Titel: Ueber den Einfluss der Anlasstemperatur auf die Festigkeit und Constitution des Stahles; von A. Jarolimek.
Autor: A. Jarolimek
Fundstelle: Band 255, Jahrgang 1885, S. 56
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Ueber den Einfluſs der Anlaſstemperatur auf die Festigkeit und Constitution des Stahles; von A. Jarolimek. Mit Abbildung. (Schluſs der Abhandlung S. 1 d. Bd.) A. Jarolimek, zum Härten des Stahles. Was das Härten des Stahles betrifft, so hat W. Lorenz eigens für das Härten von Hohlkörpern, wofür er einen besonderen Apparat construirte (vgl. 1880 235 * 183), eine Methode angegeben, welche im Wesentlichen darauf beruht, die zu härtenden Körper zuerst von innen und dann von auſsen, oder von auſsen und innen gleichzeitig abzukühlen. Er benutzt hierbei die Strahlhärtung, welche auch ich wegen dem durch den kräftig vordringenden Wasserstrahl bewirkten raschen Mitreiſsen der entstehenden Dämpfe schon empfohlen habe, und erzielt durch eine geregelte Abkühlung Stahlkörper von sehr harter Oberfläche und dennoch zäher Masse. Die mir zugekommenen Erläuterungen über die beim Härten nach der Lorenz'schen Methode im Stahle eintretenden Veränderungen sind so interessant, daſs ich dieselben hier im Auszuge wiedergeben will: „Besitzt ein aus homogenem, gutem Stahle bestehender Hohlkörper eine einigermaſsen beträchtliche Wandstärke, so findet schon beim Erwärmen eine Verdichtung des Materials an gewissen Stellen des Stückes statt. Setzt man eine zuerst an dem Umfange einwirkende Wärmequelle, also ein gewöhnliches Schmiedefeuer voraus, so erweitert sich zwar der Durchmesser des ganzen Stückes, allein im ganz bestimmten Verhältnisse zur Temperatur so, daſs die später wann werdenden inneren Theile eine Spannung in der Masse hervorbringen, deren Richtung nach allen Seiten geht. Die äuſseren bereits wannen Theile leisten indessen, wenn sie genügend dick sind, doch immerhin 80 viel Widerstand, um nur wenig nachzugeben und ein Ausweichen des Materials nach anderen Richtungen, also namentlich auch nach dem Centrum zu, nothwendig zu machen. Ist der Körper vollständig erwärmt, so zeigt er eine Verschiebung seines Gefüges; der am äuſseren Rande gelegene Theil ist lockerer, der in der Nähe des inneren Hohlraumes vorhandene dagegen dichter geworden. Im zweiten Falle – wenn die Wärme zuerst im Inneren zugeführt wird, ist diese Erscheinung noch viel auffälliger, weil im Inneren eine viel gröſsere Verdichtung stattfindet und am äuſseren Umfang nur geringe, nach auſsen gerichtete Molekularkräfte zur Wirkung kommen. Anders ist die Sache bei der Abkühlung: Wird der äuſsere Theil des Körpers zuerst abgekühlt, so sucht jener sich zusammenzuziehen, was indessen nur im geringen Maſse möglich ist, weil die vorausgesetzte groſse Wandstärke genug Widerstand bietet. Schreitet die Abkühlung von auſsen nach dem Inneren fort und ist unterdessen der äuſsere Umfang schon kalt und hart geworden, so können sich die inneren Theile nicht mehr wesentlich zusammenziehen, weil sie mit der harten Rinde in Verbindung stehen; so findet in Folge dessen entweder ein Aufreiſsen des Körpers statt, oder derselbe zeigt nach dem Härten bedeutende Spannung und einen wesentlich vergröſserten äuſseren oder inneren Durchmesser. Läſst man dagegen die Abkühlung zuerst im Inneren stattfinden, so können sich die dort befindlichen Stahltheile sofort zusammenziehen, der innere Durchmesser verkleinert; sich; indessen sind Spannungen vorhanden, welche dieser Verkleinerung entgegen wirken; diese Kräfte werden aber aufgehoben, wenn man nun – nachdem die Abkühlung von innen eine gewisse Zeit