Titel: Weitere Versuche über die Zersetzung von schwefelsaurem Ammoniak mittels Natriumsulfat; von G. Blattner.
Autor: G. Blattner
Fundstelle: Band 257, Jahrgang 1885, S. 475
Download: XML
Weitere Versuche über die Zersetzung von schwefelsaurem Ammoniak mittels Natriumsulfat; von G. Blattner. Blattner, über Zersetzung von schwefelsaurem Ammoniak. In diesem Journale Bd. 255 S. 252 habe ich einige Versuche über das von E. Carey und F. Hurter in Widnes patentirte Verfahren zur Gewinnung von Ammoniak aus Ammoniumsulfat mit gleichzeitiger Verwerthung der darin enthaltenen Schwefelsäure (vgl. * S. 253 d. Bd.) veröffentlicht. Jene Versuche wurden in einer Glasretorte vorgenommen ohne Wasserdampf über oder durch die halb in Fluſs gekommene Mischung der Salze zu jagen, und ergaben nicht mehr als 65 bis 70 Proc. frei gewordenes Ammoniak von dem als Sulfat zur Reaction verwendeten und 15 bis 18 Proc. gingen, wahrscheinlich in Form von Stickstoff, gänzlich verloren. Nun war noch zu untersuchen, ob bei Anwendung von Wasserdampf der Verlust an Ammoniak weit weniger beträchtlich sei als in den früheren Versuchen, was ja wesentlich ist, um das Verfahren überhaupt für die Praxis brauchbar erscheinen zu lassen. Ein geringerer Verlust war zwar zu erwarten; die Patentschrift selbst sagt: „Die Reaction geht in einer Atmosphäre von Wasserdampf glatt vor sich“. Es wird demnach zugegeben, daſs ohne Wasserdampf dieselbe unvollständig verläuft. Mit Zuhilfenahme von Wasserdampf wurde eine weitere Anzahl von Versuchen ausgeführt, im Uebrigen ganz unter denselben Bedingungen wie die früheren, um mit jenen genau verglichen werden zu können. Die abgewogenen Mengen der fein gepulverten Salze mischte man zuvor in einem Mörser, brachte sie alsdann in eine Glasretorte, die mit zwei Erlenmeyer'schen Kolben in Verbindung stand, welche verdünnte Schwefelsäure enthielten, um das entweichende Ammoniak zu absorbiren. Sobald die Temperatur in der Retorte auf etwa 150° gestiegen war, lieſs man einen Strom von Wasserdampf eintreten und erhitzte weiter bis gegen 400°, auf welcher Höhe man die Temperatur bis zum Ende der Behandlung möglichst zu erhalten suchte. In folgender Tabelle Nr. des Versuches Angewendete Salzmengen zu deneinzelnen Versuchen Als Sulfat angewen-detes NH3 In Gramm gefundeneMengen In Procent des angewen-deten NH3 UeberdestillirtesNH3 Im Natrium-bisulfat und alsSublimat zurück-gebliebenes NH3 Verlorenes NH3 UeberdestillirtesNH3 Im Natrium-bisulfat und alsSublimat zurück-gebliebenes NH3 Verlorenes NH3 1 20g (NH4)2SO4 mit 27g Na2SO4 5,00 4,01 0,80 0,19 80,2 16,0 3,8 2 20          „            „   30       „ 5,00 4,10 0,79 0,11 82,0 15,8 2,2 3 20          „            „   28       „ 5,00 4,35 0,54 0,11 87,0 10,8 2,2 4 20          „            „   25       „ 5,10 3,93 1,14 0,03 77,1 22,3 0,6 5 10          „            „   15       „ 2,55 2,29 0,17 0,09 89,9   6,6 3,5 6 10          „            „   17       „ 2,55 2,37 0,15 0,03 92,8   5,9 1,3 sind die erhaltenen Ergebnisse der einzelnen Versuche übersichtlich zusammengestellt. Sämmtliche Bestimmungen des Ammoniaks wurden durch Destillation mit Natronlauge und Auffangen in Normalschwefelsäure ausgeführt. Die Tabelle enthält: Die Ammoniakmenge, welche in die Schwefelsäure der Erlenmeyer'schen Kolben überdestillirt ist; die Ammoniakmenge, welche in dem durch die Reaction entstandenen sauren schwefelsauren Natrium zurückblieb, zuzüglich