Titel: Zur richtigen Werthschätzung des Wassergases.
Fundstelle: Band 265, Jahrgang 1887, S. 514
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Zur richtigen Werthschätzung des Wassergases. Zur richtigen Werthschätzung des Wassergases. Im Laufe der letzten Jahre wurde das, wenn auch mit Unrecht als eine neue amerikanische Erfindung hingestellte Wassergas als der Brennstoff der Zukunft unablässig angepriesen und an seine fernere Verwerthung die höchsten Erwartungen und kühnsten Hoffnungen geknüpft, so daſs ein nicht unbedeutender und gerade der besonnenere Theil der Techniker der Sache mit gewissem Miſstrauen gegenüber stand. Auch die Frankfurter Versuche des Jahres 1881 waren von keinem durchgreifenden Erfolge begleitet, und geraume Zeit verharrten die Verhältnisse in demselben Stadium. Erst in der jüngsten Zeit sind wirkliche Fortschritte gemacht worden, so daſs der Ausblick in die Zukunft ein vielverheiſsender geworden ist. Allerdings ist noch Manches zu klären, und immer Neues wird das eben alt gewordene ablösen. Die Weiterentwickelung des Wassergasverfahrens hat diese angeblich amerikanische Erfindung vor Allem deutschen Fachmännern zu verdanken – theils durch genaueres Studium und Aufdeckung vorhandener Mängel, theils durch erhebliche Modifikationen der Apparate selbst – da die Ausbildung, welche ersteres in Amerika erfahren, sich für unsere Verhältnisse wenig tauglich erwiesen hat. Beachtenswerthe Verbesserungen in dieser Hinsicht verdanken wir der Fabrik von Schultz, Knaudt und Comp. in Essen, später Europäische Wassergasgesellschaft (vgl. 1887 264 * 26), und speciell deren Ingenieur E. Blass, welcher sich dadurch ein unleugbar groſses Verdienst um die Einführung und praktische Verwerthung der Wassergasapparate erworben hat. Dieses neue, vielversprechende Stadium, in welches die Wassergasfrage in letzter Zeit getreten ist, hat Lunge veranlaſst, derselben eingehende Untersuchungen zu widmen, um dadurch einerseits vorhandene Vorurtheile zu beseitigen, andererseits lange bestehende, fest eingewurzelte Irrthümer aufzuklären und damit endlich aus der Welt zu schaffen. Zunächst gibt genannter Forscher eine Definition darüber, was wir überhaupt unter der Bezeichnung „Wassergas“ zu verstehen haben, da bisher unter diesem Worte zwei ganz verschiedene Arten von Heizgas zusammengeworfen wurden. Eigentliches „Wassergas“ sollte man nur ein Gemenge von (theoretisch) gleichen Raumtheilen Kohlenoxyd und Wasserstoff nennen, welches bei der Einwirkung von Wasserdampf auf glühenden Kohlenstoff bei genügend hoher Temperatur entsteht, und dem in der Praxis natürlich stets noch kleine Mengen von anderen Grasen, wie Kohlensäure, Stickstoff, Schwefelwasserstoff, Siliciumverbindungen u.s.w., beigemengt sind. Häufig versteht man aber auch unter Wassergas ein Generatorgas, dem durch Einführung von Wasser oder Wasserdampf eine erhebliche Menge (bis zu 15 Raumtheilen) Wasserstoff beigemengt ist, wie ein solches nach dem Verfahren von Schilling und Bunte in München (vgl. 1883 248 * 25) in dem Wilson'schen und Dowson'schen Generator, den neueren Formen des Siemens'schen Generators (vgl. auch 1885 257 * 70) und sonst erzeugt wird. Die Absicht der Erfinder bei Erzeugung dieses Generatorgases – von Bunte „Generatorwassergas“, von Lunge „Halbwassergas“ genannt, da auch bei dem eigentlichen Wassergas Generatoren zur Anwendung kommen – war die, den betrieb gewöhnlicher Kohlenoxyd-Generatoren durch Verhütung des Schlackens der Kohlenasche