Titel: Ueber Raffinose.
Fundstelle: Band 259, Jahrgang 1886, S. 424
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Ueber Raffinose. Ueber Raffinose. B. Tollens (Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft, 1885 S. 2611, vgl. 1885 255 403) fand bei der Polarisation von Raffinose (α)D = 104°, nach kurzem Erwärmen mit etwas Säure = 48 bis 49°. Die Raffinose gährt mit Hefe leicht und gibt annähernd ebenso viel Alkohol als Rohrzucker. Wenn man in Bechergläsern von bestimmter Gröſse je 5g,5 Raffinose oder 5g Galactose, Milchzucker oder Gemenge von Glycosen mit 60cc Salpetersäure von 1,15 sp. G. im Wasserbade erhitzt, bis die Flüssigkeit auf etwa ⅓ verdampft ist, erhält man aus Galactose 74 bis 77 Proc., aus Milchzucker 36 bis 38 Proc., aus Gemengen von Galactose oder Milchzucker mit Dextrose die sich für die vorhandenen Mengen Galactose oder Milchzucker berechnenden Mengen und aus Raffinose 22 bis 23 Procent bei 100° getrockneter Schleimsäure. Diese 22 bis 23 Proc. Schleimsäure sind nun nicht mit der Formel C12H22O11.3H2O, wohl aber genau mit C18H32O16.5H2O zu vereinigen, wenn man annimmt, daſs eine Galactosegruppe C6H12O6 darin vorhanden ist bezieh. mit Säuren daraus entsteht; denn diese muſs, wie die zahlreichen Versuche mit Gemengen gezeigt haben, ebenso wie die Galactose selbst etwa 75 Proc. Schleimsäure liefern und folglich ergeben 180 Galactose, d.h. die in 594 (dem Molekulargewicht C18H32O16.5H2O) enthaltene Menge 135 Schleimsäure; letztere entstehen also aus 594 Raffinose, was 22,7 Proc. ausmacht. Die Zusammensetzung der Natrium Verbindung, sowie die Beobachtung, daſs, obgleich Raffinose in der Wärme so auſserordentlich löslich in Wasser ist, sie sich doch mit kaltem Wasser nur langsam löst und langsam wieder krystallisirt, während der Rohrzucker z.B. fast augenblicklich im Wasser schmilzt, deutet dagegen darauf, daſs die Formel eine gröſsere sein muſs, so daſs Raffinose sich den höher in der Reihe stehenden Stoffen, wie z.B. Amylodextrin oder Inulin nähert, welche sich ähnlich verhalten. Am besten mit diesem Verhalten paſst die Formel C36H64O32.10H2O. Da die aus Eucalyptusmanna hergestellte Melitose sich genau so verhält wie Raffinose, so dürfte es sich empfehlen, zu dem alten Namen Melitose zurückzukehren. C. Scheibler (daselbst S. 1409 und 1779) hat gefunden, daſs der nach dem neueren Strontianverfahren (1883 248 426) aus Melasse gewonnener Zucker niemals die lang gestreckten säulenförmigen Krystalle zeigt wie der nach anderen Verfahren aus Melasse erhaltene. Dies erklärt sich daraus, daſs bei der Fällung von Monostrontiumzucker, C12H22O11SrO.5H2O, die Raffinose in Lösung bleibt. Zur Herstellung von Raffinose wurde aus Melasse in lang gestreckten Krystallen erhaltener Zucker in Wasser gelöst, mit soviel Strontiumhydrat versetzt, daſs sich beim Erkalten der Lösung Monostrontiumzucker abschied. Die Krystallausscheidung wurde hierauf von der Mutterlauge auf einem Absaugefilter mit Hilfe der Wasserluftpumpe getrennt und nur wenig gewaschen. Die erhaltene Mutterlauge, welche durch den abgetrennten Monostrontiumzucker etwa 75 Proc. Zucker weniger als die ursprüngliche Lösung, dafür aber alle Raffinose enthielt, wurde nun kochend mit einem Strontiumüberschusse nach D. R. P. Nr. 15385 (vgl. 1882 245 430) behandelt, dadurch der Rohrzucker und die Raffinose zusammen gefällt, heiſs abgesaugt, mit 10procentiger kochender Strontiumlösung ausgewaschen und so von Salzen und Nicht-Mucker befreit. Das Rohrzucker-Raffinosesaccharat wurde hierauf mit Kohlensäure zerlegt und dabei eine farblose reine Lösung erzielt, welche den scheinbaren Reinheitsquotienten von 103,3 zeigte. Durch 2 malige Wiederholung dieses Verfahrens stieg der scheinbare Reinheitsquotient auf 109,2. Um aus diesem an Raffinose reichen Syrup