Titel: Der M. Honigmann'sche Dampfbetrieb.
Autor: Whg.
Fundstelle: Band 250, Jahrgang 1883, S. 429
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Der M. Honigmann'sche Dampfbetrieb. Mit Abbildung. Der Honigmann'sche Dampfbetrieb. Viel Aufsehen hat in jüngster Zeit eine Erfindung von M. Honigmann in Grevenberg bei Aachen (* D. R. P. Kl. 13 Nr. 24993 vom 8. Mai 1883) gemacht, welche für längere Zeit einen Dampfbetrieb ohne Feuer ermöglicht. Schon im J. 1822 veröffentlichte Faraday in den Annales de Chimie et de Physique die Notiz, daſs ein Thermometer, dessen Kugel mit Salz bestreut sei, in den Dampf von siedendem Wasser gehalten, eine Temperatur von über 100° annehme, und Gay-Lussac, der Herausgeber der genannten Annalen, bemerkte hierzu, daſs diese Thatsache in Frankreich längst bekannt gewesen sei: Man könne auch durch Einleiten des Dampfes von (unter gewöhnlichem Luftdrucke) siedendem Wasser in eine Salzlösung die letztere bis zu ihrem Siedepunkte erhitzen, also bis zu Temperaturen, welche weit höher sind als die des zugeleiteten Dampfes; letzterer werde hierbei vollständig niedergeschlagen. Diese auffallende Erscheinung, daſs Wasserdampf durch eine geeignete Flüssigkeit, welche viel heiſser ist als er selbst, schnell und vollständig niedergeschlagen werden kann, beobachtete auch M. Honigmann in seiner Ammoniaksodafabrik bei concentrirter Aetznatronlauge und kam dabei auf den glücklichen Gedanken, den Abdampf einer Dampfmaschine in solche Lauge einzuleiten und die hierbei frei werdende Wärme zur Erzeugung frischen gespannten Dampfes zu verwerthen. Er stellt zu diesem Zwecke den Dampfkessel in einen gröſseren, offenen, oder doch mit der freien Luft communicirenden Behälter, füllt den ersteren vor dem Betriebe mehr oder weniger mit Wasser, dessen Temperatur schon möglichst über 100° liegt, und den gröſseren Behälter zum Theile mit stark concentrirter Natronlauge von noch höherer Temperatur. Es kann auch umgekehrt, wie in beistehender Figur gezeigt, der Laugenkessel A in den Dampfkessel B gestellt werden. Nach dem Anlassen der Maschine wird der Abdampf auf den Boden des Laugenkessels geleitet, wo er durch eine gröſsere Anzahl kleiner Löcher austritt. Textabbildung Bd. 250, S. 429 Die Lauge saugt den Dampf begierig auf, erhitzt sich und gibt hinreichend Wärme an den Dampfkessel ab, um längere Zeit hindurch ungefähr ebenso viel Wasser in Dampf überzuführen, als der Lauge in Dampfform zugeleitet wird. Um diese Wärmemenge überzuleiten, muſs die Temperatur der Lauge natürlich immer um ein Gewisses höher sein als die des gespannten Dampfes. Nach angestellten Versuchen, bei welchen ungefähr 1qm Heizfläche für 1e vorhanden war, genügt unter solchen Umständen eine Temperaturdifferenz von etwa 8 bis 10°. Selbstverständlich kann der Betrieb immer nur eine bestimmte Zeit dauern, da bei demselben das Wasser aus dem Dampfkessel allmählich in den Laugenkessel übergeht, so daſs die Lauge mehr und mehr verdünnt wird und ihr Siedepunkt sinkt. Während z.B. eine Lauge, bei welcher auf 100 G.-Th. Aetznatron (NaOHO) 10 Th. Wasser kommen, erst bei 256° siedet, liegt der Siedepunkt, wenn auf 100 Th. Natron 40 Th. Wasser kommen, schon bei 185,5°. Würde die Verdünnung so weit gehen, daſs schlieſslich die Lauge zu sieden beginnt, so würde sie natürlich den Dampf nicht mehr vollständig niederschlagen können und es würde bei fortgesetztem Betriebe die Spannung im Dampfkessel wegen mangelnder Wärmezufuhr schnell fallen. Die Wärme, welche bei der Aufnahme des Abdampfes seitens der Lauge frei wird, hat zwei Quellen. Es ist nämlich erstens die dem Abdampfe innewohnende innere Verdampfungswärme in Rechnung zu bringen, welche er bei der Verdichtung zu Wasser wieder hergibt, abzüglich der Wärme, welche zur Erwärmung von 100° auf die Temperatur der Lauge nöthig ist, und zweitens die bei der chemischen Verbindung der Lauge mit dem Wasser sich entwickelnde sogen. „Lösungswärme“. Die erstere läſst sich genau bestimmen, für die zweite liegen zur Zeit die nöthigen Angaben nicht vor. Berthelot und Thomson haben allerdings diesbezügliche Versuche veröffentlicht, welche jedoch fast alle bei niedrigen Temperaturen mit stark verdünnten Lösungen angestellt sind und einen Schluſs auf die hier in Betracht kommenden Verhältnisse nicht zulassen. Eine ungefähre Schätzung läſst sich auf Grund der Thatsache aufstellen, daſs bei den von Honigmann mit seinem Dampfbetriebe angestellten Versuchen