Titel: Zur Geschichte des Papieres.
Autor: Z.
Fundstelle: Band 265, Jahrgang 1887, S. 206
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Zur Geschichte des Papieres. Zur Geschichte des Papieres. Aus Anlaſs des vorjährigen Orientalisten-Congresses in Wien veröffentlichte Prof. Jul. Wiesner in der Festnummer der Mittheilungen über den Papyrus Erzherzog Rainer (Staatsdruckerei Wien 1886 Heft 1 und 2) eine sehr beachtenswerthe Abhandlung über die mikroskopische Untersuchung der Papiere von El-Faijûm, welche zu folgenden Ergebnissen führte: 1) Die untersuchten Stücke gehören in die Gruppe der „gefilzten“ oder „geschöpften“ Beschreibstoffe, sind also Papiere im heutigen Sinne. Alle wurden durch eine Art „Leimung“ beschreibbar gemacht. Die besser erhaltenen befinden sich auch jetzt noch in einem mit gewöhnlicher Tinte beschreibbaren Zustande, so daſs schon im Vorhinein die Möglichkeit vorlag, neben der Faser auch das Material, mit welchem sie geleimt wurden, bestimmen zu können. Diese Papiere datiren nach den Untersuchungen des Prof. Karabacek frühestens aus dem 8. bis 9. Jahrhunderte. Alle mir bisher übergebenen Stücke bestehen im Wesentlichen aus demselben Fasermaterial, sind in gleicher Weise geleimt und wurden, allem Anscheine nach, auf gleiche Weise erzeugt. 2) Papiere so hohen Alters wäre man, den heute noch geltenden Ansichten zu Folge, geneigt, für aus Baumwolle erzeugte Producte zu halten. Die mikroskopische Untersuchung hat zu einem anderen unerwarteten Ergebnisse geführt: Diese Papiere sind durchwegs aus Hadern (Lumpen) bereitet, der Hauptmasse nach aus Leinenhadern, doch auch insofern aus Baumwollhadern, als in manchen Papieren zwischen zahlreichen Leinenfasern auch vereinzelte Baumwollfasern liegen, zum Beweise, daſs die Sortirung der zur Papierbereitung verwendeten Hadern nicht mit Sorgfalt betrieben wurde. Auch andere Gewebefasern, selbst thierische, finden sich vereinzelt in manchem Papier vor, offenbar gleichfalls in Folge unvollkommener Sortirung der Hadern. Liegt nun schon in dem Nebeneinander-Vorkommen verschiedener Gespinnstfasern in dem Papiere ein Fingerzeig für ihre Erzeugung aus Hadern, so lieſsen sich doch noch andere und viel schwerer wiegende Momente zur Begründung meiner Auffassung aufstellen: vor Allem der unmittelbare Nachweis von Garnstückchen inmitten der Masse einzelner Papiere. Die Faijümer Papiere sind die ältesten Hadernpapiere, die man kennt. Ich will bei dieser Gelegenheit in Kürze zweierlei bemerken: Erstlich, daſs ich trotz Untersuchung zahlreicher italienischer, deutscher und anderer Papiere aus dem 12. bis 15. Jahrhundert bisher noch kein einziges gefunden habe, welches als „Baumwollpapier“ im Sinne der Paläographen bezeichnet werden könnte, und daſs ich heute schon die Ansicht vertreten möchte, daſs es wohl Baumwollhadern-Papiere, aber keine aus Baumwolle erzeugten Papiere gibt und gegeben hat, jene aber vornehmlich aus neuerer Zeit stammen. Sodann, daſs ich die bisherigen Gründe, welche zur Feststellung der Fasern alter Gewebe und. Papiere herangezogen wurden, für unzureichend erklären muſs und daſs ich meine Schlusse auf Grund histologischer, absolut sicherer Merkmale zog. 3) Alle Faijûmer Papiere sind mit Stärkekleister geleimt. An vielen Papieren laſst sich dies unmittelbar durch die bekannte Jod-Reaction erweisen. Mit einer wässerigen Jodlösung befeuchtet, werden diese Papiere sofort blau oder violett und unter dem Mikroskope sieht man an den Fasern Krusten eingetrockneten Stärkekleisters. Andere Papiere werden erst dann durch Jod blau oder violett gefärbt, wenn sie vorher mit Salzsäure benetzt wurden. Die Abweichung gegenüber den ersteren liegt in dem Auftreten von den Papierfasern der letzteren anhaftenden Fermentorganismen, welche erst nach Einwirkung von Salzsäure die Fähigkeit verlieren, die Jod-Stärkereaction aufzuheben. Noch andere Papiere werden durch Jodlösung weinroth, oder gar nicht gefärbt und enthalten statt Stärke Dextrin (Erythro- oder Achroodextrin) und nebenher sogar