weniger mühsam und ökonomischer zu gestalten. Das Wasser, welches sofort verdampft, verhindert durch Temperaturerniedrigung das Zusammenbacken der Kohlenasche und die zu schnelle Zerstörung der unteren Theile des Generators, so daſs die Asche bequem entfernt werden kann. Hierbei entsteht aber bei Einwirkung von Wasser auf den Kohlenstoff durch die Bildung von Kohlenoxyd und Wasserstoff ein Nutzen, welcher keineswegs auſser Acht gelassen werden darf. Die Reaction verläuft jedoch nur bei Einhaltung bestimmter Temperaturgrenzen in diesem Sinne, sie tritt zwischen 700 und 800° ein und ist bei 1000 bis 1200° vollständig nach folgender Gleichung: C + H2O = CO + H2. Wird aber der glühenden Kohlenmenge eine so groſse Wassermasse zugeführt, daſs die Temperatur auf 500° oder noch weiter erniedrigt wird, so geschieht dies zum Nachtheile der Operation, da die Reaction alsdann nach der Gleichung C + 2H2O = CO2 + 2H2 eintritt. Man darf deshalb mit der Wasserzufuhr nicht über eine bestimmte Grenze gehen: nach Bunte's Versuchen ist es am zweckmäſsigsten, auf je 1k vergasten Kohlenstoff nicht unter 0,7 und nicht über 0k,8 Wasserdampf einwirken zu lassen; unterhalb dieser Grenze tritt noch immer Schlackenbildung und Verstopfung des Rostes ein; über 0k,8 aber entsteht zu viel Kohlensäure. Die günstigste Reaction wird durch die Gleichung: 2C + O + H2O = 2CO + H2 dargestellt; sie verlangt auf 1 Th. Kohlenstoff 0,75 Th. Wasserdampf. In der Praxis stellt sich die Sache jedoch etwas anders; denn während obige Formel einem Gase von 40,9 Proc. Kohlenoxyd, 20,4 Proc. Wasserstoff und 38,7 Proc. Stickstoff entspricht, bekommt man nach Schilling und Bunte's Angaben ein Gas von nachstehender Volumzusammensetzung: Kohlensäure   8,6 Proc. Kohlenoxyd 20,6 Wasserstoff 15,0 Stickstoff 55,8 Die übrigen Generatorgase zeigen eine ähnliche Zusammensetzung mit geringen Unterschieden im Kohlensäure- und Kohlenoxydgehalte, auſserdem enthalten sie theilweise Wasserdampf und Kohlenwasserstoffe, wie z.B. Methan. Das Wilson-Gas hat nach Stoeckmann's Untersuchungen folgende Durchschnittszusammensetzung: Kohlensäure   6 Proc. Kohlenoxyd 21 Methan   2 Wasserstoff   7,5 Wasserdampf   4,5 Stickstoff 59 Alle diese Arten von Gasen, wie auch das Dowson-Gas, welche Lunge „Halbwassergase“ genannt haben will, concurriren nur mit dem gewöhnlichen Generatorgas, dem Siemens-Gas und können im besten Falle einen kleinen Vortheil durch Zersetzung von Wasser auf Kosten von sonst verlorener Ausstrahlungswärme beanspruchen, suchen und finden aber ihren wesentlichen Vortheil in der leichteren Bedienung des Generators. Solches Gas eignet sich seiner Concentration halber namentlich zur Speisung von Gaskraftmaschinen und wird sowohl in England wie auch auf dem Continente vielfach zum Betriebe von Otto-Maschinen gebraucht. Irrthümlicher Weise nun wird dieses Wilson- oder Dowson-Gas häutig schon als Wassergas bezeichnet. Ein diesem ähnliches Gas erhält man zwar, wenn man das wirkliche Wassergas des Essener Apparates mit dem beim Heiſsblasen erzeugten Generatorgase mischt, jedoch wird ein solches Gas auch auf dem viel einfacheren Wege der naſs arbeitenden, gewöhnlichen Gasgeneratoren gewonnen, wozu der kostspielige Wasserapparat, mit seinem complicirten, intermittirenden Betriebe nicht nöthig ist. Man wird daher einen Wassergasapparat nur dann anlegen, wenn man das eigentliche Wassergas für sich auffangen und benutzen will. Hiermit ist es eigentlich schon ausgesprochen, daſs das wirkliche