Titel: Das Reinsch'sche Gerbverfahren mittels alkalischen Steinkohlen-Extractes (Pyrofuscin).
Autor: P. F. Reinsch
Fundstelle: Band 262, Jahrgang 1886, S. 79
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Das Reinsch'sche Gerbverfahren mittels alkalischen Steinkohlen-Extractes (Pyrofuscin). Reinsch's Gerbverfahren mittels Pyrofuscin. Der neue Gerbstoff, welcher in diesem VerfahrenVgl. D. R. P. Kl. 28 Nr. 37022 vom 14. November 1885. angewendet wird, ist ein in fast allen Steinkohlen (mit Ausnahme des Anthracites) jedoch in auſserordentlich wechselnden Mengen vorhandener neuer, aus Kohlenstoff, Sauerstoff und Wasserstoff zusammengesetzter Körper, welcher wahrscheinlich zu der Klasse der Huminkörper gehört. Die näheren chemischen Eigenschaften sind bis jetzt nur theilweise von mir näher ermittelt worden. Ein hoher Grad von Beständigkeit bei der Einwirkung starker chemischer Agentien und des Lichtes zeichnet denselben jedoch vor den meisten der Huminkörper aus. In alkalischen Flüssigkeiten leicht löslich, wird derselbe aus der zur Darstellung geeigneten Steinkohle mittels einer kochenden alkalischen Auflösung (am billigsten Natronlauge) mehrmals ausgezogen. Aus der alkalischen Lösung wird das Pyrofuscin mittels Salzsäure oder Salpetersäure, wie dies bereits früher von mir angegeben worden ist (vgl. 1885 256 224), gefällt. Hinsichtlich der chemischen Eigenschaften erweist sich das Pyrofuscin als eine schwache Säure. Die Verbindungen mit den Alkalien sind in Wasser leicht löslich, mit den alkalischen Erden in geringerer Menge. Durch Abdampfen der Lösung werden die entsprechenden Salze nur undeutlich krystallisirt erhalten. Beim Verdunsten auf dem Objektträger erhält man mikroskopische, mehr oder weniger deutliche, rhombische Kryställchen bei der Kali- und Natron Verbindung. In halb trockenem Zustande in kochende concentrirte Chromsäurelösung eingetragen, wird unter heftiger Einwirkung eine schwach sauer reagirende, in Wasser lösliche Verbindung von gelbbrauner Farbe gebildet. Das Pyrofuscin ist ein chemisch sehr beständiger Körper. Verdünnte oder concentrirte Lösung, lange Zeit in Berührung mit der Luft aufbewahrt, erleidet keine Veränderung. Weder von concentrirter Salzsäure, Schwefelsäure, noch Fluſssäure wird die aus alkalischer Lösung gefällte und durch wiederholtes Auswaschen gereinigte Substanz angegriffen, von kochender concentrirter Salpetersäure dagegen unter Entwickelung von salpetrigsauren Dämpfen in einen anderen orangegelb gefärbten, in Wasser löslichen Körper umgewandelt. Die alkalische Lösung des Pyrofuscins erweist sich als überaus antiseptisch und darauf beruht auch die stark und rasch gerbende Eigenschaft der Substanz. Eine mit Wasser sehr verdünnte Lösung des Pyrofuscins (in 1000g Wasser etwa 0g,02 als feuchte Substanz gewogen), der langen Einwirkung des unmittelbaren Sonnenlichtes ausgesetzt, wird nicht chemisch verändert und nicht entfärbt.Eine gleich stark verdünnte Auflösung von Katechugerbsaure der Einwirkung direkten Sonnenlichtes ausgesetzt, zeigt sich bald entfärbt und chemisch verändert. Die alkalische Lösung des Pyrofuscins wird zur unmittelbaren Verwendung zum Gerben durch genügendes Einleiten von Kohlensäuregas völlig neutralisirt. Das Nämliche erreicht man durch längeres Stehen der Lösung in Berührung mit der Luft. Das unmittelbare Extract aus Steinkohle, welches man durch mehrmaliges Auskochen der Steinkohle (etwa 100g Natronhydrat auf je 2 bis 3k Kohle) erzielt, enthält mindestens 2 bis 3 Procent