Titel: Ueber die Unschädlichmachung saurer Gase.
Fundstelle: Band 238, Jahrgang 1880, S. 425
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Ueber die Unschädlichmachung saurer Gase. (Schluſs des Berichtes S. 337 dieses Bandes.) Ueber die Unschädlichmachung saurer Gase. E. Hasenclever zeigt in der Wochenschrift des Vereines deutscher Ingenieure, 1880 S. 43 bis 96, daſs Herbstfärbung, Pilze, Insektenstiche und andere Einflüsse an Blättern ähnliche Erscheinungen hervorbringen wie die sauren Gase. Durch dieses Zusammentreffen gleichartiger Wirkungen verschiedener Ursachen sind schon häufig irrige Schluſsfolgerungen gezogen worden. So zeigte die belgische Commission (Rapport à M. le ministre de l'intérieur par la commission d'enquête de 19. fevrier 1856. Bruxelles Annexes LXV) in einem Herbarium, welches 85 Exemplare gefleckter Pflanzen enthielt, welche Einwirkung M. Peters sämmtlich als von Salzsäure herrührend bezeichnet hatte, daſs nur 6 Pflanzen in einer Weise angegriffen waren, deren Natur man nicht bestimmen konnte, während die 79 arideren Exemplare bestimmt erkennen lieſsen, daſs mikroskopische, kryptogamische Vegetabilien oder Insekten, sei es als Larve oder im entwickelten Zustande, die äuſsere Veränderung der Blätter bewirkt hatten. Vorsicht bei Beurtheilung der Beschädigung von Vegetabilien ist also dringend geboten und besonders bei Waldschäden. Sind die Blätter gefleckt, so ist ihre Thätigkeit theilweise gestört und es vermindert die geringere wirksame Oberfläche der Blätter naturgemäſs den Zuwachs. Geht die Störung so weit, daſs die Blätter ganz trocken werden und abfallen und wiederholt sich diese Erscheinung mehrere Jahre, so stirbt der Baum allmählich ab. Die Abnahme des Zuwachses läſst sich aus den Jahresringen leicht ermitteln, wenn von dem gefällten Baume eine Scheibe des Stammes zur Untersuchung dienen kann. Da man aber nicht immer über einen Baum bestimmen darf, so ist der Untersuchung in dem Preſsler'schen Bohrer ein schätzbares Instrument zu Theil geworden, um den Zuwachs eines Baumes kennen zu lernen, ohne den Baum fällen zu müssen. Dieses Instrument wird in den Baum eingebohrt und ermöglicht einen Span ans dem Stamme zu ziehen, welcher die Entfernung der Jahresringe erkennen läſst. Es wird in vielen Fällen nicht allein darauf ankommen, die Abnahme des Zuwachses festzustellen, sondern häufig von besonderem Interesse sein, die Zeit bestimmen zu können, seit wann diese Abnahme stattgefunden hat; es ist also der Preſsler'sche Bohrer nach vielen Richtungen hin sehr nützlich. Nicht selten haben ganze Waldungen ein leidendes Aussehen an Orten, wo von Einwirkung saurer Gase nicht die Rede sein kann. Diejenigen Einwirkungen, welche auſser der Beschädigung durch Hüttenrauch eine Abnahme des Zuwachses veranlassen, können, abgesehen von der in jedem Waldbestande vorkommenden Ueberwipfelung, durch Freistellungen, ausnahmsweise durch Entwässerung hervorgerufen sein; auch üben mitunter Bodenverhältnisse, Entnahme von Waldstreu, Ueberfluthungen und andere Ursachen einen nachtheiligen Einfluſs aus, wie Hasenclever ausführlich zeigt. Sind diese die Vegetation hindernden Einflüsse nicht zutreffend für Abnahme des Zuwachses in einem speciellen Falle, so mag in manchen Fällen die Beschädigung durch saure Gase bedingt sein. Bezüglich der Nachweisung der Beschädigung durch die Analyse der Blätter ist zu bemerken, daſs z.B. König (1878 229 300) in seiner Untersuchung der Nadelhölzer aus der Gegend von Letmathe in gesunden und kranken Nadeln eine zwar sehr hohe, aber doch zu sehr übereinstimmende