Titel: Ueber Dampfkessel; von Prof. H. Gollner in Prag.
Autor: H. Gollner
Fundstelle: Band 276, Jahrgang 1890, S. 163
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Ueber Dampfkessel; von Prof. H. Gollner in Prag. (Fortsetzung des Berichtes Bd. 275 * S. 337.) Gollner, über Dampfkessel. Die praktisch-wissenschaftliche Untersuchung der Dampfkessel, welche in neuerer Zeit entschieden eine fortschrittliche Ausbildung und Vervollständigung erfahren hat, wurde Dank der Bemühungen und des Einflusses der Dampfkessel-Untersuchungs-Gesellschaften mit groſsem Erfolge in die Praxis eingeführt, und finden die Ergebnisse derselben auch von dieser Seite jene Beachtung, welche alle auf dem Versuchswege zu ermittelnden Resultate verdienen, wenn sie nach sachgemäſsen Methoden gefunden wurden und zur Klarstellung wichtiger und entscheidender Verhältnisse dienen können. Die Untersuchung der Dampfkessel wird aus verschiedenen Gründen und ebenso in sehr veränderlichem Umfange durchgeführt; in einzelnen Fällen wird die Untersuchung der gesammten Anlage, in anderen Fällen die Feststellung der mechanischen Eigenschaften eines Hauptbestandtheiles der gesammten Construction geboten sein. Praktisch-wissenschaftliche Untersuchungen von Dampfkesseln, welche den mechanischen und wirthschaftlichen Werth der Gesammtanlage sicherstellen und zugleich die Tüchtigkeit und Betriebssicherheit der wichtigsten Bestandtheile derselben nachzuweisen vermögen, sind die vollkommensten und werthvollsten Unternehmungen; sind aber für die Verhältnisse der gewöhnlichen Praxis zu zeitraubend und zu kostspielig. Es sollen nun im Folgenden jene Untersuchungen von Haupttheilen der Dampfkessel und der vollständigen betriebsfähigen Anlagen derselben hervorgehoben werden, welche auf diesem Constructionsgebiete sozusagen zur Uebung geworden sind, und hierbei solcher Methoden und Ergebnisse derselben gedacht werden, welche geeignet sind, die einschlägigen Verhältnisse klar zu stellen. Von den Untersuchungen, welche sich auf Haupttheile der Dampfkessel beziehen, ist in erster Linie die Untersuchung der mechanischen Eigenschaften des Constructionsmateriales und jene der mechanischen Verbindungen im Dampfkesselbaue, d. i. der Nietungen zu nennen. Die Bedeutung einer gewissenhaften Materialuntersuchung ist heute voll erkannt und, wie hervorgehoben, zur allgemeinen Uebung geworden. Zur Untersuchung gelangen sowohl sogen. Neu- wie Altmaterialien, erstere aus unbenutzten Dampfkesselblechen, letztere aus den Wandungen eines bereits dem Betriebe übergebenen Dampfkessels geschnitten. Nach den bisher vorliegenden Versuchsdaten zeigen Dampfkesselbleche aus ursprünglich gutem Materiale selbst nach vieljährigem Betriebe keine wesentlichen Veränderungen in ihren mechanischen Eigenschaften gegenüber jenen der Neumaterialien. Die bisher selbst nach 40jährigem Betriebe des Dampfkessels untersuchten Bleche erwiesen sich keinesfalls als „erschöpft“, zeigten die in der Elasticität des Materiales begründeten mechanischen Eigenschaften noch vollkommen befriedigend entwickelt, und konnte der fernere Betrieb des Dampfkessels unter einer allerdings vorsichtshalber