Titel: Zur Frage der Abwasserreinigung.
Fundstelle: Band 272, Jahrgang 1889, S. 273
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Zur Frage der Abwasserreinigung. Zur Frage der Abwasserreinigung. In der Chemiker-Zeitung, 1888 Bd. 12 S. 1489, 1889 Bd. 13 S. 17 und 30, unterzieht H. Schreib das Verfahren der Abwasserreinigung mittels Kalk einer Besprechung in zweifacher Richtung. Schreib prüft einerseits die Wirkung des Aetzkalkes auf die im Abwasser enthaltenen organischen Stoffe und vergleicht andererseits das Kalkreinigungsverfahren mit anderen, denselben Zweck verfolgenden Methoden. Aus den erwähnten Abhandlungen sei das Folgende mitgetheilt: Bekanntlich kommt fast bei sämmtlichen Verfahren zur Reinigung von Abwasser auf chemisch-mechanischem Wege Aetzkalk in Anwendung. Die gereinigten Wasser enthalten dann einen Ueberschuſs desselben in Lösung. Die nach den Verfahren von Müller-Nahnsen, Rothe-Röckner, Oppermann, Hulwa u.a. gereinigten Abwässer zeigen stets freien Kalk in mehr oder weniger groſsen Mengen. Ein solcher Ueberschuſs ist durchaus nöthig, wenn einerseits schnelles Absetzen des Niederschlages, andererseits völlig blankes Aussehen und längere Haltbarkeit des geklärten Wassers verlangt wird. Während die chemisch-mechanischen Verfahren in der ersten Zeit ihrer Einführung allgemein sehr sympathisch begrüſst wurden, erheben sich seit einiger Zeit viele Stimmen dagegen. Besonders wird neuerdings die Ansicht verbreitet, daſs die Reinigung mit Kalk in Verbindung mit anderen Chemikalien oder mit Kalk allein nicht nur keinen Reinigungseffect habe, sondern sogar schädlich wirke. Es wird behauptet, daſs der Kalk lösend auf die im Abwasser suspendirten organischen Stoffe einwirke, so daſs das gereinigte Wasser mehr organische Substanz gelöst enthalte, als das ungereinigte. Hieraus hat man dann sogar gefolgert, daſs die Chemikalien keine Reinigung, vielmehr eine Verunreinigung bewirkt haben. Es wird ferner ausgeführt, daſs die vom Aetzkalke in Lösung gehaltenen organischen Stoffe nach der Neutralisation des Kalkes im Flusse, die durch freie Kohlensäure oder Calciumbicarbonat bewirkt wird, ausfallen, den Fluſs verschlammen und Anlaſs zur Pilzbildung geben, wodurch dann weitere Uebelstände veranlaſst werden. Besonderes Gewicht hat die Ansicht von der Schädlichkeit des Kalkes erhalten durch die Veröffentlichungen einer Commission, welche mit der Prüfung verschiedener MethodenDie Ergebnisse der in der Campagne 1884/85 angestellten amtlichen. Versuche über die Wirksamkeit verschiedener Verfahrungsweisen zur Reinigung der Abfluſswässer aus Rohzuckerfabriken. Magdeburg, C. Baensch jun. zur Reinigung von Abwasser aus Rohzuckerfabriken beauftragt war. Diese Commission hat sich die Ansicht, daſs der Kalk die gelösten organischen Stoffe im Abwasser vermehre, zu eigen gemacht. Es ist jedenfalls von groſser Bedeutung, daſs die Frage, ob die Reinigung mit Kalk und Chemikalien schädlich wirkt, aufgeklärt wird. Gewinnt die Ansicht von der Schädlichkeit des Kalkes in den maſsgebenden Kreisen der Verwaltung an Boden, so ist die Gefahr vorhanden, daſs die interessirten Städte und Fabriken, welche bereits ein chemischmechanisches Verfahren zur Reinigung ihrer Abwässer eingeführt haben, gezwungen werden, mit groſsen Kosten andere Reinigungsmethoden anzuwenden, welche vielleicht auch nach kurzer Zeit verworfen werden. Die Ansicht, daſs der Kalk stark lösend auf die im Abwasser suspendirten organischen Stoffe wirken soll, erschien von vornherein unwahrscheinlich, besonders in Folge der Resultate, die Schreib bei früheren Arbeiten über die Wirkung des Kalkes auf Proteinstoffe in stärkemehlhaltigen Früchten erhalten hatte. Zur Aufklärung dieser Frage wurden folgende Versuche angestellt: Zunächst