gedauert hat – auch von auſsen kühlt. Als Endergebniſs stellt sich dann heraus, daſs der innere Durchmesser sich wesentlich kleiner als vor dem Härten erweist. Damit hängt zusammen, daſs sich die Moleküle des inneren Umfanges genähert haben müssen, daſs eine Verdichtung der Masse an dieser Stelle eingetreten ist, aber wohlgemerkt, nur an dieser Stelle, nicht im ganzen Stücke, denn das gesammte specifische Gewicht des Stückes hat sich, wie bei jeder Härteweise, verkleinert. Diese Bemerkungen muſsten vorausgeschickt werden, um die Vortheile des neuen Härteapparates recht zu würdigen. Man kann die geschilderten Abkühlungsarten nur mit Hilfe besonderer Einrichtungen hervorbringen, welche die Erzeugung eines Wasserstrahles von verschiedener Stärke und von verschiedenen Contractionsverhältnissen gestatten und diese Einrichtungen besitzt eben der neue Härteapparat. Mit Hilfe desselben kann man das Kühlwasser in allen Richtungen und mit jeder gewünschten Geschwindigkeit hinzutreten lassen, also alle Abkühlungsstufen erzeugen und in Folge dessen die Harte des abgekühlten Stückes in jeder gewünschten Weise beeinflussen. Zu gleicher Zeit wird durch die Anwendung des Wasserstrahles die Möglichkeit geschaffen, Rotationskörper vollständig gleichmäſsig an allen am Umfange gelegenen Punkten zu kühlen, was wesentlich dazu beiträgt, ein Verziehen der Stücke unmöglich zu machen; der Wasserstrahl hat auſserdem die günstige mechanische Wirkung auf die Oberfläche des Stahles, daſs er Zunder und Oxyd abreifst, die Oberfläche sauber macht und damit eine bessere Wärmeabgabe ermöglicht, weil das Kühlwasser nicht durch eine schlecht leitende Oxydschicht an der Wärmeaufnahme gehindert wird. Viel wesentlicher ist indessen die Eigenschaft des vorbeiflieſsenden Wasserstrahles, die Dampfbildung unmöglich zu machen, indem alle Dampfbläschen mechanisch fortgerissen werden und keine örtliche Abkühlungsverzögerung eintreten kann. Aus dem Gesagten geht nun jedenfalls unzweifelhaft hervor, daſs man wohl im Stande ist, mit diesem Apparate Hohlkörper derartig zu härten, daſs sie wohl eine sehr harte, äuſserst widerstandsfähige Oberfläche besitzen, im Inneren dagegen noch ebenso zähe sind wie vor dem Härten. Daſs diese Eigenschaft des Stahles thatsächlich erreicht werden kann, ist nicht bloſse spekulative Behauptung, sondern eine Thatsache, welche schon oft in Gegenwart wissenschaftlicher Autoritäten festgestellt worden ist. So hat sich Hr. Professor Meyer vom Polytechnikum in Berlin überzeugt, daſs von zwei ganz gleichen Stahlhohlkörpern das eine ungehärtete Stück schon nach 3 Schlägen, welche auf einen in denselben eingetriebenen Dorn ausgeübt wurden, zersprang, während das gehärtete Stück erst nach dem 10. Schlage zum Zerspringen gebracht werden konnte. An den Bruchstücken solcher gesprengter Körper kann man mit vollständiger Sicherheit das bedeutend dichtere Gefüge der durch das Härteverfahren verdichteten Stellen beobachten.“ Hier ist es am Platze, auch des Verfahrens von L. Clémandot zum Härten des Stahles durch Druck zu erwähnen (vgl. 1882 245 218). Im Gegensatze zu Whitworth, welcher den Stahl im flüssigen Zustande dem Zusammenpressen unterwirft (vgl. 1877 225 * 423. 