Titel: | Ueber Oxydation von Sodalaugen sonst und jetzt; von Dr. K. W. Jurisch. |
Autor: | K. W. Jurisch |
Fundstelle: | Band 240, Jahrgang 1881, S. 55 |
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Ueber Oxydation von Sodalaugen sonst und jetzt;
von Dr. K. W. Jurisch.
Mit einer Abbildung.
Jurisch, über Oxydation der Sodalaugen.
Um in der Fabrikation von Aetznatron an Salpeter zu sparen, benutzt man seit etwa 25
Jahren2) den Sauerstoff der Luft, um das in den
Sodalaugen enthaltene Schwefelnatrium zu oxydiren. Die Oxydation desselben geht
jedoch nur bis zur Bildung von dithionigsaurem Natrium, wie die von Lunge3) mitgetheilte Formel:
2Na2S + 40 + H2O = Na2S2O3+ 2NaOH
darstellt. Die Ersparniſs infolge dieser theilweisen Oxydation
ist beträchtlich, schwankt aber natürlich mit dem Preise von Chilisalpeter und mit
dem Gehalt der Laugen an Schwefelnatrium. Wenn man letzteres durch Luft vollständig
zu dithionigsaurem Natron oxydirt, so gebraucht man zur gänzlichen Oxydation
desselben zu Sulfat in den weiteren Stadien des Processes nur noch die Hälfte
derjenigen Salpetermenge, welche man früher anwenden muſste. Benutzt man „rothe
Laugen“ zur Herstellung des Aetznatrons, so kann sich die auf diese Weise
erzielte Ersparniſs auf 10 bis 15 M. für 1t
Aetznatron belaufen.
In der Fabrik von James Muspratt and Sons in Widnes
behandelte man noch i. J. 1876 die „rothen Laugen“ in horizontalen
Pfannen.
Dieselben enthielten der Länge nach an mehreren Stellen Injectionsröhren, durch
welche man ein Gemenge von Luft und Wasserdampf in die Lauge hinein blasen konnte.
Die auf diese Weise erreichte Oxydation war aber höchst unbefriedigend, wie folgende
zwei Beispiele zeigen:
1878
Stundengeblasen
Dampf-spannung
Tempe-ratur
Twaddle
Gramm in 1l
Na2S
auf100Na2O
Proc. Na2Soxydirt
GesammtNa2O
Na2S
October
0 2 312
2,81k/qc2,602,60–
35°6061–
60°575654
201,5188,5186,0177,3
20,0817,5517,0214,04
9,969,349,147,92
0 6,22 8,23 20,50
November
01018
–2,04–
–60–
535046
180,0173,0158,7
14,56 8,75 6,00
8,095,063,77
0 37,45 5,40
Darauf stellte man im J. 1878 verticale Oxydationscylinder auf von 4m Höhe und 2m,3
Durchmesser. Jeder derselben hat in der Mitte eine 15cm starke Röhre, welche oben einen Körting'schen Dampfinjector trägt und
auf dem Boden des Cylinders aufsteht. Etwa 30cm
über dem Boden verzweigt sich die Röhre statt in der früheren sternförmigen
Anordnung in ein System von engeren Röhren nach der Construction von J. H. Lewis, wie beistehende Skizze zeigt, mit schräg
gegen den Boden gerichteten Oeffnungen von etwa 5mm Weite. Die Füllung des Apparates geschieht durch Einlaufen von einem
höher stehenden Behälter; die Entleerung durch eine etwa 40cm über dem Boden befindliche Oeffnung von 60mm Weite.
Es sind drei solcher Cylinder vorhanden, die neben einander aufgestellt und durch die
Ausfluſsöffnung mit einander in Verbindung sind; jeder einzelne kann jedoch durch
einen Hahn zwischen Ausfluſsöffnung und Verbindungsrohr abgeschlossen werden. Die
62mm weite Verbindungsröhre führt zu einem
Siemens'schen Dampfstrahl, welcher die oxydirte Lauge in ein hoch stehendes Gefäſs
hebt, von wo aus sie in den Kausticirungsapparat abflieſsen kann. Dieser Dampfstrahl
befindet sich in einem Röhrenstück von 21cm Länge
und 7cm äuſseren Durchmesser. Die Weite der
Dampfzuleitungsröhre ist um 1cm geringer. Die drei
Cylinder werden abwechselnd zum Blasen benutzt, weil das Reinigen, Füllen,
Klärenlassen und Entleeren ziemlich viel Zeit in Anspruch nimmt. Jede Beschickung
eines Cylinders beträgt etwa 7000l
„rother Lauge“ von 50 bis 60° Twaddle, welche im Cylinder etwa 1,7 bis 2m hoch steht – eine Höhe, welche der genannte
Körting'sche Injector mit aller Leichtigkeit überwindet. Die durch die ganze Flüssigkeitsmasse –
welche dabei in heftige Bewegung geräth – gleichmäſsig aufsteigenden Luftblasen
ermöglichen eine vollständige Oxydation des vorhandenen Schwefelnatriums zu
Dithionit; jedoch ist hierzu ein 9 bis 18stündiges ununterbrochenes Blasen
erforderlich.