reinigte man Proben ein und desselben Abwassers mit verschiedenen Mengen Kalk. Wenn der Kalk organische Stoffe löst, so ist anzunehmen, daſs eine gröſsere Menge Kalk auch eine gröſsere Menge organische Substanz in Lösung bringt. Die Resultate, die erhalten wurden, zeigt folgende Tabelle: 1) CaO mg für 1l Spur   280   730 Organische Stoffe 645   500   530 2) CaO 230   780 1130 Organische Stoffe 490   535   540 3) CaO 310   540   760 Organische Stoffe 705   680   672 4) CaO 560   952 1260 Organische Stoffe 625   770   710 5) CaO 392 1400 1900 Organische Stoffe 610   560   555 Die Zahlen zeigen, daſs bei einem hohen Gehalte an Kalk ebenso wohl weniger wie mehr organische Stoffe vorhanden waren, als bei einem niedrigen Kalkgehalte; die Befunde gleichen sich ungefähr aus. Es darf daher wohl behauptet werden, daſs eine mehr oder weniger groſse Menge von freiem Kalke keinen Einfluſs auf die Reinigung ausübt. Zu den Zahlen sei noch bemerkt, daſs die Differenzen zum Theile ihren Grund darin haben, daſs die Bestimmung der organischen Stoffe eine recht ungenaue ist. Die Bestimmung geschah aus dem Glühverluste unter Beobachtung aller Vorsichtsmaſsregeln, aber trotzdem ergaben sich Differenzen bis zu 100mg für 1l. Die angegebenen Zahlen in der obigen Tabelle, ebenso wie die nachfolgenden Zahlen stellen übrigens immer das Mittel aus wenigstens zwei Bestimmungen dar. Es kam nun weiter darauf an, festzustellen, ob der freie Kalk organische Stoffe gelöst hält, die bei der Neutralisation des Kalkes, wie behauptet wird, ausfallen. Um hierüber Aufschluſs zu erhalten, wurden Abwässer, welche viel organische Stoffe suspendirt enthielten, längere Zeit mit überschüssigem Kalke behandelt und dann die stark alkalische, klar filtrirte Flüssigkeit mit Kohlensäure neutralisirt. Wenn der Kalk durch seine specifischen Eigenschaften organische Stoffe in Lösung hielt, so muſsten dieselben mit dem entstehenden Niederschlage von Calciumcarbonat ausfallen und sich darin nachweisen lassen. Dieser Nachweis ist indeſs in keinem Falle möglich gewesen. Der ausgewaschene Niederschlag zeigte beim Glühen nicht die geringste Bräunung, auch trat kein Geruch nach verbrennender organischer Substanz auf. Dieser Versuch wurde noch dadurch erweitert, daſs die Fällung statt mit Kohlensäure mit gewöhnlichem Fluſswasser vorgenommen wurde. Es lag ja die Möglichkeit vor, daſs aus letzterem durch die entstehenden Niederschläge organische Substanz mit niedergerissen wurde. Der Versuch gab indeſs dieselben Resultate wie vorhin. Ein fernerer Beweis dagegen, daſs der Kalk organische Stoffe in Lösung hält, liegt darin, daſs in allen Fällen der im gereinigten Wasser durch Kohlensäure anfangs entstandene Niederschlag durch weitere Einleitung derselben sich völlig klar wieder auflöste. Durch Kalk in Lösung gehaltene organische Substanz würde sich unter diesen Umständen doch wohl nicht gelöst haben. Daſs der Aetzkalk in den Abwässern, welche dem Verfasser vorlagen, organische Stoffe, die bei seiner Neutralisation ausfallen, nicht in Lösung hielt, scheint durch die mitgetheilten Versuche genügend erwiesen. Es konnte nun aber doch noch möglich sein, daſs der Kalk die gelösten organischen Stoffe vermehrt, indem er suspendirte, unlösliche organische Substanz durch chemische Einwirkung löslich macht, z.B. die für gewöhnlich in Wasser unlösliche Stärke in die wasserlösliche Modification umwandelt. Derartige Körper würden bei der Neutralisation des freien Kalkes nicht ausfallen. Zur Entscheidung dieser Frage reinigte Schreib Abwässer verschiedener Herkunft mit Kalk und bestimmte die organische Substanz im unfiltrirten, im filtrirten und im gereinigten Abwasser. Folgende Tabelle zeigt die Resultate dieser Versuche. Abwässerungereinigt