Titel: Neue Azofarbstoffe (Patentklasse 22).
Fundstelle: Band 261, Jahrgang 1886, S. 89
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Neue Azofarbstoffe (Patentklasse 22). Neue Azofarbstoffe. Nach Angabe der Actiengesellschaft für Anilinfabrikation in Berlin (D. R. P. Nr. 35615 vom 17. März 1885) können die durch alkalische Reduction von Ortho- oder Paranitrotoluol oder von einem Gemische beider, dem technischen Nitrotoluol, hergestellten Tetrazoverbindungen des Tolidins mit α- und β-Naphtylamin und deren Mono- und Disulfosäuren schöne, theils sprit-, theils wasserlösliche Farbstoffe bilden, welche ungebeizte Baumwolle im Seifenbade tief gelbroth bis blauroth färben und von den entsprechenden Benzidinfarbstoffen durch ihren Ton und gröſsere Echtheit gegen Licht und Säuren wesentlich verschieden sind. Während der von Böttiger (1884 254 394) aus Tetrazodiphenyl mit α-Naphtionsäure erhaltene und im Handel unter dem Namen „Congo“ bekannte rothe Farbstoff von den geringsten Spuren Essigsäure braun bis schwarz wird, zeigt der entsprechende Farbstoff aus Tetrazoditolyl bei weitem nicht so groſse Empfindlichkeit gegen verdünnte Säuren und ist bedeutend lichtechter als dieser. Ein noch gröſserer Unterschied zwischen den Benzidin- und Tolidinfarbstoffen ergibt sich in Verbindung mit β-Naphtylaminsulfosäuren, seien dieselben durch unmittelbare Sulfirung von β-Naphtylamin oder durch Erhitzen von Schäffer'scher β-Naphtolsulfosäure mit Ammoniak erhalten. In beiden Fällen bildet Tetrazodiphenyl mit denselben Farbstoffe, welche selbst in kochendem Wasser unlöslich und in der beschriebenen Form nicht auf Baumwolle zu fixiren, also technisch völlig werthlos sind. Dagegen bildet das Tetrazoditolyl in Verbindung mit diesen Sulfosäuren wasserlösliche Farbstoffe, welche durch ihre völlige Echtheit gegen starke Essigsäure und selbst gegen verdünnte Mineralsäuren, sowie durch das Feuer ihrer Farbe sehr werthvoll sind. Zur Herstellung dieser Farbstoffe läſst man wässerige Lösungen der Tetrazoditolylsalze in die wässerigen Lösungen der α- und β-Naphtylaminsalze oder in die in Wasser fein vertheilten Mono- und Disulfosäuren des α- und β-Naphtylamins einlaufen und stumpft die vorhandenen freien mineralischen Säuren durch Salze der organischen Säuren, z.B. durch essigsaures Natron, ab. Die so gebildeten spritlöslichen Farbstoffe werden durch Behandeln mit rauchender Schwefelsäure in wasserlösliche Farbstoffe übergeführt, welche dann in ihren Eigenschaften groſse Aehnlichkeit mit den unmittelbar erhaltenen wasserlöslichen Farbstoffen zeigen, nur etwas stumpfer als diese sind. Es werden z.B. 150k schwefelsaures Tolidin (Diamidoditolyl), erhalten aus technischem Nitrotoluol, in Wasser fein vertheilt, mit 50k Salzsäure von 21° B. versetzt und zu der mit Eis gekühlten Lösung 22k,2 Natriumnitrit, in 10l Wasser gelöst, langsam hinzulaufen gelassen. Es bildet sich so das Tetrazoditolylchlorid. Diese Lösung setzt man darauf zu einer wässerigen Lösung von 58k salzsaurem α- oder β-Naphtylamin, stumpft die freie mineralische Säure durch Natriumacetat ab und läſst das Gemisch etwa 24 Stunden stehen. Der so erhaltene dunkelbraune bezieh. hochrothe Niederschlag wird abfiltrirt und behufs Ueberführung in seine Sulfosäuren getrocknet. Ferner werden 50k des trockenen, spritlöslichen Farbstoffes unter Umrühren langsam in 150k rauchende Schwefelsäure von 20 Proc. Anhydridgehalt bei 15° eingetragen, die so erhaltene tiefblaue Schmelze wird so lange bei gewöhnlicher Temperatur stehen gelassen, bis die Sulfirung vollendet ist, darauf in Wasser gegossen und die ausgeschiedene Sulfosäure durch Behandeln mit Natronlauge oder Soda in ihr Natronsalz übergeführt. Nach einem anderen Verfahren wird das Tetrazoditolylchlorid zu 73k in Wasser fein vertheilter Naphtionsäure, d.h. schwerlösliche α-Naphtylaminsulfosäure, hinzugefügt, die freie mineralische Säure durch Hinzufügen von essigsaurem Natron abgestumpft und das Gemisch mehrere Tage unter häufigem Umrühren stehen gelassen. Es bildet sich so ein rothbrauner, schleimiger Niederschlag, welcher durch Erwärmen und Neutralisiren mit Natronlauge oder Soda in sein