Titel: Brettmann's Geschwindigkeitsuhr für Locomotiven.
Fundstelle: Band 299, Jahrgang 1896, S. 278
Download: XML
Brettmann's Geschwindigkeitsuhr für Locomotiven. Mit Abbildungen. Brettmann's Geschwindigkeitsuhr für Locomotiven. Eine vom königlichen Eisenbahndirector Brettmann in Jena angegebene Locomotivgeschwindigkeitsuhr (vgl. Centralblatt der Bauverwaltung vom 7. September 1895, S. 291), welche sich durch grosse Einfachheit und eine höchst solide Anordnung und Ausführung auszeichnet, also auch einen sicheren, leicht zu unterhaltenden und reinlichen Betrieb gewährleistet, hat zweierlei Zwecken zu dienen. Erstens soll die am Führerstande der Locomotive anzubringende Vorrichtung mittels eines von 0 bis 100000 zeigenden, mit einer Rückstellung auf 0 versehenen Zählwerks fortlaufend ersichtlich machen, wie viel Kilometer die Locomotive von einem bestimmten Zeitpunkt an zurückgelegt hat, wobei sich die etwaigen Rückwärtsfahrten der Locomotive in demselben Sinne ausweisen, wie die Vorwärtsfahrten. Zweitens soll der gedachte Apparat dem Locomotivführer zu jeder Zeit die Möglichkeit bieten, die Geschwindigkeit seines Zuges während der Fahrt rasch und genau festzustellen. Diesem doppelten Zwecke gemäss besteht die Geschwindigkeitsuhr, deren Aeusseres die Fig. 1 und 2 in der Vorder- und Seitenansicht darstellen, aus zwei Haupttheilen, nämlich aus dem Zählwerke sammt der zugehörigen, von einer Locomotivachse ausgehenden Antriebvorrichtung (Fig. 3) und einer gewöhnlichen, aber besonders genau gearbeiteten Uhr U (Fig. 4), die einen vor dem Zifferblatte B (Fig. 1 und 4) laufenden Zeiger Z alle Minuten einmal herumdreht. Die von unten kommende, mit Hilfe irgend einer passenden Uebertragung von einer Locomotivachse bewegte Antriebwelle X1 ist durch drei in dem Gehäuse P (Fig. 3) gelagerte Kegelräder K1K2K3 mit der Welle X2 verbunden, welche mittels eines Schneckentriebes T das gezahnte Kilometerrad R in Umdrehungen versetzt. Die Uebersetzungsverhältnisse werden von vornherein so gewählt, dass jedem zurückgelegten Kilometer Weg des Zuges eine einmalige volle Umdrehung des Rades R entspricht. Jene Umdrehungen der Welle X1, welche die durch den Pfeil a angedeutete, der normalen Fahrbewegung der Locomotive entsprechende Richtung haben, erzeugen durch Vermittelung von K1K2K3 ersichtlichermaassen eine Drehung der Spindel X2 in der gleichfalls durch einen Pfeil gekennzeichneten Richtung b, welche jedoch der Richtung a entgegengesetzt ist. Vermöge der gewählten Anordnung des Schneckentriebes T, welches das Zahnrad R antreibt, dreht sich die letztere bei dem soeben in Betracht gezogenen Vorgange von links nach rechts, wie der Zeiger einer Uhr. Ein auf der hohlen Drehachse von R sitzendes Excenter E überträgt die Scheibenumdrehungen durch den gabelförmigen Hebel G und das daran angebrachte zweizähnige Ankerwerk auf ein in gewöhnlicher Weise angeordnetes Zählwerk C, dessen Zifferblätter für Einer, Zehner, Hunderter, Tausender und Zehntausender hinter einer starken Glastafel sichtbar sind. Letztere kann nur aufgeklappt werden, wenn der Zählapparat abgenommen ist, d.h. eine Rückstellung des Zählwerkes auf 0 kann nur durch jenen Aufsichtsbeamten