etwas verminderten Betriebsspannung zugestanden werden. Es sei bemerkt, daſs die Elasticitäts-Untersuchung jener Materialschichten eines sogen. Altkesselbleches, welche einerseits an der „Wasserseite“, andererseits an der „Feuerseite“ desselben Bleches liegen, abweichende Ergebnisse finden läſst, was in der chemischen Veränderung dieser Materialpartien begründet zu sein scheint. Von dem heute schon in auſserordentlich reichlicher Menge vorliegenden Versuchsmateriale über Dampfkesselbleche seien hauptsächlich jene Ergebnisse nach ihren Mittelwerthen hervorgehoben, welche im mechanisch-technischen Laboratorium des Referenten in neuester Zeit durchgeführt wurden, wobei auf die Hauptmaterialien und zwar auf Schweiſseisen, weiches Thomas-, Martin- und Bessemer-Fluſseisen und Kupfer Rücksicht genommen sei. In den meisten Fällen lagen sogen. Neumaterialien für Dampfkessel vor, obschon auch einige Proben mit Altmaterialien, die hervorgehoben seien, Anspruch auf Beachtung erheben dürfen. Die folgende Tabelle enthält die Hauptergebnisse der Untersuchungen der Qualität der Kesselmaterialien an sich, und sei noch zweier Gröſsen in der Tabelle gedacht, welche im Allgemeinen nicht regelmäſsig bestimmt werden. Diese Gröſsen sind a) das relative Maſs der Deformationsfähigkeit (Zähigkeit) und b) das relative Maſs der Homogenität der Materialien. Die Bedeutung, ferner die Methoden zur Auffindung dieser beiden Gröſsen wurde in den Technischen Blättern, Jahrg. 1886 und 1887 entwickelt. Die Probelänge l sämmtlicher Probestäbe als Bleche und Rund(Niet)stäbe betrug 200mm,0; die Bruchdehnung in Procenten der Gebrauchslänge wurde durchgehends im Sinne der Münchner und Dresdner Conferenzbeschlüsse ermittelt. Die Frage über die Zweckmäſsigkeit der Anwendung einer guten Sorte Schweiſseisenbleches für die Dampfkesselfabrikation ist erledigt und die heute noch herrschende Praxis, für Dampfkessel lediglich nur Schweiſseisenbleche von bewährter Güte zu verwenden und vorläufig auf die neueren Materialien noch keine Rücksicht zu nehmen, wohlbegründet. Versuchs-materialien Sorten Zugelasticitätsgrenze Festigkeitsgrenze Propor-tionalitäts-grenze MaximaleelastischeDehnung MittlererElasticitäts-modulus Zug-festigkeit Bruch-dehnung Querschnitt-verminder.in Proc. desProbequer-schnittes Relatives Maſsder Zähig-keit Gleich-artig-keit K p at Δlp : l E at K z at (Δlb : l) 100 \frac{(f_o-f_b)}{f_o}\,100 DrProc. HrProc. Schweiſseisen (Neumaterial) Niet-eisen 1 1578,0 0,00090 1863000 3455,6 32,7 41,0 50,3 27,2 Kesselbleche 2 2029,0 0,00140 1509000 3835,0 12,0 19,7 30,2 11,0 3 1909,5 0,00103 2013000 3170,0   7,8 14,4 4 1789,6 0,00098 1982000 3167,6 25,5 5 1873,8 0,00049 2400000 3810,5 12,5 20,3 61 2425,5 0,00113 2176000 4248,9 26,0 59,9 41,3 25,0 72 2579,0 4057,5 4057,5 27,0 Schweiſseisen(Altmaterial) Kesselblech 1 2237,5 0,00140 1621000 2919,1 2 1119,3 0,00060 1865000 3000,0 Fluſseisen Thomas 1 2320,0 0,00104 2323000 4027,6 26,2 63,3 26,0 13,8 Martin 1 2427,8 0,00103 2460000 4337,1 23,9 48,8 31,2 16,5 2 3185,2 0,00139 2278000 4435,8 21,6 60,2 Bessemer 1 2861,3 0,00109 2634000 4625,7 23,7 54,9 Kupfer 1   608,3 0,00050 1285000 2242,0 45,5 60,6 36,8 26,7 1 In O. Springer's Gaspuddelofen erzeugt. 