Titel: Ueber die Berechnung der Glas-Sätze und die Natur des Glases; von Dr. G. Wagener in Tokio.
Autor: G. Wagener
Fundstelle: Band 243, Jahrgang 1882, S. 153
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Ueber die Berechnung der Glas-Sätze und die Natur des Glases; von Dr. G. Wagener in Tokio. (Schluſs der Abhandlung von S. 66 dieses Bandes.) Wagener, über die Natur des Glases. 2) Natur des Glases. In dem Vorhergehenden ist jede theoretische Speculation vermieden worden; indeſs ist die Uebereinstimmung zwischen der Berechnung und der Praxis auch bei den verschiedensten Gläsern so groſs, daſs es wohl gerechtfertigt erscheint, den Versuch zu machen, die Berechnung auch zu begründen. Ebell (1877 225 70) sagt: „Glas ist im glühenden Fluſs ein kräftiges Lösungsmittel für viele Körper, welche in der Glasfabrikation eine Rolle spielen, und diese im Zustande der Lösung vom Glase aufgenommenen Körper scheiden sich beim Erkalten unter günstigen Umständen in mancherlei Formen wieder aus und bewirken dann eigenthümliche, zum Theil technisch wichtige Erscheinungen.“ Wenn man in diesem Satze anstatt des Wortes „Glas“ die Worte „Jedes Alkalisilicat, wenig oder stark sauer“ einsetzt und somit eben die Alkalisilicate als kräftige Lösungsmittel auffaſst, und zwar um so kräftiger, je höher die Temperatur, so erklären sich, wie es scheint, alle Erscheinungen sowie die Zusammensetzung eines guten Glases mit der gröſsten Leichtigkeit. Was speciell die Oxyde betrifft – und CaO macht keine Ausnahme –, so tritt hier im Unterschiede von anderen Substanzen der besondere Umstand ins Spiel, daſs sich bei ihrer Gegenwart die Natur des Gemisches mit einem Schlage vollständig verändern kann. In einem wenig sauren Alkalisilicat Dämlich sind die Oxyde bis zu einem gewissen Mengenverhältniſs als Oxyde löslich, darüber hinaus nicht mehr. Wenn aber das Alkali einen reichlichen Ueberschuſs an Kieselsäure hat und auſserdem die Temperatur hoch genug ist, so kann sich das Oxyd mit Kieselsäure verbinden und von nun an ist die Lösung oder das Gemisch ein ganz anderes. Jetzt ist ein Silicat gelöst in einem Alkalisilicate und es kann weit leichter löslich sein als das Oxyd. Auſserdem aber sind die Silicate meistens schmelzbar, bei der Temperatur vermuthlich, wo sie sich gebildet haben. Dann aber ist gar nicht einmal nöthig, daſs man eine wirkliche Lösung annimmt; es braucht nur genug Alkalisilicat vorhanden zu sein, um das andere gleichsam zu durchtränken und es durchsichtig zu machen, wenn es dies nicht schon ist, indem es sich mit ihm verschmilzt. Daſs auch Kalk als Oxyd gelöst werden kann, scheint aus Ebell's Versuchen (1877 225 72)Es ist hier angegeben, daſs 200 Th. Kalkhydrat mit 100 Th. Satz von Hautefeuille sich zu einem Glase „dünnflüssig wie Wasser“ verschmolzen, hätten. – Dies sollen doch wohl 20 Th. sein? hervorzugehen; auch die Beobachtung von O. Schott (1875 218 * 160) spricht wohl dafür. Er beobachtete, daſs an einem vollständig entglasten Stück Glas sich schon an der Luft unter Abscheidung von Kieselsäure kohlensaures Calcium bildete, während das kieselsaure Natrium ausgewaschen war; im Laboratorium verwitterten einige Stücke so leicht, daſs sich nach mehreren Wochen ihre Oberfläche in einer Dicke von einigen Millimeter mit Natriumsilicat bedeckte. Hier ist also angenommen, daſs