letztere abzuscheiden, erwärmt man auf dem Wasserbade, tröpfelt so lange Alkohol zu, bis die entstehende Trübung eben nicht mehr verschwindet, und läſst erkalten. Nach 10 bis 12 Stunden hat sich alsdann am Boden des Gefäſses eine syrupöse Schicht abgelagert, welche reich an Raffinose und arm an Rohrzucker ist, während die überstehende alkoholische Lösung die Hauptmenge des Rohrzuckers und dafür nur wenig Raffinose enthält. Die ausgeschiedene syrupöse Schicht löst man in wenig Wasser und reinigt sie durch wiederholte Ausfällung mit Alkohol noch 1 oder 2mal, um sie von gewöhnlichem Zucker möglichst zu befreien. Zuletzt löst man sie in sehr wenig Wasser und versetzt in der Kälte tropfenweise mit Alkohol unter Umschwenken so lange, als die entstehende Trübung eben noch verschwindet, verschliefst den Kolben, um Verdunstung zu verhindern und überläſst die Lösung sich selbst. Nach mehreren Tagen beginnt dann die Raffinose sich in feinen, meist zu kleinen Warzen oder Büscheln vereinigten Nadeln auszuscheiden, welche sich nach und nach zu Krystallkrusten vermehren. Weitere Versuche zeigten, daſs sich die sogen. Gossypose aus Baumwollsamenkuchen genau so verhält als die Raffinose. Für (α)D wurde 103,9 gefunden, welche durch Inversion rasch auf 53,3 fiel, dann aber sehr langsam abnahm, anscheinend durch weitere Zersetzung der Inversionsproducte. Die Raffinose wird schon durch einfache Erwärmung bei einer Temperatur in der Höhe von 100° invertirt oder so verändert, daſs sie aus Fehling'scher Lösung Kupferoxydul abscheidet und sich mit Alkalien stark bräunt; sie ist also nicht so beständig wie der Rohzucker und wird viel früher eine Veränderung erleiden als dieser. Dem entsprechend werden Rüben sich um so rascher und leichter in den Mieten verändern, je reicher an Raffinose sie sind. Es ist wahrscheinlich, daſs gewisse Rübenabarten, namentlich die hoch polarisirenden, einen besonderen Reichthum an Raffinose besitzen; man weiſs aber, daſs gerade die hoch polarisirenden Rüben sich in den Mieten schlecht halten. Solche hoch polarisirenden Rüben pflegt man saftarm zu nennen, weil die Zuckerausbeute aus denselben nicht völlig ihrer hohen Polarisation entspricht: aber zukünftige Untersuchungen dürften lehren, daſs nicht Saftarmuth, sondern Raffinosereichthum die hohe Polarisation solcher Rüben bedingt, (Hierher gehören vielleicht die Vilmorinrüben.) Hiernach würden die Bestrebungen, immer höher polarisirende Rüben zu züchten, nicht ganz ohne Bedenken sein. Daſs manche Zucker (namentlich Nachproducte), welche alkalisch reagiren und keine oder nur eine geringe Reaction gegen Kupferlösung zeigen, bei der Wasserbestimmung durch Austrocknen bei 100° sich stark braun färben und dabei einen so hohen procentischen Gehalt an Wasser ergeben, wie man denselben flach dem äuſseren Ansehen oder nach dem Gefühle (Griff) nicht erwarten würde, sowie, daſs die erhaltenen braunen Trockenrückstände darauf ganz erheblich Kupferoxydul fällen, wird ebenfalls auf einen behalt an Raffinose zurückzuführen sein. Voraussichtlich wird sich diese Erscheinung zu einer qualitativen Probe auf Raffinose eignen. E. O. v. Lippmann (Deutsche Zuckerindustrie, 1885 S. 302, 382, 1310 und 1646) hat mittels Strontian unmittelbar aus Rübensaft Raffinose abgeschieden. Durch das Vorkommen der Raffinose in der Rübe wird die in Frankreich noch immer übliche Zuckerbestimmung durch Inversion ganzer Rübenscheiben völlig hinfällig und es verliert auch die Polarisation ihre Zuverlässigkeit als alleinige Richtschnur für den Samenzüchter. Um Jedoch den Grad der Fehler kennen zu lernen, welche hierbei in Folge der Anwesenheit von Raffinose begangen werden, wird es zunächst erforderlich sein, quantitative Trennungsmethoden auszubilden; denn es ist keineswegs gelungen, soviel Raffinose aus