2 In französischen Werken erzeugt. Gutes Schweiſseisenblech läſst neben entsprechend entwickelter Elasticität und Festigkeit auch die Eigenschaft der Zähigkeit und Gleichartigkeit im befriedigenden Maſse nachweisen. Die Fluſseisensorten zeigen allerdings eine höher gelegene Elasticitäts- und Festigkeitsgrenze, hingegen eine ungewöhnlich groſs entwickelte Contractionsfähigkeit (proc. Querschnittsverminderung), welche aber nicht als Folge hoher Zähigkeit, sondern vielmehr als minder entwickelter Gleichartigkeit erkannt werden muſs. Die Frage der Zweckmäſsigkeit der Verwendung von Fluſseisenblechen für Dampfkessel ist noch nicht endgültig erledigt. Die Untersuchung der Dampfkessel-Nietungen, sowie die richtige Erkenntniſs ihrer Ergebnisse ist für den betriebssicheren und wirthschaftlichen Bau der Dampfkessel von gröſster Bedeutung, daher aufklärende Studien und Versuche auf diesem Gebiete sehr werthvoll erscheinen müssen. Engineering (1885) bringt einen Auszug aus den von Prof. B. W. Kennedy erledigten umfangreichen Arbeiten zur Klarstellung der Constructions- und Festigkeitsverhältnisse der verschiedenen Dampfkessel-Nietungen. Aus den Ergebnissen der von Kennedy durchgeführten Versuchsreihen mit Nietungen aus weichen nicht geglühten Stahlblechen mit gebohrten Nietlöchern und Stahlnieten ergeben sich folgende Schluſsfolgerungen: Das zwischen den Nietlöchern stehen bleibende Material hat eine entschieden höhere Festigkeit als das ungebohrte Kesselblech. Bezeichnet δ in mm die Blechstärke, tmm die Niettheilung und dmm den Durchmesser der Nietbohrung, so ergab sich für δ = 10mm und 20mm für t ≦ 1,9 d ein Festigkeits-Ueberschuſs bis 20 Proc. In anderen Fällen erreichte dieser Ueberschuſs für t = 2 d bis 15 Proc., für t = 3,6 d bis 10 Proc., bei t = 3,9 d bis 7 Proc. Die Erklärung für diese hochbeachtenswerthe Thatsache hat Kennedy durch Darstellung der Formänderungen von Quer-Parallelrissen ermöglicht, welche an den Probestäben mit und ohne Nietöffnung (d) ausgeführt waren. Die Versuchsergebnisse lassen erkennen, daſs die Gleichmäſsigkeit der Uebertragung der Zugkraft auf den Probequerschnitt eines Flachstabes (Lamelle) mit der Breite desselben entschieden abnimmt. Die Scherfestigkeit Ksat ist bei doppelter Abscherung ebenso groſs, wie bei einfacher Abscherung. Die einfachen Nietungen weisen den Nachtheil auf, daſs das für den Nietbolzen sich ergebende Biegungsmoment mit der die Nietverbindung in Anspruch nehmenden Zugkraft eine zusammengesetzte Inanspruchnahme für den Nietbolzen ergibt, in Folge welcher ein geringerer Widerstand ksat eintritt. Die Gröſse der Nietköpfe und Enden der Nietbolzen ist für die Festigkeit der Nietverbindung, und besonders für die einfache Nietung von groſsem Einflusse. Kräftigere Nietköpfe und Nietenden erhöhten den Wirkungsgrad der Nietung um etwa 10 Proc. Der gröſste specifische Auflagedruck pat des Nietbolzens gegen die Nietlochleibung ist eine maſsgebende Gröſse. Für pmaxat ≦ 6200 ergibt sich kein wesentlicher Einfluſs auf die Festigkeit der Nietbolzen. Für pmaxat = 7750 bis 8500 wurden die Nietbolzen