Titel: Die Pitot'sche Röhre als Anemometer.
Fundstelle: Band 270, Jahrgang 1888, S. 364
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Die Pitot'sche Röhre als Anemometer. Die Pitot'sche Röhre als Anemometer. In der Oesterreichischen Zeitschrift für Berg- und Hüttenwesen vom 10. November 1888 findet sich nachstehende schätzenswerthe Arbeit von A. Käs über die Pitot'sche Röhre als Anemometer. Unter den momentan wirkenden Anemometern wäre für Wettermessungen die in der Hydrometrie mit Vortheil verwendete Pitot'sche Röhre am besten geeignet, weil die übrigen zu dieser Klasse gehörigen Anemometer den Uebelstand haben, daſs ihre Angaben von dem wechselnden Reibungszustande des Apparates beträchtlich beeinfluſst werden. Die Anwendung der Pitot'schen Röhre als Anemometer ist nicht neu, es wurden schon vor langer Zeit auf diesem Prinzipe beruhende, zum Messen der Wettergeschwindigkeit bestimmte Apparate vorgeschlagen und verwendet. Von den bezüglichen Anemometern ist besonders jenes von Lind angegebene zu nennen, bei welchem das Pitot'sche Rohr unmittelbar an einen zweischenkeligen Manometer angeschlossen ist. Auſser anderen Beobachtern benützte Rittinger in ausgedehntem Maſse das einfache Pitot'sche Rohr bei seinen Maria-Zeller Ventilatorversuchen. Den groſsen Uebelstand, daſs hierbei die zu messende, maſsgebende manometrische Höhe bei mäſsigen Geschwindigkeiten sehr klein wird, hat man durch verschiedene Verbesserungen beheben wollen. So entstand das Anemometer von Robison, das Differential-Anemometer von Wollaston u.a. Trotz diesen Verbesserungen hat die Pitot'sche Röhre als Anemometer lange keine Anwendung gefunden. Erst in der letzteren Zeit wurde dieselbe in Verbindung mit besonderen, genaueren Meſsapparaten bei Wettermessungen mehrfach wieder versucht, wobei gefunden wurde, daſs derartige Anemometer unter Umständen, insbesondere bei lebhafter Wetterströmung, bessere Dienste leisten, als das Flügelrad. Die praktische Verwendbarkeit dieses Apparates bei Wettermessungen nachgewiesen zu haben, hat auſser Anderen die preuſsische Schlagwetter-Commission ein groſses Verdienst. Das Pitot'sche Rohr wurde als Anemometer bei den Untersuchungen zu Neu-Iserlohn neben Flügel-Anemometern und bei Untersuchungen einer Anlage mit Pelzer'schem Ventilator auf Ver. Westfalia, wobei Flügelrad-Anemometer als unzureichend gefunden wurden, mit sehr glücklichem Erfolge benützt. Zu wissenschaftlichen Untersuchungen wurde die Pitot'sche Röhre bei Versuchen an einem Gasometer der städtischen Gasanstalten zu Breslau von Herrn Oberbergrath Althans verwendet, bei welcher Gelegenheit die Formel zur Bestimmung der Wettergeschwindigkeit genauer festgestellt wurde. Die Eigenheiten der Pitot'schen Röhre als Anemometer ergeben sich aus folgender einfacher Betrachtung. Man denke sich zu dem Zwecke bei einem gewöhnlichen Hebermanometer den einen Schenkel durch einen Schlauch o. dgl. mit einer in dem zu messenden Wetterstrome untergebrachten Röhre verbunden, deren Achse mit der Richtung des Wetterstromes zusammenfallt und deren Mündung dem Wetterstrome entgegengerichtet ist. Der zweite Manometerschenkel sei in ähnlicher Weise mit einer zweiten, in der Nähe der ersteren in dem Wetterstrome untergebrachten Röhre verbunden, deren Achse senkrecht zu dem Wetterstrome steht, so daſs die Mündung dieser Röhre zu letzterem parallel gerichtet ist. Durch das erstgenannte Rohr wird von der einen Seite auf die manometrische Flüssigkeit ein Druck (positiv °der negativ) übertragen, welcher der Stoſswirkung des Wetterbündels, der das betreffende Mundstück trifft, und dem aerostatischen Drucke der Wetter entspricht. Durch das zweite Rohr wird von der anderen Seite auf die manometrische Flüssigkeit ein Druck (positiv oder negativ) ausgeübt, welcher hauptsächlich von dem aerostatischen Drucke herführt. Der