die Temperaturen in den Kesseln nahezu constant blieben. Es muſs hiernach durch die Condensation von 1k Abdampf auch ungefähr so viel Wärme frei geworden sein, als zur Ueberführung von 1k Wasser in Dampf nöthig ist, wenn man von der durch Strahlung und Leitung von den Kesseln nach auſsen abgegebenen Wärme absieht. Nun beträgt die innere Verdampfungswärme von 1k Dampf von 1at Spannung 496c,3 und, wenn man eine Kesselspannung von 4at absolut, entsprechend einer Temperatur von 145°, annimmt und die Temperatur der Lauge zu etwa 155°, so werden von jenen 496c,3 etwa 55c zur Erwärmung des sich niederschlagenden Dampfes in Abzug zu bringen sein, so daſs rund 440c von der inneren Verdampfungswärme frei werden. Um 1k Wasser von 145° in Dampf zu verwandeln, sind aber 461c,5 innere und 43c,6 äuſsere Verdampfungswärme erforderlich, zusammen 505c,1. Es fehlen mithin noch etwa 505 – 440 = 65c, welche von der frei werdenden Lösungswärme herrühren müssen; mit zunehmender Verdünnung wird dieselbe abnehmen. Ein Wärmegewinn ist mit dem Verfahren selbstverständlich nicht verbunden, da, wenn dieselbe Lauge immer wieder benutzt werden soll, zum jedesmaligen Eindampfen derselben mehr Wärme nöthig ist, als der Dampf, wenn er ins Freie ausblasen würde, mitnähme. Der Vortheil liegt nur in der Möglichkeit, eine Zeit lang eine Dampfmaschine ohne Feuerung und ohne auspuffenden Dampf betreiben zu können. Das Verfahren wird also hauptsächlich Anwendung finden können bei den Locomotiven von Straſsen- und unterirdischen Bahnen o. dgl. Auf diesem Gebiete dürfte dieser neue Dampfbetrieb wohl den Lamm'schen feuerlosen Betrieb (vgl. 1882 246 * 308) verdrängen. Ein erster gröſserer, von Honigmann auf den Anschluſsgleisen seiner Fabrik ausgeführter Versuch fiel günstig aus. Es wurde hierzu nach der Eisen-Zeitung, 1883 S. 729 eine vor Jahren von der Schwartzkopff'schen Maschinenfabrik in Berlin gelieferte normalspurige Heiſswasser-Locomotive benutzt, deren Kessel für das neue Verfahren umgebaut war. Derselbe hatte etwa 5qm Heizfläche und wurde zum Betriebe mit 0cbm,5 einem anderen Dampfkessel entnommenen heiſsen Wasser gefüllt. In den äuſseren Laugenkessel wurden 600k Aetznatronlauge mit einer Temperatur von 210° eingebracht, womit sich das gesammte Gewicht der Locomotive auf 5t,5 stellte. Sofort nach beendigter Füllung wurde dieselbe in Gang gesetzt und dann während 6 Stunden ununterbrochen auf der ziemlich kurzen ebenen Strecke hin und her gefahren. Die Locomotive allein erreichte eine Geschwindigkeit von 35km für 1 Stunde. Mit einem 1t,8 schweren Pferdebahnwagen, welcher mit 4t Steinen beladen war, betrug die Geschwindigkeit noch 25km. Es wurden ferner ein 17t schwerer Güterwagen und endlich noch ein 21t schwerer beladener Kohlenwagen angehängt und mit einer Geschwindigkeit von 15 bis 20km fortgezogen. Die Dampfspannung betrug anfangs 4at und nach 6 Stunden noch 3at,5 Ueberdruck. Auch weitere Versuche, u.a. mit einem kleinen Dampfer auf der Oberspree bei Berlin, fielen gleich günstig wie der beschriebene aus. Es ist einleuchtend, daſs man mit einer bestimmten Laugenmenge um so länger arbeiten kann, je niedriger man die Dampfspannung wählt, da dann auch die Lauge um so mehr verdünnt werden kann, ohne in die Nähe des Siedepunktes zu kommen. Bei Anwendung hoher Spannungen ist daher zur Verdampfung einer bestimmten Wassermenge mehr Lauge erforderlich. So sollen z.B. 100k Natronlauge, deren Siedepunkt bei 210° liegt, genügen, um 35k Wasser unter einem Ueberdrucke von 7 bis 8at oder 85k bei 3at oder 100k bei 2at,5 oder 150k bei 1at,5 zu verdampfen. Ein Uebelstand, welcher dem neuen Verfahren anhaftet, ist der, daſs die heiſse Lauge das Eisen etwas angreift, ob in wesentlich höherem Maſse als die Heizgase bei gewöhnlichem Betriebe, scheint noch nicht festgestellt zu sein. Je reiner das Aetznatron von allen Schwefelverbindungen ist, um so geringer soll die Einwirkung der Lauge sein. Zum Eindampfen der letzteren, wobei die Temperatur schlieſslich bis auf nahezu 200° oder noch darüber steigt, werden guſseiserne Gefäſse benutzt, da Guſseisen der Lauge besser widersteht als Schmiedeisen. An Stelle des Aetznatrons würde sich auch Aetzkali oder ein anderer sich ähnlich verhaltender Stoff verwenden lassen. Ohne Zweifel ist das Honigmann'sche Verfahren eine der interessantesten Erfindungen der Neuzeit. Weitere eingehende Versuche werden Gelegenheit geben, auf dasselbe zurückzukommen. Whg.