schon bei Ksat = 2500 bis 2800 abgeschert. Bei normalen Nietungen von gleicher Festigkeit für Niet und Blech soll sein pmaxat ≦ 6500. Die kleinste Entfernung von Nietblech bis Blechrand kann in allen Fällen sein = dmm. Für die doppelte Ueberlappungs-Nietung mit der Haupttheilung t und der Nietöffnung d soll die diagonale Niettheilung sein: t_d=2/3\,\times\,t+\frac{d}{3} Sämmtliche Probenietungen öffneten sich bei einer bedeutend geringeren Zuginanspruchnahme als jene war, welche den Bruch herbeiführte. Das Oeffnen der Nietfuge tritt bei einer gewissen Nietbelastung ein, der Zeitpunkt dieser Eröffnung hängt von der Zahl und Gröſse der angeordneten Nietlöcher ab. Annähernd läſst sich diese specifische Nietbelastung P in Kilo ausdrücken durch folgende Werthe: d = 20mm einfache Hand-Nietung P = 2500k = 20mm doppelte = 3000–3500k = 20mm Maschinen-Nietung = 7000k = 25mm einfache Hand-Nietung = 3200k = 25mm doppelte = 4300k = 25mm Maschinen-Nietung = 8000–10000k. Die Werthe von Pk lassen den entschiedenen Vortheil der Maschinen-Nietung gegen die Handnietung erkennen, welcher im Wesentlichen in der Vergröſserung jener Nietbelastung gelegen ist, für welche das Oeffnen der Nietfugen eintritt. Die Dimensionirung von einfachen Nietverbindungen als Ueberlappungs-Nietungen gleicher Festigkeit kann auf Grundlage der Versuchsergebnisse, wie folgt, durchgeführt werden: Bezeichnet, wie früher, t die Niettheilung, d die Nietlochweite, δ die Blechstärke, wird diese mit 10mm angenommen, ferner der specifische Auflagedruck für die Nietlochleibung pmaxat = 6500, die Festigkeit des Materialsteges in den Blechen zwischen den Nietlöchern kz' = 1,1 kz angenommen, wobei kzat die Zugfestigkeit des ungebohrten Bleches bezeichnet, so ergeben sich nach den durchgeführten Versuchen für kzat = 4340 und 4650, ferner für ksat = 3400 und 3720 folgende Verhältniſswerthe für t, d und δ und für die maſsgebenden Querschnitte der Nietung: k z at k s at d : δ t : d (t-d)\,\delta\,:\,d^2\,\frac{\pi}{4} 4650 3400 2,48 2,30 0,667 4340 3400 2,48 2,40 0,785 4650 3720 2,28 2,27 0,713 4340 3720 2,28 2,36 0,690. Es soll also für δ = 10mm das Verhältniſs d : δ durchschnittlich 2,3, das mittlere Verhältniſs t : d = 2,4, endlich der mittlere Verhältniſswerth (t-d)\,\delta\,:\,d^2\,\frac{\pi}{4}=0,71 erreichen, wobei die mittlere Nietlochweite d = 23mm beträgt. Wird d < 23mm für δ = 10mm, so werden die günstigen Festigkeitsverhältnisse der einfachen Nietung geändert. Für beliebige Werthe von d soll die Niettheilung für die früheren Werthe von kz und ks durchschnittlich bestimmt werden nach: t=0,56\,\left(\frac{d^2}{\delta}\right)+d Für doppelte Ueberlappungs-Nietungen ergeben sich folgende Regeln: k z at k s at t 4650 3720 4340 3400 1,16\,\left(\frac{d^2}{\delta}\right)+d 4650 3400 1,06\,\left(\frac{d^2}{\delta}\right)+d 4340 3720 1,24\,\left(\frac{d^2}{\delta}\right)+d Für doppelte Laschen-Nietungen aus denselben Materialien bei einer Scherfestigkeit von ksat = 2500 bis 2800, für den specifischen Auflagedruck pat = 6975 bis 7750, findet sich durchschnittlich am vortheilhaftesten d : δ = 1,8 und t : d = 4,1 für δ = 10mm. (Fortsetzung folgt.)