Wassergas, im Gegensatze zu dem Generatorgase, zu dem auch das „Halbwassergas“ zu rechnen ist, nicht dazu bestimmt sein kann, die Möglichst vollständige quantitative Ausnutzung des Brennwerthes der Kohle als Eigenzweck herbeizuführen, daſs man vielmehr seine eigentliche Nutzanwendung anderswo suchen muſs. Lunge wendet sich alsdann gegen die Angaben Naumann's, welcher seinen Berechnungen die Annahme zu Grunde legt, daſs das Generatorgas vor seiner Verwendung auf die Temperatur der umgebenden Luft abgekühlt werde, und in Folge der daraus gezogenen Schlusse das Wassergas weit über das Generatorgas stellt. Nun paſst aber diese Art von Berechnung nur für den, von keinem modernen Praktiker in Bedacht gezogenen Fall, daſs man gewöhnliches Generatorgas ebenso, wie es allgemein mit Retorten-Leuchtgas geschieht, in einer Centralfabrik darstellen und weit entlegenen Abnehmern durch Röhrenleitungen zuführen wollte, während man heutzutage allgemein die Gasgeneratoren möglichst nahe an die Stelle setzt, wo das Gas verbrannt werden soll, dasselbe geht dann noch ganz heiſs in den Verbrennungsraum ein, und man verliert nur unbedeutend mehr Wärme als bei der direkten Verbrennung, nämlich nur so viel, als die wegen des gröſseren Umfanges des Generators etwas vermehrte Ausstrahlung des Feuerraumes beträgt. Andererseits wird bei den Wassergasapparaten das Wasser in den Prozeſs in flüssiger Form eingeführt, verläſst denselben aber in den Rauchgasen in Dampfform, so daſs also beim Wassergas von vornherein die latente Wärme des Wasserdampfes einen schon der Theorie nach unvermeidlichen, zu allen anderen, mehr zufälligen Verlustquellen hinzukommenden Wärmeverlust von 8 Proc. verursacht. Auſserdem geht nicht allein die Erzeugung von Wassergas nicht ohne Verlust an Wärme durch Ausstrahlung aus dem meist eine groſse Oberfläche bietenden Apparat vor sich, sondern es wird auch die von dem Wassergas aus dem Kohlenschacht mitgenommene Wärme keineswegs vollständig ausgenutzt. Aus den angeführten Gründen ergibt sich, daſs schon nach theoretischen Erwägungen die Bezeichnung des Wassergases als des „Brennstoffes der Zukunft“ eine durchaus unberechtigte ist. Für die meisten industriellen Verwendungen der Kohle, nämlich überall, wo es auf möglichst gute quantitative Ausnutzung des Brennwerthes ankommt, und wo die verlangten Temperaturen bis zur Stahlschmelzhitze gehen, ist die Umwandlung der Kohle in Wassergas, abgesehen von der gröſseren Umständlichkeit bei dieser Darstellung, eine ungünstigere Ausnutzung des Heizwerthes als bei derjenigen im Generatorgas, unter der selbstverständlichen Voraussetzung, daſs die Generatoren rationell construirt und betrieben werden. Auch ist nicht zu übersehen, daſs bisher nur eine sehr begrenzte Klasse von Brennmaterialien als tauglich zur Umwandlung in Wassergas befunden worden ist. Bei den Versuchen in Essen hat es sich nicht allein als zwecklos, sondern sogar als schädlich erwiesen, den Verbrennungsprozeſs der Kohle beim Heiſsblasen, d.h. in der mit der Wassergasbildung abwechselnden Arbeitsperiode, so zu leiten, daſs der Kohlenstoff hauptsächlich zu Kohlensäure verbrennt; die Apparate leiden hierbei auſserordentlich, und es läſst sich doch nur ein kleiner Theil der überschüssigen Wärme – nicht über 7 Proc. – im Regenerator zurückhalten. Man verbrennt deshalb in dem Essener Apparate den Kohlenstoff auch während der Periode, wo man nur überschüssige Wärme zur Hervorbringung der Wassergas-Reaction ansammeln will, nur bis