Titel: Die Theerölseifenlösungen und das Lysol, ein neues Desinficiens; von C. Engler.
Fundstelle: Band 278, Jahrgang 1890, S. 78
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Die Theerölseifenlösungen und das Lysol, ein neues Desinficiens; von C. Engler. (Schluſs des Berichtes S. 26 d. Bd.) Die Theerölseifenlösungen und das Lysol, ein neues Desinficiens. Im Anschlusse an die vorstehende Arbeit von Engler lassen wir noch einen die Hauptpunkte berücksichtigenden Auszug aus der oben erwähnten Abhandlung von Schottelius (Vergleichende Untersuchungen über die desinficirende Wirkung einiger Theerproducte. Münchener Medicinische Wochenschrift, 1890 Nr. 20) folgen: Um zu prüfen, ob ein Unterschied bestehe bezüglich der des-inficirenden Kraft zwischen Lysol II und Lysol III, wurden folgende Versuche angestellt: Von einer alten in Bouillon gewachsenen Typhuscultur und von einer ebensolchen frisch gewachsenen wurden gleiche Theile vermischt und in ein sogen. Patenttropffläschchen gefüllt, davon wurden je zehn Tropfen in neun Pasteur'sche Culturkölbchen abgezählt, von denen jedes 10cc steriler Bouillon enthielt. Zu diesem Gemische alter und frisch vegetirender Typhusbacillen setzte ich sowohl von Lysol II als von Lysol III Lösungen von verschiedenen Concentrationsgraden zu und lieſs dieselben 20 Minuten lang einwirken. Die Menge der zugesetzten Desinfectionsflüssigkeit betrug jedesmal 5cc. Zur weiteren Beobachtung wurden nach Ablauf der 20 Minuten von jeder Probe vier Gelatineplatten gegossen, von denen die erste in 10cc Fleischinfusgelatine 1cc der mit dem Desinficiens versetzten Typhusbacillen-Bouillon enthielt, die zweite Platte wiederum 1cc der ersten, die dritte 0cc,5 der zweiten und die vierte 0cc,25 der dritten. Bei gleichmäſsiger Vertheilung der Typhusbacillen in der Bouillon und in der Nährgelatine, welche bei gründlicher mechanischer Mischung wohl zu erreichen ist, muſste sich daher die Zahl der auf der vierten Platte enthaltenen Keime zu der der ersten wie 1 : 8000 verhalten. In ganz gleicher Weise wurde auſser an Typhusbacillen die Wirkung des Lysols bezieh. der Unterschied der beiden übersandten Sorten an Cholerabacillen und an Milzbrandblut vom Rind geprüft, welches einem sehr acut verlaufenen Falle entstammte, aber auſser Milzbrandbacillen bereits einige Verunreinigungen enthielt. Von jeder Versuchsreihe wurde zur Controle der Anzahl keimfähiger Spaltpilze ein mit den desinficirten gleichzeitig beschicktes Bouillonkölbchen mittels des Platten Verfahrens auf die in 1cc enthaltene Spaltpilzmenge geprüft und zwar durch vier Platten zu je 10cc Nährgelatine, welche die oben angegebenen Verdünnungsabstufungen enthielten. Das Ergebniſs dieser Versuchsreihen liegt in folgenden Tabellen vor: Tabelle I. Typhus. Cultur: 10 Tropfen, Bouillon: 20cc, Desinficiens: 5cc. Zeit: 20 Minuten. Proc. 15cc ent-hielten vomDesinficiens Lysol II Lysol III Controle 1,0 0g,05 ganz frei ganz frei In je 10cc Nähr- 0,5   0g,025 sehr zahlreiche sehr zahlreiche     gelatine     kleine Colonien     kleine Colonien   0,25     0g,0125 zahllose Colonien zahllose Colonien 1cc : 1 : 0,5 : 0,25 0,1   0g,005      „            „      „            „ auf Platte IV 280 Co-    lonien, daher im    cc: etwa 2240000    Keime. Tabelle II. Cholera. Cultur: 10 Tropfen, Bouillon: 20cc, Desinficiens: 5cc. Zeit: 20 Minuten. Proc. 15cc ent-hielten vomDesinficiens Lysol II Lysol III Controle 1,0 0g,05 ganz frei ganz frei 1cc : 1 : 0,5 : 0,25 0,5   0g,025 zahllose Colonien zahllose Colonien   0,25     0g,0125 verflüssigt verflüssigt auf Platte IV etwa    500 daher im     cc:    Etwa 4000000. 