undunfiltrirt. Abwässerungereinigt undfiltrirt. Abwässergereinigt miCaO. Organ. Stoffemg für 1l Organ. Stoffemg für 1l Organ. Stoffemg für 1l CaOmg für 1l 1)   655   520   430   450 2)   930   690   815   560 3) 1110   810   695   560 4)   675   505   490 5) 1035   730   565 1090 6)   625   305   220   336 7) 2456 1765 1385   582 8)   870   780   620   649 Wie obige Zahlen zeigen, ist in sieben von den acht Versuchen eine mehr oder weniger groſse Abnahme der gelösten organischen Stoffe durch die Kalkreinigung erzielt, also in der überwiegend groſsen Mehrheit der Versuche. Die einzige Ausnahme bei Nr. 2, welche übrigens auf einem Fehler beruhen kann, stört nicht die Annahme, daſs der Kalk nicht nur die suspendirten Stoffe entfernt, sondern auch die gelöste organische Substanz vermindert. Zum weiteren Beweise wurde dann noch filtrirtes Abwasser mit Kalk gereinigt, wobei sich folgende Zahlen ergaben: Abwasserfiltrirt ohneKalk Abwasserfiltrirt und mitCaO gereinigt 1) CaO mg für 1l. 1008 Organische Stoffe 1000   825 2) CaO   540 Organische Stoffe   780   600 Durch die mitgetheilten Resultate hält Schreib für erwiesen, daſs bei den Abwässern, welche ihm vorlagen, der Aetzkalk keineswegs eine schädliche Wirkung gezeigt, sondern im Gegentheile entschieden günstig gewirkt hat. Es sind durch den freien Kalk weder die gelösten Stoffe vermehrt, noch hielt der Kalk organische Stoffe in Lösung, die bei seiner Neutralisation ausfielen:, ebenso wirkte ein gröſserer Ueberschuſs nicht anders als ein geringer. Natürlich soll das eben Gesagte nicht auf alle Abwässer ausgedehnt werden, es soll nur für die Abwässer gelten, welche Schreib untersucht hat. Diese Versuche umfassen übrigens Abwässer sehr verschiedener Herkunft, nämlich diejenigen von Stärke–, Pappen- und Zuckerfabriken, sowie städtisches Spülwasser, also schon ein ziemlich groſses Gebiet. Es ist auch anzunehmen, daſs die meisten Abwässer, welche eine gröſsere Menge organische Stoffe enthalten, und diese kommen hier nur in Betracht, sich ganz ähnlich gegen Kalk verhalten, wie die untersuchten Abwässer. Wenn Andere zu abweichenden Resultaten gekommen sind, also eine Vermehrung der gelösten organischen Stoffe durch Kalk bemerkt haben, so wird das in den meisten Fällen daran liegen, daſs sich die Proben des gereinigten und ungereinigten Wassers nicht entsprachen, oder daſs die Proben zu spät zur Untersuchung gelangten. Im letzteren Falle wird im ungereinigten Abwasser durch Gährung ein Theil der organischen Stoffe gasificirt, während in dem gereinigten Wasser die organische Substanz, deren Zersetzung durch den freien Kalk sistirt ist, sich voll erhält. Nach mehreren Tagen findet man daher im gereinigten Wasser mehr organische Stoffe als im ungereinigten, während am ersten Tage das Gegentheil der Fall ist. Um die Wirkung der verschiedenen Methoden möglichst genau vergleichen zu können, um ihren Reinigungseffect zu erfahren, würde es am einfachsten sein, wenn sämmtliche zu vergleichenden Verfahren an ein und demselben Abwasser versucht würden. Da Abwasser jedoch eine sehr zersetzliche Substanz ist und die Zersetzung auch im gereinigten kalkhaltigen Wasser, wenn auch nur in geringem Grade, stattfindet, ist es stets erforderlich, die Analysen der betreffenden Proben sofort und gleichzeitig vorzunehmen. Hierzu bedarf man aber bei der Prüfung mehrerer Methoden ganz besonderer Einrichtungen. Schreib hat neben der Kalkmethode fünf andere, also im Ganzen sechs Verfahren geprüft. Rechnet man dazu das unfiltrirte und filtrirte Abwasser, so würden acht Bestimmungen zu machen sein, und zwar an einem Tage; zudem würde jede doppelt gemacht werden müssen. Schreib hat es indessen vorgezogen, einen anderen Weg einzuschlagen, der aber jedenfalls auch sicher zum Ziele