Titel: Die Feinmessung im Maschinenwesen und ihre Hilfsmittel.
Autor: Pregél
Fundstelle: Band 292, Jahrgang 1894, S. 1
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Die Feinmessung im Maschinenwesen und ihre Hilfsmittel. Von Prof. Pregél in Chemnitz. Mit Abbildungen. Die Feinmessung im Maschinenwesen und ihre Hilfsmittel. Messen bezeichnet die Feststellung der Grössenverhältnisse zwischen der Maasseinheit und der abzumessenden Grösse. Von den Chaldäern ist das älteste bekannte Maassystem auf die übrigen Völker des Alterthums übergegangen, ein System, welches das Gewicht eines Kubus Wasser, welches aus einem besonderen Gefäss in einer bestimmten Zeit abfloss, zur Grundlage hatte und das babylonische Talent hiess, während die Kantenlänge dieses Urgefässes als heilige Elle bezeichnet war. Wenn nun dieses auf Zeit, Masse, Raum und Streckenlänge gegründete chaldäische Maassystem, welches wahrscheinlich 1000 Jahre vor unserer Zeitrechnung Geltung hatte, sich auf geometrischen Grundlagen aufbaute, so bestimmte im J. 1101 unserer Zeitrechnung König Heinrich I. von England willkürlich die damals übliche Elle durch die Länge seines Armes bis zur Spitze des Mittelfingers als Yard. Uebrigens ist ein Versuch zur Peststellung der Fusslänge im Mittelalter bemerkenswerth. 16 Mann, gross und klein, sollen je einen Schuh stehen lassen, die Länge dieser Schuhreihe soll eine gerecht gemein Messruthe sein, damit man das Feld messen soll. Mit Ende des 17. Jahrhunderts beginnt eine Reihe von Vorschlägen zur Feststellung der Maasseinheit auf wissenschaftlicher Grundlage. Huygens bringt 1672 die Länge des Secundenpendels allgemein als Maasseinheit in Vorschlag, und während 1678 durch Richer's Pendelmessung die Abhängigkeit der Pendellänge vom Beobachtungsort nachgewiesen wird, empfiehlt 1749 Bouger die Länge des Secundenpendels für den 45. Breitegrad, Condamine dagegen jene für den Aequator als Maasseinheit. Allgemein wird der Astronom Mouton als der Begründer für die Herleitung des Maassystems aus der Grösse der Erde angesehen, und während später John Herschel (geb. 1792) den zehnmillionsten Theil der polaren Erdachse als Längeneinheit in Vorschlag gebracht hatte, wurde in Folge der auf Veranlassung der französischen Republik 1799 ausgeführten Gradmessungen das Meter als natürliches Grundmaass festgestellt. Entgegen der Ansicht der Nationalversammlung, welche die Pendellänge als Grundmaass vorschlug, wurde von der aus Borda, Lagrange, Laplace, Monge und Condorcet zusammengesetzten Commission der zehnmillionste Theil der Länge des Erdbogenviertels von Nordpol bis Aequator als Grundeinheit als 1 m = 443,295936 Pariser Linien bezieh. 1 m = 443,296 Pariser Linien bei + 13° C. bestimmt, während nach jetziger Berechnung das Meter 443,299 Pariser Linien lang sein müsste. In England entschied man sich 1790 für die Länge des Secundenpendels für die Breite, von London am Meeresspiegel bei 62° F. bezieh. 