derjenigen Menge, welche sich allenfalls in Form eines krystallinischen Sublimates noch in der Retorte befand, und endlich die Ammoniakmenge, welche sehr wahrscheinlich durch Dissociation in Form von Stickstoff verloren ging. Zu allen Versuchen wurde ein 95 bis 97procentiges Natriumsulfat verwendet. Die auf diese Weise mit Anwendung von Wasserdampf in einer Glasretorte angestellten Versuche ergaben also schon weit günstigere Erfolge; 80 bis 90 Procent des als Sulfat zur Reaction verwendeten Ammoniaks wurden frei gemacht und destillirten in die vorgelegte Schwefelsäure über; der wirkliche Verlust an Ammoniak beschränkte sich auf 1 bis 3 Proc. In der Retorte bezieh. in dem gebildeten Natriumbisulfate blieben aber noch zu groſse Mengen stecken und die Bildung eines krystallinischen Sublimates fand immer noch statt, wenn auch in geringerem Maſse als in der ersten Versuchsreihe ohne Anwendung eines Wasserdampfstromes. Beim Uebergieſsen dieses Sublimates mit einer Säure entwickelt sich immer mehr oder weniger Schwefligsäure; es muſs demnach gröſstentheils aus Sulfit oder Bisulfit des Ammoniums bestehen. Beim 4. Versuche hatte man eine zu schwache Hitze angewendet, so daſs ein Theil der Mischung an der Oberfläche der halbflüssigen Masse wie eine Schlacke sich festhielt. Diese Erscheinung kann nicht mehr stattfinden, sobald man die Versuche in einer anderen Art und Weise vornimmt, wie bald zu sehen sein wird. Beim 3. Versuche lieſs man das entweichende Ammoniak, statt dasselbe durch Schwefelsäure zu absorbiren, mit dem Wasserdampfe durch eine Kühlschlange aus Glas gehen, wobei es sich mit den Wasserdämpfen verflüssigte und als Ammoniakflüssigkeit abging, in welcher alsdann neben dem Ammoniak die allfällig übergegangene Schwefelsäure und Schwefligsäure noch bestimmt wurden. Man fand in diesem Destillate 0g,68 H2SO4 in Form von Sulfat und 0g,73 H2SO4 in Form von Sulfit, oder 4,7 und 5,0, zusammen 9,7 Procent der in dem zur Verwendung gekommenen Ammoniumsulfate enthaltenen Schwefelsäure. Der 6. Versuch weist ungefähr dieselbe Menge überdestillirte Schwefelsäure auf wie der 3. Versuch; doch wurde das Ergebniſs hier auf eine andere Art ermittelt. Man bestimmte in der Lauge des bei der Reaction sich gebildeten Natriumbisulfates die sogen. freie Schwefelsäure mittels Titration durch Normalnatronlauge, wobei sich 6g,27 H2SO4 ergaben; dem in der Retorte zurückgebliebenen NH3 entsprechen 0g,43 H2SO4, so daſs also 6g,70 H2SO4 aufgefunden wurden. Das zum Versuche verwendete Ammoniumsulfat enthielt 7g,35 H2SO4; es destillirten also 0g,65 in Form von Schwefelsäure und Schwefligsäure oder deren Salze über, was 8,85 Procent der im angewendeten schwefelsauren Ammoniak enthaltenen Schwefelsäure beträgt. Wenn auch bei dieser Versuchsreihe der wirkliche Ammoniakverlust ziemlich gering ist, so erscheint doch noch immer die im Natriumbisulfate zurückbleibende Menge, sei es in Form von unzersetztem Sulfat oder in Form von Sublimat, zu groſs, um den Prozeſs praktisch verwerthen zu können; denn auch diese Ammoniakmenge würde bei der weiteren Behandlung des Natriumbisulfates verloren gehen und bekanntlich steht ja das Ammoniak bis heute noch auf einem ziemlich hohen Preise. Aus dem bisherigen Verlaufe der Versuche läſst sich aber schlieſsen, daſs ohne Zweifel die Reaction noch glatter, die Sublimatbildung beinahe verhindert oder dann das gebildete Sublimat wieder zersetzt und ausgetrieben