zum Stadium von Kohlenoxyd, d.h. zu gewöhnlichem Generatorgas, von dem 4cbm auf 1cbm Wassergas entstehen, welches natürlich ganz wie gewöhnliches Siemens-Gas verwendet werden kann; allerdings geschieht dies in den wenigsten Fällen, da dasselbe beinahe stets und nur in sehr groſsen Apparaten nicht vollständig verloren geht. Zur Beurtheilung der Frage nach dem jetzigen Stand der Wassergasfrage in der Praxis theilt Verfasser die Resultate mit, welche in Essen gewonnen wurden, ergänzt durch persönlich dortselbst und in Winterthur erhaltene Aufschlüsse. Diesen Angaben wird man sicherlich nicht vorwerfen können, daſs sie zu ungünstig für das Wassergas hingestellt worden seien. Hiernach braucht man mit dem schon längere Zeit bei Schultz, Knaudt und Comp. in Betrieb stehenden Apparate, welcher stündlich 250 bis 300cbm Wassergas liefert, durchschnittlich 1k Kohlenstoff (in Form von 1k,2 Koke) zur Erzeugung von 1cbm Wassergas. Analysen desselben sind: ungereinigt gereinigt Kohlensäure   3,2 Proc.   4,0 Proc. Kohlenoxyd 42,3 41,2 Wasserstoff 49,2 49,5 Stickstoff   4,8   5,3 Schwefelwasserstoff   0,5 Siliciumwasserstoff Spuren Dazu bekommt man noch 4cbm Generatorgas von der Zusammensetzung: Kohlensäure   2,0 Proc. Kohlenoxyd 28,0 Wasserstoff   2,0 Stickstoff 68,0 Die folgenden Rechnungen sind der Einfachheit wegen, mit Blass nicht auf die wirklichen, ohnehin immer etwas schwankenden Analysen von Wassergas, sondern auf das theoretische Wassergas von 50 Volumprocent Kohlenoxyd und 50 Volumprocent Wasserstoff begründet, welches in 1cbm 0k,627 Kohlenoxyd und 0k,0448 Wasserstoff, zusammen 0k,672 enthält. 1cbm Wassergas enthält 0k,269 Kohlenstoff. Die Erzeugungsreaction verbraucht 868Blass setzt den Wärmezuschuſs bei der Erzeugung von Wassergas in seinem ganzen Aufsatze = 775 Wärmeeinheiten, was aber auf einem leicht ersichtlichen Rechenfehler beruht (1523 – 648 ist doch nicht 775, sondern 875!) Lunge kommt durch Annahme von CO = 2473 und H2O = 34200 auf 868 Wärmeeinheiten. Wärmeein-   heiten, zu erhalten durch Verbrennung von Kohlen-   stoff zu Kohlenoxyd = 0k,351 Mehr verbrannt und verloren durch Strahlung und   durch Abkühlung der Gase 0k,380 –––––––––––––––––– 1k,000 Kohlenstoff Bei der Verbrennung entwickelt nun 1cbm Wassergas: 0,627 × 2403 + 0,0448 × 28800 = 2797Blass setzt den Heizwerth von 1cc CO + H2 = 3023 Wärmeeinheiten; aber dies beruht auf der praktisch ganz unmöglich zu erfüllenden Forderung, daſs man den Wasserstoff zu flüssigem Wasser verbrenne. Wir dürfen unbedingt für Wasserstoff nicht 34200, sondern nur 28800 Wärmeeinheiten einsetzen, wie dies ja auch in allen entsprechenden Fällen bei rein wissenschaftlichen Benennungen geschieht. Wärmeeinheiten. Nun entwickelt bekanntlich 1k Kohlenstoff bei direkter Verbrennung 8080 Wärmeeinheiten. Wenn also das Generatorgas der Heiſsblasperiode verloren geht, so behält man im Wassergas nur 2797/8080 oder 34,6 Proc. des Brennwerthes der verbrauchten Kohle. Weit besser stellt sich natürlich die Rechnung, wenn man eine vollständige (theoretische) Verwerthung des beim Heiſsblasen erzeugten Generatorgases annimmt, was allerdings in der Praxis selten zu erzielen sein wird. Dann bekommen wir folgenden Ansatz: 1cbm Wassergas entwickelt 2797 Wärmeeinheiten 4cbm Generatorgas mit 28 Proc. Kohlenoxyd und   2 Proc. Wasserstoff, zu 900 WärmeeinheitenLunge acceptirt hierbei die Angabe von Blass, daſs man 4cc Gas von 28 Proc. CO, 2 Proc. H und nur 2 Proc. CO2 erhält, was sicher nicht unter der Durchschnittsqualität sein wird, nicht aber seine Schätzung von 1000 Wärmeinheiten für 1cc dieses Gases, da man durch Rechnung nur auf 900 Wärmeeinheiten kommt.   