Natronsalz übergeführt wird. Beim Erkalten fällt der Farbstoff fast quantitativ als ein orangerothes Pulver aus, welches ungeheizte Baumwolle tief blauroth färbt. Einen scharlachrothen, säureechten Farbstoff, welcher an Schönheit die oben beschriebenen Farbstoffe noch übertrifft, erhält man aus der β-Naphtylaminsulfosäure, gebildet durch Erhitzen der Schäffer'schen β-Naphtolsulfosäure mit Ammoniak. Nachdem man zu der wässerigen Lösung von 80k β-naphtylaminsulfosaures Natron überschüssige Sodalösung hinzugefügt hat, läſst man in dieselbe langsam unter Umrühren und Eiskühlung das Tetrazoditolylchlorid einlaufen. Es bildet sich ein bräunlich rother Niederschlag, welcher sich nach etwa 12 stündigem Stehen vollständig auflöst. Fügt man nun zu der so erhaltenen Farbstofflösung Kochsalzlösung hinzu, so fällt ein rother schleimiger Niederschlag, welcher durch Erwärmen krystallinisch wird und das Natronsalz jenes oben beschriebenen Farbstoffes darstellt. Nach Dahl und Comp. in Barmen (D. R. P. Nr. 35788 vom 18. Oktober 1885) werden zur Herstellung von Naphtolsulfiden 100k Naphtol mit 22k Stangenschwefel in einem mit Rührwerk versehenen geschlossenen guſseisernen Kessel auf 170 bis 180° erhitzt und so lange auf dieser Temperatur gehalten, als noch Schwefelwasserstoff entweicht. Hierauf wird die Schmelze erkalten gelassen und nach dem Erstarren zerkleinert. Der Prozeſs dauert 10 bis 12 Stunden. Um letzteren auf 4 bis 5 Stunden abzukürzen, werden beim Schmelzen von 100k Naphtol mit 22k Schwefel bei 160° allmählich 79k Bleiglätte zugegeben, wobei aber eine Temperaturerhöhung über 175° zu vermeiden ist. Beim α-Naphtol ist die Einwirkung des Bleioxydes eine ziemlich träge und das Entweichen nicht unbeträchtlicher Mengen Schwefelwasserstoffes kann nicht verhindert werden; dagegen wirkt Bleioxyd beim Zusätze zur β-Naphtolsulfidschmelze äuſserst kräftig ein; bald nach dem Eintragen von Bleioxyd entweicht Wasserdampf und es kann, wenn etwas zu rasch zugesetzt wurde, eine sehr heftige, von starker Erhitzung begleitete Reaction eintreten, weshalb hierbei Vorsicht erforderlich ist. Die erhaltenen Schmelzen werden mit Natronlauge gelöst, mit heiſsem Wasser verdünnt und filtrirt. Die Naphtolsulfide werden durch Säuren gefällt, abgepreſst und getrocknet. Das so erhaltene rohe α-Naphtolsulfid bildet ein graues Pulver, welches durch Fällung aus Eisessiglösung weiſs erhalten werden kann. In Natronlauge löst es sich leicht und wird durch Salzsäure wieder unverändert ausgefällt. Die Lösung in Natronlauge ist gelb, fluorescirt nicht und färbt sich an der Luft grün. In Alkohol ist das α-Naphtolsulfid ziemlich löslich, ebenso in Eisessig; in verdünnter Essigsäure und in Wasser löst es sich nicht. β-Naphtolsulfid stellt in rohem Zustande ein weiſses Pulver dar, welches sich in Natronlauge leicht löst; diese Lösung ist gelb gefärbt und fluorescirt nicht; Salzsäure scheidet daraus wieder unverändertes Naphtolsulfid ab. In heiſsem Alkohol ist es ziemlich löslich und krystallisirt daraus in prachtvoll glänzenden Prismen oder Täfelchen aus; schwerer löst sich β-Naphtolsulfid in Eisessig und Benzol, aus welchen es in Nadelchen krystallisirt. In verdünnter Essigsäure und in Wasser löst es sich nicht. Sein Schmelzpunkt wurde bei 214° (unberichtigt) gefunden. Die Zusammensetzung der Verbindungen entspricht anscheinend der Formel (C10H6OH)2S. Wie die Naphtole verbinden sich die Naphtolsulfide mit gleichen Molekülen Diazoverbindungen zu Azofarbstoffen. Das α-Naphtolsulfid liefert braune bis braunviolette, das β-Naphtolsulfid orange bis blaurothe Farbstoffe. Von den mittels der Naphtole zu erhaltenden Azoverbindungen unterscheiden sie sich dadurch, daſs sie im Allgemeinen leichter löslich sind als diese, beim Ausfärben wesentlich röthere bezieh. blauere Töne liefern und die, wie es scheint, allen Schwefel enthaltenden Azofarbstoffen eigenthümliche Eigenschaft besitzen, sehr langsam an die Wollfaser zu gehen und dem Waschen mit Seife zu widerstehen. Zur Herstellung eines blaurothen Farbstoffes werden z.B. 50k naphtionsaures Natron in bekannter Art diazotirt und bei einer Temperatur von etwa 5° zu einer