Titel: | Ueber neuere Kriegsschiffbauten. |
Fundstelle: | Band 276, Jahrgang 1890, S. 514 |
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Ueber neuere Kriegsschiffbauten.
Ueber neuere Kriegsschiffbauten.
In der Sitzung des Polytechnischen Vereines zu Petersburg vom 26. October 1889 hielt
Herr Ingenieur R. Ziese einen bemerkenswerthen Vortrag,
aus dem wir das Wesentliche nach dem freundlichst eingesandten Sonderabzuge
nachstehend wiedergeben.
Geschütz, Torpedo und Ramme sind bekanntlich die drei Waffen der neueren
Seekriegsführung, jede derselben in ihrer Art beeinfluſst den Bau der Kriegsschiffe.
Bis jetzt wurde noch fast allgemein das schwere Geschütz als die wichtigste
hervorragendste Waffe angesehen, und auf dieser Meinung beruht der Bau der groſsen
Panzerschiffe. In neuester Zeit jedoch beginnt man hie und da Zweifel zu hegen, ob
man nach dieser Richtung nicht zu weit gegangen, ob es gestattet ist, die bei
Schieſsversuchen auf dem Lande erzielten Resultate so ohne Weiteres auf die
Verhältnisse des Seekampfes zu übertragen, und dieser Vortrag bezweckt zunächst,
etwas näher darzulegen, in wie weit diese Zweifel gerechtfertigt sein mögen, und,
wenn wir Grund für die Richtigkeit derselben finden, weiter auszuführen, in welcher Weise diese
Feststellung die Bauten der Kriegsmarine beeinflussen würde.
Der Ruhm, das Vorbild der kolossalen Panzerschiffe von 10 bis 15000t Deplacement, bewaffnet mit 100t-Kanonen, geschaffen zu haben, gebührt dem Chef
der Italienischen Marine, dem Ingenieur und Marineminister Brin. Die dort ausgeführten Bauten veranlaſsten, daſs gegenwärtig alle
anderen gröſseren Seemächte diesem Beispiele folgen. In England, Frankreich und
Ruſsland befinden sich eine Anzahl ähnlicher Kolosse im Bau, und auch in Deutschland
ist neuerdings der Beginn mit 4, wenn auch etwas kleineren Schiffen gemacht
worden.
Ist es nach dem Vorbilde Italiens für alle anderen Seemächte durchaus nöthig, sich
auch solche Kolosse anzuschaffen, oder haben vielleicht in Italien ganz besondere
Verhältnisse eingewirkt, welche bei anderen Staaten weder in Hinsicht auf die
geographische Lage, noch auf politische Handelsinteressen in demselben Maſse
Einfluſs besitzen? Wir wollen zu dieser Frage zurückkehren, nachdem wir die
nächstliegende Frage „die voraussichtlichen Resultate der Geschützwirkung zur
See“, näher erörtert haben, weil sich gerade aus diesen Untersuchungen eine
Antwort fast von selbst ergeben wird.
Die Hauptursachen der Unsicherheit des Schieſsens auf der See sind folgende: 1) Die
schnelle Bewegung des Zieles in wagerechter Richtung, 2) schneller Wechsel der
Entfernung des Zieles, d.h. Veränderung der senkrechten Zielhöhe, 3) Schlingern und
Rollen des Schiffes, überhaupt schnelle Aenderung der Neigung des Schiffes und
Geschützes.
Die Bewegung des Zieles in wagerechter Richtung hat auf die Treffsicherheit nur
geringen Einfluſs. Die Geschwindigkeit des Geschosses im Vergleich zur Bewegung,
selbst des schnellsten Schiffes, ist so groſs, daſs letztere fast stets
vernachlässigt werden kann; mit dem Geschoſs läſst sich leicht der Bewegung des
Zieles folgen. Im Allgemeinen kann man nach zahlreichen Versuchen folgern, daſs die
ruhige wagerechte Bewegung des Zieles keinen bedeutenden Einfluſs auf die
Treffsicherheit ausübt.
Bei dem schnellen Wechsel der Entfernung des Zieles jedoch kommt besonders der
Zeitverlust in Betracht, welcher vergeht zwischen dem Messen der Distanz und der
Abgabe des Schusses, d.h. dem Augenblicke, in welchem das Geschoſs den Lauf
verlassen hat.
