Titel: Ueber die Elasticität des Papieres; von Prof. Dr. Hartig in Dresden.
Autor: Hartig
Fundstelle: Band 245, Jahrgang 1882, S. 369
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Ueber die Elasticität des Papieres; von Prof. Dr. Hartig in Dresden. Mit Abbildungen. Hartig, über die Elasticität des Papieres. Bei weiterer Fortsetzung der Untersuchungen, über welche der Verfasser früher berichtete (vgl. 1881 241 105. 242 34), muſste sich von selbst die weitere Frage aufdrängen, in welchem Betrage die Elasticitätseigenschaften bei dem Papiere vorhanden sind. Wenn auch bei den gewöhnlichen Benutzungsweisen des Papieres ein elastisches Verhalten nicht gerade in den Vordergrund tritt, so ist doch andererseits ganz sicher, daſs demselben eine gewisse Elasticität eigen sein muſs, wenn wir dasselbe zur Herstellung von Kalanderwalzen, Eisenbahnwagenrädern u. dgl. geeignet finden. Irgendwelche Angaben über Elasticitätsgrad, Elasticitätsgrenze, Elasticitätsmodul des Papieres habe ich jedoch nirgends gefunden. Beschränken wir uns zunächst auf das elastische Verhalten des Papieres bei Beanspruchung auf Zugkräfte: Hier stehen uns bereits Instrumente zur Verfügung, von denen das von Reusch (1880 235 * 414) für die vorliegende Frage am meisten geeignet sein dürfte, weil es bekanntlich eine selbstthätige Auftragung des Zerreiſsungsdiagrammes bewirkt. Wir verwendeten zu den nachfolgend mitgetheilten Versuchen das langfaserige japanische Schreibpapier in einer Stärke, bei welcher 1qm 78g,4 wiegt, mit einem Aschengehalt von 1,10 Proc., also so gut wie frei von mineralischen Füllstoffen. Die Zerreiſsung eines parallelkantigen Streifens von 30mm Breite und 317mm freier Länge ergab nach dem früher aus einander gesetzten Verfahren: Reiſslänge R = 7km,4 Bruchdehnung δ = 3,72 Proc. Arbeitsmodul A = 0mk,190 für 1g. Fig. 1, Bd. 245, S. 369 Es wurde sodann ein Streifen von derselben Breite, jedoch von gröſserer Länge l = 890mm eingespannt und derselbe im Verlaufe des Versuches und vor Erreichung der Bruchgrenze wiederholt langsam entlastet und ebenso wieder angespannt; es ergab sich das in Textfigur 1 dargestellte Diagramm, in welchem die Abscissen die Dehnungen, die Ordinaten die Spannungen bedeuten; ab = 27mm stellt die Bruchdehnung dar, bc = 15k,7 die Bruchbelastung; an den Stellen 1 bis 5 der Curve ac erfolgten die Entlastungen, durch welche der Schreibstift des Apparates in schmalen Schleifen wiederholt nach der Basis ab zurückgeführt wurde. Bei der ersten Entlastung (l) kehrte der Stift nach dem Anfangspunkt a zurück, das Versuchsobjekt war also noch vollkommen elastisch; bei allen folgenden Entlastungen aber schnitt die Entlastungscurve an einer zwischen a und b gelegenen Stelle die Abscissenachse dergestalt, daſs die jeweilige Gesammtdehnung ad (für Entlastung 5) in zwei Theile zerlegt wurde, von denen der eine ae offenbar als die bleibende, der andere ed als die elastische Dehnung anzusprechen ist; denn um ed hat sich durch Wirkung der inneren Kräfte das Probestück bei der Entlastung wieder zusammengezogen; daſs man statt einfacher Schräglinien 5e u.s.w. schmale Schleifen erhält, ist eine Folge der sogen, inneren Reibung, welche beim Uebergang aus Ent- in Belastung die Richtung wechselt. Um uns den Zusammenhang zwischen den elastischen und den gesammten Dehnungen übersichtlich vor Augen zu führen, tragen wir am Ende jeder Gesammtdehnung ad den elastischen Theil derselben ed in normaler Stellung auf, machen also fd = de; wir erhalten so eine Reihe von Punkten fghi (Fig. 2), die auf einer mit ab divergirenden