Titel: | Regulirbare axiale Ueberdruckturbinen. |
Fundstelle: | Band 292, Jahrgang 1894, S. 108 |
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Regulirbare axiale
Ueberdruckturbinen.
Von E. Lieber in
Schwarza (Kreis Schleusingen).
Abdruck nur mit Genehmigung des Verfassers
gestattet.
Mit Abbildungen.
Regulirbare axiale Ueberdruckturbinen.
Den axialen Ueberdruckturbinen wird mit Recht überall da der Vorzug gegeben, wo es
sich um constante Aufschlagwassermengen handelt; denn es wird durch dieses
Turbinensystem die vorhandene Wasserkraft am vortheilhaftesten ausgenutzt. Die
Nutzleistung einer axialen Ueberdruckturbine beträgt unter der obigen Voraussetzung
constanter Beaufschlagung nicht unter 70 Proc. bei fehlerloser Construction 75 bis
80 Proc. Bei veränderlichem Aufschlagwasser konnte bis jetzt die mit so vielen
vortheilhaften Eigenschaften ausgestattete axiale Ueberdruckturbine keine Anwendung
finden, da man einen correct wirkenden Regulirapparat an ihr nicht anzubringen
wusste. In der Natur hat man es fast ohne Ausnahme mit veränderlichen Wasserkräften
zu thun, woraus es sich erklärt, dass die in Rede stehende Turbinenart so wenig
angewendet wurde und in Folge dessen seit Jahren in der Entwickelung zurückgeblieben
ist.
Die in Fig. 1 und 2 dargestellten
Regulireinrichtungen sollen der axialen Ueberdruckturbine die Anwendbarkeit auch bei
veränderlichem Aufschlagwasser sichern und sie somit für alle vorkommenden
Wasserverhältnisse brauchbar machen. Auf diese neue Regulirmethode, bei welcher die
Ventilation der nicht beaufschlagten Kanäle, sowie die Sicherung der Saugwirkung für
die beaufschlagten Kanäle eine grosse Rolle spielen, ist dem Verfasser das D. R. P.
Nr. 74093 vom 8. März 1893 ertheilt worden. Die Erfindung ist geeignet, den
Turbinenbau in neue Bahnen zu lenken, wie der Fachmann aus den folgenden
Erläuterungen ersehen wird.
Regulirbare axiale Ueberdruckturbine für niedere und mittlere
Gefälle.
In Fig. 1 ist eine
regulirbare axiale Reactionsturbine dargestellt für niedere und mittlere Gefälle. Die Anordnung
der neuen
Regulireinrichtung ist folgende: Auf die Einlaufseite des Leitrades L ist ein Cylinder C von
Holz oder Eisen aufgesetzt, welcher gewissermaassen die Fortsetzung des inneren
Leitradkranzes bildet und aus dem Oberwasser zu Tage tritt. Um diesen Cylinder C herum sind radial stehende Schützen S1 bis S5 angeordnet, welche
auf der einen Seite ihre Führung an dem äusseren Umfange des erwähnten Cylinders C erhalten und auf der anderen Seite an den Reservoir
wänden W geführt werden. Diese Schützen schliessen
ausser an den Seiten auch unten auf dem Boden des Reservoirs und auf der Oberkante
der entsprechenden Leitschaufeln dicht ab. Die in Fig. 1 dargestellte
Turbine besitzt fünf solcher Schützen und kann von ½ bis 1 ihres Umfanges regulirt
werden. Ferner schliesst sich an das Turbinenrad T
unten in der Richtung des austretenden Wassers ein eigenthümliches Saugrohr R an, welches in der Weise construirt ist, dass es
jeden einzelnen der Wasserstrahlen, welche die Kanäle des Leitrades passiren, nach
seinem Durchgange durch das Turbinenrad T in einen
besonderen Saugkanal aufnimmt. Es wird also gebildet aus einer gleichen Anzahl
Kanäle, wie das Leitrad L, unterscheidet sich von dem
Leitrade jedoch dadurch, dass diese Kanäle in der Richtung des aus dem Turbinenrade
T austretenden Wassers senkrecht nach unten führen
und unter dem Unterwasserspiegel ausmünden, also Saugkanäle sind.