wird, sobald die Arbeit in der Weise vorgenommen wird, daſs während des Erhitzens die Salzmenge auf irgend welche Art fortwährend gemischt werden kann. Diesen Zweck erreichen Carey und Hurter, indem sie nach der Patentschrift die Behandlung in einem um seine Achse sich langsam drehenden eisernen Cylinder ausführen, welcher von einem Mauerwerke umgeben ist, dergestalt, daſs die Feuerungsgase den Drehofen leicht umspülen können. Um nun ganz unter denselben Bedingungen zu arbeiten, habe ich mir einen kleinen eisernen Cylinder von 12cm Länge und 6cm Durchmesser herstellen lassen, welcher auf beiden Seiten mit einem 40cm langen eisernen Rohre von 1cm innerem Durchmesser versehen war. Die Enden dieser Rohre steckten in Kautschukstöpseln derart, daſs sie in denselben bis zur Mitte reichten; die andere Hälfte der Kautschukstöpsel war je mit einem Glasrohre versehen. Die beiden Glasrohre dienten als Achsen, um welche der Eisencylinder mit den beiden Kautschukstöpseln langsam gedreht wurde. Auf der einen Seite führte man den Wasserdampf ein und auf der anderen entwich derselbe mit dem frei gewordenen Ammoniak, welches wiederum in zwei vorgelegten Erlenmeyer'schen Kolben, in denen sich verdünnte Schwefelsäure (100g H2SO4 im Liter) befand, aufgefangen wurde. Auf die eben beschriebene Weise lieſsen sich die Versuche nach einiger Uebung sehr bequem und ohne Schwierigkeit ausführen; der ganze Apparat schloſs überall gut, so daſs während der Arbeit in Folge Undichtigkeit desselben kein Ammoniak verloren ging. Die Ergebnisse von 6 Versuchen dieser Art sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt: Nr. des Versuches Angewendete Salzmengen zu deneinzelnen Versuchen Als Sulfat angewen-detes NH3 In Gramm gefundeneMengen In Procent des angewen-deten NH3 UeberdestillirtesNH3 Im Natrium-bisulfat und alsSublimat zurück-gebliebenes NH3 Verlorenes NH3 UeberdestillirtesNH3 Im Natrium-bisulfat und alsSublimat zurück-gebliebenes NH3 Verlorenes NH3 Bei Gegenwart von Wasserdampf. 1 10g (NH4)2SO4 mit 15g Na2SO4 2,55 2,26 0,02 0,27 88,6   0,8 10,6 2 20           „           „   30       „ 5,10 4,49 0,34 0,27 88,0   6,7   5,3 3 10           „           „   15       „ 2,55 2,41 0,10 0,04 94,5   3,9   1,6 4 10           „           „   15       „ 2,55 2,44 0,10 0,01 95,7   3,9   0,4 5 10           „           „   15       „ 2,55 2,52 0,03 Spur 98,8   1,2 Spur 6 10           „           „   15       „ 2,55 2,51 0,04 Spur 98,4   1,6 Spur Ohne Gegenwart von Wasserdampf. 7 10g (NH4)2SO4 mit 15g Na2SO4 2,55 1,54 0,65 0,36 60,4 25,5 14,1 8 10           „           „    15      „ 2,55 1,60 0,55 0,40 62,8 21,5 15,7 9 10           „           „    15      „ 2,55 1,69 0,47 0,39 66,2 18,4 15,4 Zum Schlusse wurden noch drei Versuche im drehbaren Eisencylinder ohne Verwendung von Wasserdampf ausgeführt, da der Patentanspruch: „mit oder ohne Gegenwart von Wasserdampf“ lautet. Es geschah dies hauptsächlich, um zu untersuchen, ob vielleicht die Ergebnisse der Versuche, im drehbaren Eisencylinder ausgeführt, günstiger ausfallen werden als die, deren Versuche in der Glasretorte vorgenommen worden sind und welche meine frühere Veröffentlichung zum Gegenstande hatte. Auch die Ergebnisse dieser Versuchsreihe finden sich in der zweiten Tabelle. In der That haben die Versuche im drehbaren Eisencylinder bei Gegenwart von Wasserdampf weit günstigere Erfolge gehabt als diejenigen, welche unter den gleichen