0,1 0g,005        „         „ Tabelle III. Faules Milzbrandblut. Cultur: 10 Tropfen, Bouillon: 20cc, Desinficiens: 5cc. Zeit: 20 Minuten. Proc. 15cc ent-hielten vomDesinficiens Lysol II Lysol III Controle 1,0 0g,05 etwa 350 etwa 350 1cc : 1 : 0,5 : 0,25 0,5   0g,025 verflüssigt verflüssigt Auf Platte IV bereits    nach 24 Stunden    zahllose, nach 36    bis 48 Stunden    verflüssigt.   0,25     0g,0125        „         „ 0,1   0g,005        „         „ Aus diesen Tabellen geht hervor, daſs ein Unterschied in der desinficirenden Kraft der beiden Lysolarten nicht besteht. In je 100cc des mit 1procentiger Lösung versetzten Bakteriengemisches waren 0,333 u.s.w. Lysol enthalten; diese Menge genügte, um bei Typhus und bei Cholera in Zeit von 20 Minuten die in groſser Menge – im Cubikcentimeter 2 bis 4 Millionen – vorhandenen lebensfähigen Keime zu tödten, während in dem faulen Milzbrandblut Bakterien vorhanden gewesen sein müssen, welche der Einwirkung des Desinficiens in der angewandten Concentration widerstanden. Immerhin ist auch hier ein Erfolg des Lysols nicht zu verkennen, indem die Controlplatte IV nach 24 Stunden bereits zahllose Colonien enthielt, während die mit 1procentiger Lysollösung versetzten Platten nach mehreren Tagen nur zwischen 300 bis 400 Colonien zeigten. Die in den Tabellen mitgetheilten und einige andere vorläufig angestellte Versuche geben überdies annähernd einen Maſsstab für die Gröſse der desinficirenden Kraft des Lysols. Die anzustellende Untersuchung über die bakterientödtende Kraft des Lysols gegenüber anderen Desinficientien konnte daher von einigermaſsen bestimmten Gesichtspunkten aus geleitet werden. Die drei Factoren, welche überhaupt maſsgebend sind für die Bestimmung der Desinfectionskraft irgend eines Stoffes und deren Wechselwirkung bei einem Vergleich verschiedener Desinfectionsmittel unter einander in Rücksicht zu nehmen ist, bestehen: 1) in dem Concentrationsgrade bezieh. der Menge des betreffenden Desinficiens und in der Art seiner Vertheilung; 2) in der zeitlichen Einwirkung desselben; 3) in der Bakterienart und seiner Entwickelungsform, auf welche das Desinfectionsmittel einwirken soll. Was den ersten Punkt betrifft, so kann wohl als feststehend anerkannt werden, daſs eine „Lösung“ als feinste Art der Vertheilung die günstigsten Bedingungen bietet für die Einwirkung von Desinfectionsmitteln auf flüssige oder feste Materialien; die Bedingung erfüllt das Lysol, indem es sich in beliebigen Concentrationsgraden dauernd als klare Lösung erhält. Bezüglich der zeitlichen Einwirkung von Desinfectionsmitteln ist besonders von praktischer Bedeutung, einmal den Concentrationsgrad kennen zu lernen, welcher eine sofortige Vernichtung der lebensfähigen Spaltpilze und ihrer Dauerformen zur Folge hat und weiterhin die geringste Menge zu kennen, welche in einer praktischen Bedürfnissen entsprechenden Zeit eine Tödtung der Bakterien bewirkt. Als Zeit der Einwirkung des Des-inficienten auf die zu desinficirenden Flüssigkeiten wurde durchschnittlich ein Zeitabschnitt