Die Wirkungsweise des Wassers in der beschriebenen Turbine ist nun folgende:
Angenommen, das Aufschlagwasser hätte sich im Hochsommer oder im Herbst bei Frost
einmal um die Hälfte vermindert, so wird also Schützen S1 und S5 herniedergelassen. Das Aufschlagwasser hat alsdann
nur Zutritt zu der Hälfte der Leitradkanäle, das sind im vorliegenden Falle 12. Das
Wasser durchströmt diese 12 Leitradkanäle, kommt alsdann im Turbinenrad T zur Wirkung und findet auf seinem weiteren Wege ein
Saugrohr vor mit einem der Wasserverminderung entsprechenden Querschnitt, d.h. es
strömt in 12 mit den obigen 12 Leitradkanälen correspondirende Saugkanäle. Es kann
also das Wasser in ganz derselben Weise und mit ganz denselben
Geschwindigkeitsverhältnissen die Turbine durchströmen, als wenn die letztere voll
beaufschlagt wäre. Insbesondere wird bei dieser Methode der Regulirung nicht die
Gefällhöhe und mit ihr der Nutzeffect der Turbine künstlich vermindert, wie dies bei
der Drosselung des Wassers durch Perspectivschützen u.s.w. geschieht.
Aus der bezüglichen Zeichnung ist zu ersehen, dass bei partieller Beaufschlagung
der Turbine eine Anzahl Leitradkanäle wohl vom Wasserzufluss abgesperrt, nicht aber
durch Klappen u.s.w. verstopft werden, vielmehr an der Leitradoberkante mit der
atmosphärischen Luft communiciren. Dies hat zur Folge, dass das Wasser, welches bei
der früheren Methode des Verstopfens der Kanäle durch den Druck der Atmosphäre von
unten her in die Turbinenrad- und Leitradkanäle gedrückt wurde, nunmehr diese
Kanäle, sowie die damit in Verbindung stehenden Saugkanäle frei lässt. Das
Turbinenrad braucht also nicht mehr unnützer Weise eine todte Wassermenge mit
herumzunehmen.
Ferner wird der Wasserstrahl, welcher zuerst immer wieder einen um den anderen der
dem Wasserzufluss entzogen gewesenen Turbinenradkanäle füllt, diese Kanäle nicht mit
gepresstem Wasser, sondern mit Luft gefüllt vorfinden, also ohne Stoss in dieselben
eintreten können, um so mehr, da auch die Schaufelform des Turbinenrades T für den geringsten nöthigen Ueberdruck construirt
sein soll. Aus diesen Ausführungen erhellt, dass sich die Nutzleistung der
beschriebenen Turbine nicht wesentlich vermindern kann, wenn sich die letztere statt
mit voller nur mit partieller Beaufschlagung im Betriebe befindet.
Eine für die Praxis vortheilhafte Eigenschaft besitzt diese Turbinenconstruction
darin, dass sie ausserordentlich einfach ist und sich aus diesem Grunde sehr billig
herstellen lässt.
Textabbildung Bd. 292, S. 109
Regulirbare axiale Ueberdruckturbinen von Lieber.
Regulirbare axiale Ueberdruckturbinen für hohe Gefälle.
Fig. 2 zeigt eine
regulirbare axiale Ueberdruckturbine für hohe Gefälle.
Die Anordnung dieser Turbine ist im Wesentlichen dieselbe wie bei der vorher
beschriebenen Construction, es weichen nur die Constructionstheile, durch welche die
Luftzuführung zu den nicht beaufschlagten Leitradkanälen in diesen beiden Turbinen
bewirkt wird, von einander ab. Es soll daher in der folgenden Beschreibung auf die
Luftzuführung näher eingegangen werden.
Die Turbine kann ebenso wie die vorige für jede beliebige Wassermenge regulirt
werden. Im vorliegenden Falle ist ebenfalls angenommen, dass sich das
Aufschlagwasser höchstens um die Hälfte vermindert. Es sind nun zum Zwecke der
Regulirung und Luftzuführung vier Schützen angeordnet, von welchen S1 einen Leitradkanal,
S2 zwei Kanäle, S3 drei Kanäle und S4 vier Kanäle
gleichzeitig dem Wasserzufluss entziehen kann. Es ist somit eine Regulirung von
Kanal zu Kanal möglich.
Die Schützen sind nun wie folgt construirt: Ein langes gusseisernes Rohr r, welches mittels einer Stopfbüchse St wasserdicht durch die Decke des Reservoirs hindurch
geführt ist, trägt an seinem unteren Ende flanschartig eine Platte p, welche eine oder mehrere Kanalöffnungen deckt. An
seinem oberen Ende ist ein Rückschlagventil x
angebracht, ferner eine Zahnstange z und eine
Führungsleiste l. Das Rohr r jedes Schützen S wird in der Stopfbüchse
St geführt, die an der Stelle, wo das Getriebe g, welches den Schützen S
zu bewegen den Zweck hat, angebracht ist.