Niveauabstand der beiden Flüssigkeitsspiegel des Manometers entspricht sonach 'als Differenz der beiderseitigen Druckäuſserungen hauptsächlich der Stoſswirkung des betreffenden Wetterbündels auf die Mündung des in der Richtung des Wetterstromes liegenden Pitot'schen Rohres. Nach Versuchen von du Buat, Duchemin u.a. über Stoſs von Wasser gegen prismatische Körper, deren Achse in der Stromrichtung liegt, ist der Stoſs gegen die Vorderfläche derselben nur von der Geschwindigkeitshöhe \frac{v^2}{2\,g} abhängig. Dasselbe Gesetz kann auch für Luft als gültig angenommen werden, wonach für den gedachten Apparat zu setzen wäre, weil dem Windstoſse durch die manometrische Säule das Gleichgewicht gehalten wird, \zeta\,\frac{v^2}{2\,g}\,\delta=\gamma\,h, wenn h die beobachtete manometrische Höhe, γ das specifische Gewicht der manometrischen Flüssigkeit, δ das specifische Gewicht der strömenden Luft, ζ eine hauptsächlich von der Form und Beschaffenheit des Pitot'schen Rohres abhängige Erfahrungszahl bezeichnet. Hiernach ergibt sich die der Stoſswirkung entsprechende manometrische Höhe h=\zeta\,\frac{v^2}{2\,g}\ \frac{\delta}{\gamma} . . . . . . . . . (1) und die Geschwindigkeit v=\sqrt{\frac{2\,g}{\zeta}\ \frac{\gamma}{\delta}\,h} oder auch v=C\,\sqrt{\frac{\gamma}{\delta}\,h} . . . . . . . . . (2) insofern C=\sqrt{\frac{2\,g}{\zeta}}. Gleichung 1 zeigt, daſs bei Benützung der Pitot'schen Röhre als Anemometer die zu messende manometrische Höhe in dem Verhältnisse der specifischen Gewichte der Wetter und der manometrischen Flüssigkeit kleiner wird, als bei Verwendung eines ähnlichen Apparates als Strommesser. Bei einem Wassermanometer wird die Höhe h bloſs etwa 0,0012 derjenigen betragen, welche bei gleich groſser Geschwindigkeit ein Strommesser zeigen würde. Es müssen sonach zur Erlangung einer genügenden Genauigkeit zur Bestimmung der manometrischen Höhe besondere Präcisions-Meſsapparate verwendet werden, wobei alle die Ablesung störenden Einflüsse (Capillarität, Schwankungen der Flüssigkeitsspiegel) durch geeignete Mittel möglichst zu mildern sind. Eine zweite Unannehmlichkeit der Pitot'schen Röhre als Anemometer ist die, daſs, wie Gleichung 2 andeutet, zur genauen Bestimmung der Geschwindigkeit auch die Kenntniſs des specifischen Gewichtes der Wetter erforderlich ist, wozu besondere Erhebungen und Bestimmungen nöthig sind. Für den gewöhnlichen praktischen Gebrauch kann man sich indeſs, so lange der Zustand der Wetter kein auſsergewöhnlicher ist, unbeschadet der Genauigkeit mit einem passenden beiläufigen Durchschnittswerthe dieser Gröſse begnügen. Der hierdurch begangene Fehler dürfte kaum die Grenze der Beobachtungsfehler überschreiten. Für eine bestimmte manometrische Flüssigkeit kann diesfalls einfach v=C_1\,\sqrt{h} angenommen werden. Zum Uebelstande dieses Apparates muſs schlieſslich auch gerechnet werden, daſs die Beobachtungsgröſse (A) unter dem Wurzelzeichen steht, wonach begangene Messungsfehler das Resultat im quadratischen Verhältnisse schädigen. Wenn somit durch Benützung von geeigneten Präcisions-Meſsapparaten auch möglich wird, die manometrische Höhe ziemlich genau zu bestimmen, so erfordert doch die Aichung des Apparates (die Bestimmung der Constante C) eine besondere Sorgfalt. Durch Versuche von du Buat, Thibault, Duchemin u.a. über Stoſs und Widerstand der Luft oder des Wassers gegen Flächen oder Körper ist sichergestellt, daſs der Luft- und Wasserstoſs gegen ruhende Flächen oder gegen die Vorderfläche ruhender Körper ein namhaft gröſserer ist, als der Widerstand der Luft oder des Wassers gegen bewegte Flächen oder Körper. Sowohl bei der Pitot'schen Röhre, als auch bei dem Anemometrischen Flügelrade kommt hauptsächlich der Luftstoſs zur Wirkung. Es ist demnach nicht gleichgültig, in welcher Weise die Aichung eines Anemometers vorgenommen wird, ob