Die folgende Tabelle enthält die Mittel aus 15 Beobachtungen aus dem Februar 1879
nebst den höchsten und niedrigsten vorgekommenen Zahlen:
Mittel
Höchste
Niedrigste
vorgekommene Zahl
Gramm in 1l Na2ONa2S
201,1 18,7
229,4 27,3
176,0 14,8
Gramm Na2S auf je 100g Gesammt-Na2O
9,3
11,9
7,1
Stunden erforderlich, bis alles Na2S oxydirt war
13,8
15
9
Gramm Na2O in 1l der oxydirten Lauge
163,5
189,4
140,2
Die Kosten dieses Verfahrens ergeben sich aus folgender Berechnung: 7000l zu 200g
Gesammt-Na2O enthalten 1400k Na2O. 1t 70procentiges Aetznatron enthält 700k Na2O; somit
würde jede Beschickung 2t Aetznatron ergeben. Da
jedoch von dem in der Lauge vorhandenen Alkali nur ¾ zur Fabrikation von Aetznatron
gelangen, während das übrige ¼ in Form von Salzen abgesondert wird und anderweitig
verwerthet werden muſs, so liefert jede Beschickung nur 1t,5 Aetznatron.
Der benutzte Körting'sche Apparat, um Luft durch die Flüssigkeit zu pressen, ist der
von jener Firma mit Nr. 3 bezeichnete. Das Hauptguſsstück ist 83cm lang; die Düse für den Dampf hat 19mm Durchmesser, ihre Oeffnung kann aber durch Ein-
oder Ausschrauben einer Spindel verengert oder erweitert werden. Die mittlere
Stellung der Spindel ist für einen Ueberdruck von 3at berechnet. Die Dampfspannung schwankt aber zwischen 2,75 und 3,5at Ueberdruck. Die Luftöffnung hat 115mm Durchmesser. Nach Körting's Angaben, die sich stets durch groſse Genauigkeit auszeichnen,
liefert dieser Luftdruckapparat ungefähr 510cbm
Luft in der Stunde. Der Dampfverbrauch bei völlig geöffneter Düse und 3at Ueberdruck stellt sich nach sorgfältigen
Versuchen Körting's auf 540k für die Stunde, ist aber natürlich bei eingeschraubter Spindel geringer.
Die Stellung der letzteren während der Oxydation ist bei neuen Apparaten eine
mittlere und wird nur selten oder gar nicht dem wechselnden Dampfdruck gemäſs
verändert. Wenn der Luftdruckapparat jedoch zufällig oder in Folge langer Benutzung
sich mit rauhen Krusten überkleidet, so muſs man die Spindel nach und nach weiter
herausschrauben, bis sie schlieſslich völlig geöffnet ist und dann auch so
verbleibt.
Nimmt man eine mittlere Oxydationsdauer von 14 Stunden zu je 540k Dampfverbrauch an, so ergibt sich bei 6½facher
Verdampfung ein Kohlenbedarf von 1163k für die
Beschickung, oder von 775k füllt Aetznatron. Wenn
man den Preis von 1t Kohlen zu 6 M. ansetzt, so
kostet hiernach das Oxydiren 4,65 M. für 1t
kaustischer Soda.
Neben diesem Betrage für verbrauchte Kohlen hat man noch die Amortisation der
Anlagekosten und die Arbeitslöhne zu berücksichtigen.
In allen drei Kostenpunkten führt nun der Proceſs von Dr. Pauli (Englisches Patent Nr. 3193 vom J. 1879) eine beträchtliche
Oekonomie herbei (vgl. 1880 235 299). Pauli schreibt
vor, 1g MnCl2 für
je 1l Sodalauge zu benutzen. Statt dessen hat man
es für bequemer gefunden, Weldon-Schlamm anzuwenden von der Beschaffenheit, wie er
in die Chlorentwickler einflieſst. Die Oxydation des Na2S geht bei Gegenwart der Oxyde des Mangans sehr viel schneller von
statten als ohne diesen Zusatz. Weldon gibt dafür
folgende Formel an:
2Na2S + 4MnO2 = Na2S2O3 + Na2O + 4MnO.