In Folgendem soll die Wirkungsweise des Wassers in der Turbine beschrieben werden;
gleichzeitig ist aus dieser Beschreibung die Handhabung und der Zweck der Schützen
S1 bis S4 zu erkennen: Das
Wasser tritt durch das gebogene Rohr A in das Reservoir
ein. Bei genügendem Wasserzufluss sind die vier erwähnten Schützen hochgestellt, so
dass das Wasser zu allen Leitradkanälen Zutritt hat. Durch den Wasserdruck im
Reservoir werden hierbei die Rückschlagventile xx
geschlossen. Verringert sich das Aufschlagwasser einmal um die Hälfte, so werden die
vier Schützen S1 bis
S4 mittels der
Getriebe gg abwärts bewegt, so lange bis die
flanschartig an den Rohren angeordneten Platten pp die
entsprechenden Kanäle decken. In dem Augenblick, wo dies geschieht, werden die
Rückschlagventile xx durch den Druck der Atmosphäre
geöffnet werden, und die Luft tritt durch die Rohre rr
in die dem Wasserzufluss entzogenen Leitrad-, Turbinenrad- und Saugkanäle ein und
verdrängt aus diesen Kanälen das Wasser. Im Uebrigen ist die Wirkungsweise des
Wassers ganz dieselbe wie in Fig. 1. – Auch die Anordnung dieser Turbine ist sehr einfach und es sind
im Interesse einer guten Lagerung alle nicht beweglichen Theile zu einem starren
System vereinigt.
Regulirbare Ueberdruckverbundturbinen.
Mit Hilfe der neuen Regulireinrichtung lassen sich, mit grossem Vortheil auch
Ueberdruckverbundturbinen für alle vorkommenden Wasserverhältnisse construiren, die
nach der Mittheilung des Erfinders in der Praxis noch gar nicht versucht worden
sind. Eine solche Verbundturbine wird wie folgt gebildet: Zwei axiale
Ueberdruckturbinen, von welchen die eine das Leitrad über dem Turbinenrad, die
andere das Leitrad unter demselben trägt, werden dadurch zu einer Verbundturbine
gemacht; dass man die beiden Turbinenräder zu einem Turbinenrade vereinigt. Man
erhält auf diese Weise eine Turbine, welche über und unter dem doppelten
Turbinenrade ein Leitrad besitzt, und man braucht, um die der neuen Construction
unentbehrlichen Saugkanäle zu erhalten, nur das untere Leitrad mit seinen senkrecht
auslaufenden Leitschaufeln bis unter den Unter Wasserspiegel zu verlängern. Die
Regulirschützen werden in ganz derselben Weise angebracht, wie es in den beiden
vorher beschriebenen Turbinen geschehen ist. Diese Verbundturbine hat ihre
Berechtigung bei allen Gefällen von etwa 2 m an aufwärts. Jede einzelne der beiden
vereinigten Turbinen ist für die halbe Gefällhöhe zu construiren, und da eine
Turbine bekanntlich eine um so höhere Nutzleistung ergibt, je kleiner das Gefälle
ist, so ist also das Halbiren des Gefälles für die Nutzleistung der Turbine nur
vortheilhaft. Mit diesen Verbundturbinen kann man jedes beliebig hohe Gefälle mit
Vortheil ausnutzen, so lange man überhaupt noch im Stande ist, haltbare Zuflussrohre
herzustellen.
Zur Ausnutzung eines sehr hohen Gefälles liessen sich auch zwei Verbundturbinen
noch einmal in analoger Weise wie vorher vereinigen, so dass man eine vierfache
Turbine erhielte.
Bei allen den hier beschriebenen Turbinen lässt sich der Spurzapfen der Turbinen
welle in freier Luft anordnen, was einen grossen Vortheil darstellt. Auch ist man im
Stande, Leitrad, Saugrohr und Spurlager starr mit einander zu verbinden, wodurch der
Turbinen welle eine gute centrische Lage gesichert ist.
Die Berechnung aller dieser Turbinen, auch die der Verbundturbinen, lässt sich am
vortheilhaftesten nach H. v. Reiche's „Gesetzen des
Turbinenbaues“ ausführen.