13,5° R. = 16,8° C. als Maasseinheit. Im J. 1824 wurde die Länge des Secundenpendels zu 39,1393 englische Zoll ermittelt, während die Maasseinheit das Imperial-Yard = 36 englische Zoll = 914,38344 mm enthält. Hiernach ist 1 Fuss englisch = 12 Zoll englisch = 304,79448 mm. Das Normal-Yard ist ein Metallstab aus Bailey's Rothgusslegirung (16 Kupfer, 2,5 Zinn und 1 Zink) von 38 Zoll englisch Länge und 1 Zoll Geviertquerschnitt, auf welchen im Endabstande von je 1 Zoll, also in 36 Zoll Entfernung je ein Loch von ⅜ Zoll Weite und ½ Zoll Tiefe gebohrt ist, welches in einem Loch von 1/10 Zoll Weite fortsetzt, das mit einem Goldpfropf gefüllt ist. Auf jede dieser beiden in der neutralen Faserschicht des Maasstabes liegenden Goldscheiben sind senkrecht zur Stabachse drei parallele Striche im Abstande von 0,01 Zoll geritzt, von denen der Mittelstrich das Yardmaass bei 62° F. bestimmt. Eine Nachbildung des 1855 durch Parlamentsacte bestimmten Standard yard ist in Washington vorhanden. Im J. 1875 stellte die Meterconferenz in Paris die Länge des Meters fest, wobei die aus einer Legirung aus Platin und Iridium (9 : 1) hergestellten Urmaasstäbe mit Strichmaassen versehen sind. Der alte von Lenoir aus Platin hergestellte Normal-Meterstab soll als Endflächenmaass bei 0° C. die richtige Länge haben. Nach diesem wurde 1863 für die preussische Regierung ein Urmaasstab aus Platin hergestellt, welcher 1,000003 m lang sein soll. Berühmt ist der von Bessel im J. 1837 aus Gusstahl gefertigte Urmaasstab, in dessen Endflächen zwei in Gold gefasste Saphire bei 16,5° C. das Endmaass von 3 Fuss weniger 0,00063 Linien rheinisches Maass bestimmen, also eine Endmaasslänge von 417,39 Pariser Linien besitzt, so dass 1 Fuss eine Länge von 139,13 Pariser Linien erhält. Fr. W. Bessel, der grösste Astronom der Neuzeit (geb. 1784 zu Preuss.-Minden, gest. am 14. März 1846), führte die preussische Gradmessung von Trunz bis Memel durch und bestimmte die Länge des Erdmeridianquadranten zu 10000855,755 m (statt 10000000 m). Durch diesen Nachweis hatte das Meter die Bedeutung als absolutes Naturmaass eingebüsst. Bessel hatte auch eingehende Untersuchungen über den Werth bezieh. die Beziehungen beider Maassmethoden, d.h. derjenigen mittels Strichmaasse und mittels Endflächen, angestellt. Die Verfahren der Längenmessung. Seit Newton's Zeiten (J. Newton geb. 1643) bis in die 30er Jahre dieses Jahrhunderts war ausschliesslich nur die Strichmessung üblich, deren Vollkommenheit mit der Ausbildung des Mikroskopes und der Mikrometerschraube Schritt hielt. Obwohl bei der Vergleichung eines Maasstabes mit dem Urmaasstäbe jede mechanische Berührung vermieden ist und die Maassvergleichung ausschliesslich durch Beobachtung mittels Mikroskop erfolgt, eine Verletzung der Urmaasstäbe daher ausgeschlossen erscheint, so ist doch diese Methode für die Zwecke des gewerblichen Lebens zu umständlich und mit zu vielen Fehlerquellen behaftet, um verwendbar zu sein, während sie wissenschaftlichen Zwecken vollständig entspricht. Dagegen ist das bereits von Bessel empfohlene Verfahren der Endflächenmessung, in welcher die Beobachtung sich hauptsächlich auf die Empfindung der Gefühlsnerven gründet, für die Arbeiten im Maschinenbau höchst bedeutungsvoll. Selbstverständlich wird bei der Strichmessung die Genauigkeit des Messens durch die Feinheit der Theillinie erhöht. Theilstriche von 0,03 mm Dicke können noch mit freiem Auge wahrgenommen werden. Auf Glasplatten werden auf die Breite von 1 mm 200 und mehr Theilstriche geritzt, so dass die einzelnen Striche einen Abstand von 0,005 mm oder 1/200 mm und