Wird die Entfernung auch auf die schnellste Art und Weise mit einem Instrumente, oder
nur mit dem Auge und, wie wir voraussetzen wollen, genau richtig gemessen, so
vergeht dennoch eine gewisse Zeit bis zum Abfeuern des Schusses. Die Entfernung wird
zur Batterie gemeldet, die Visirhöhe muſs bestimmt und eingestellt, das Geschütz
gerichtet und der Schuſs abgefeuert werden. Nach Versuchen mit dem allerbest
eingeschulten Personal verging unter den günstigsten Verhältnissen für die
angeführten Operationen, ohne Abfeuerung des Schusses, bei nicht sehr schwerem
Geschütz, mindestens eine Minute Zeit. Nähern sich daher 2 Schiffe einander nur mit
der sehr geringen Geschwindigkeit von je 5, d. s. zusammen 10 Knoten, so beträgt
doch die Veränderung der Distanz zwischen denselben in der Minute 10/60 Knoten, d.
i. rund 300m, und hieraus folgt, daſs, selbst wenn
die Schätzung der Entfernung genau gemacht ist, und die Einstellung und Richtung des
Geschützes auf das allerschnellste erfolgt, dennoch das Geschoſs etwa 300m über das Ziel hinausfliegen müſste.
Legt man den Schieſsversuchen, welche auf dem Lande bei verschiedenen Entfernungen
gegen eine Scheibe von 20 Fuſs Höhe und 150 Fuſs Länge mit 28cm Geschützen erzielt wurden, einen Fehler in der
Distanzschätzung von 300m zu Grunde, so erhält man
folgenden
Procentsatz der Treffer:
Bei e. Fehlervon 300m
Bei
1200m
Entfernung
Resultat
des
Schieſsversuches
100
Proc.
Treffer
51
Proc.
„
1400m
„
„
„
„
100
„
„
47
„
„
1600m
„
„
„
„
99,4
„
„
42
„
„
1800m
„
„
„
„
97,5
„
„
35
„
„
2000m
„
„
„
„
94,3
„
„
31
„
„
2200m
„
„
„
„
88
„
„
27
„
„
2400m
„
„
„
„
82,3
„
„
22
„
An Schiffsbord würde dieser Procentsatz des Treffens wahrscheinlich nicht zu
erreichen sein, da dort niemals die Sorgfalt aufgewandt werden kann, wie auf dem
Schieſsplatze, auch die Gewichte der Ladung und Geschosse mehr differiren.
Direkte diesbezügliche Versuche auf der See bei ruhigem, stillem Wetter ausgeführt,
ergaben folgende Resultate. Eine Scheibe, 18 Fuſs hoch, 30 Fuſs lang, festliegend,
wird von 4 Schiffen bei 6 und 8 Knoten Fahrt auf 1400 bis 1800m Entfernung beschossen. Es trafen
von
10
Schüssen
1,
gleich
10
Proc.
„
17
„
1,
„
6
„
„
19
„
2,
„
15
„
„
22
„
1,
„
4
„
Auf einen günstigeren Procentsatz der Treffer im wirklichen Kampfe zu rechnen, ist
kaum zulässig; auſserdem muſs man bedenken, daſs die oben angegebene Zeit von einer
Minute für die Operation des Zielens, Richtens u.s.w. nur unter den allergünstigsten
Bedingungen, mit dem besten Personal auf dem Schieſsstande erzielt wurde. Die
Zeitverluste stellen sich in Wirklichkeit für verschiedene Geschütze bedeutend
gröſser, nach Versuchen ungefähr folgendermaſsen:
Kaliber:
30cm,
28cm,
23cm,
20cm,
15cm
Zeitverlust für Richten,
Zielen u.s.w. Minuten:
7½
6½
4¾
3¾
2¾.
Wie ersichtlich, sind diese Zeitverluste ganz bedeutend gröſser, und die
Treffsicherheit wird daher noch viel geringer, als in der obigen Tabelle angegeben.
Man muſs hierbei bedenken, daſs der Commandant, wenn er einmal die Distanz in die
Batterie gegeben, keine Macht mehr hat, diesen Fehler zu corrigiren; würde er es im nächsten
Augenblick ändern, so würde ja die Mannschaft nur mit Richten des Geschützes und
Zielen beschäftigt sein und gar nicht zum Abfeuern kommen. Am Besten würde es
jedenfalls sein, die Geschütze von vorne herein auf eine bestimmte Distanz
einzustellen, und bei Erreichung derselben Salvenfeuer abzugeben, jedoch könnte
dieses Verfahren nur für den ersten Beginn eines Kampfes ausgeführt werden.
Vielfach ist die Meinung verbreitet, daſs durch die Einführung der langen
weittragenden Geschütze mit sehr flacher Flugbahn der Geschosse die Sicherheit des
Treffens bedeutend vergröſsert worden sei, und daſs hierbei ein Fehler in der
Schätzung der Entfernung des Zieles von nicht so bedeutendem Einfluſs werden könne.