entwickeln 3600 –––––––––––––––––––– 6397 Wärmeeinheiten Auch bei der vollst denkbaren Ausnutzung des Generatorgases bekämen wir also aus diesem und dem Wassergas zusammen nur 6397/8080 = 79,2 Proc. des direkten Heizwerthes der Kohle. Mit diesem Verlust von 21 Proc. sind nun die 5 Proc. Verlust zu vergleichen, welche man bei gewöhnlichen Gasgeneratoren, die das Gas heiſs verwenden, erleidet. Bei dem besten bisher bekannten Wassergasapparate und bei der höchstmöglichen Ausnutzung von dessen Producten erleidet man also beim Wassergas 16 Proc. mehr Verlust an Heizkraft als durch die Vergasung der Kohle in Generatoren. Es ist daher nicht möglich zu einem anderen Schluſs zu kommen als dem, daſs die Vergasung der Kohle in Form von Wassergas in theoretischer wie in praktischer Hinsicht dieselbe weniger gut verwerthet, als die Vergasung in Form von Generatorgas, falls letzteres auch am Orte seiner Erzeugung verbraucht wird. Es soll jedoch damit dem Wassergase keineswegs jede künftige Verwerthung abgesprochen werden, vielmehr steht demselben nach einer anderen Richtung hin ein weites Feld noch offen, da es nach allein vorhin Ausgeführten mit dem Retorten-Leuchtgase zusammen in die Kategorie der Special- oder Luxusbrennmaterialien gesetzt werden muſs. Diese aussichtsvolle Zukunft verdankt es vor Allem der auſserordentlich hohen Temperatur, welche bei seiner Verbrennung mit einfachsten Mitteln zu erzeugen ist. Diese Temperatur ist höher sowohl als die, welche man mit Generatorgas bei passender Vorwärmung des letzteren, als auch die, welche man mit dem dem Wassergase theoretisch an Heizeffect ganz nahestehenden Leuchtgas hervorzubringen vermag. Wir besitzen daher in dem Wassergase zweifellos ein unschätzbares Mittel zur Erzeugung sehr hoher Temperaturen, und man wird gerade da, wo es auf eine möglichst hohe Temperatur ankommt, äuſserst günstige Ergebnisse erzielen können. Verfasser stellt alsdann Betrachtungen an über die Ursache der hohen Temperatur der Wassergasflamme namentlich gegenüber der des Leuchtgases und findet, daſs der Grund wohl der ist, daſs im Leuchtgase bis 40 Raumprocent Methan enthalten sind, welches Gas sich bei der Gasanalyse bekanntlich viel schwerer verbrennlich als Wasserstoff und Kohlenoxyd erwiesen hat. Diese verhältniſsmäſsig schwierige Brennbarkeit des Methans bewirkt nun, daſs die Verbrennung des Leuchtgases viel langsamer als diejenige des Wassergases verläuft, wodurch sich die längere und dem entsprechend weniger heiſse Flamme genügend erklärt. Weiter gibt Verfasser ein Bild von dem künftigen Arbeitsfeld, welches dem Wassergase in Folge seiner hohen Verbrennungstemperatur voraussichtlich sich erschlieſsen wird. Es unterliegt keinem Zweifel, daſs, falls die 4cbm Generatorgas, welche neben 1cbm Wassergas aus 1k Kohlenstoff entstehen, ausgiebig verwerthet werden, was bei gröſseren Anlagen wohl möglich gemacht werden kann, das Wassergas sich wesentlich billiger stellen wird als bisher, wo das Generatorgas meist verloren ging. Aber selbst diesen ungünstigeren Fall vorausgesetzt, wird sein Preis, auch bei Anwendung guter Koke und in ziemlicher Entfernung vom Fabrikationssitze, 4 Pf. für 1cbm nicht übersteigen und sogar in den von den Gruben entfernteren Ländern, wie z.B. in der Schweiz, wird 1cbm nicht viel über 5 Pf. zu stehen kommen. Rechnet