weniger besitzen. Angeblich werden in neuerer Zeit Theilungen sogar bis 1/800 mm angewendet.A. Mallock, Engineering, 1890 Bd. 50 * S. 614. Um jede Verbiegung des Urmaasstabes zu verhindern, wird derselbe entweder auf einem Hebelsystem gelagert oder in einem mit Quecksilber gefüllten Trog schwimmend erhalten. Ueber die Hauptstriche des Urmaasstabes werden nun zwei auf einer zum Urstab parallelen Bahn verstellbare Mikroskope (Fig. 1) derart eingerichtet, dass jeder ihrer Fadenkreuzschnitte den Hauptstrich des Maasstabes trifft. Textabbildung Bd. 292, S. 2Fig. 1.Mikroskop zur Messung. Nach erfolgter Einstellung der Mikroskope wird der Urmaasstab entfernt und an dessen Stelle der Prüfstab eingelegt und so lange dessen Lage geregelt, bis ein oder beide Endstriche in die Schnittpunkte der beiden Fadenkreuze fällt. Weicht aber die Länge des Prüfstabes ab, so kann durch Verschiebung eines der beiden Gläser mittels einer Mikrometerschraube bis zur erfolgten Uebereinstimmung die Abweichung des Prüfstabes vom Urmaasstab nachgewiesen werden. Wie bereits erwähnt, haben die Urmaasstäbe ihre wahre Länge nur bei einer bestimmten Temperatur, obgleich bei der Maassvergleichung zweier Stäbe aus gleichem Material die Temperatur gleichgültig sein könnte, so ist doch mit Rücksicht auf die Verschiedenheit der Stabmaterialien auch die Normaltemperatur festgelegt worden. Weil bei diesem Messverfahren die Uebereinstimmung des Fadenkreuzes mit den Theilstrichen des Stabes von persönlichen Beobachtungsfehlern durchaus nicht frei ist, diese sogar bei geübten und gewissenhaften Beobachtern bis 0,0005 mm betragen können, so erkennt man daraus leicht, dass diese Messmethode für die Zwecke des Maschinenwesens nicht gut anwendbar sein kann. Ein Hauptgrund aber, welcher gegen dieses Messverfahren angeführt wird, ist die Kleinheit des Gesichtsfeldes an der Beobachtungsstelle. Zwar ist das zweite Verfahren der Endflächenmessung durchaus nicht fehlerfrei und unabhängig von persönlichen Einwirkungen, doch sind die Mittel zur Messung so überaus einfache, dass ihre Ueberlegenheit gegenüber dem Strichmaassverfahren für die Zwecke des gewerblichen Lebens ganz unzweifelhaft anerkannt ist. Nichts natürlicher, dass ein Mechaniker dieses Bedürfniss zuerst gefühlt und erkannt hatte. Dieses Messverfahren in höchster Vollendung auch durchgeführt zu haben, ist ein grosses Verdienst des Civilingenieurs Sir Joseph Whitworth (geb. am 21. December 1803 in Stockport, gest. am 20. Januar 1887). Nach dem staatlichen Urmaass (Yard) hatte im J. 1834 Whitworth den ersten Yardstab mit Endflächen hergestellt und die Unterabtheilungen desselben besorgt.Vgl. M. Schröter bezieh. Goodeye und Schelley, Die Messmaschine von Whitworth. Jena 1879. Die Mess- und Theilvorrichtungen. Weil das Theilen nur ein relatives Messen ist, so sind auch die Hilfsmittel für beide Verfahren dieselben, gleichgültig, ob nur gerade Strecken oder Kreisbögen zu messen oder zu theilen sind. Da aber das Theilen der Kreise auch das Messen der Winkel einschliesst und das Messen der Winkel die Grundlage für die Lösung aller Dreiecksaufgaben bildet, so war das Bestreben der Astronomen aller Zeiten dahin gerichtet, die Kreiseintheilungen in Bezug auf Genauigkeit und Kleinheit der Theilung möglichst