Diese Meinung ist jedoch irrig. Bei Annahme desselben Fehlers in der Distanz wie
früher, also 300m, ist die mittlere senkrechte
Abweichung, und damit die mittlere Treffsicherheit des weittragenden Geschützes, für
eine Scheibe von 20 Fuſs Höhe nicht viel weniger, als vorhin für das gewöhnliche
Geschütz angegeben. Dieses gilt aber nur für ein feststehendes Schiff, bei
schwankendem Fahrzeug ist die Wahrscheinlichkeit des Treffens für das lange Geschütz
sogar bedeutend geringer, wie später noch näher dargelegt werden soll.
Wie ersichtlich, beruht die Unsicherheit des Treffens auf der See nicht auf
mangelhafter Construction des Geschützes oder Fehlern in der Messung der Entfernung,
sondern eben in der Ausführung von unerläſslichen Zwischenverrichtungen, durch
welche eine Reihe persönlicher Fehler und nicht zu vermeidender Zeitverluste
herbeigeführt werden, deren Gröſse und Dauer gar nicht im Voraus bestimmt werden
kann, und welche in jedem einzelnen Falle auſserdem noch schwanken. Durch technische
Verbesserungen scheint es auſserdem kaum möglich, diesem Uebelstande abzuhelfen, da
jede Weiterung nur die Möglichkeit der persönlichen Fehler vermehrt.
Wenn nun schon das Treffen mit den schweren Geschützen bei ruhigem Wetter solche
Schwierigkeiten darbietet, wie sehr werden sich dieselben bei bewegter See
vergröſsern, wenn das Schiff auch nur wenig schwankt. Beim Rollen des Schiffes wirkt
erstens die Centrifugalkraft auf Abschleudern des Geschosses, deren Wirkung zwar
gegenüber der Kraft des Pulvergases ziemlich zu vernachlässigen ist, jedoch bleibt
sie immerhin eine Gröſse, welche die Treffsicherheit ungünstig beeinflussen kann.
Wichtiger ist der Umstand, daſs das Geschoſs einige Zeit braucht, um das
Geschützrohr zu durchlaufen, und zwar bei den jetzigen langen Geschützen und dem
langsam brennenden Pulver mehr, als bei den früheren kurzen Geschützen mit
schnellbrennender Ladung. Während dieser Zeit, d.h. vom Augenblicke des Abfeuerns
bis zum Verlassen des Laufes folgt das Geschoſs der Bewegung des Geschützrohres, und
die Richtung dieses letzteren ändert sich beim Schlingern des Schiffes, daher ist das Schieſsen in
bewegter See jetzt weit unsicherer als früher; im Kampfe bei einigermaſsen bewegter
See scheinen die neuern Geschütze entschieden im Nachtheil zu sein; ihre geringere
Treffsicherheit kann keineswegs durch ihre weitere Tragkraft ersetzt werden. Bei
Versuchen, welche auf nur 500m Entfernung, bei
vertrautem Schiff und vertrauter Scheibe von 12 × 12 Fuſs Fläche stattfanden, wobei
das Schiff Schwankungen von 3° nach jeder Seite machte, trafen aus verhältniſsmäſsig
leichtem Geschütz von 10 Schüssen 2. Dieselbe Scheibe in einer Entfernung von etwa
1000m langsam vorbeigezogen, wurde unter
denselben Verhältnissen der Schwankung beschossen; von 40 Schuſs traf keiner. Die
seitliche Richtung des Geschosses war dabei stets gut, nur die Höhe differirte. Ein
groſses Schiff wird verhältniſsmäſsig stets weniger schwanken, und daher eine
ruhigere Plattform für die Geschütze bilden als ein kleines Fahrzeug. Lange,
weittragende Geschütze auf einem kleinen Schiffe unterzubringen ist daher Unsinn,
bei bewegter See wird gewiſs kein Treffer damit erzielt werden. Die sogen. Zalinsky'sche Luftkanone auf dem amerikanischen Boot
Vulkan kann aus diesem Grunde auch nur als
verfehlter Versuch bezeichnet werden. Das Geschoſs braucht hier eine
unverhältniſsmäſsig lange Zeit, um den Lauf zu durcheilen, und dabei kann sich die
Richtung des Geschützes vollständig verändert haben. Höchstens für den Küstendienst
oder die Verteidigung der Häfen kann die Einrichtung einigen Werth haben.
Aus dem Obigen ergibt sich besonders die ungemeine Wichtigkeit der Anordnung einer
kräftigen, zahlreichen und schnellfeuernden Auxiliarbatterie auf den groſsen
Schiffen. Im Kampfe bei bewegter See wird diese wahrscheinlich mehr Nutzen leisten,
als die wenigen kolossalen Geschütze, welche nur selten feuern, und geringe Aussicht
auf Treffen haben.
(Schluſs folgt.)