etwas Zucker. Wenn sich nun auch Dextrin zur Leimung der Papiere benutzen läſst, so ist gar nicht daran zu denken, daſs die Araber diesen Körper zu dem genannten Zwecke verwendet haben; vielmehr sprechen die Uebergänge, welche sich in den verschiedenen Papieren von unverändertem Stärkekleister zum Erythrodextrin und Achroodextrin nachweisen lieſsen, endlich die Gegenwart des Zuckers für die mir einzig gerechtfertigt erscheinende Auffassung, daſs im Laufe der Jahrhunderte der eingetrocknete Stärkekleister alle diese Wandlungen durchmachte; wahrscheinlich geschah dies unter Mitwirkung von Fermentorganismen. Einige Paläographen bezeichnen den thierischen Leim, andere das Harz als die erste zur „Leimung“ des Papieres verwendete Substanz. Meine Beobachtungen zeigen nun, daſs der Stärkekleister, von welchem man bisher annahm, er wäre erst seit Einführung der Maschinenpapierfabrikation zur „Leimung“ des Papieres in Anwendung gekommen, das älteste bisher bekannte Material ist, durch welches man das Papier beschreibbar gemacht, d.h. „geleimt“ hat. Ich will hier einschalten, daſs ich Papier aus Aquilea (1288) und deutsche Papiere (Salzburger Chronik von etwa 1300), beide aus der Sammlung des Prof. Sickel, mit Stärke geleimt gefunden habe. Hingegen waren alle von mir untersuchten Papiere, welche zwischen 1377 und dem Anfange dieses Jahrhunderts erzeugt wurden, mit thierischem Leim beschreibbar gemacht worden. Erst im Anfange dieses Jahrhunderts tritt die Harzleimung auf. Zum Nachweise des thierischen Leimes bediene ich mich des bekannten Millon'schen Reagens (salpetersaures Quecksilber), welches, unter gewissen Vorsichten angewendet, durch das Auftreten einer rothen bis röthlichen Färbung die Gegenwart des Leimes verräth. Die Angabe, es wäre im 14. Jahrhundert und später Tragant zur Leimung angewendet worden, kann ich auf Grund der feinen Orcin-Reaction, welche einen steten Begleiter der Gummiarten auf das Schärfste anzeigt, durchaus nicht bestätigen. 4) In höchst auffälliger Weise machen sich in vielen Papieren sehr wohl erhaltene, noch vollständig unversehrt gebliebene Stärkekörnchen bemerkbar. Dieselben sind nicht etwa als von auſsen angeflogen zu betrachten, sondern gehören dem Papiere selbst an; denn sie finden sich gerade im Innersten der dickeren Papiersorten, wo sie, offenbar am meisten geschützt, die Jahrhunderte überdauerten, im Zustande bester Erhaltung vor. Diese Stärkekörnchen sind uns deshalb so willkommen, weil auf Grund ihrer Form und Gröſsenverhältnisse sich die Pflanze bestimmen läſst, welche als Rohmaterial zur Bereitung der Stärke diente. Allein es muſs auch die Frage aufgeworfen werden: was hat diese unveränderte, also unverkleisterte Stärke für das Papier zu bedeuten? Was zunächst die Beschaffenheit der zur Leimung der Papiere benutzten Stärke anbelangt, so lieſs sich aus den Formen und Abmessungen der Stärkekörnchen zunächst auf das Bestimmteste feststellen, daſs diese Stärke nur von Weizen oder Gerste herrühren konnte. Die weitaus gröſsere Wahrscheinlichkeit spricht für die erstere; es ist aber das zur Verfügung stehende Material zu klein, als daſs diese Frage mit Sicherheit gelöst werden könnte. Würde man das Mehl des Weizens oder Roggens zur Leimung des Papieres verwendet haben, so wäre die Entscheidung sehr leicht. Es ist aber – und dies ist eine für die Geschichte der Gewerbe höchst interessante Thatsache – die Stärke dieser Getreidearten zu diesem Zwecke benutzt worden; die Ausscheidung dieses Körpers aus dem Mehle wurde also von den Arabern in so frühen Zeiten schon betrieben und es diente das Product gewiſs auch zu anderen Zwecken. Es unterliegt nach meiner Auffassung gar keinem Zweifel, daſs die Stärke zur Füllung des Papieres angewendet wurde, also zu einer Behandlung, die auch als eine Erfindung der neuesten Zeit angesehen wird, welche über die Periode der Maschinenpapierfabrikation nicht zurückgehen soll. Die „Füllung“ wird heute hauptsächlich betrieben, um das Gewicht des Papieres zu erhöhen; es werden