führt. Da es nach dem Verhalten des Kalkes gegen unfiltrirtes und filtrirtes Abwasser als feststehend zu betrachten ist, daſs derselbe auch die gelösten organischen Stoffe theilweise entfernt hat, so ist also der Reinigungseffect. des Kalkes bekannt, und es kann derselbe als Maſsstab für die reinigende Wirkung der anderen Verfahren dienen. Das Verfahren, welches am besten wirkte, muſste die kleinste Menge organischer Stoffe zurücklassen. Die Reinigung erfolgte durch: Nr. Kalk allein Kalk und 0g,2Kieselpräparatfür 1l Kalk und 0g,2Wasserglasfür 1l   1.         600Die Zahlen geben die organischen Stoffe in mg für 1l an.   530   602   2.   455   485   515   3.   610   605   560   4.   540   490   533   5.   672   705   680   6. 1075 1250 1290 Kalk allein Kalk und 0g,2Aluminiumsulfatfür 1l Kalk und 0g,2Eisenvitriolfür 1l   7.   560   535   545   8.   350   330   295   9.   210   205   260 10.   247   252   220 Kalk allein Kalk und 0g,2Aluminiumsulfatfür 1l Kalk und 0g,2Magnesiumsulfatfür 1l 11.   765   787   815 12.   475   525   455 13.   180   152   123 14.   765   712   787 Wie die Betrachtung der Zahlen zeigt, sind erhebliche Unterschiede nicht vorhanden, die Differenzen kommen bald dem einen, bald dem anderen Verfahren zu Gute. Ferner sind sie aber auch so gering, daſs sie, mit einigen Ausnahmen, auf die ungenügende Bestimmungsmethode geschoben werden müssen, sie fallen noch in den Bereich der Fehlergrenze. Wenn man den Durchschnitt aus den drei Gruppen der Tabelle nimmt, so ergibt sich folgendes Bild: I. Reinigung mit Kalk alleinReinigung mit Kalk und    KieselsäurepräparatReinigung mit Kalk und    Wasserglas je 6 Versucheergabenim Mittel 659mg678 „697 „ organischeStoffefür 1l II. Reinigung mit Kalk alleinReinigung mit Kalk und    schwefelsaurer ThonerdeReinigung mit Kalk und    Eisenvitriol je 4 Versucheergabenim Mittel 342mg330 „330 „ organischeStoffefür 1l III. Reinigung mit Kalk alleinReinigung mit Kalk und    schwefelsaurer ThonerdeReinigung mit Kalk und    schwefelsaurer Magnesia je 4 Versucheergabenim Mittel 546mg544 „545 „ organischeStoffefür 1l Man sieht, die Durchschnittsdifferenzen sind sehr gering. Bei der ersten Gruppe hat nach der Tabelle die Kalkreinigung am besten gewirkt, da durch dieselbe im Durchschnitte 19mg organische Substanz mehr als mit Kieselpräparat und 38mg mehr als mit Wasserglas entfernt sind. Auf diese Berechnung kann man indeſs nicht viel geben, da das Resultat derselben von Zufälligkeiten abhängen kann; es scheint richtiger, nach der Zahl der Versuche zu gehen. Betrachtet man z.B. die Zahl der Proben unter Gruppe I, so hat bei den untersuchten sechs Abwässern die Kalkreinigung in drei Fällen und die Reinigung nach den beiden anderen Verfahren ebenfalls in drei Fällen die besten Resultate ergeben. Danach stehen die beiden Verfahren genau auf derselben Höhe wie die Kalkreinigung, und folglich sind sich alle drei Verfahren gleichwerthig. Die Durchschnittsdifferenzen der beiden anderen Gruppen erweisen sich ebenfalls als so gering, daſs sie gar nicht in Betracht kommen können. Einmal werden sie durch die unvermeidlichen Analysenfehler völlig erklärt, andererseits würde auch die Entfernung von etwa 20mg organischer Substanz für 1l mehr in der Praxis ohne jede Bedeutung sein. Bemiſst man bei den beiden Gruppen die Wirkung nach der Zahl der Versuche wie bei Gruppe I, so ergibt sich auch hier ein fast völliger Ausgleich. Schreib zieht aus den mitgetheilten Versuchen den Schluſs, daſs durch den Zusatz anderer Chemikalien zur Wasserreinigung auſser Kalk bei denjenigen Abwassern, welche er untersuchte, absolut kein besserer Reinigungseffect erzielt ist als durch Kalk allein. Ferner nimmt er an, daſs bei den meisten Abwassern Kalk allein zur Reinigung