Das MnO mag sich dann sofort wieder zu Mn2O3 oder MnO2 oxydiren und so als ein Uebertrager des
Sauerstoffes der Luft an das Na2S wirken. Dieser
Proceſs soll fortgehen, bis alles Na2S oxydirt ist,
und dann mag schlieſslich das Mangan durch das überschüssig vorhandene kohlensaure
Natron und Aetznatron als kohlensaures Salz oder als Hydroxyd gefällt werden. Weldon macht weiter darauf aufmerksam, daſs das Na2S2O3 zum Theil bei 160° herausgefischt werden kann,
wodurch dann ein Gewinn an Aetznatron zurückbleibt.
In der Fabrik von James Muspratt and Sons in Widnes
wurde der erste Versuch mit Pauli's Proceſs am 3. December 1879 angestellt.
Angewendet wurden etwa 1200l Weldon-Schlamm,
welche den Oxydationscylinder bis zur Höhe der Luftvertheilungsröhren anfüllten,
aber noch etwa 10cm unter der Abfluſsöffhung
standen. Dann wurde der Cylinder bis zur gewöhnlichen Höhe mit „rother Lauge“
angefüllt, d.h. mit etwa 5800l. Zusammensetzung
des Weldon-Schlammes:
10cc oxydirten 6g,363 schwefelsaures Eisenoxydul – Ammoniak
(392); derselbe enthielt also in 1l = 70g,57 MnO2.
10cc zersetzten und sättigten
24cc,25 Normal-Salzsäure (73g HCl in 1l), woraus sich das Aequivalent der Basis zu 0,987 ergab.
10cc nach vollständiger
Oxydation mit Chlorkalklösung oxydirten 8g,949
schwefelsaures Eisenoxydul-Ammoniak; der Schlamm hatte also einen Oxydationsgrad
von 71,1 Proc.
Folgende Tabelle zeigt den Verlauf der Oxydation:
Dauer des Blasens
Gramm im Liter
Gramm Na2S
auf 100gGesammt-Na2O
Gesammt-Na2O
Na2S
Ursprüngliche Lauge (5800l)
168,02
9,360
5,570
½ Stunde
141,34
0,936
0,662
1 „
138,88
0,273
0,197
1½ Stunden.
134,85
Spur
Spur
2 „
130,20
Spur
Spur
2½ „
129,88
0
0
Die ursprüngliche „rothe Lauge“ hatte 56° Twaddle, am Ende der Oxydation nur
noch 44° Tw. Die Temperatur war nach einstündigem Blasen auf 65° gestiegen. Die
oxydirte Lauge ergab, mit Salmiak gefällt, 2g,07
SiO2, Al2O3, Fe2O3 im Liter, oder 1g,6 dieses Nieder (vgl. 1881 239 50) für je 100g Na2O. In der anfänglichen Lauge war eine
beträchtlich gröſsere Menge dieser Verunreinigungen gefunden worden.
Nachdem die geklärte Lauge abgezogen und der zurückgebliebene Schlamm mit Wasser
gewaschen worden war, wurde eine neue Beschickung von rother Lauge von 58° Tw.
aufgegeben, welche folgenden Oxydationsverlauf zeigte:
Dauer des Blasens
Gramm im Liter
Auf je 100g
Na2O
Gesammt-Na2O
Na2S
SiO2 u.a.
Na2S
SiO2 u.a.
Anfängliche Lauge (5800l)
185,69
10,45
6,72
5,630
3,62
Nach 2 Stunden
166,47
0,61
–
0,365
–
„ 2½ „
127,41
0
–
0
–
„ 3 „
124,00
0
2,56
0
2,07
Von derselben rothen Lauge wurde ein anderer Theil ohne
Zufügung von Weldon-Schlamm in der alten Weise oxydirt und ergab folgendes
Resultat:
Dauer des Blasens
Gramm im Liter
Auf je 100g
Na2O
Gesammt-Na2O
Na2S
SiO2 u.a.
Na2S
SiO2 u.a.
Ursprüngl. Lauge (7000l)
185,69
10,45
6,72
5,630
3,62
Nach 6 Stunden
153,45
2,145
–
1,400
–
„ 14½ „
144,46
0
4,26
0
2,94
Die Stärke der Lauge war am Ende der Oxydation auf 46° Tw. gesunken.
Erwähnt mag hier noch werden, daſs während der Oxydation von rother Lauge in dem
entweichenden Dampf ein deutlicher Ammoniakgeruch wahrnehmbar ist.
Diese Versuche zeigen, nach Reduction auf dieselbe Laugenmasse, daſs beim Pauirschen
Verfahren die Oxydation des Schwefelnatriums sehr viel schneller von statten geht
als früher. Auſserdem scheinen auch die Verunreinigungen: SiO2,Al2O3 und Fe2O3 in gröſserem Verhältniſs ausgeschieden zu werden.
