Titel: Ueber die Geschichte der Sodaindustrie in England.
Fundstelle: Band 261, Jahrgang 1886, S. 489
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Ueber die Geschichte der Sodaindustrie in England. E. Muspratt, über die Geschichte der Sodaindustrie in England. In der Jahresversammlung der Society of Chemical Industry (vgl. deren Journal of the Society of Chemical Industry, 1886 S. 401) in Liverpool hielt der Präsident E. K. Muspratt einen Vortrag über die Einführung und Entwicklung der Sodaindustrie in England. Die Herstellung künstlicher Soda wurde im J. 1823 vom Vater des Vortragenden James Muspratt in Liverpool begonnen. Die Kosten für 1t Schwefelsäure von 1,7 sp. G. betrugen in den ersten Jahren 70 M.; jetzt dagegen sind dieselben bis auf 20 bis 25 M. gefallen. Als gröſste Verbesserung in der Schwefelsäurefabrikation ist die Verwendung von Pyriten statt Schwefel anzusehen. Nach Angaben von Scheurer-Kestner (vgl. auch S. 130 d. Bd.) soll von Perret im J. 1833 das erste Mal Pyrit zur Herstellung von Schwefelsäure benutzt worden sein. Schon lange vorher wurden aber von Hill in Liverpool Pyrite von Anglesea zum gleichen Zwecke verwendet. J. Muspratt benutzte schon in den J. 1839 und 1840 groſse Mengen Pyrit von Wicklow und Wales in seinen Fabriken in Liverpool und Newton. In Lancashire wurde die Verwendung von Pyriten aus Irland sehr schnell allgemein, während in Newcastle noch ums J. 1852 bedeutende Mengen Schwefel zur Schwefelsäurefabrikation benutzt wurden. Im J. 1859 wurden zuerst Pyrite aus Spanien und Portugal in England eingeführt. Da aber zu jener Zeit für den Kupfergehalt in den Rückständen wenig bezahlt werden konnte, wurden noch längere Zeit bedeutende Mengen von Kupfer freiem Erz aus Belgien und Norwegen verwendet. Noch im J. 1871 wurden 100000t solcher Erze in England eingeführt. Seither aber ist die Einfuhr desselben beständig gefallen. (Vgl. 1882 246 337. 1884 254 221.) Da die Kupferbestimmung auf dem trockenen Wege (Cornish Assay) sehr ungleiche Ergebnisse liefert, waren die Sodafabrikanten beim Verkaufe der Rückstände den Kupferfabrikanten gegenüber sehr oft im Nachtheile. Dieser Umstand hatte die Gründung einer groſsen Pyritgesellschaft, der sogen. Tharsis Company von Seite mehrerer Sodafabrikanten zur Folge. Die Gesellschaft erwarb sich Henderson's Patente zur Aufarbeitung von Pyriten mit Gewinnung aller Bestandtheile und fing an, die Kupfergewinnung in eigenen Fabriken zu betreiben. Im J. 1879 verbanden sich die drei gröſsten Pyritgesellschaften, um die Pyritpreise auf einheitlicher Höhe zu halten. Diese Verbindung bestand bis zum J. 1885. E. Muspratt macht folgende Angaben über die Einfuhr von Pyrit in englischen Tonnen (zu 1016k) in England seit dem J. 1870: 1870 411512 1878 579261 1871 454542 1879 481392 1872 517626 1880 658047 1873 520347 1881 542378 1874 498729 1882 627700 1875 545428 1883 601288 1876 504752 1884 563073 1877 679312 1885 654521 Die Pyritpreise stiegen am höchsten im J. 1866 und betrugen 0,91 M. für je 1 Proc. Schwefel; jetzt sind dieselben bis auf 0,25 bis 0,29 M. für je 1 Proc. gesunken. Nach Muspratt's Angaben wurden schon ums J. 1843 in seiner Fabrik Versuche über die Concentration von Schwefelsäure durch Schwefligsäuregas in Thürmen angestellt. Es gelang aber erst Glover, dieses Verfahren wirklich erfolgreich zu machen. Zur