1881 239 137), setzt Clémandot kirschrothwarmen Stahl in einer hydraulischen Presse zwischen zwei blanken Metallplatten einem Drucke von 1000 bis 3000 k/qc aus. Indem die Metallplatten unter Druck in innige Berührung mit dem Stahle treten, entziehen sie diesem schnell die Wärme, wodurch eine wirkliche Härtung erzielt werden soll. Dabei soll jedoch Pressung und Härtung gleichzeitig eintreten und einander in der Art entgegenwirken, daſs der Stahl weder eine Volumenvergröſserung, noch auch eine Verdichtung erleidet, was angeblich die Erzielung einer erhöhten Festigkeit bei unverminderter Zähigkeit zur Folge hat. Obgleich nun in dem Berichte, welchen Ad. Carnot über diesen Gegenstand der Société d'Encouragement (vgl. Bulletin, 1884 Bd. 11 S. 263) erstattet hat, versucht wird, über die Theorie dieses Prozesses, der übrigensüber eine Reihe von Vorversuchen kaum noch hinausgekommen zu sein scheint, einigen Aufschluſs zu geben, so bemerkt doch Carnot selbst, daſs sowohl die chemischen, als auch die physikalischen Wirkungen dieses Verfahrens noch wenig aufgeklärt erscheinen. Bedenkt man, daſs der Stahl, in so lange sich derselbe noch im glühenden Zustande befindet, dem nur von zwei Seiten einwirkenden Drucke jedenfalls weichen muſs, daſs also eine eingreifende Wirkung der Pressung in diesem Zustande nicht wohl eintreten kann, so wird man nicht anders schlieſsen können, als daſs sich diese Wirkung erst vom Augenblicke der Härtung an, somit nach der Erkaltung bis zur kritischen Temperatur zu äuſsern beginnen dürfte, und es liegt dann die Vermuthung nahe, daſs ein ähnlicher Erfolg zu erzielen wäre, wenn der Stahl gar nicht glühend gemacht, sondern nur bis zu höherer Anlaſstemperatur erhitzt und hierbei stark gepreſst würde. Wenn nun Carnot angibt, daſs zwei Stahlproben, je nachdem dieselben in naturhartem, in gehärtetem oder in gepreſstem Zustande untersucht wurden, die specifischen Gewichte von 7,769 und 7,998 bezieh. 7,720 und 7,932 bezieh. 7,777 und 7,983 auswiesen, so muſs hier dasselbe bemerkt werden, was Lorenz bezüglich des specifischen Gewichtes des nach seinem Verfahren gehärteten Stahles sagt: Daſs von dem specifischen Gewichte des ganzen Stahlkörpers nicht auf den Zustand der einzelnen Schichten desselben geschlossen werden kann. Immerhin scheint es, daſs der Stahl bei dem Verfahren von Clémandot, wie bei jenem von Lorenz, zum Theile verdichtet wird und daſs also in dieser Hinsicht beide Methoden einige Aehnlichkeit zeigen. Die Verdichtung mag auch bei dem Clémandot'schen Verfahren tiefer greifen, dann aber, wie ich schon bemerkte, vielleicht hauptsächlich aus der Ueberlastung in der Anlaſshitze flieſsen, in welchem Falle dieser Prozeſs schlieſslich mit meinem weiter oben geschilderten Verfahren zur Erhöhung der Festigkeit des Stahles beinahe zusammenfallen würde. Da für gewisse Zwecke (namentlich bei den meisten Werkzeugen) die Erzielung sehr harten und zugleich sehr zähen Stahles gewiſs ebenso wichtig ist wie für andere Zwecke die (beispielsweise von Uchatius erzielte) Herstellung von sehr festem und zugleich sehr zähem Stahle und da von dem Lorenz'schen Verfahren nicht immer Gebrauch gemacht werden kann, so will ich noch anführen, wie insbesondere die Zähigkeit von gut gehärtetem Stahle durch eine besondere Methode des Anlassens gefördert werden kann. Dieselbe gründet sich auf die Versuchsergebnisse Strouhal's, deren hier ebenfalls in Kürze Erwähnung geschehen soll. Ich habe auf Grund dieser Untersuchungen zunächst ein Diagramm entworfen und durch Interpolation ergänzt, wovon die beigefügte Figur ein Bild gibt. Hierin treten die durch dauernde Erwärmung des Stahles bei verschiedenen Temperaturen erzielten Anlaſsgrade sehr übersichtlich vor Augen und man kann daraus auch, wie mir scheint, ganz überraschende Fingerzeige für die Praxis gewinnen. Textabbildung Bd. 255, S. 59 Der neben bezeichnete Anlaſsgrad wird erreicht bei der eingezeichneten Temperatur und einer Dauer des Anlassens von Stunden; Anlaſsgrad; Std. Ich füge deshalb