und Klärung völlig genügend wirkt, und zwar aus folgenden Gründen: Die chemische Klärung der Abwasser beruht allgemein darauf, daſs in der Flüssigkeit selbst ein Niederschlag gebildet wird, der, aufs feinste durch die ganze Flüssigkeit vertheilt, beim Zusammenballen zu Flocken die kleinsten suspendirten Theile einhüllt und zu Boden reiſst. Hierdurch entsteht die Wirkung, daſs eine Flüssigkeit, welche durch ein Filter noch trübe läuft, völlig geklärt wird. Um derartige klärende Niederschläge zu erzielen, sollen nach den verschiedenen chemisch-mechanischen Verfahren Salze angewendet werden, die mit Kalk Fällungen geben, z.B. schwefelsaure Thonerde, Eisenvitriol u.s.w., also solche Salze, wie sie Schreib bei den beschriebenen Versuchen verwendet hat. Nun liegt es aber auf der Hand, daſs ein Zusatz nicht nöthig ist, wenn das zu reinigende Abwasser schon solche Salze oder sonstige Substanzen enthält, die mit Kalk Niederschläge erzeugen. Das ist in den meisten Abwässern der Fall. Es sind entweder anorganische Körper vorhanden, durch deren Umsetzung mit Kalk der gewünschte Niederschlag entsteht, oder es sind organische Stoffe, die direkt oder indirekt durch Kalk ausgefällt werden. Direkt entsteht die Fällung durch unlösliche Verbindungen gewisser organischer Säuren mit Kalk, indirekt werden Proteïnstoffe ausgefällt, indem der Kalk die Säuren, durch welche die Proteine in Lösung gehalten werden, abstumpft. Diese, durch organische Stoffe entstehenden Niederschläge sind im hohen Grade voluminös und besitzen die Fähigkeit, sich rasch zu Flocken, zusammenzuballen, wodurch eine ausgezeichnete Klärung erreicht wird. Es sei hier an die Benutzung der Hausenblase und Gelatine zur Klärung von Getränken erinnert. Daſs ferner die Wirkung gewisser Zusätze durch Kalk allein erzielt werden kann, wird klar, wenn man bedenkt, daſs der Kalk des Handels, der zur Reinigung benutzt wird, kein reines Calciumoxyd ist, sondern viele andere Stoffe, wie Eisen, Kieselsäure, Thonerde u.s.w.,. enthält. Den beiden letzteren Stoffen schreibt man gewöhnlich groſse Wirkung zu. Da sich dieselben im gebrannten Kalke bestimmt in einem möglichst aufgeschlossenen Zustande befinden, so ist nicht zu bezweifeln, daſs sie dementsprechende Wirkungen hervorbringen. Das im Kalke enthaltene Eisen entfernt jedenfalls ebenso gut den Schwefelwasserstoff, wie es durch Eisenvitriol möglich ist. Aus dem Dargelegten geht hervor, daſs es sich empfiehlt, zur Wasserreinigung keinen allzu reinen Kalk, wie Weiſskalk, zu nehmen; der sogen. Wasserkalk wird sich am besten dazu eignen. Daſs also andere Chemikalien auſser Kalk zur Reinigung von Abwasser nicht nöthig sind, daſs ein höherer Reinigungseffect durch sie nicht erzielt wird, glaubt Schreib genügend bewiesen zu haben.Ausnahmen finden natürlich statt, allgemein gültige Regeln lassen sich für Abwasser nicht aufstellen. Nun wird aber noch behauptet, daſs Zusätze die Schnelligkeit der Ausfällung bedeutend vermehrten und daher nicht zu entbehren seien. Schreib ist dagegen der Ansicht, daſs Kalk allein im Allgemeinen ebenso schnell klärt, wie bei Gegenwart von Zusätzen; Ausnahmen gibt es ja auch hier. Wenn aber auch die klärende Wirkung des Kalkes allein wirklich nicht so schnell vor sich ginge wie durch Zusatz anderer Chemikalien, so kann das doch nur beschränkten Werth haben. Der Grund, den man vielfach für die Nothwendigkeit einer schnellen Fällung angibt, nämlich die schädliche lösende Wirkung des freien Kalkes auf die organischen suspendirten Stoffe, ist nach dem Mitgetheilten hinfällig. Eine schnell vor sich gehende Klärung mag dort nöthig sein, wo wenig Platz für die Kläranlage ist und daher ein continuirlich wirkendes System von Apparaten und Tiefgruben gewählt wird. Derartige complicirte