Auflösung von 65k,5 β-Naphtolsulfid in 80k 20 procentiger Natronlauge gegeben, wobei die Lösung durch Zusatz von Soda alkalisch gehalten werden muſs. Der entstandene Farbstoff wird durch Kochsalz ausgefällt, in üblicher Weise gereinigt und getrocknet; er färbt Wolle in saurem Bade waschecht blauroth. Zur Darstellung von Azofarbstoffen aus den Naphtolsulfiden können nur Sulfosäuren von Diazoverbindungen in Anwendung gebracht werden, da sonst zu schwer lösliche Verbindungen entstehen. Aus α-Naphtolsulfid und den Sulfosäuren des Diazobenzols, Diazotoluols und Diazoxylols, des α- und β-Diazonaphtalins, des Diazoazobenzols, Diazoazotoluols und Diazoazoxylols erhält man rothbraune bis braunviolette Azofarbstoffe, während durch Einwirkung der genannten Diazoverbindungen auf das β-Naphtolsulfid rothorange bis blauroth färbende Azoabkömmlinge erhalten werden können. Besonders wichtig sind die Farbstoffe aus β-Naphtolsulfid mit Diazobenzolparasulfosäure, welche rothorange färbt, der mit α- und mit β-Diazonaphtalinsulfosäure, welche blauroth bezieh. ponceauroth färben. Nach ferneren Angaben von Dahl und Comp. (D. R. P. Nr. 35790 vom 7. November 1885) werden zur Herstellung von Azofarbstoffen aus Thioparatoluidin 100k Paratoluidin mit 28k Stangenschwefel zusammengeschmolzen und unter fortwährendem Rühren bis zum Aufhören der Schwefelwasserstoff-Entwickelung auf einer Temperatur von 175 bis 185° gehalten. Nach etwa 24 Stunden ist der Prozeſs beendigt. Zur Entfernung überschüssigen Paratoluidins läſst man Dampf einströmen, rührt nach beendigtem Abblasen die Schmelze mit so viel concentrirter Salzsäure zusammen, daſs sie sich vollständig vertheüen kann, und gieſst hierauf in viel kaltes Wasser, wodurch sich das neue Thioparatoluidin vollständig als schwefelgelbes Pulver abscheidet, während das neben demselben entstandene bekannte Thioparatoluidin, sowie Verunreinigungen gelöst bleiben. Das neue Thioparatoluidin ist in Wasser nahezu unlöslich; in heiſsem Alkohol löst es sich ziemlich gut und krystallisirt daraus in goldglänzenden gelben Schüppchen; sein Schmelzpunkt liegt bei 175° (unberichtigt), der Schwefelgehalt stimmt auf die Formel (C7H6NH2)2S. Die gelbe alkoholische Lösung fluorescirt grün. Die zur Diazotirung nöthige Menge salpetrigsauren Natriums entspricht einer Amidogruppe, so daſs die aus der Diazoverbindung hergestellten Farbstoffe einfache Azoverbindungen sind. Die Farbstoffe, welche mit den Monosulfosäuren der Naphtole und Naphtylamine erhalten werden können, sind schwer löslich in Wasser; dagegen lösen sich die aus den Disulfosäuren ziemlich leicht, sie gehen sehr langsam an die Wolle und bringen waschechte Farben darauf hervor. Die Diazoverbindung dieses neuen Thioparatoluidins liefert mit den α-Naphtolsulfosäuren braun bis braunviolett, mit den β-Naphtolsulfosäuren scharlach bis blauroth färbende Azoverbindungen. Durch Einwirkung auf die Naphtylaminsulfosäuren entstehen sehr schwer lösliche braune und orange Azoverbindungen. Zur Darstellung eines blauroth färbenden Azofarbstoffes werden 40k des ganz fein gemahlenen Thioparatoluidins mit 60k gewöhnlicher Salzsäure zusammengerührt, nachher mit Eis versetzt, mit Wasser auf 400l verdünnt und durch allmählichen Zusatz von 13k salpetrigsauren Natrons bei einer 5° nicht übersteigenden Temperatur diazotirt. Die entstandene Diazoverbindung läſst man nach mehrstündigem Umrühren zu einer ebenfalls auf 5° abgekühlten, mit 73k 33°-Natronlauge versetzten Auflösung von 65k β-Naphtol-A-disulfosauren Natrons in 1000l Wasser einflieſsen. Der sich sofort bildende Azofarbstoff wird durch Zusatz von Kochsalz ausgefällt und in üblicher Weise gereinigt. Ein brauner Farbstoff wird erhalten, wenn 40k Thioparatoluidin diazotirt und nachher langsam zu einer mit Eis gekühlten Auflösung von 40k naphtionsauren und 30k essigsauren Natrons gegeben werden. Da die Bildung des Farbstoffes langsam vor sich geht, so läſst man einige Tage stehen und filtrirt nachher ab. Durch Behandeln des Rückstandes mit Soda erhält man das in Wasser lösliche Natronsalz. Die wichtigsten dieser Farbstoffe dürften die mittels der β-Naphtoldisulfosäuren gewonnenen sein.