noch eine Tabelle bei, welche angibt, durch welche Temperaturen bei verschieden langer Anlaſsdauer die in der ersten Spalte angesetzten, nach den in der zweiten Spalte bezeichneten Anlaſsfarben zu schätzenden Anlaſsgrade zu erzielen sind: Der An-laſsgrad Entsprechendder Anlaſsfarbe Ist bei folgenden Temperaturen zu erreichen, wenndas Anlassen dauert Stunden 1/60 1 3 10   0   54   54   54   54   54°   1 142   91   75   67   62   2 175 112   93   79   71   3 200 130 108   93   83   4 Gelb 225 150 125 110 100   5 Braun 247 173 147 130 122   6 Roth 266 200 176 158 149   7 Violett 286 232 212 196 185   8 Blau 310 270 258 250 240   9 Grau 340 331 325 320 310 10 400 400 400 400 400 Nach dieser Tabelle wäre also beispielsweise der Anlaſsgrad 4 (gelb), welcher sonst bei kurzer Erwärmung auf 225° erreicht wird, auch bei 3- bis 10stündiger Behandlung bei nur 100°, also in siedendem Wasser zu erzielen und selbst der Anlaſsgrad 7 (violett) durch 10stündige Behandlung in Anilindampf (oder vielleicht einem siedenden Bade von Chlorcalciumlösung) zu erreichen. Ich habe, um mich von der thatsächlichen Wirkung mäſsiger Anlaſstemperaturen zu überzeugen, verschieden starke glasharte Stahldrähte in einen Dampfkessel eingehängt und fand dieselben, nachdem sie durch etwa 8 Wochen einer Temperatur von etwa 150° ausgesetzt gewesen waren, wirklich sehr gut angelassen und von vorzüglicher Elasticität. Ich fand dabei keinen Unterschied zwischen den Drähten, welche im Wasser, und jenen, die im Dampfe hingen. Nun kann es keinesfalls ganz gleichgültig sein, ob der glasharte Stahl rasch bei höherer, oder aber langsam bei niederer Temperatur angelassen wird. Das letztere Verfahren erscheint schon deshalb vortheilhafter, weil es sich weit sicherer regeln läſst und weil dabei die gleiche Wärme besser in das Innere des Stahlkörpers dringen kann. Wenn überdies die eigentliche Härte des Stahles der Ansicht Tunner's zufolge von dem im gehärteten Stahle in feinsten Krystallen vertheilten Eisencarburet herrührt, so kann wohl angenommen werden, daſs die Auflösung dieser Krystalle mehr von der Temperatur als von der Dauer des Anlassens abhängt, während das Schwinden der Sprödigkeit des Stahles durch beide Faktoren gleich wesentlich beeinfluſst wird. Dann sind aber folgende Schlüsse wohl berechtigt: 1) Daſs man dem Stahle durch mechanische Verdichtung zwar eine, große Festigkeit, niemals aber eine hohe Härte ertheilen kann, welch letztere nur allein durch den Härteprozeſs zu ermöglichen ist; 2) daſs, wenn es sich darum handelt, möglichst festen, zähen und harten Stahl zu erlangen, dies neben dem Lorenz'schen Verfahren auch dadurch erreicht werden kann, daſs man den Stahl zuerst vollkommen härtet (glashart macht) und dann durch längere Einwirkung einer möglichst tief gehaltenen Temperatur anläſst, indem einerseits nur bei einer längeren Einwirkung der Wärme der ganze Stahlkörper eine gleichmäſsige Temperatur erlangen und seine Spannungen ausgleichen, d.h. Zähigkeit gewinnen und andererseits nur bei möglichst tief gehaltener Temperatur der Höchstgehalt an Kohleneisenkrystallen und damit die gröſste Härte bewahrt werden kann. Ich selbst war nicht mehr in der Lage, dies Alles praktisch zu erproben, halte aber Versuche mit der Behandlung des Stahles in dieser Art, namentlich beim Härten gewisser Werkzeuge (Drehbohrer u. dgl.) für sehr empfehlenswerth, wie ich denn überhaupt hoffen möchte, daſs die vorstehenden Mittheilungen zu weiteren Untersuchungen über das noch in manches Dunkel gehüllte Verhalten des Stahles und damit auch zu manchen praktisch brauchbaren Ergebnissen führen werden.