sich das etwaige Calciumsilicat schon durch die Kohlensäure der Luft zersetzte, während das Natriumsilicat ihr Stand hielt. Allein, ist man berechtigt, eine so leichte Zersetzbarkeit des Calciumsilicates anzunehmen? Die natürlichen (Wollastonit und Okenit) sprechen entschieden dagegen. Leicht aber erklärt sich Alles, wenn der Kalk gar nicht als Silicat, sondern als CaO oder auch CaCO3 gelöst war (daher vielleicht die rhombischen Krystalle bei der Entglasung, vgl. 1875 218 158). Alsdann konnten Feuchtigkeit und Kohlensäure auf beide unmittelbare Bestandtheile des Glases einwirken, nämlich zugleich auf das gelöste CaO und auf das lösende, wenig saure Alkalisilicat. Dean, obgleich nicht gesagt ist, welches Glas O. Schott meint, so ist es doch vermuthlich eines der von ihm selbst geschmolzenen „vollständig entglasten“ Gläser gewesen. Nehmen wir das an Kieselsäure reichste, Nr. II der Tabelle auf S. 349 Bd. 216, so besteht dasselbe aus 3SiO2, 1CaO, 1Na2O, wäre also eine Lösung von 1CaO in dem Alkalisilicate (Na2O, 3SiO2). Ein solches widersteht aber atmosphärischen Einflüssen durchaus nicht, wie Ebell (1878 228 49) gezeigt hat. Vermuthlich werden die CaO-Theilchen zuerst in CaCO3 verwandelt; hierdurch wird der Zusammenhang gelockert und nun das Alkalisilicat herausgedrängt, gleichzeitig auch von Feuchtigkeit und Kohlensäure angegriffen. Daſs die obige Lösung entglaste, läſst sich daraus erklären, daſs die 81,2 Th. Alkalisilicat von der Form (Na2O, 3SiO2) nicht ausreichten, die 18,8 Th. CaO zu lösen. Ausgeschlossen ist dabei keineswegs, daſs, wenn beim Schmelzen die Temperatur sehr hoch war, das CaO dem Alkalisilicate zeitweise einen Theil der Kieselsäure entzogen hatte; aber beim Abkühlen und schon vor dem Erstarren muſste es aller Wahrscheinlichkeit nach diese Kieselsäure wieder an die stärkere Basis abgeben. Aus derselben Tabelle (1875 216 349) würden die Gläser Nr. I und VII nach der obigen Anschauung aufzufassen sein: Nr. I als eine Lösung von 1 CaO in 1(Na2O, 2SiO2) Nr. VII als eine Lösung von 1CaO in 2(Na2O, 2SiO2). Im ersten Falle reichte die Menge des Lösungsmittels nicht aus, das Glas war vollständig entglast. Im zweiten reichte es aus, das Glas war „anscheinend gut“, womit wohl nur gesagt sein soll, daſs es nicht entglaste. Denn daſs es ein mangelhaftes Glas im höchsten Grad sein würde, geht aus R. Weber's Tabelle hervor. Wenn man nun aber den Kieselsäuregehalt bei demselben Verhältniſs von 1 CaO und 1 Na2O vermehrt, so tritt keine Entglasung mehr ein und zwar aus doppelten Gründen. Einmal wird das Alkalisilicat, d.h. das Lösungsmittel vermehrt; zweitens kann und wird geschehen, was schon früher angedeutet wurde, nämlich daſs bei dem vorhandenen Ueberschuſs an Kieselsäure und der höheren Temperatur, welche zum Schmelzen des Glases erforderlich ist, sich Calciumsilicat (etwa CaO.SiO2) bildet, ohne daſs beim Erkalten diese Kieselsäure an das schon übersättigte Alkali wieder abgetreten wird. Dieses Calciumsilicat aber löst sich leichter, bezieh. schmilzt leichter mit dem Alkalisilicat zusammen als CaO. Analoge Vorgänge sind für Al2O3 schon längst auf ähnliche Weise erklärt; es wird bei CaO nicht anders sein. Wenn es nun darauf ankommt, diese Lösung – Glas genannt – gegen atmosphärische und andere Einflüsse widerstandsfähig zu machen, so kann dies auf zweierlei