Anlagen erzielen aber jedenfalls keine bessere Klärung als die einfachen Absatzbassins, nur kommt ihre Anlage bedeutend theuerer. Es soll nun noch das Verhalten des überschüssigen Kalkes beim Eintreten des Abwassers in den Fluſslauf betrachtet werden. Es ist nicht zu bezweifeln, daſs eine gröſsere Menge des freien Kalkes im Flusse schädlich wirken kann, indem dadurch Fische getödtet werden, auch eine starke Trübung durch sich ausscheidenden kohlensauren Kalk entsteht. Letzteres kann allerdings wohl kaum Schaden anrichten, sieht aber schlecht aus. Völlig verkehrt ist es jedoch, anzunehmen, daſs jedesmal derartige Wirkungen eintreten müssen. Es richtet sich das ganz nach dem Verhältnisse der Gröſse des Fluſslaufes zur Menge des Abwassers. Die Bedingungen, unter denen Abwasser mit einem Wasserlaufe zusammentrifft, sind ja ungemein verschieden. Es gibt Fälle, in welchen das ganze Wasser eines kleinen Baches von einer Stadt oder Fabrik verbraucht wird, wo also der ganze Wasserlauf gereinigt werden muſs. In anderen Fällen steht die Menge des Ablaufes zum Fluſswasser wie 1 : 1000 und noch günstiger. Daher wird man in jedem einzelnen Falle die Verdünnung prüfen müssen, welcher einfache Grundsatz, obwohl schon so häufig betont, noch häufiger nicht beachtet wird. Die Ansicht, daſs auch bei gröſserer Verdünnung der freie Kalk insofern schädlich wirkt, als er durch seine Abscheidung als kohlensaurer Kalk organische Stoffe frei macht und niederschlägt, hält Schreib für irrig. Die Ausscheidung des kohlensauren Kalkes findet jedenfalls auch nicht in solchem Maſse statt, wie häufig angenommen wird. Man vernachlässigt meistens die Thatsache, daſs der kohlensaure Kalk etwas löslich im Wasser ist. Hierzu kommt, daſs ein weiterer Theil des sich bildenden kohlensauren Kalkes, welcher sich wohl nach längerem Stehen abscheiden würde, im Flusse noch in Lösung bleibt und fortgeführt wird, bis er durch weitere Verdünnung oder freie Kohlensäure völlig löslich wird. Wenn nun auch die Bedenken gegen das Vorhandensein des freien Kalkes im Abwasser in den Fällen ausreichender Verdünnung durch den Fluſslauf fallen zu lassen sind, so ist doch entschieden ein groſser Ueberschuſs von Aetzkalk zu vermeiden, um so mehr, weil er unnütz ist und nur höhere Kosten verursacht. Ein gröſserer Ueberschuſs von Kalk, der 300 bis 600mg Aetzkalk für 1l betragen kann, ist nöthig, wenn blankes Aussehen und längere Haltbarkeit des gereinigten Abwassers verlangt wird. Nimmt man weniger Kalk, so behalten die meisten Abwasser eine leichte opalisirende Trübung, welche auch durch gewöhnliche Filtration nicht wegzuschaffen ist. Dieselbe ist in den meisten Fällen so gering, daſs sie durch die Analyse nicht nachgewiesen werden kann. Da aber das Abwasser durch diese leichte Trübung in dickeren Schichten undurchsichtig erscheint, haben viele Verwaltungsbehörden die Bedingung gestellt, die Abwässer so weit zu klären, daſs durch eine Schicht von bestimmter Höhe gewöhnlicher Zeitungsdruck noch zu lesen ist, ferner wird noch eine Haltbarkeit von etwa 14 Tagen gefordert. Um beiden genannten Forderungen nachzukommen, sind die betreffenden Kläranlagen gezwungen, einen gröſseren Ueberschuſs von Kalk zu nehmen. Eine bessere Reinigung wird dadurch nicht erzielt, aber das Abwasser sieht klarer aus. Gegen die erwähnten Vorschriften sind übrigens schon viele Stimmen laut geworden, und es ist daher zu hoffen, daſs man diese Forderungen fallen lassen wird. Jedenfalls sollte der Ablauf eines Abwassers gestattet sein, wenn es auch noch eine geringe opalisirende Trübung zeigt. Das Hauptmoment für die Beurtheilung, ob ein Abwasser genügend gereinigt ist und ob sein Ablauf gestattet werden soll, bleibt immer die Verdünnung, die es im Flusse erfährt.