bei ruhendem Apparate in bewegter, oder bei bewegtem Apparate in ruhender Luft. Die letztere Art des Aichungsverfahrens, unter Benützung eines Rotationsapparates (Göpelaichung), war bis jetzt die vorwiegende. Nach dem oben über Stoſs und Widerstand des Wassers bezieh. Luft angeführten wird ein so geaichtes Anemometer die Wettergeschwindigkeit immer zu groſs angeben. Wäre die Luft, welche während der Aichung das Anemometer umschlieſst, wirklich in Ruhe, so könnte der durch diese Aichungsweise hervorgerufene Fehler einfach durch einen constanten, besonders zu bestimmenden Correctionscoefficienten behoben werden. Dem ist aber nicht so: durch den rotirenden Arm des Aichungsapparates wird die Luft aufgewühlt, so daſs eine secundäre Einwirkung auf das Anemometer geäuſsert wird, welche desto fühlbarer wird, je weiter dasselbe auf dem Meſsarme von der Drehachse des Rotationsapparates zu stehen kommt. Aus diesem Grunde können die Angaben eines nach der Göpelaichung abgestimmten Anemometers nicht leicht rectificirt werden. Ueberzeugend wird dies durch die neuesten, vom Oberbergrathe Althans mit den äuſsersten Vorsichtsmaſsregeln durchgeführten bezüglichen Untersuchungen bewiesen. Es wurde hierbei gebunden, daſs die verwendeten, mit Hilfe eines Rotationsapparates gewehten Casella'schen Anemometer bei einer minutlichen Zeigerangabe von 50 100 250 500m die Geschwindigkeit um 3,72 4,73 7,35 11,90 Proc. gröſser angaben. Da die Pitot'sche Röhre in Betreff der Aichung bedeutend heikeler ist als das anemometrische Flügelrad, so empfiehlt sich zur Vornahme der Bestimmung der Constante C für die Geschwindigkeitsgleichung nur das geometrische Verfahren. Die gasometrische Aichung hat aber ihre Schwierigkeiten. Nach dem Stande der Gasometerglocke läſst sich die mittlere Geschwindigkeit, mit welcher die Luft durch ein an das Gasometer angeschlossenes Rohr strömt, hinlänglich genau bestimmen. Innerhalb eines bestimmten Rohrquerschnittes ist aber die Geschwindigkeit in Folge der Reibung der Rohrwand und deren Aeuſserung auf den ganzen Luftstrahl Schieden groſs; sie ist in der Mitte desselben am gröſsten und nimmt gegen die Rohrwand zu ab. Von der Vertheilung der Geschwindigkeit innerhalb eines Rohrquerschnittes hat man bis jetzt nichts Sicheres anzugeben gewuſst. Dies war auch der Grund, warum die gasometrische Aichung als unzuverlässig bezeichnet und in Folge dessen ganz aufgegeben wurde. Oberbergrath Althans hat bei seinen gasometrischen Untersuchungen als Vertheilungsgesetz der Geschwindigkeiten innerhalb eines Rohrquerschnittes ein Rotationsparaboloid angenommen in der Weise, daſs die Endpunkte von Linien, welche man sich von allen Punkten eines bestimmten Rohrquerschnittes parallel zur Rohrachse gezogen denkt, und dieselben proportional den betreffenden Geschwindigkeiten abgrenzt, in die Rotationsfläche eines Paraboloides fallen, dessen Achse mit der Rohrachse zusammenfällt. Da der Inhalt eines Paraboloides gleich ist einem Cylinder von gleicher Basis und von der halben Höhe des Paraboloides, so fällt nach diesem Gesetze die mittlere Geschwindigkeit innerhalb eines Rohrdurchmessers in die halbe Höhe des entsprechenden Parabelbogens, so daſs den geometrischen Ort, in welchem die mittlere Geschwindigkeit zu suchen wäre, ein Kreis angeben würde, dessen Halbmesser gleich ist \frac{1}{\sqrt{2}}=0,707 des Rohrhalbmessers. Daſs dieses voraussichtliche Gesetz den thatsächlichen Verhältnissen mit groſser Annäherung entspricht, hat Oberbergrath Althans durch besondere Versuche dargethan. Dieselben sind sammt den übrigen Untersuchungen (über den Leitungswiderstand von Rohrleitungen, über Ausfluſs der Luft aus Oeffnungen in einer dünnen Wand u.s.w.) in den „Anlagen zum Hauptberichte der preuſsisuchen Schlagwetter-Commission“, Bd. 5, veröffentlicht. Auf Grund seiner Untersuchungen