Zeit, als die Sodaindustrie in England eingeführt wurde, lieſs man alle Salzsäure in die Luft entweichen. Erst durch das Gesetz (Alkali Act) vom J. 1863 wurde die Einführung der von Gossage erfundenen Kokesthürme allgemein. Um die Verdichtung der Salzsäure zu erleichtern, wurden die von Gamble zuerst eingeführten Muffelöfen in Lancashire rasch verbreitet. Nach Ausarbeitung des Weldon'schen Chlorverfahrens erhielt die Herstellung von Chlorkalk in Lancashire bald bedeutenden Zuwachs. Auch das chlorsaure Kali, welches im J. 1847 von Parnell in St. Helens und im J. 1848 von Gamble eingeführt wurde, stellte man in immer bedeutenderen Mengen her. Deacon's Chlorverfahren fand nicht die zuerst gehoffte Verbreitung und Hargreaves' Verfahren zur Herstellung von Sulfat ist nur in 3 Fabriken in Widnes eingeführt, welche jährlich 25000t Salz zersetzen. Die Herstellung von Rohsoda wurde von J. Muspratt schon während der ersten Zeit bedeutend verbessert, so daſs er statt Rohsoda von 10 bis 12 Proc. Na2O solche von 24 Proc. herstellte. Zuerst wurde die Rohschmelze als solche an Seifenfabriken geliefert. Schon früh aber fing man an, dieselbe auszulaugen und die Lauge durch Abgangshitze zu verdampfen. Die Hauptverbesserung in diesem Theile der Sodafabrikation war die Einführung der Drehöfen (vgl. 1854 131 * 441. 1884 254 314). Schon früh wurden in dem Fabrikdistrikte am Tyne hauptsächlich Sodasalz und Krystalle hergestellt. In Lancashire dagegen verlegte man sich hauptsächlich auf die Fabrikation von Aetznatron. Dasselbe wurde zuerst nur aus der sogen. Rothlauge durch Eindampfen und Ausfischen der Carbonate erzeugt. Dann fing man an, Sodarohlauge durch Kalk zu kausticiren. Diese Herstellungsart dehnte sich immer mehr aus, so daſs im J. 1885 in Lancashire allein 140795 Tonnen Aetznatron hergestellt wurden. Am Tyne dagegen betrug die Erzeugung im gleichen Jahre nur 4159 Tonnen. Nur eine kleine Menge der Sodarückstände wird gegenwärtig nach Mond's Prozeſs behandelt. An eine Ausdehnung der Schwefelgewinnung ist, da die Salzsäure im Preise gestiegen ist, kaum zu denken. Seit der Einführung der Sodafabrikation in England sind die Preise der fertigen Producte bedeutend mehr gefallen als die der Rohstoffe. Es ist dies namentlich aus den folgenden Tabellen ersichtlich: Preise der Rohstoffe in Mark für 1 engl. Tonne. Liverpool1827 bis 1830 Liverpool1839 bis 1840 Widnes1878 Widnes1886 Schwefel 110 230 (Monopol) 135 100 Salz 6 bis 8       9     8,80     8 Kalkstein         4,5     5,50     4,50 Kalk 13,30           7,50   14   11,50 Natronsalpeter 330 280 190 Kalisalpeter 600 Kohlenklein (1831) 6 bis 6,8 Liverpool 1839 5Newton 1840 2,5     5     4,5 Preise der Producte in Mark für 1 engl. Tonne. Liverpool1827 bis 1830 Liverpool1839 bis 1840 Liverpool1878 Liverpool1886 Rohsoda 140 bis 200 90 (1835)    – (20% Na2O) Sodasalz 330 300 110 bis 120 80 bis 90 Sulfat 150 130    40   25 Bisulfat 245   –   17 Sodakrystalle 370 220       72,5   55 Kaust Soda  70% Na2O 250 165    „         „     60%    „ 205 145 Chlorkalk 380 100 117,5 Schwefelsäure conc. 0,36 für 1k 0,27 für 1k 0,09 für 1k 80 für 1t Salzsäure 0,36 für 1k 0,19 für 1k 5 bis 10 für 1t 5 bis 10 für 1t Im J. 1866 finden wir die ersten zuverlässigen Angaben über die Sodaherstellung in Groſsbritannien. Seit dem J. 1878 macht die Alkali-Association jährlich