Melassen u. dgl. abzuscheiden, daſs deren Menge der Polarisationsdifferenz, wie sie z.B. schon die optische Inversionsmethode ergibt, entspricht, oder etwa in der Rübenzuckerfabrikation den Verlust an Zuckerausbeute bezieh. die anscheinend Stoſsen unbestimmten Verluste ausgleicht. Löst man 1 Th. Raffinose und 1 Th. reine Raffinade zusammen in Wasser auf und läſst in einem Schälchen langsam krystallisiren, so erhält man über 100 polarisirende Zuckerkrystalle von dem bekannten säulenförmigen Aussehen mit zugespitzten Endflächen; diese Wirkung ist selbst dann noch deutlich erkennbar, wenn auf 1 Th. Raffinose 12 Th. Raffinade genommen werden. Zum Nachweise, von Raffinose in Melasse bringt man nach Pellet und Biard (vgl. Journal des Fabricants de Sucre, 1885 Bd. 26 S. 22) 10g Melasse mit 5cc höchst concentrirtem Bleiessig (specifisches Gewicht über 1,5) in ein 100cc-Kölbchen, mischt, setzt bis zur Marke 100 Alkohol von 90 bis 92 Proc. und bis zur Marke 110 alkoholischen Bleiessig zu, schüttelt, filtrirt und polarisirt; nur etwa 80 Procent der vorhandenen Raffinose sind ausgefällt (bei Anwendung stärkeren Alkoholes etwas mehr), so daſs das Ergebniſs nur sehr annähernd richtig ist. Enthalten Melassen sehr wenig Raffinose, so ist es zweckmäſsig, diese zunächst nach Scheibler mittels Strontian zu isoliren, die saturirte eingedickte Lösung dann mit Alkohol und Bleiessig zu fällen, das Bleisalz mittels Wasser auszuziehen und die Raffinose nach Zerlegung desselben mit Kohlensäure oder Schwefelwasserstoff polarimetrisch zu bestimmen; selbstverständlich sind auch auf diesem Wege genaue Werthe nicht zu erhalten. Dies gilt in noch weit höherem Grade für Pellet und Biard's Methode, Rohrzucker z, Raffinose r und Saccharin s neben einander durch Inversion mit Essigsäure zu bestimmen. Bezeichnet man mit t die Temperatur, mit A die direkte Polarisation, mit B die nach der Inversion (es werden hierbei nur 66,7 der Raffinose invertirt), mit g den Gesammtgehalt an invertirten Zuckerarten und setzt die Drehungen für Zucker = 1, für Raffinose = 1,59, für Saccharin = 1,38, für Invertzucker = – 0,418 bei 0°, mit Zunahme von 0,00475 für 1°, und für invertirte Raffinose + 0,667, so hat man: A = z + 1,59r + 1,38s und B=\frac{z}{0,95}\,(-0,418+0,00475\,t)+0,667\,+1,38\,s und g=\frac{z}{0,95}+0,667\,r. Hieraus findet man: z=\frac{0,833\,g-0,63175\,(A-B)}{0,00315875\,t-0,03287},\ r=\frac{0,95\,g-z}{0,667},\ s=\frac{A-z-1,59\,r}{1,38.}. Mit Recht weisen die Verfasser darauf hin, daſs schon kleine Fehler die Ergebnisse ungenau machen müssen und, da Beleganalysen mit Hilfe dieser Formeln, in denen so ziemlich keine einzige wirklich genau bestimmte Gröſse vorkommt, nicht vorliegen, wird man dieselben wohl nur als Vorschlag betrachten dürfen und besser thun, zunächst die Eigenschaften der Stoffe genau zu studiren und erst dann Trennungsmethoden auf dieselben zu gründen. Pellet und Biard halten ferner noch die Angabe von Leplay im Bulletin de l'Association des Chimistes, Bd. 3 S. 106 für wahrscheinlich, daſs die Raffinose lediglich ein Zersetzungsproduct des optisch neutralen Zuckers sei, was nach obigen Untersuchungen nicht richtig ist. Sie heben ferner hervor, daſs bei der Untersuchung von Melasse die Inversion mit Essigsäure nach Reichard und Bittmann keine genauen Zahlen geben kann, da die invertirte Raffinose noch immer stark rechts dreht (vgl. * Sucrerie indigène, 1885 Bd. 25 S. 505). Loiseau hat wiederholt beobachtet, daſs aus den Mutterlaugen der Melasseentzuckerung bei längerem Stehen in kühlen Räumen Raffinose auskrystallisirt (vgl. Journal des Fabricants de Sucre, 1885 Bd. 26 S. 22). Beauduin (Sucrerie Belge, 1886 Bd. 14 S. 175) will in belgischen Rüben 0,2 bis 0,7 Proc. Raffinose gefunden haben, eine Angabe, welche wohl noch der Bestätigung bedarf.