Weise geschehen; entweder ist das Lösungsmittel, das Alkalisilicat, an und für sich widerstandsfähig und auſserdem in genügender Menge vorhanden, um einen weniger widerstandsfähigen Körper, z.B. CaO, vollständig zu umhüllen und zu schützen, oder, und dies wäre noch besser, Lösungsmittel sowohl, wie Gelöstes sind beide sehr widerstandsfähig. Ein Drittes ist nicht denkbar, auſser daſs eine ganz neue chemische Verbindung entstände, welche Annahme aber vorläufig ausgeschlossen sein soll. Für beide Fälle ist es unumgänglich nothwendig, daſs das Lösungsmittel widerstandsfähig sei. Nun hat aber Ebell (1878 228 50) gezeigt, daſs ein Alkalisilicat aus 200 Th. Kieselsäure und 50 Th. Kaliumcarbonat, d.h. (K2O + 9,2 SiO2), wenn rasch abgekühlt, weder Wasser, noch Kohlensäure aus der Luft anzieht und sich nicht verändert, wohl aber beim langsamen Abkühlen entglast, wegen zu viel Kieselsäure. Ein anderes Glas aus 2CO Th. Kieselsäure und 100 Th. Carbonat, also (K2O + 4,5 SiO2) war klar durchsichtig, entglaste nicht, wurde aber durch Wasser und Säuren zersetzt. Es ist somit sehr wahrscheinlich, daſs zwischen beiden ein Alkalisilicat liegt, welches weder entglast, noch Wasser oder Kohlensäure anzieht. Gerade in der Mitte gelegen wäre das Silicat \large\left. \left({K_2O}\atop{Na_2O} \right+6,8\,SiO_2\right); nehmen wir vorläufig als noch genügend widerstandsfähig das Silicat Na2O.6SiO2 an, so folgt aus dem Vorhergehenden, daſs jedes widerstandsfähige Glas im Wesentlichen das Silicat Na2O.6SiO2 oder ein noch sauereres sein muſs. Dieses Silicat kann nun Oxyde lösen, auch CaO, und dieselben hinreichend schützen, wenn nicht zu viel davon vorhanden ist. Nun aber kommt hinzu, daſs ein solches Alkalisilicat erst bei hoher Temperatur schmilzt und daher das im Anfang Angedeutete eintritt, nämlich daſs sich ein Calciumsilicat bildet und auch nach dem Erkalten noch bestehen bleibt. Dadurch wäre aber das Alkalisilicat etwas weniger sauer, d.h. weniger widerstandsfähig geworden. Gibt man daher noch einen Ueberschuſs von Kieselsäure, so daſs sich das Silicat CaO.SiO2 bilden und in dem Alkalisilicate Na2O.6SiO2 lösen kann, so hat man den zweiten, d.h. den Fall der höchsten Widerstandsfähigkeit, weil hier Gelöstes und Lösendes beide diese Eigenschaft besitzen. Ein solches Glas ist aber das von StasVgl. Benrath: Die Glasfabrikation, 1875 S. 29. angegebene, für seine Untersuchungen über die Atomgewichte, nachdem er gefunden hatte, daſs alle anderen Gläser angegriffen wurden. Sein Glas entspricht der Zusammensetzung: CaO.1,7 SiO2 + Na2O.6SiO2. Es ist sehr wohl möglich, daſs ein Glas von der Zusammensetzung: CaO.2SiO2 + Na2O.6 SiO2 dünnflüssiger und leichter zu verarbeiten ist, weil CaO.2SiO2 (Okenit) leichter schmelzbar ist als CaO.SiO2 (Wollastonit). Es ist nun wohl nach dem Vorhergehenden gestattet, zu behaupten, daſs ein vollkommen widerstandsfähiges Glas aus den Silicaten CaO.SiO2 und Na2O.6SiO2 zusammengeschmolzen sein, also der Formel: CaO.SiO2 + x(Na2O.6SiO2) entsprechen muſs. Je mehr Lösungsmittel, d.h. je mehr Alkalisilicat vorhanden ist, desto wichtiger ist es, daſs es widerstandsfähig sei. Dem entsprechend finden wir, daſs die beiden Gläser Nr. 39 und 40 in R. Weber's Tabelle über die Verbindung Na2O.6SiO2 hinaus noch einen Ueberschuſs an Kieselsäure haben. Wenn weniger Alkali und