genaue statistische Angaben. Im J. 1861 wurden in Lancashire 4680 Tonnen Aetznatron hergestellt, im J. 1878 aber 94000. Folgende Zusammenstellung der Erzeugungskosten für 1 engl. Tonne Soda im J. 1861 und 1886 ist von Interesse: 1861 1886 1,25t Pyrit aus Irland 35 M. 0,66t Spanischer Pyrit   9,25 M. 0,05 Salpeter 12 0,01 Salpeter   2,00 1,25 Salz 10 1,25 Salz 10,00 1,5 Kalkstein 10 1,30 Kalkstein   6,50 3,5 Kohle 21 2,75 Kohle 12,50 ––––– –––––– 88 M 40,25 M. Die Kosten für Rohmaterialien sind mehr als die Hälfte niedriger wie früher. Auch die Kosten für Arbeit und Ausbesserung sind durch Einführung mechanischer Vorrichtungen u.s.w. bedeutend vermindert worden. Da aber dennoch nach dem Ammoniakverfahren Soda bedeutend billiger hergestellt werden kann, ist es den Leblanc-Sodafabriken nur dann möglich, weiter zu arbeiten, wenn der von den Chlorproducten, namentlich dem Chlorkalke, erzielte Gewinn den durch die niedrigen Sodapreise erlittenen Verlust deckt. Die Leblanc-Sodafabrikanten verlegen sich immer mehr auf die Herstellung von Aetznatron. Dies ist daraus ersichtlich, daſs im J. 1878 nur 96000t, im J. 1886 dagegen 145000t Aetznatron in England auf den Markt gebracht wurden. Seit der Preis von Chlorkalk durch eine Vereinigung von Fabrikanten einheitlich gehalten wird, ist die Herstellung wie auch der Verbrauch dieses Artikels ziemlich gleich geblieben. Die Sodaherstellung nach dem Leblanc'schen Verfahren muſs aber wahrscheinlich noch weitere Einschränkung erfahren. Im J. 1884 wurden noch 87247 Tonnen Salz nach dem Leblanc-Verfahren zersetzt, ohne daſs Verwendung für die daraus gewonnene Salzsäure vorhanden war. Da aber seither die Preise von Sulfat und Soda noch bedeutend gefallen sind, so ist die Herstellung von Soda ohne Verwerthung der Salzsäure nach dem Leblanc-Verfahren nicht mehr möglich. Das Verfahren von Simpson und Parnell, welches eine Vereinigung des Leblanc'schen und des Ammoniak-Sodaverfahrens anstrebt, soll von der Alkali und Sulphur Company in Widnes im groſsen Maſsstabe ausgeführt werden. Salzlösung wird mit Schwefelammonium und Kohlensäure behandelt, wobei unter Entweichen von Schwefelwasserstoffgas Natriumbicarbonat gefällt wird und Chlorammonium in Lösung geht; letzteres wird mit Sodarückstand erhitzt und das entweichende Schwefelammonium zur Umsetzung neuer Mengen Kochsalz benutzt. Das Schwefelwasserstoffgas kann in Schwefelsäure oder auch in Schwefel umgewandelt werden. Die Fällung des Bicarbonates nehmen die Erfinder mit reiner, aus Ammoniumbicarbonat hergestellter Kohlensäure vor. Da das Verfahren, verglichen mit der Chlorkalkausbeute, bedeutende Mengen Soda liefert, wird die Leblanc-, wie auch die Ammoniaksodafabrikation, wenn sich dasselbe erfolgreich zeigt, weitere Einschränkung erfahren müssen. Die Sodaindustrie und ihre Nebenzweige haben sich in England besonders in den Städten St. Helens, Warrington und Widnes eingebürgert. In St. Helens wurde im J. 1829 die erste Sodafabrik errichtet. Jetzt sind in jener Stadt 8 Sodafabriken, 9 groſse Glasfabriken, 5 Kupferschmelzhütten und 2 Kupferextractionswerke in Betrieb. Die Bevölkerungszahl ist von 14252 auf 61472 gestiegen. In Widnes erfolgte der Zuwachs noch schneller. Die Fabrikation wurde dort etwa ums J. 1848 begonnen und jetzt sind 15 Sodafabriken, 4 Kupferwerke und eine groſse Seifenfabrik im Betriebe.