des Pyrofuscins (im feuchten Zustande gewogen) und hat ein specifisches Gewicht von 1,025 bis 1,03. In 1l der Lösung werden durch Fällung mit Salzsäure und nach wiederholtem Auswaschen 25 bis 30g (feucht gewogen) der Substanz erhalten. Nach der Einwirkung einer Lösung des Pyrofuscins auf das Fasergewebe der Thierhaut erweist sich das letztere schon nach kurzer Zeit als völlig unlöslich in kochendem Wasser, d.h. schon in Ledersubstanz umgewandelt. Auf dem Durchschnitte zeigen sich unter dem Mikroskope die der Fleischseite der Haut näher gelegenen Theile des Fasergewebes stärker durchgerbt als die unmittelbar unter der Oberhaut liegenden dichteren Gewebetheile. Die Oberhaut selbst gewinnt durch die Einwirkung des Pyrofuscins eine härtere und zugleich mehr elastische Beschaffenheit (stärkere Narbe der Gerbertechnik) als bei der Loh- und Alaungerberei. Das durch Pyrofuscin gegerbte Fasergewebe erleidet durch die Einwirkung von Nässe, von Wärme sowie durch wiederholte Nässe und Trocknung keine Einbuſse an Elasticität und Cohäsion der Faser und dadurch bedingter Haltbarkeit des Leders, wie dies so häufig bei Alaun- und auch lohgaren Ledern der Fall ist. Stückchen mit Pyrofuscin gegerbten Schaf- oder Kalbleders, längere Zeit bei abwechselndem Feuchten und Trocknen der Sonne ausgesetzt, zeigen sich in ihrer Structur und Elasticität unverändert, während zugleich auch die Beschaffenheit der Oberhaut (Narbe) kaum von ihrer Biegbarkeit beim Falten eingebüſst hat (Narbenbrüchigkeit der Gerbertechnik). Bei ihrer Verwendung in der Gerberei wird die neutralisirte alkalische Lösung des Pyrofuscins auf folgende Weise sowohl zum Nachgerben von loh- und alaungaren Ledern, als zur Färbung verschiedener Leder, hauptsächlich aber zur Rohgerbung verwendet. Zur Nachgerbung eignen sich sehr gut die gewöhnlichen lohgaren Schaffelle, welche durch dieses einfache und billige Verfahren an Brauchbarkeit und Werth um mehr als das Doppelte gewinnen. Die Leder werden in einer Lösung von Pyrofuscin von 1,021 bis 1,035 sp. G. (d.h. mit 2 bis 3 Proc. gelöster Substanz) während 24 Stunden eingelegt, hierauf durch Ausstreichen auf einem geneigten Tische mittels einer flachen Klinge von der anhängenden Lösung befreit, welche wieder zur anderen Flüssigkeit gefügt wird. Die Felle werden hierauf getrocknet, halbfeucht gefettet und dann gestollt. Das mit Pyrofuscin nachgegerbte Leder hat an Zähigkeit und dadurch bedingter Haltbarkeit um mehr als das Doppelte der Zähigkeit im lohgaren Zustande gewonnen, wie unmittelbare Versuche über die gröſste Belastungsfähigkeit von Lederstreifen gleicher Breite und entsprechender Lage in der Haut beweisen. Die Narbenfläche erlangt eine gröſsere Härte und eignet sich deshalb das nachgegerbte Schafleder für Zwecke, wofür lohgares nur ungenügend oder nicht ausreicht. Auch die durch Nachgerberei in ihrer Beschaffenheit verbesserten lohgaren Schafleder zeigen eine weitaus gröſsere Wetterbeständigkeit und Widerstandsfähigkeit gegen Nässe und Wärme als die lohgaren Schafleder. Zur Rohgerbung mittels Pyrofuscinlösung habe ich bereits mehrere von einander ziemlich abweichende Verfahren ermittelt, von denen das zuerst gefundene schon in der Patentschrift Nr. 37022 beschrieben ist, worauf ich in Hinsicht des Wesentlichen zurückkomme. Die zur Rohgerbung bestimmten Häute werden auf die übliche Weise enthaart und im Kalkäscher behandelt. Eine etwas stärkere Kalkung ist der Beschleunigung des Gerbprozesses förderlich. Schaf-, Lamm-, Ziegen- und