mehr Kalk vorhanden, so ist es ganz den Umständen entsprechend, zu vermuthen, daſs wegen des Zusammenschmelzens mit einer groſsen Menge Calciumsilicat schon ein weniger saures Alkalisilicat, z.B. Na2O.5SiO2, ausreicht. Und in der That entsprechen die übrigen guten Gläser in der Weber'schen Tabelle, welche weniger Alkali als Kalk enthalten, einer solchen Auffassung vollkommen. Demgemäſs stellen wir die beiden folgenden, nun nicht mehr ganz empirischen, sondern rationell begründeten Formeln auf: Für x < 1 gilt der Satz: CaO.SiO2 + x (Na2O.5 SiO2) und für x > 1 der Satz: CaO.SiO2 + x (Na2O.6 SiO2). In beiden Fällen ist es gestattet, in dem Alkalisilicate einige Zehnteläquivalente weniger SiO2 zu nehmen. Aber keines der guten Gläser in der Tabelle geht bis auf Na2O.4,5 SiO2 bezieh. Na2O.5,5 SiO2 hinunter, Nr. 34 ausgenommen. Die Gläser von mittlerer Beschaffenheit enthalten zwischen 75 und 80, die schlechten weniger als 70 Procent der berechneten Kieselsäure. Selbstverständlich läſst sich die Kieselsäure noch vermehren, so lange sie sich mit CaO oder Na2O verbinden oder auch auflösen kann. Ein Beweis dafür sind die böhmischen Verbrennungsröhren (vgl. 1879 232 191), welche der Zusammensetzung: CaO.SiO2 + 0,796 (Na2O.8SiO2) oder CaO.2 SiO2 + 0,796 (Na2O.6,7 SiO2) entsprechen. – Endlich muſs aber ein Punkt eintreten, wo die Kieselsäure (oder weniger leicht auch ein Silicat) ausscheidet und das Glas entglast. Ist der Gehalt an CaO.SiO2 gar zu groſs, so wird das Glas vermuthlich trübe werden, weil dieses Silicat nicht klar verschmilzt. Wie schon früher bemerkt, muſs es in dem Alkalisilicat gelöst oder von diesem so reichlich durchtränkt sein, daſs beim Zusammenschmelzen ein durchsichtiges Glas entsteht. Wenn Calciumsilicat mit einem nur wenig saueren Alkalisilicat verschmolzen wird, so wird ihm SiO2 entzogen und das CaO entglast die Mischung, wenn zu viel davon vorhanden. Was die Bleigläser betrifft, worin das Alkali dem Bleioxyd an Menge beträchtlich nachsteht, so genügt hier wie bei den Kalkgläsern das Silicat Na2O.5SiO2 und es ist nur nöthig, dasselbe mit einem hinreichend widerstandsfähigen Bleisilicate, z.B. PbO.2SiO2, zu verschmelzen. Die guten Bleigläser in R. Weber's Tabelle entsprechen sehr nahe der Zusammensetzung: PbO.2SiO2 + x (Na2O.5SiO2) und die beiden schlechten Nr. 48 und 49 der Formel: PbO.1,4 SiO2 + x (Na2O.5 SiO2). Die vorstehenden Erörterungen lassen sich nun auf folgende Weise zusammenfassen: Glas ist die vollständige und daher klar erstarrende Lösung irgend eines oder mehrerer feuerbeständigen Körper in einem Alkalisilicate. Soll das Glas widerstandsfähig sein, so muſs das Lösungsmittel selbst widerstandsfähig sein, d.h. ein stark saueres Alkalisilicat bilden, und entweder in genügender Menge vorhanden sein, um den gelösten Körper zu umhüllen und zu schützen, oder der letztere – und dies gibt das beste Glas – muſs selbst widerstandsfähig sein. Dann kann er in dem Alkalisilicate gelöst oder auch, wie dies bei Silicaten der Fall ist, mit weniger Alkalisilicat zu einem klaren Glase verschmolzen sein. Die Löslichkeit von Substanzen ist sehr verschieden und hängt selbstverständlich auch von der Gegenwart anderer gelöster Substanzen ab. So kann z.B. SnO2 die Ausscheidung von Gold begünstigen, weil es selbst schwer löslich ist; nöthig ist es aber nicht.