Bedingungen in der Glasretorte vorgenommen wurden; ja zum Theile können sie als sehr gute bezeichnet werden wie der 5. und 6. Versuch, wo nur 1 bis 2 Proc. Ammoniak im Natriumbisulfate zurückblieb und die wirklichen Verluste an Ammoniak fast Null waren. Bei dem 1. und 2. Versuche wurde eine zu hohe Temperatur angewendet, was alsdann eine Zersetzung des Ammoniaks zur Folge hatte. In dieser Beziehung muſs auch Sorgfalt angewendet werden, so daſs nach meiner Ansicht die Temperatur im Inneren des Cylinders 400° nicht übersteigen sollte. Während der Behandlung muſs ohne Zweifel auch hier etwas Schwefelsäure und Schwefligsäure oder deren Ammoniaksalze mit dem Wasserdampfe überdestilliren, wie dies bereits früher bei den in der Glasretorte ausgeführten Versuchen bemerkt wurde; aber diese Producte würden ja leicht mit der von Carey und Hurter angegebenen Einrichtung von dem kaustischen Ammoniak zu trennen sein, nämlich durch einen Condensationsapparat, bestehend aus zwei Schlangenrohren in zwei verschiedenen Kühlgefäſsen, von denen das erste stets auf einer Temperatur von etwa 100° gehalten wird; hier werden sich diese Ammoniaksalze verdichten und in Form von Lösung abflieſsen, während das Ammoniak weiter strömt und sich erst im zweiten gut gekühlten Schlangenrohre mit Wasserdampf verflüssigt. Was endlich die Versuche ohne Gegenwart von Wasserdampf im Eisencylinder betrifft, so sind deren Ergebnisse nicht günstiger ausgefallen als die früheren, unter denselben Bedingungen in der Glasretorte ausgeführt. Es gingen auch hier bloſs etwa 65 Procent des als Sulfat zur Reaction verwendeten Ammoniaks als solches über, etwa 20 Proc. blieben im Natriumbisulfat und als Sublimation im Eisencylinder stecken und ungefähr 15 Proc. gingen in Form von Stickstoff gänzlich verloren. Wie hieraus zu ersehen, ist also der Wasserdampf bei dieser Reaction nicht von geringem Einflüsse. Die Reaction selbst geht bei einer niederen Temperatur vor sich, wenn Wasserdampf zugegen ist; am günstigsten scheint es zwischen 300 und 400° zu sein, während bei Abwesenheit von Wasserdampf die Reaction gegen 400° eigentlich erst beginnt und man, um dieselbe zu Ende zu führen, gezwungen ist, bedeutend höher zu gehen, was vermuthlich Dissociation des schwefelsauren Ammoniaks herbeiführt. Aus diesen Versuchsreihen kann man schlieſsen, daſs das Verfahren mit Anwendung von Wasserdampf in der Praxis Eingang finden könnte, daſs es aber ohne dieses Hilfsmittel wegen des zu groſsen Ammoniakverlustes unbrauchbar ist. Sollte es nun gelingen, dieses Verfahren mit Vortheil auch im Groſsen wirklich auszuführen (denn ohne Zweifel müssen verschiedene technische Hindernisse überwunden werden), so wäre damit eine schon lange versuchte Aufgabe wiederum auf eine neue Art gelöst: nämlich die Chlorgewinnung aus dem beim Ammoniaksodaprozesse zur Verwendung kommenden Kochsalze. Anstatt vom Chlornatrium würde man – wie Carey und Hurter in ihrem Patente vorschlagen – vom Natriumsulfate ausgehen, das ebenso gut wie ersteres und wie Natriumnitrat mit Ammoniumbicarbonat sich umsetzt, so daſs man schlieſslich in der Mutterlauge Ammoniumsulfat statt Chlorammonium haben würde. Dieses schwefelsaure Ammoniak wäre dann mit neutralem Natriumsulfate nach dem patentirten Verfahren zu behandeln und das sich hierbei bildende Natriumbisulfat mit Kochsalz, wodurch Salzsäure entweichen und wiederum neutrales schwefelsaures Natrium entstehen würde.