dann mineralische Stoffe zu diesem Zwecke verwendet; in anderen Fällen dient diese Behandlung, wie bei Herstellung des sogen. chinesischen Seidenpapieres, zur Veredelung. des Papieres und dann wird, was so wenig bekannt ist, häufig die Stärke als solche, also im nichtverkleisterten Zustande verwendet. Eine solche der Veredelung des Papieres dienliche „Füllung“ nahmen vor so langer Zeit schon die Araber vor; sie sind mithin als die Erfinder der „Füllung“ zu betrachten und ich bin der Ansicht, daſs der Hauptzweck der Füllung darin bestand, den Papieren den möglichsten Grad von Weiſse zu geben. Ich wurde auf diese Ansicht durch folgenden Umstand geführt. Ich habe in den Papieren viele Fasern in einem Zustande gefunden, welcher mit Bestimmtheit darauf schlieſsen läſst, daſs diese letzteren nicht gebleicht waren. Ob nun das Verfahren der Bleichung den Arabern nicht bekannt war, was ich sehr bezweifeln möchte, oder ob sie dieses Verfahren auf die Papiermasse nicht anwenden wollten oder konnten, will ich nicht untersuchen; genug, ihre Papiermasse muſste durch ein Hilfsmittel verschönert werden, sie muſste eine gleichmäſsige und dazu helle, womöglich weiſse Farbe erhalten und zu diesem Zwecke wurde, nach meinem Dafürhalten, die Stärkefüllung erfunden. Die Fasern vieler Faijûmer Papiere bieten bei gewöhnlicher Vorbereitung im Wasser unter dem Mikroskope ein sehr fremdartiges Bild; denn sie erscheinen förmlich inkrustirt. Dieser Umstand, ferner eine in einzelnen Papieren sehr weitgehende Humification und stellenweise Zerstörung der Fasern erschweren die Feststellung der Faserart. Nichts desto weniger konnte die Bestimmung mit voller Sicherheit durchgeführt werden. Die Inkrustation ist in verschiedenem Grade ausgeprägt und ist auf eine überaus feinkörnige Masse zurückzuführen, deren Partikelchen zum groſsen Theile in Salzsäure löslich sind. Da diese feinkörnige Masse nicht nur an den Fasern haftet, sondern auch zwischen denselben lagert, so lag die Vermuthung nahe, daſs diese Substanz gleich der Stärke zur „Füllung“ gehöre. Dies ist aber durchaus nicht der Fall. Es konnte diese Masse mit vollster Sicherheit auf eingedrungenen atmosphärischen Staub (Lokalstaub) zurückgeführt werden. In diesem Staube, hauptsächlich in der die Fasern inkrustirenden Masse, konnte ich mehrere Fermentorganismen (theils Spalt-, theils kleinzellige Sproſspilze) nachweisen. Auf diese Organismen ist höchst wahrscheinlich die oben genannte Umsetzung der Stärke in Dextrin und Zucker zurückzuführen. 6) Die bisher untersuchten, auf den Faijûmer Papieren befindlichen Schriftzeichen rühren von zweierlei Tinten her, erstlich von einer der Tusche vergleichbaren Kohlen- oder Rufstinte, sodann von einer mit der Galläpfeltinte im Wesentlichen übereinstimmenden Flüssigkeit, deren färbender Bestandtheil in gerbsaurem Eisen bestand. Wie die Papierzeitung, 1887 S. 208 berichtet, hat kürzlich C. M. Briquat zu Genf ein umfangreiches Werk: Recherches sur les premiers papiers, employés en occident et en orient (Paris 1886) erscheinen lassen, in welchem die Ergebnisse mühevoller Arbeiten mit 122 Papiersorten von Schriftstücken verschiedener Jahrhunderte und Ursprungsorten vom Verfasser in folgenden Sätzen zusammengefaſst sind: 1) Es hat niemals Baumwollenpapiere gegeben und dieser Ausdruck muſs aufgegeben werden, da er einem Sondererzeugniſs nicht entspricht. Er ist „titulus sine re“. 2) In der Classification der Documente wird man sich in Zukunft auf die drei Ausdrücke: Papyrus, Pergament und Papier, welche drei gut zu bestimmende und leicht von einander zu unterscheidende Stoffe bezeichnen, beschränken müssen. 3) Das Leinenpapier ist viel älter, als man im Allgemeinen bis heute geglaubt hat; seine verbürgte Anwendung reicht bis zum 10. Jahrhundert zurück. 4) Die Anwendung der Wasserzeichen ist in Westeuropa gegen Ende des 13. Jahrhunderts entstanden und dieser Brauch ist, unseres Wissens, nicht nach dem Orient gedrungen. Wasserzeichenpapiere sind also stets europäischen Ursprunges. Z.