Titel: Ein Dampfschiff für Kanäle.
Fundstelle: Band 276, Jahrgang 1890, S. 34
Download: XML
Ein Dampfschiff für Kanäle. Mit Abbildung. Ein Dampfschiff für Kanäle. Bei der stets wachsenden Bedeutung der Kanalschifffahrt läſst sich der Umstand, daſs ein eigentliches Kanaldampfschiff noch nicht existirt, nur darauf zurückführen, daſs es noch nicht gelungen ist, die Hindernisse, welche der in den Kanälen vorkommende Pflanzen wuchs bietet, zu beseitigen, sowie ferner den die Ufer beschädigenden Wellenschlag zu vermeiden. Wendet man eine Schraube, ein Schaufelrad oder einen Wasserstrahl zum Betrieb eines Kanalschiffes an, so sind mitunter in kürzester Frist, oft im Zeitraum von einer halben Stunde, die treibenden Theile so sehr mit Pflanzengeschlinge umwunden, daſs ein Weiterarbeiten völlig unmöglich wird. Diese Uebelstände zu beseitigen, wird von Ingenieur Haenlein in Frauenfeld (Schweiz) D. R. P. Nr. 39251 vom 5. November 1886 ein Strahl comprimirter Luft zur Fortbewegung von Schiffen in Vorschlag gebracht, derart, daſs der stetige Druck der Luft auf das Wasser zur Geltung kommt. Während sonst zur Erzeugung eines Wasserstrahls eine Kreisel- oder Centrifugalpumpe angewandt wird, die, das Wasser in heftig wirbelnde Bewegung versetzend, groſse Arbeitsverluste verursacht, ergibt die von Haenlein verwendete Luftpumpe einen Nutzeffect von 70 bis 80 Proc. Der Erfinder läſst den Strahl comprimirter Luft nicht ins freie Wasser münden, sondern läſst ihn viel wirksamer in einer oben und zu beiden Seiten geschlossenen, unten offenen Rinne (Druckrinne) seine Kraft an das Wasser abgeben. Beim Eintreten eines Luftstrahls in das freie Wasser kommt nur ein geringer Theil – die auf Reaction wirkende Kraft der Luft – zur Geltung, während der Luftstrahl, in einer Rinne wirkend, den ganzen Auftrieb ausnutzt und eine höhere Nutzleistung als Schraube oder Schaufelrad ergibt, dabei bleibt das Wasser spiegelglatt. In einem nach diesem System ausgeführten Modell (s. Textfigur) bezeichnet a das Schiff, b den Dampfkessel, c die einfach wirkende Dampf-Luftpumpe; d d1 sind die beiden seitlich an das Schiff gelegten Druckrinnen, in welchen der Luftstrahl zur Wirkung kommt, e e1 sind Leitschaufelkasten, welche ein ruhiges Austreten der Luft bewirken sollen, f f1 sind Austrittsdüsen. Textabbildung Bd. 276, S. 35 Die in der Pumpe comprimirte Luft gelangt durch die Rohre g und g1 zu den Druckrinnen, tritt bei A in das Wasser, drückt bei ihrem Wege aufwärts zu den Leitschaufelkasten auf das Wasser, wodurch das Schiff nach vorwärts getrieben wird, und tritt in der Richtung der Pfeile im Leitschaufelkasten aus. Der Querschnitt der Austrittsdüsen f und f1 ist so bemessen, daſs die Luft mit einer Geschwindigkeit austreten muſs, die einer Wassersäule von einigen Cent, entspricht; es soll hierdurch das Wasser einige Cent, von der Unterkante der Leitschaufeln entfernt gehalten werden und der Austritt der Luft in einem continuirlichen ruhigen Strahl erfolgen (was u. E. weiter nichts als einen Kraftverlust zur Folge hat). Zum Rückwärtsfahren wird die Luft bei B statt bei A eingeführt, die Leitschaufeln in symmetrisch entgegengesetzter Richtung eingestellt, ein Schieber bei A geschlossen und bei B geöffnet. Versuche wurden mit einem Modelle von 1200mm Schiffslänge, 260mm Breite, 100mm Tauchung, 15mm Breite der Druckrinne und einer effectiven Leistung der Dampfmaschine von \frac{1}{1154} angestellt. Das Modell erreichte in stehendem Wasser eine Geschwindigkeit von 14cm in der Secunde, wobei ein Schiffswiderstand von 33g ermittelt wurde. Als Vortheile des neuen Schiffes führt der Erfinder an, daſs 1) der Pflanzenwuchs des Kanals, sei er auch noch so dicht, demselben nichts anhaben kann, 2) daſs die von den früheren Triebwerken herrührende Wellenbewegung vermieden wird, 3) daſs das neue Schiff gestattet, kleine, rasch gehende Maschinen, die ohne Zahnradübersetzung bei geringem Slip arbeiten, zu verwenden, 4) die Einwirkung des Luftstrahls in einer geschlossenen Rinne auf das Wasser ist mechanisch wirksamer, als die bisherigen Betriebsweisen sind; derselbe wirkt ohne Stoſs, ohne Schlag, ohne wirbelnde Bewegung und ohne erhebliche Reibung des Wassers.