Auffallend ist auch die schnelle Abnahme der Stärke der Lauge: Vollständige
Oxydation des Na2S trat ein, nachdem der Gehalt der
Laugen um etwa 40g Na2O im Liter verringert war, gleichgültig, ob dies in 2¼ Stunden durch
Verdünnen mit Weldon-Schlamm und Blasen in Pauli's Proceſs, oder in 14 Stunden nach
dem alten Verfahren geschah. Eine solche Verminderung des Sodagehaltes der
Beschickung von 7000l würde eine Verdünnung um
etwa 2000l voraussetzen.
Ein Versuch von Dr. Strehle im November 1880 ergab
folgende Zahlen:
Anfängliches Volumen der rothen Lauge mit
Weldon-Schlamm
9535l
Höhe dieser Beschickung im Oxydationscylinder
2m,295
Anfängliche Temperatur
26°
Specifisches Gewicht der Mischung, entsprechend
520 Tw.
Gehalt an Gesammt-Na2O im
Liter
157g,5
Dauer der Oxydation, bis alles Na2S oxydirt war
4 Std.
Schlieſsliches Volumen der Beschickung
107821
Höhe im Oxydationscylinder
2m,595
Volumenzunahme
1247l
Endtemperatur
80°
Gehalt der oxydirten Lauge an Gesammt-Na2O im Liter
148g,0
Eingeführtes Dampfgewicht
540 × 4 =
2160k
Nicht condensirt oder verdampft
2160 – 1247 =
913k.
Bei längerem Blasen ist natürlich die Verdampfung und Condensationsabnahme in der
heiſsen Flüssigkeit noch viel gröſser. In 14 Stunden führt der Körting'sche Apparat
7560k Dampf ein und doch beträgt die
Volumenzunahme, wie erwähnt, nur etwa 2000l.
Eine derartige Beschickung von Weldon-Schlamm kann 30 bis 40mal zur Oxydation benutzt
werden. Allerdings steigt dabei die Oxydationsdauer einer Beschickung bis auf 8 oder
10 Stunden. Der Apparat muſs dann von dem angesammelten Schlamm gereinigt und mit
einer neuen Menge Weldon-Schlamm beschickt werden. Dieses Erforderniſs tritt je nach
der Intensität des Betriebes in 2 bis 3 Monaten ein. Mit der ersten Beschickung von
1200l Weldon-Schlamm, welche 84k MnO2 enthielt,
wurden etwa 56t 70procentiges Aetznatron gemacht,
oder für 1t des letzteren wurden 1k,5 MnO2
verbraucht. Man erreicht jedoch dasselbe Resultat schon bei Anwendung von nur 600l Weldon-Schlamm. Da die Oxydation nach Pauli's
Verfahren nur etwa ⅓ der früheren Zeit dauert, so könnte man mit derselben Anlage
3mal so viel Lauge oxydiren, oder bei einer Neuanlage dieselbe nur ⅓ so groſs als
früher machen.
Aus diesen Angaben läſst sich die durch Pauli's Proceſs bewirkte Ersparniſs leicht
berechnen, indem man die örtlichen Preise für Kohlen und Manganerz einsetzt und die
kleinere Ziffer für Amortisation der Anlage und Arbeitslöhne berücksichtigt. Das
Ergebniſs wird natürlich mit den örtlichen Bedingungen wechseln. Man hat jedoch zu
beachten, daſs man immer noch Salpeter gebraucht, um das Dithionit zu Sulfat zu
oxydiren, und daſs daher der eingangs angeführte Kostenaufwand bestehen bleibt. Die
Erwägung ferner, daſs man bei Oxydation des Na2S zu
Na2SO4 nur 70
bis 72procentiges Aetznatron erzielen kann, hat dazu geführt, daſs man neuerdings
wieder angefangen hat, das Na2S mit Zink
auszufällen. Unterstützt wird dieser Proceſs durch eine hiesige Firma, welche
breiiges, in Essigsäure leicht lösliches Zinkoxyd in den Handel bringt.
Schlieſslich mag hier noch als kleiner Nachtheil des Pauli'schen Processes erwähnt
werden, daſs das im Weldon-Schlamm enthaltene Chlorcalcium Alkaliverluste
herbeiführt: einerseits durch Bildung von NaCl und andererseits wahrscheinlich durch
Bildung des erst ganz kürzlich entdeckten Doppelsalzes Na2CO3,CaCO3 + 5aq1) , welches nach den wenigen bis jetzt bekannten
Versuchen2) als unlöslich sich abscheidet. Wenn es der Mühe werth wäre, so
lieſse sich dieser Verlust durch Auspressen und Auswaschen des zu benutzenden
Weldon-Schlammes leicht vermeiden.
Widnes in Lancashire, Januar 1881.