Schwefelsäuremenge gefunden hat, um den von ihm gemachten Schluſs zu rechtfertigen, daſs die Beschädigung durch Schwefelsäure nach seinen Analysen unzweifelhaft sei. A. Smith (Air and Rain, London 1872 S. 550) findet, daſs die Nachweisung einer Beschädigung durch saure Gase auf chemischem Wege keineswegs immer möglich ist. Er verlangt nur, daſs der Regen oder die Luft eines Ortes untersucht und beide verglichen werden mit Analysen von Luft und Regen solcher Orte, deren Vegetation geschädigt, und mit solchen, welche nicht geschädigt werden. Jedoch müssen Orte mit möglichst gleichem Klima verglichen werden, da ein trockenes Klima mehr Säure ohne schädliche Einwirkung verträgt. Der in den bisherigen Pflanzenanalysen angegebene Gehalt an Chlor und Schwefelsäure ist durchweg in der Asche bestimmt und daher als Vergleichsmaterial mit Vorsicht aufzunehmen. Hasenclever hat nun eine Reihe von Laubproben sammeln und analysiren lassen; dabei fanden sich in 100 Trockensubstanz: Bezugsort Holzart SO3 Cl Asche Aus westfälischen In-  dustriebezirken, fern  von Rösthütten und  chemischen Fabriken PappelLindeBucheKieferPappelEichePappel 2,740,721,320,560,481,241,49 0,620,240,330,530,630,450,74 13,9610,31  9,20  4,2216,06  7,9512,91 Aus der Nachbarschaft  von isolirt gelegenen  chemischen Fabriken KieferEiche ?? 0,580,56 ?? Wieviel Schwefelsäure oder Chlor Blätter oder Nadeln aufnehmen können, ohne krank zu werden, ist übrigens noch nicht festgestellt. Es ist ferner sehr wohl zu berücksichtigen, daſs auch der Steinkohlenrauch erhebliche Mengen Schwefligsäure enthält (vgl. 1876 220 89), welcher PflanzenAuf dem Rittergute Kotschbar war Stöckhardt (Tharander forstliches Jahrbuch, Bd. 21 S. 31) zufällig zugegen, als man in dem seit 20 Jahren mit Holz gespeisten, neuerlich aber zur Steinkohlenfeuerung eingerichteten Ziegelofen den ersten Brand ausführte, dessen Rauch an diesem Tage den 80 bis 90 Schritt entfernten Obst- und Gemüsegarten der Nachbarn zugetrieben wurde. Am anderen Tage boten die letzteren ein Bild greulicher Verwüstung dar; das Laub der Obstbäume war vollständig verdorrt, der Boden darunter mit abgefallenen jungen grünen Früchten, insbesondere Pflaumen bedeckt, die Zier- und Gemüsepflanzen waren geknickt und verwelkt, der Wein des Geleites bis zum zweiten Stock hinauf eine braunrothe Fläche mit welken, grünen Träubchen u.a.m. (vgl. 1878 228 437). und Eisentheile schädigt (vgl. 1875 218 257). Neben Schwefel enthalten die Kohlen auch 0,1 bis 2 Proc. Chlor als Chlornatrium (vgl. Smith: Air and Rain, S. 246), welches zum groſsen Theil mit dem Rauch entweicht, auch in Hochofengasen nachgewiesen ist (vgl. 1875 217 217). Eine nachtheilige Einwirkung von reinen Metalloxyden stellt Freytag ebenso wie Stöckhardt für Rufs in Abrede; dagegen ist die ätzende Einwirkung der mit den Metalloxyden vielfach vorkommenden Vitriole von Frey tag und Hasenclever nachgewiesen. Letzterer hebt noch hervor, daſs Steinkohlenrufs neben theerigen Bestandtheilen, welche die Blattporen verschmieren können, mehr oder weniger Vitriole enthält und daſs diese bei feuchtem Wetter auf Pflanzentheile, auf welche sie aufliegen, namentlich Huflattigblätter, ätzend wirken. Diese schädliche Wirkung der Vitriole ist mehr auf die Nähe des Ursprunges beschränkt, als saure Gase, von denen namentlich die Schwefligsäure auch auf gröſsere Entfernungen zerstörend wirkt. Richardson hält Chlor für das schädlichste Gas (vgl. Minutes of evidence taken before tke royal commission on noxious vapours, 1878 S. 95). Gegen die nachtheilige Wirkung der sauren Gase auf die Vegetation