Geraden liegen; tragen wir noch auf jede Ordinate df auch die Gesammtdehnung da selbst auf, indem wir dk = da (Fig. 1 und 2) machen, so liegen die so erhaltenen Punkte auf einer zu ab unter 45° gezogenen Geraden al, nach welcher die Punkte f bis i in dem Falle hinaufrücken würden, wenn das untersuchte Material bis zur Bruchgrenze vollkommen elastisch wäre- würde dasselbe aller Elasticität entbehren, so würden sich diese Punkte nicht aus der Abscissenachse ab erheben. Es gibt also die Gerade mn, welche die Punkte f bis i enthält, durch ihre Lage zu ab und al eine leicht zu fassende Auskunft über das elastische Verhalten des Materials; sie theilt das Dreieck abl, dessen Höhen die verschiedenen Werthe der Gesammtdehnung darstellen, in zwei Felder, von denen das untere abmn die elastischen, das obere nml die bleibenden Antheile dieser Gesammtdehnungen umfaſst. Fig. 2, Bd. 245, S. 370 Die mittels der Entlastungen erhaltene Linie mn liefert aber noch anderweite erwünschte Auskunft: Ihr Schnittpunkt m mit der letzten (dem Bruch entsprechenden) Ordinate bl (Fig. 2) läſst auf letzterer erkennen, daſs im Augenblicke des Bruches eine elastische Dehnung im Betrage = bm vorhanden war und die Strecke ml miſst die bleibende Streckung im Augenblick des Bruches, welche auf diese Art offenbar genauer zu erhalten sein wird als durch Nachmessung an den mit den Bruchenden zusammengelegten Theilstücken des Versuchsobjektes. Der Schnittpunkt n ferner der Geraden mn mit al liefert uns die Lage der Elasticitätsgrenze; bis zum Punkte n sind die Gesammtdehnungen nur elastisch; von hier an theilen sich dieselben in einen elastischen und einen bleibenden Antheil, welche beide den weiteren (von der Elasticitätsgrenze an gerechneten) Dehnungen proportional wachsen; fallt man von n eine Normale no auf ab, so stellt die Strecke ao die vollkommene elastische Dehnung des Probestückes dar, durch deren Angabe die Lage der Elasticitätsgrenze (im geometrischen Sinne) ausreichend bestimmt ist; dieselbe beträgt im vorliegenden Falle 5mm,2, d.h. die Elasticitätsgrenze des japanischen Papieres liegt bei e = (5,2 × 100) : 890 = 0,585 Procent der Anfangslänge des Probestückes. Das Diagramm Fig. 1 liefert für diese Stelle eine Spannung desselben von 6k,7, woraus sich der Tragmodul dieses Papieres oder dessen Grenzbelastung (gemessen durch die Länge eines dieselbe Spannung durch das Eigengewicht hervorrufenden Streifens) zu Le = 2km,85 berechnet. Auch der sogen. Elasticitätsmodul E läſst sich hiernach angeben und zwar in denselben Einheiten, welche mit den Dehnungswerthen selbst homogen sind: es ist nämlich = 5,2 : 890 = 2,85 : E, daher E = 488km. Sollte also ein Probestreifen des vorliegenden Papieres auf das doppelte seiner Anfangslänge gebracht werden, so müſste hierzu – vorausgesetzt, daſs der Zustand der vollkommenen Elasticität überhaupt so weit reichte, – eine Belastung angewendet werden, welche dem Eigengewicht eines Streifens von gleicher Breite und Dicke (gleicher Feinheitsnummer) und einer Länge von 488km entspricht. Diese Bestimmungsweise hat (wie die der Reiſslänge) den Vorzug, daſs über Querschnittsgröſse des Probestückes und deren Einheiten nichts hinzugefügt zu werden braucht. Aus Figur 2 (welche man sich jedoch unmittelbar in das Diagramm Fig. 1 eingetragen denken kann) ergibt sich weiter die ganze Bruchdehnung ab = 27mm oder δ = 3,03 Procent der Anfangslänge, der elastische Antheil derselben bm = 9mm,6, daher das Verhältniſs der elastischen zur gesammten Dehnung im Augenblick des Bruches = δe : δ = 9,6 : 27 = 0,356, d.h. 