Kalbshäute werden in einer sauren Kleienbeize gebeizt, welche man erhält durch Kochen der Kleie mit dem 5 bis 6 fachen Volumen Wasser und durch Stehenlassen des Gemenges bis zum Eintritte der sauren Gährung. Ein geringer Zusatz von Salzsäure zur Beize beschleunigt das völlige Ausziehen des Kalkes aus den Häuten ohne Nachtheil für letztere. Je nach der Temperatur nach 12 bis 18 stündiger Einwirkung (zwischen 12° und 22°) werden die geschwellten Häute mit Wasser ausgewaschen und schwach ausgerungen. Zur Rohgerbung wendet man zum Angerben eine Lösung an von etwa 1,025 sp. G. (etwa 25g Pyrofuscin in 1l). Die Häute verbleiben hierin 2 bis 3 Tage. Alsdann verbringt man die Häute in eine Lösung von etwa 1,04 sp. G. (etwa 40g Pyrofuscin in 1l). Dieser reicheren Lösung setzt man unter Umrühren auf je 1l 10g kohlensaures Natron und die doppelte Menge pulveriges Kalkhydrat zu. Der Zusatz des ersteren Salzes hat den Zweck, das Pyrofuscin in Lösung zu erhalten. Es bildet sich sehr wahrscheinlich bei diesem Verfahren eine Doppelverbindung des Pyrofuscins mit Natron und Kalk. Die hinzugefügte Menge Kalkhydrat ist gerade ausreichend, da dasselbe fast vollständig in Lösung kommt. Die Häute verbleiben in der stärkeren Gerbeflüssigkeit unter öfterem Umrühren und Aufziehen je nach der Stärke der Häute und der Temperatur zwischen 3 und 5 Tagen. Die ausgegerbten Häute, welche ziemlich stark auftreiben, werden alsdann ausgestrichen und in eine Auflösung eingelegt eines Gemenges von 2 G.-Th. Chlornatrium und 3 G.-Th. Chlormagnesium in 60 G.-Th. Wasser, welcher Auflösung noch 2,4 Vol.-Th. Salzsäure beigemischt werden. Bei dieser letzteren Behandlung geht in den Häuten folgender Vorgang vor sich: Die Salzsäure bewirkt ein völliges Ausziehen der in den Häuten theils chemisch gebundenen, theils mechanisch eingeschlossenen kleinen Mengen von Natron und Kalk. Das von dem Fasergewebe in Lösung aufgenommene Pyrofuscin wird von der Natron-Kalkverbindung getrennt und schlägt sich theils im Fasergewebe mechanisch vertheilt nieder, theils erfolgt eine theilweise Resorption. Die beiden Haloidsalze in der Lösung bewirken vereint eine kräftige Nachgerbung und das vollständige Ausgerben der Häute. Bei dieser Behandlung fallen die Häute etwas zusammen und erhalten eine weiche Beschaffenheit. Es werden alsdann die Häute zur Entfernung der Salze, wozu noch das gebildete Chlorcalcium kommt, sowie der Salzsäure in Wasser gut ausgewaschen, ausgestrichen, schwach gefettet und getrocknet. Nach dem Trocknen haben die Häute, ähnlich wie bei der Alaungerberei, ziemliche Steifheit erlangt. Durch Strecken und Stollen gibt man den Häuten dann eine weiche Beschaffenheit. Die Structur der Faser der auf diese Weise gegerbten Häute erweist sich unter dem Mikroskope als von dichterer Beschaffenheit wie beim lohgaren Leder, die Epidermis härter und deshalb widerstandsfähiger. Trotzdem das Gerb verfahren etwas umständlicher ist und etwas mehr Aufmerksamkeit und chemische Fachkenntnisse von Seiten des Gerbers verlangt, als dies beim Loh- und Alaungerbverfahren nöthig ist, so hat die neue Behandlung doch manche Vorzüge und Vortheile: gegenüber dem Lohgerbverfahren ist es um nahezu 50 Proc. billiger an Zeit und Material, gegenüber dem Alaungerbverfahren um 20 bis 30 Proc. billiger. Es gelingt, aus geringerem Rohmateriale (Schafhäute) eine Waare zu erzielen, welche in Güte und Haltbarkeit nicht mittels des Loh gerb Verfahrens hergestellt werden kann. Erlangen, 28. August 1886. Prof. P. F. Reinsch.