haben sich hohe Schornsteine nicht bewährt, wenn es sich darum handelte, durch sie allein die schädliche Einwirkung groſser Mengen saurer Gase zu vermeiden. Nur bei schönem Wetter erfolgt genügende Verdünnung, während bei drückender, feuchter Atmosphäre die sauren Gase vereinigt bleiben. Handelt es sich aber namentlich bei einzeln gelegenen Fabriken um die Beseitigung geringer Mengen saurer Gase, so kann man sie mit Erfolg durch hohe Schornsteine entweichen lassen. Die Entsäuerung der Feuerungsgase hat bis jetzt noch nicht praktisch gelingen wollen. Glashütten, welche mit Sulfat arbeiten, entsäuren ihre Gase wohl nirgend, Ultramarinfabriken (vgl. 1876 221 468) nur selten. Zum Auffangen der Vitriole, welche bei der Verhüttung von Zink-, Blei- und Kupfererzen vorkommen, empfiehlt sich die Anlage von langen Kanälen mit groſsem Querschnitt. In Schwefelsäurefabriken ist der Verlust an sauren Gasen durch die Gay-Lussac'schen Thürme wesentlich herabgedrückt. Schwierig ist dagegen noch die Verdichtung der Schwefligsäure für die Rösthütten. Durch die namentlich in Belgien und Deutschland äuſserst starke Production an Zink und Blei aus den entsprechenden Schwefelmetallen ist die Frage wegen Verwerthung der Röstgase für manche Orte von besonderer Bedeutung. Als wesentlicher Fortschritt ist zu bezeichnen die in Freiberg, Schoppinitz, Letmathe, Oberhausen und Stolberg mit den Rösthütten verbundene Fabrikation von Schwefelsäure, bei welchen in Freiberg Gerstenhöfer's Oefen, an den anderen genannten Orten Hasenclever und Helbig's Oefen angewendet werden. Die Condensation der Röstgase ist zwar auch bei diesem Verfahren immerhin noch unvollständig und bleiben weitere Fortschritte der Zukunft vorbehalten; jedoch ist das Aussehen der Vegetation in der Nähe der Hütten je nach dem Betriebe ein sehr verschiedenes. Bei der gewöhnlichen Röstung mit niedrigen Schornsteinen fehlt der der Hütte zunächst gelegenen Umgegend jede Vegetation. Es folgt eine Zone, in welcher einzelne Gräser und Kräuter kümmerlich wachsen, dann ein Strich, in welchem nur niedriges Strauchwerk fortkommt, bis endlich wieder die gewöhnliche Feld- und Waldkultur betrieben werden kann. Wird dagegen der gröſsere Theil des Schwefels bei der Röstung zu Schwefelsäure condensirt und läſst man den Rest in verdünnter Form durch hohe Schornsteine entweichen, so kann dicht bei der Hütte und in jeder Entfernung von derselben Feld- und Gartenkultur unbeschädigt gedeihen, wenn auch Nadelhölzer, Obstbäume und manche hochstämmige Holzarten in der herrschenden Windrichtung nahe bei der Betriebsstätte nicht gezogen werden können. Wenn die Versuche, mechanische Rührer in den Röstöfen zu benutzen, gelingen, werden weitere Fortschritte aufzuweisen sein, da dann die Abrüstung in dem Theile des Ofens, welcher die Gase für die Schwefelsäure liefert, verbessert werden wird. Die Absorption der Röstgase durch Alaunschiefer, wie sie de Laminne in Belgien ausführt, ist an das Vorkommen dieses Gesteins gebunden und deshalb nur von localem Interesse. Chemische Fabriken, welche Chlornatrium mit Schwefelsäure zur Herstellung von Sulfat zersetzen, haben namentlich in England und Belgien vielfach zu Klagen über Belästigungen durch saure Gase Veranlassung gegeben. In Deutschland ist jetzt durch die stärker entwickelte Industrie in der Theerfarbenfabrikation, der Kupferextraction, in den Leimsiedereien, Färbereien und anderen Industriezweigen ein so groſser Bedarf nach Salzsäure eingetreten, daſs manche Fabriken bereits die Salzsäure ihrer selbst wegen gewinnen und hierbei Soda als Nebenproduct