35,6 Procent der gesammten Bruchdehnung sind elastisch, 64,4 Proc. bleibend. Noch vollständiger wird die Auskunft über das elastische Verhalten des Papieres, wenn man den Flächeninhalt der Figur abmn als den Inbegriff aller elastischen Dehnungen und den Inhalt des Dreieckes abl als Summe aller Gesammtdehnungen ansieht und beide Inhalte in Vergleich setzt; die Rechnung ergibt dann abmn : abl = Σ (δe) : Σ(δ) = 0,480 als das Verhältniſs der Summe aller elastischen Dehnungen zur Summe aller Gesammtdehnungen. Diese Zahlenwerthe treffen übrigens fast genau überein mit denen für Leder (rothgares Kalbleder, gefettet, hat 75 Proc. Bruchdehnung), wo sich fand: δe : δ = 0,368 und Σ(δe) : Σ(δ) = 0,487. Dieselben dürften also wohl für künstliche, wie für natürliche Tegumente aus verfilzten Fasern charakteristisch sein. Für ein kurzfaseriges (europäisches) Schreibpapier fand sich: δe : δ = 0,331 und Σ(δe) : Σ(δ) = 0,456. Es unterliegt keinem Zweifel, daſs in Wirklichkeit die Linie mn in einer Krümmung (wie in Fig. 2 punktirt) nach al abbiegt und wiederholte Entlastungen in der Nähe der Elasticitätsgrenze ergaben statt der Ecke n einen bogenförmigen Anschluſs; die Elasticitätsgrenze wird daher mittels des hier gezeigten Verfahrens um ein geringes zu hoch bestimmt und bei homogenen Materialien (Rohseide) ist die ganze Linie mn durch einen flachen Bogen zu ersetzen; bei Materialien, die aus wirr liegenden Faserelementen zusammengesetzt sind, ordnen sich jedoch nach allen bis jetzt vorliegenden Versuchen die Punkte i bis f mit bemerkenswerther Annäherung zu einer Geraden nm, welche man die Grenzlinie des elastischen Feldes nennen könnte und deren Aufsuchung sich wohl auch für andere Materialien lohnen dürfte. Die Bruchstücke des benutzten Streifens wurden wieder vereinigt (durch Aufkleben so starker Cartonstreifen, daſs deren Dehnungen zu vernachlässigen waren) und das so erhaltene Versuchsobjekt wurde neuerdings und weiterhin auch zum 3. Male zerrissen. Es lieſs sich hierbei sehr hübsch die für Metalle bekannte Erhöhung der Elasticitätsgrenze, aber auch die verhältniſsmäſsige Zunahme des elastischen Antheiles aller Dehnungen beobachten, bei gleichzeitiger Abnahme der gesammten Bruchdehnung und des Arbeitsmoduls: die Linie nm rückt mit jeder erneuten Beanspruchung näher an die Spitze l des Dreieckes abl, wie ein Blick auf Fig. 3 (zweite Beanspruchung) und Figur 4 (dritte Beanspruchung) lehrt; das schraffirte (die Gesammtheit der bleibenden Streckungen, gewissermaſsen die Plasticität des Materials repräsentirende) Feld nml wird nicht allein nach seiner absoluten Gröſse, sondern auch in seinem relativen Betrag zum vollen Dreieck abl mit jeder erneuten Beanspruchung kleiner. Fig. 3, Bd. 245, S. 372 Fig. 4, Bd. 245, S. 372 Die nachfolgende Tabelle wird eine volle Uebersicht über die bei wiederholter Beanspruchung eintretenden beachtenswerthen Wandlungen vermitteln: Beanspruchung Nr. 1 Nr. 2 Nr. 3 Verhältniſs der mittleren zur maximalen Diagramm-     höhe (Zerreiſsungsquotient) η = 0,658 0,616 0,546 Festigkeit (Reiſslänge) R = 6,67 7,32 6km,51 Bruchdehnung δ = 3,03 1,85 1,39% Arbeitsmodul A = 0,133 0,0834 0mk,0494 Dehnung an der Elasticitätsgrenze e = 0,585 0,595 0,618% Spannung an der Elasticitätsgrenze (Tragmodul) Le = 2,85 3,19 3km,30 Elasticitätsmodul E = 488 535 535km Verhältniſs der elastischen zur gesammten     Bruchdehnung δe : δ = 0,356 0,697 0,736 Verhältniſs der Summe aller elasti-     schen zur Summe aller gesammten     Dehnungen Σ(δe) : Σ(δ) = 0,480 0,795 0,853 (Nach der Papierzeitung, 1882 S. 598.)