nimmt Oberbergrath Althans an, daſs, wenn das wirkliche Gesetz über die Geschwindigkeitsvertheilung auch ein anderes wäre, die Abweichung von dem angenommenen Paraboloidgesetze nur so gering sein dürfte, daſs letzteres immerhin anwendbar bleibt. Da durch dieses Gesetz der Ort, wo innerhalb eines Rohrquerschnittes die mittlere Geschwindigkeit zu suchen sei, festgestellt ist, wird nunmehr die gasometrische Aichung von Anemometern keine Schwierigkeiten darbieten, wodurch insbesondere für das Pitot'sche Rohr die Unsicherheit in der Bestimmung der Geschwindigkeitsconstante entfällt. Um den Einfluſs der Mündungsweite des Pitot'schen Rohres kennen zu lernen, wurden bei den vorne genannten Breslauer Untersuchungen Röhren von 20, 10 und 5mm Weite benützt und hierbei gefunden, daſs die verschiedene Weite der Mündung einen erkennbaren Einfluſs auf das Ergebniſs der Messung nicht ausübt. Dieses Ergebniſs stimmt genau mit den Beobachtungen von du Buat und Duchemin über Stoſs und Widerstand des Wassers bei prismatischen Körpern. Ein groſses Gewicht wird auf die sorgfältige Herstellung der Mundstücke der Pitot'schen Röhren gelegt; dieselben sollen schwach kegelförmig und ganz scharf zugeschliffen sein. Zur Bestimmung der manometrischen Höhe wurden bei den Arbeiten der preuſsischen Schlagwetter-Commission anfangs einschenkelige geneigte, an ein Wassergefäſs angeschlossene Glasröhren mit 20 bis 30facher Vergröſserung der Flüssigkeitssäule verwendet. Später benutzte man zweischenkelige Manometer, deren beide 6 bis 8mm weite Glasschenkel in derselben Neigungsebene angebracht waren, und mittels einer Gradeinstellung je nach Stärke des Luftstoſses beliebig geneigt werden konnten, so daſs der Meniscus-Abstand in beiden Schenkeln 100mm und mehr erhalten würde. Um die Schwankungen der manometrischen Flüssigkeit zu beseitigen, wurden an den ziemlich langen Kautschukschläuchen, welche die Manometerschenkel mit den Pitot'schen Röhren verbanden, Klemmen angebracht, mittels welcher vor jeder Ablesung die Schlauchverbindung abgesperrt wurde. Behufs Vermeidung der Adhäsion wurde als manometrische Flüssigkeit verdünnter Alkohol von bekanntem specifischen Gewichte verwendet. Einen für Wettermessungen bestimmten, recht bequemen Meſsapparat mit Pitot'schen Röhren hat Herr Ingenieur G. Herbst, Mitglied der preuſsischen Schlagwetter-Commission, angegeben, mit welchem sowohl die dem Windstoſse, als auch die der Pressung bezieh. Depression der Wetter entsprechende manometrische Höhe durch zwei Ablesungen bestimmt wird. Statt der genannten Klemmen wird bei diesem Apparate vortheilhafter Weise ein Hahnschaltwerk verwendet. Die Apparate werden von der Firma H. Flottmann und Comp. in Bochum angefertigt. Für die von Oberbergrath Althans und von der genannten Commission benutzten Anemometer mit Pitot'schen Röhren wurde die Geschwindigkeitsconstante C (Formel 2) auf Grund der erwähnten gasometrischen Untersuchungen, vorbehaltlich einer etwaigen genaueren Feststellung, mit 4,265 festgestellt. – Die Anemometer-Prüfungs-Commission des sächsischen Ingenieur- und Architektenvereines ermittelte für die von ihr benutzten Apparate durch Göpelaichung C = 4,785. – Rittinger nahm, ohne besondere bezügliche Versuche ausgeführt zu haben, den Coefficienten ζ (Gleichung 1) gleich Eins an, womit wäre C=\sqrt{\frac{2\,g}{\zeta}}=4,43. Ueber die Anwendung der Pitot'schen Röhre als Anemometer äuſsert sich der „Hauptbericht der preuſsischen Schlagwetter-Commission“ wie folgt: „Die Messung mit der Pitot'schen Röhre gewährt gegenüber derjenigen mit Flügelrad-Anemometern bei lebhaften Strömen (über etwa Geschwindigkeit in der Secunde) eine weit gröſsere Genauigkeit und möchte schon deshalb, ganz abgesehen davon, daſs sie auch erheblich bequemer ist, in vielen Fällen den unsicheren Anemometermessungen vorzuziehen sein.“