man hierzu noch 2 Pf. auf 1cbm für Verzinsung des Rohrnetzes, Patentabgabe u. dgl., so erreichen die Kosten höchstens 7 Pf. für 1cbm, was sicherlich als Durchschnittspreis von Centraleuropa gelten kann. Da hierbei das nebenher gewonnene Generatorgas nicht mit eingerechnet ist, so wird an diesem bei obigem Preise ein weiterer schöner Nutzen zu erreichen sein. Es erscheint daher als sehr vortheilhaft, wenn das Wassergas, ganz wie jetzt das Leuchtgas, an vielen Orten fabrikmäſsig erzeugt und durch Röhrenleitungen an einzelne Abnehmer in beliebigen Mengen abgegeben wird. Als eine wesentliche Erleichterung für die Einführung des Wassergases erscheint der Umstand, daſs die bestehenden Gasfabriken ihre sämmtlichen Condensations- und Reinigungsapparate, Gasbehälter und Röhrenleitungen unverändert benutzen können, allerdings nur in dem Falle, daſs sie, wie Lunge sagt, vollständig „umsatteln“. Aber auch für Fabriken anderer Art wird sich die Aufstellung eines Wassergasapparates empfehlen, da sie dann so viel Generatorgas umsonst bekommen und das Wassergas selbst sowohl zu Heizzwecken wie zur Beleuchtung verwenden können. Obwohl das Wassergas an sich keine leuchtende Flamme besitzt, so ist doch seine allgemeine Verwendung bisher die zur Beleuchtung gewesen. Die Leuchtkraft wurde dem Gase durch Dämpfe mitgetheilt, welche durch die Berührung von Erdölrückständen mit glühenden Flächen entstehen. Auf diese Art werden über 100 Städte von Nordamerika erleuchtet, und alle die verschiedenen Apparate, welche zu diesem Zwecke construirt wurden, sind nur Modificationen dieses Verfahrens. Aber alle diese Systeme haben auch ihre groſsen Schattenseiten, vor Allem die, daſs trotz sorgfältigster Operation die Licht gebenden Oele bei längerem Verweilen in den Röhrenleitungen und namentlich bei kaltem Wetter groſsentheils wieder zur Ausscheidung kommen, und das Gas dann schlecht leuchtend wird; und wenn diese Art der Beleuchtung in Amerika solch groſse Verbreitung gefunden hat, so hat sie dies nur dem dortigen hohen Preis guter Gaskohle einerseits und der Billigkeit von gutem Anthracit und von Erdölrückständen andererseits zu verdanken. Bei uns dürften also wohl alle ähnlichen Verfahren nicht auf Verdrängung des alten Steinkohlen-Leuchtgases rechnen können. Eine aussichtsvolle Zukunft eröffnet sich aber dem Wassergas-Glühlicht. Die Mängel, welche eine wirklich praktische Verwerthung desselben bis heute verhinderten, sind jetzt glücklich überwunden: einerseits ist das Wassergas billig genug geworden und andererseits verwendet man jetzt als Leuchtkörper anstatt der wenig haltbaren Platinkörbchen des in Frankreich mehrere Jahre eingeführten Systems Gillard mit Vortheil die Fahnehjelm'schen Magnesiakämme (vgl. 1886 261 * 526), welche so billig herzustellen sind, daſs trotz oftmaliger Erneuerung derselben die Kosten der Beleuchtung dadurch nur um 1 Pf. für 1cbm erhöht werden. Eine mit neuem Magnesiakamm versehene Wassergasflamme gibt bei einem Gasverbrauche von 150l die Stunde 20 bis 22 Kerzen, während gewöhnliches Leuchtgas bei demselben stündlichen Verbrauch im Durchschnitt nur 15 Kerzen gibt. Allerdings sinkt auch das Fahnehjelm'sche Licht nach etwa 50 Brennstunden auf 15 Kerzen, da die Spitzen der Magnesiakämme allmählich abbrennen, allein letztere können bei ihrer groſsen Billigkeit ohne weitere groſse Kosten leicht erneuert und die alten Kämme, wenn daran gelegen, immer noch für Treppenbeleuchtung u. dgl. verwendet werden. Das Fahnehjelm-Licht