von 20 Minuten gewählt, da dieser Zeitraum dem praktischen Zwecke einer raschen Desinfection noch entsprechen kann und nachdem sich gezeigt hatte, daſs eine verhältniſsmäſsig sehr geringe Menge des neuen Desinfections-Stoffes genügt, um während dieser Zeit auch die Dauerformen der widerstandsfähigsten Spaltpilze zu vernichten. Nur mit Milzbrandbacillen und Milzbrandsporen wurde eine Ausnahme gemacht und dieselben einer eingehenden Prüfung auf ihr Verhalten gegenüber einer verschieden langen Dauer der Einwirkung des Lysols und der diesem nahestehenden Desinficientien unterzogen; zumeist deshalb, weil in den Arbeiten über die Wirkung von Desinfectionsmitteln gewöhnlich gerade die Milzbrandbacillen und -Sporen zum Ausgangspunkte der Untersuchungen genommen werden. Vergleichende Tabelle über die Grenzwerthe für sofort erfolgende Tödtung von Spaltpilzen. Tabelle IV. I. Staphylococcus pyog. aureus. Cultur: 10 Tropfen, Bouillon: 20cc, Desinficiens: 5cc. Proc. Das Materialenthielt vombetr. Des-inficiers in: Acid. carb. offic.Platten CreolinPlatten LysolPlatten Controle1cc : 1 : ½ : ¼ 25cc 100cc 1 2 3 4 1 2 3 4 1 2 3 4   1,0   0g,05 0g,2 Wie auf der Controle Wie auf Controle zahlreiche wenige einzelne Auf Platte IV   1,5     0g,075 0g,3   „     „        „ etwa 850   5,0   0g,25 1g,0 unzählige sehr viel zahlreiche wenige Aureus nicht ge-wachsen, einigeVerunreinigung daher im cc:etwa 6880000 10,0 0g,5 2g,0 Neben dem Lysol und gleichzeitig mit demselben kamen die synthetische Carbolsäure, die officinelle Carbolsäure und Pearson's Kreolin zur Untersuchung, da es sich wesentlich um einen Vergleich der aus dem Steinkohlentheer gewonnenen Desinficientien handelte. Im Verlaufe der Versuchsreihen zeigte sich, daſs ein wesentlicher Unterschied in der desinficirenden Kraft der synthetischen und der officinellen Carbolsäure nicht besteht, weſswegen nur mehr Carbolsäure, Kreolin und Lysol in den Bereich der Versuche gezogen wurden. Die Ergebnisse der angestellten Versuche werden durch die nachfolgenden Tabellen in übersichtlicher Form wiedergegeben. Tabelle IV und V zeigt die anzuwendenden Mengen der Desinfectionsmittel, welche für die zu Grund gelegte Flüssigkeitsmasse (25cc) eine sofortige Vernichtung aller lebendigen Keime zur Folge haben: Tabelle V. Typhus. Cultur: 10 Tropfen; Bouillon: 20cc; Desinficiens: 5cc. Proc. Das Materialenthielt vombetr. Des-inficiers in: Acid. carb.offic.Platten KreolinPlatten LysolPlatten Controle1cc : 1 : ½ : ¼ 25cc 100cc 1 2 3 4 1 2 3 4 1 2 3 4   1,0   0g,05 0g,2 Wie auf derControle Wie auf derControle Wie auf derControle Auf Platte IVetwa 360   1,5     0g,075 0g,3 daher im cc:etwa 2880000   5,0   0g,25 1g,0 10,0 0g,5 2g,0 stark ge-wachsen Zu obiger Versuchsreihe wurde der Staphylococcus pyogenes aureus und Typhusbacillen gewählt, weil diese beiden Spaltpilzarten Repräsentanten einer leicht und einer schwer zu vernichtenden Bakterienart darstellen. Aus der weiter unten mitgetheilten Tabelle Nr. VI geht hervor, daſs die verschiedenen Spaltpilzarten mit ihren Dauerformen durchaus nicht gleichartig gegenüber den verarbeiteten Desinfectionsmitteln sich verhalten, sondern daſs einige sehr empfindlich, andere widerstandsfähiger gegen dieselben sind. Ein verhältniſsmäſsig leicht zu zerstörender Spaltpilz ist eben der Staphylococcus pyogenes aureus, während