weit zu führen. Weitergeführt wurde die Untertheilung von Maasstäben und Bogentheilungen mit Hilfe eines zweiten kleineren Nebenschiebers, Nonius oder Vernier (nach Nunez bezieh. Vernier, auch Peter Werner, geb. 1580) genannt, ohne unmittelbare Strichuntertheilung vorauszusetzen. Eine mittelbare Strichuntertheilung bei geraden Maasstäben gewährt der von Hommel im 16. Jahrhundert erfundene Transversal- oder Gittermaasstab. Mit Hilfe von Verhältnissdreiecken wurden dagegen gerade Strecken von beliebiger Länge von einem Grundmaasstab aus eingetheilt. (J. Ramsden 1775, Meyerstein 1833.) Je nach dem Messverfahren durch Beobachten oder durch Fühlen bezieh. Ablesen oder Greifen, Theilen oder Vervielfältigen richten sich die hierzu dienenden Hilfswerkzeuge. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts war das Abgreifen und Theilen mittels Stangenzirkel ausschliesslich üblich. Wegen der Schrägstellung seiner Fühlflächen bezieh. des ungleichen Eindringens seiner Spitzen ist der Schenkelzirkel ein ungleich unvollkommeneres Werkzeug. Längentheilmaschinen sind erdacht und gebaut worden von de Chaulnes (geb. 1714, gest. 1769)Karl Karmasch, Geschichte der Technologie. München 1872., Ramsden (1735 bis 1800), Donkin (1768–1855). G. A. Breithaupt in Kassel (geb. 1806, Sohn von Fr. W. Breithaupt, 1780–1855) baute 1850 eine grosse Längentheilmaschine, mit welcher eine Länge von 1 m ohne Unterbrechung in jedem beliebigen Verhältniss mit der Genauigkeit von 0,001 mm eingetheilt werden kann. Längentheilmaschinen ohne Schraubenspindelbewegung sind von Repsold (geb. 1804 zu Hamburg), Oertling (geb. 1803 zu Schwerin), Meyerheim (geb. 1808 zu Einbeck) und Göhl in Landau construirt worden. Uebrigens waren die beim Uebertragen der Grundmaasstheilungen verwendeten Schraubenspindeln zum Theil bloss Bewegungsmittel für das Reisserwerkzeug. Erst später, nachdem die Herstellung langer Schraubenspindeln mit grösserer Gleichheit der Gewindegänge gelungen war, konnten Schraubenspindeln auch als allgemeines Theilwerk in Verbindung mit versetzbaren Räderwerken zum Messen und Theilen herangezogen werden, wie dies Ehrlich in Dresden bereits vor 1844 gethan haben soll.K. Karmasch, Geschichte der Technologie, * S. 340. Auch hatte, aber vereinzelt, bereits Abr. Sharp (1651–1742) zur Anfertigung des Mauerquadranten in Greenwich ein gezahntes Bogenstück mit darin eingreifender Schraube in Anwendung gebracht, während Ramsden bei seiner Theilmaschine eine Schraube in einem mit 2160 Zähnen versehenen Vollkreis als Theilwerk wirken liess. Theilkreise mit 360 Zähnen und Schraube hat der Uhrmacher Hindley (gest. 1771) bei seinen Rädertheilmaschinen gebraucht. Bei der Kreistheilmaschine von de Chaulnes wurde die Umfangsschraube nur als Bewegungsmittel gebraucht. Einer der grössten Mechaniker aller Zeiten, Georg v. Reichenbach (geb. 1772 zu Durlach, gest. 1826 in München), führte die Kreistheilung mit einer annähernd gewählten Bogengrösse durch Wiederholung (mittels Luftstriche) bis zur erreichten Uebereinstimmung durch, worauf alsdann die wirkliche Strichtheilung aufgetragen wurde. Oertling's Kreistheilmaschine (1840–1843) arbeitet mittels Schneckentrieb selbsthätig mit motorischer Kraft ohne Einwirkung durch Menschenhand. (Fortsetzung folgt.)