oder Magnesia-Glühlicht kommt bei einem Maximalpreis des Wassergases von 7 Pf. auf 8 Pf. für 1cbm zu stehen. Damit kann nun Jedermann den Preis vergleichen, den er für 1cbm Leuchtgas von höchstens ebenso groſser Leuchtkraft bezahlen muſs, und er wird finden, daſs bei Einführung der Wassergasbeleuchtung mit Magnesia-Glühlicht, ein sehr bedeutender Vortheil sich für den Abnehmer ergibt, wobei auch den Gasfabriken ein guter Verdienst gegönnt sein soll. Dabei ist aber dieses Licht dem alten Gaslicht in mehrfacher Hinsicht überlegen: Nicht allein ist seine Farbe eine auſserordentlich angenehme, dem Tageslichte ähnliche, da ihm weder das tote bläuliche Weiſs des elektrischen Bogenlichtes, noch aber eine so groſse Menge gelber Strahlen eigen ist, wie sie das Gaslicht und das elektrische Glühlicht besitzen, sondern ein weiterer Vorzug desselben ist auch die völlige Kühe der Flamme und ferner ist die Erwärmung der Luft durch das Magnesia-Glühlicht eine weit geringere als die durch die Leuchtgasflamme. Hiernach ist mit Bestimmtheit anzunehmen, daſs die Wassergasbeleuchtung mit Fahnehjelm'schem Glühlichte weitaus billiger, schöner und in Bezug auf die Verbrennungsproducte gesünder als unser jetziges Leuchtgas ist. Eine Forderung muſs jedoch hinsichtlich des Wassergases, ehe man seine allgemeine Einführung in Hausleitungen empfehlen kann, erfüllt werden: Da dasselbe geruchlos und dabei auſserordentlich giftig ist, muſs man es hinreichend „parfümiren“, um Lecke in Röhren, offenstehende Hähne u. dgl. leicht entdecken zu können. Zu diesem Zwecke angestellte Versuche sind schon gelungen und sehen immer fortschreitenden Verbesserungen entgegen. Ist das Wassergas einmal durch Röhrenleitungen allgemein zugänglich, so wird dasselbe bald vielfach als Heizgas für häusliche Zwecke verwendet werden, zum eigentlichen Heizen wie zum Kochen. Es ist dafür auſserordentlich bequem, da es aus einfachen Loch- oder Schlitzbrennern vollkommen rauch- und ruſsfrei brennt. Für industrielle Zwecke wird man das Wassergas natürlich in erster Linie da verwenden, wo es sich um die Erzielung sehr hoher Temperaturen handelt, auſserdem eignet es sich aber auch sonst zu allen technischen Operationen, bei denen es nicht auf die möglichst vollständige Ausnutzung eines Brennstoffes ankommt, sondern wo die Regelmäſsigkeit, Reinlichkeit und Einfachheit der Erhitzung in erster Linie stehen; also Fälle, wo man schon heute gern Leuchtgas anwenden würde, wenn sein Preis nicht zu hoch wäre. Endlich wird auch die Anwendung von Gasmotoren bei Einführung des Wassergases eine unvergleichlich gröſsere Ausdehnung als bisher gewinnen. Nach in Essen angestellten Versuchen braucht man für 1e und 1 Stunde 2cbm Wassergas. Alles in Allem genommen ist dem weiteren Fortschreiten der Wassergaserzeugung eine sehr günstige Aussicht zu stellen, nicht als „Brennstoff der Zukunft“ zum Ersatze der direkten und der Generator-Feuerung, sondern zur zweckmäſsigen Ergänzung beider, und vor Allem zur Beleuchtung. (Nach der Chemischen Industrie 1887 Bd. 10 S. 170.) Die in Lunge's Abhandlung enthaltene Richtigstellung der von Naumann in seiner Schrift: Die Heizungsfrage, mit besonderer Rücksicht auf Wassergaserzeugung und Wassergasheizung, Gieſsen, Ricker'sche Buchhandlung 1881, gegebenen Erklärungen und Bezeichnungen hat einen lebhaften Meinungsaustausch zwischen diesen beiden Gelehrten hervorgerufen, auf welchen hier näher nicht eingegangen werden soll. (Chemiker-Zeitung 1887 Bd. 11 S. 816 und 872.)