenswerthen Grade auch zahlreichen anderen Constructionen (vom Meyer'schen Expansionsventil bis auf A. Collmann) erreichbar ist. Selbst die vielfach betonte Eigenschaft des blos zeitweilig bestehenden Zusammenhanges im Steuermechanismus ist vielen „positiven“ Steuerungen – z.B. allen Anschlagsteuerungen (bei Dampfpumpen, Kataraktsteuerungen, Schleppschiebern) – sowie in gewissem Sinne den Ventilsteuerungen überhaupt (bei Daumenantrieb sogar in ganz gleicher Bedeutung) eigentümlich. Jede Präcionssteuerung arbeitet auch positiv – sobald der Regulator nicht mehr auslöst, d.h. Maximalfüllung gibt. Die Folgerungen, zu welchen unsere Anschauungsweise führt, werden am besten verdeutlicht, wenn wir eine Skizze der vorzunehmenden Gruppirung entwerfen. Bei Steuerungen mit zusammen wirkenden Organen (B) wären etwa folgende Unterscheidungen nothwendig: a)Eines der Organe erhalt eine bestimmte Bewegung, das zweite ist verstellbar, aber sonst in Ruhe. Z.B. der Expansionssector bei rotirenden Flachschiebern, die Expansionskappe beim Ehrhardt'schen Hahn u.a. b)Ein Organ macht eine gewisse gleich bleibende Bewegung und nimmt ein zweites zeitweilig mit. Hierher gehören 1) Farcot's Schleppschiebersteuerung und ähnliche; 2) Wannieck-Koppner's Flachschiebersteuerung mit Auslösung der mitgenommenen Expansionsschieber, sowohl bei der älteren Doppelschieber-Ausführung, als bei der neueren mit Zweikammersystem u.a.; 3) Georg Wellner's „Voreilungsplattenschieber“ für Umsteuerungen mit unter 90° stehendem Excenter (vgl. *1874 213 368). c)Jedem Organ wird durch eigenen Antrieb eine bestimmte unveränderliche Bewegung ertheilt. Variable Füllung wird erzielt: 1) Durch Veränderung der wirksamen Länge des Expansionsschiebers, wie bei Meyer, Rider und einigen neueren Constructionen dieser Art; 2) durch frühere oder spätere Auslösung des Expansionsschiebers, wie bei Franz Wellner's Maschine in Paris 1878. d)Der Antrieb ertheilt einem Organ variable Bewegungen, das andere macht 1) dieselben zeitweilig mit, wie z.B. beim Ehrhardt'schen SchleppschieberVgl. Riedler's Ausstellungsbericht über Dampfmaschinen auf der Pariser Ausstellung 1878, S. 32. 2) es erhält einen eigenen Antrieb für gleichbleibende Bewegung, z.B. der Grundschieber bei Doppelschiebersteuerungen des Ein- und Zweikammersystemes, wo der (durch verstellbare Excenter, Coulissen o. dgl.) variabel bewegte Expansionsschieber den früheren oder späteren Schluſs der Füllungsperiode bewirkt, u.a. Schlieſslich wäre auch der Fall denkbar, daſs e)beide zusammenwirkenden Organe variable Bewegungen machen, eine Ausführung dieser Art ist uns aber nicht bekannt. Bei der dritten Hauptabtheilung (C), wo Ein- und Ausströmung durch getrennte selbständig bewegte Organe gesteuert wird, könnte unterschieden werden: a)Der Antrieb des einzelnen Organs bewirkt nur eine einzige bestimmte Bewegung: 1) Dieselbe führt das betreffende Organ vollständig, z.B. bei den alten Ventilsteuerungen. – 2) Der Schluſs erfolgt unter freier Einwirkung äuſserer Kräfte; es ist zu unterscheiden: et) ob eine eigene, stellbare Auslösevorrichtung nothwendig ist, welche den activen (oder den passiven) Mitnehmer auslöst (wie bei Corliſs); β) ob die Auslösung von selbst früher oder später erfolgt je nachdem der (am Organ befindliche) passive Mitnehmer verstellt wird, wie bei Sulzer's älterer Steuerung, Dautzenberg's Steuerung u.s.w. Das Princip ist bei jeder Steuerung mit rotirenden Daumen auch anwendbar. – 3) Die Eröffnung erfolgt durch äuſsere Kräfte (Gewichte, Wassersäulenmaschinen, Hilfsdampfmaschinen) und wird vom Steuermechanismus nur eingeleitet oder vermittelt (durch Aufziehen von Kataraktgewichten, mittels Vorsteuerung u.s.w.); der Schluſs des betreffenden Organes erfolgt direct durch den Bewegungsmechanismus. Hierher gehören die meisten Kataraktsteuerungen u.a. – 4) Die Bewegung der Steuerorgane erfolgt ganz durch äuſsere Kräfte (Dampfdruck o. dgl.) der Steuermechanismus hat nur vorzusteuern, z.B. Brown's (ältere) Ventilsteuerung. b)Der Antrieb (wenigstens der Einströmungsorgane) erzeugt variable Bewegungen: 1) Dieselben führen das Organ vollständig. Der Mechanismus kann durch einen verschiebbaren Satz von Stufenscheiben (Expansionsconus), durch Coulissen (Novák's Fördermaschine in Przibram) oder wie bei Collmann, Brown u.a. gebildet sein. (Ein sehr interessanter Repräsentant dieser Gruppe ist auch Ehrhardt's Schleppventilsteuerung.) – 2) Das Steuerorgan wird angehoben, aber früher oder später losgelassen und schlieſst unter freier Einwirkung äuſserer Kräfte. Hierher gehören Ventilsteuerungen mit rotirenden Daumen (z.B. auf einem Expansionsconus), ferner die Präcisionssteuerungen von Berghof, Sulzer Paris 1878, Walschaerts u.a. c)Die getrennte Steuerung des Einlasses erfolgt durch zusammenwirkende Organe, die des Auslaſses durch einfache, z.B. Radinger's Hahnsteuerung (*1874 213 275), die Audemar'sche Ventilsteuerung (mit 5 Ventilen). Es liegt nicht in unserer Absicht, hiermit ein vollständiges Eintheilungsschema zu geben; wir haben uns deshalb auch auf die Hauptabtheilungen B und C beschränkt. Wir glauben aber, daſs das Gebotene genügt, um unseren Standpunkt zu charakterisiren, namentlich aber die volle Durchführbarkeit eines Principes zu zeigen, welches erkannt und eingeführt zu haben als besonderes Verdienst Müller-Melchiors' anzurechnen ist, wenn wir auch dafür sind, den Präcisionssteuerungen schon jetzt jenen Platz unter den bekannten Systemen anzuweisen, welchen sie auch in Zukunft behaupten können. Prag, 30. Juni 1879. Rudolf Doerfel