darstellen. Da somit die Fabrikanten die Verdichtung der Salzsäure im eigenen Interesse bewirken, so hat das preuſsische Ministerium von dem Erlaſs diesbezüglicher Vorschriften absehen können. Das vielfach verbreitete ungünstige Urtheil über chemische Fabriken ist wohl einerseits auf die in früheren Jahren thatsächlich oft mangelhafte Condensation, theils darauf zurückzuführen, daſs zuweilen in der Nähe der Fabriken die Geruchsorgane unangenehm berührt werden, sei es durch den gleichzeitigen Betrieb einer Fabrik von künstlichem Dünger, sei es durch den Schwefelwasserstoff aus den Sodarückständen; auch wird der Geruch nach Chlor, Salzsäure u. dgl. nie ganz zu vermeiden sein. Augenscheinlich leidet aber die Vegetation in der Nähe von gut geführten chemischen Fabriken, wenn sie isolirt liegen, nicht merklich. Auch in England ist die Condensation wesentlich gebessert (vgl. 1880 236 54. * 131). Wenn man aber bedenkt, welche verschiedenartige Anlagen beispielsweise zwischen Newcastle und der Tyne-Mündung auſser den 18 chemischen Fabriken liegen, so wird man sich nicht wundern, daſs das Thal bei drückender Luft mit Rauch angefüllt ist und von Vegetation an den Ufern kaum die Rede sein kann. Auch in der Gegend von St. Helens bewirken die verschiedensten Rauchquellen ihren ungünstigen Einfluſs. Nach der Berechnung von Fletcher gelangen dort wöchentlich in die Atmosphäre: Aus den Feuerungsgasen 800t schweflige Säure, Kupferhütten 380 Glasfabriken 180 chemischen Fabriken   25 Chlorwasserstoff. Daſs in einer so mit Säure geschwängerten Atmosphäre eine Vegetation nicht gedeihen kann, ist begreiflich. Die chemischen Fabriken haben aber hieran den kleinsten Antheil. Für die Umgegend von Stolberg, wo Eisen, Blei, Zink, Glas, chemische Producte u.s.w. hergestellt wird, liefern die 28 Fabriken bei gewöhnlichem Betriebe aus 220 Schornsteinen und auf einer Grundfläche von 650ha täglich etwa 34500k Schwefligsäure aus 1150t Kohlen und 51338k Schwefligsäure aus der Fabrikation nebst 750k Salzsäure, zusammen etwa 87t saure Gase. Daran ist die chemische Fabrik Rhenania mit nur 4 Proc. betheiligt. Den wirklich verursachten Schaden soll selbstverständlich Jeder zahlen, und wäre es wünschenswerth, daſs das Studium der Beschädigung der Vegetation durch saure Gase weiter gefördert würde, damit Streitfälle ohne Vorurtheil und mit mehr Sachkenntniſs, als dies bisher noch häufig geschieht, erledigt werden können. Die öffentliche Meinung urtheilt in diesen Fragen durchaus nicht immer richtig. Bei der in England so stark entwickelten Industrie ist es natürlich, daſs dort der Rauchfrage besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird, während in Frankreich und Deutschland nur einzelne Chemiker und Forstleute sich mit diesem Studium befaſst und die Frage durch schätzenswerthe Beiträge gefördert haben. Das Bemühen der Engländer ist mit Erfolg darauf gerichtet, was praktisch in der Condensation saurer Gase ohne Benachtheiligung der Industrie erreicht werden kann, gesetzlich vorzuschreiben; man geht aber in diesen Bestimmungen sehr vorsichtig zu Werke. Der Vorwurf der Beschädigung der Vegetation erstreckt sich mehr oder weniger auf alle industriellen Anlagen, und es darf nicht vergessen werden, daſs es sich hierbei nur um die möglichste Beseitigung eines kleinen Uebelstandes handelt, gegenüber den groſsen volkswirthschaftlichen Vortheilen, welche die Nation der Industrie verdankt. Es ist zur Verbesserung dieses Uebelstandes viel geschehen, so daſs A. Smith den früheren Zustand und den jetzigen mit Barbarismus und Civilisation vergleicht.