die Typhusbacillen – wohl in ihren Dauerformen – zu den am schwersten zu vernichtenden Spaltpilzen gehören. Dem entspricht auch ihr Verhalten bei dem Versuch sofortiger Tödtung, da der Staphylococcus pyogenes aureus schon bei Zusatz von 5cc einer 1,5procentigen Lysollösung vernichtet war, während die Typhusbacillen bei dieser Menge noch unbeeinfluſst wuchsen und erst durch eine 5procentige Lysollösung zerstört wurden. Dieselbe Wirkung trat für den Staphylococcus pyogenes aureus bei Kreolin erst in 5procentiger Lösung und bei Carbolsäure erst in 10procentiger Lösung ein. Weitere Versuche von Schottelius lehrten, daſs die Carbolsäure gar keinen Einfluſs auf das Wachsthum der Spaltpilze hatte, die Wirkung des Kreolin äuſserte sich mindestens in einer deutlichen Wachsthumshemmung, bei einigen Spaltpilzen sogar in einer Vernichtung aller entwickelungsfähigen Keime; bei dem Lysol blieb für alle zur Untersuchung herangezogenen Bakterienarten das Wachsthum völlig aus. Das Gesammtergebniſs seiner Unsersuchungen wird von Schottelius dahin zusammengefaſst, daſs wir in dem Lysol ein neues äuſserst wirksames Desinfectionsmittel besitzen, welches den bekannteren der aus den schweren Theerölen stammenden Desinficientien speciell der Carbolsäure und dem Kreolin an antimycotischer Kraft überlegen ist. Gegenüber dem Kreolin, dessen ungleichartige Zusammensetzung, trotz seines zweifellos vorzüglichen Desinfectionsvermögens, auch aus der Verschiedenheit der bakteriologischen Untersuchungsresultate hervorgeht, hat das Lysol überdies noch den Vorzug einer in beliebiger Concentration klar löslichen gleichartig zusammengesetzten Flüssigkeit. Bemerkungen zu vorstehendem Bericht von C. Engler. Nach Publikation der obigen Abhandlung hatte Herr Dr. Schenkel die Freundlichkeit, mich darauf aufmerksam zu machen, daſs H. HagerPharm. Centralhalle 1884, S. 290. schon im J. 1884 ein von der chemischen Fabrik Eisenbüttel zu Braunschweig fabricirtes in Wasser lösliches Sapocarbol beschrieben hat. Die betreffende Notiz ist in keine der übrigen mir bekannten Zeitschriften, auch nicht in die Jahresberichte übergegangen, was wohl darin seinen Grund hat, daſs in derselben nur von der Thatsache der Existenz einer durch Seifen löslich gemachten „reinen und rohen Carbolsäure“, nicht aber von der Herstellungsweise die Rede ist. In seinen eigenen Publikationen, in denen Dr. Schenkel das Sapocarbol besprichtChem. Zeitung 1887 S. 1127 u. 1229, 1888 S. 186., geschieht zufällig nur derjenigen Präparate Erwähnung, welche mit Wasser emulgiren und also identisch sind mit Creolin, so daſs ich annehmen muſste, es handle sich bei dem Sapocarbol nur um eine Lösung von Seife in Carbolsäure und nicht umgekehrt. Daſs mir demgegenüber bei einem durch Vermittlung einer hiesigen Apotheke bezogenen Sapocarbol die vollständige Wasserlöslichkeit dieses Präparates aufgefallen ist, geht aus vorstehender Abhandlung hervor; ich nahm jedoch an, daſs es sich, dabei um ein Präparat neuesten Datums handle. – Einige weitere Präparate, Welche mir Herr Dr. Schenkel unterdessen freundlichst zur Verfügung gestellt hat (Sapocarbol 00,0 und I ergaben bei der hierselbst durchgeführten Analyse zwischen 44 und 47 Proc. Phenole (ungereinigt), stimmen also im Wesentlichen mit dem Lysol überein. Ob ihre Herstellungsart dieselbe, ist mir nicht bekannt.