geschehen, der die Befugniss besitzt, den Plombenverschluss V (Fig. 2 und 4) zu lösen. Textabbildung Bd. 299, S. 279 Brettmann's Geschwindigkeitsuhr. Damit sich bei der obgedachten Drehung der Welle X1 das Lagergestell P nicht mitbewegen könne, sitzt auf demselben, nämlich an dem eine Hohlachse bildenden kurzen Fussstücke des Gestelles ein Sperrad S1 fest, in welches der federnde Sperrkegel r1 eingreift, dessen Drehachse an der Bodenplatte des Hauptgehäuses N (Fig. 1 und 3) angebracht ist, und welcher also, zwischen zwei Zähnen von S1 liegend, jede Bewegung von P in der Richtung a verwehrt. Ein zweites Sperrad S2 ist auf der Nabe des Kegelrades K1 angegossen, die durch den Boden des Lagergestelles P und das Sperrad S1 abwärts reicht und auf dem als Vierkant ausgeführten Ende von X1 steckt; gegen die Zähne von S2, welche die entgegengesetzte Lage von den Zähnen des Rades S1 haben, lehnt sich der federnde Sperrkegel r2, dessen Drehbolzen an der Fussplatte des Lagergestelles P angebracht ist. So lange als X1 die Umdrehungsrichtung a besitzt, wird r2 lediglich über die Zahnrücken des sich mit X1 und K1 mitbewegenden Rades S2 hinschleifen; wenn jedoch die Locomotive nach rückwärts fährt, und also X1 in der Richtung b gedreht wird, dann legt sich r2 in S2 und zwingt das ganze Gestell P sammt der Welle X2 die Bewegung von X1 gleichsinnig mitzumachen, was natürlich durch das Sperrad S1 in keiner Weise behindert wird, weil bei dieser Drehrichtung (Pfeil b) die Zähne von S1 den Sperrkegel einfach zur Seite rücken. Durch diese bekannte, hier sehr zweckdienlich unmittelbar mit dem eigentlichen Zähl- und Zeichenapparat verbundene Umsteuerungsvorrichtung wird sonach erreicht, dass die Einwirkungen der rückwärts fahrenden Locomotive auf das Kilometerrad R (Fig. 1 und 3), sowie auf das ganze Zählwerk genau dieselben bleiben, wie bei der normalen Fahrtrichtung. Auf der hohlen Achse des Kilometerrades, welche durch das Zifferblatt B (Fig. 4) hindurchreicht, sitzt ein Zeiger W (Fig. 1 und 4) und im Hohlraume der Radachse bewegt sich die vorne entsprechend weit vorstehende, den Zeiger Z tragende Minutenwelle m des Uhrwerkes U. Beide Zeiger, von welchen Z wesentlich länger ist als W, bewegen sich vor dem Zifferblatte in gleicher Richtung, und zwar läuft, wie bereits erwähnt, der Wegzeiger W einmal herum, wenn die Locomotive 1 km Weg zurückgelegt hat, während der Zeitzeiger Z alle Minuten, also innerhalb 60 Secunden je eine Umdrehung vollendet. Es sind daher auf dem Zifferblatte B zwei Theilkreise verzeichnet, von welchen der engere, für den kurzen Wegzeiger bestimmte, in 10 bezieh. 20 gleiche Abschnitte getheilt ist, die je einer von der Locomotive zurückgelegten Weglänge von 100 bezieh. von 50 m entsprechen. Der äussere, zum Zeitzeiger gehörige Theilkreis hat ungleiche Abschnitte, welche den Geschwindigkeiten in der Stunde, nämlich den Stundenkilometern, bezogen auf eine bestimmte Reductionslänge, entsprechen, und demgemäss überschrieben sind. Als Reductionslänge (Beobachtungsweg), welche für die im äusseren Theilkreise des Zifferblattes dargestellten Stundenkilometer zu Grunde gelegt wird, ist in der Regel eine Fahrstrecke von 200 m, für langsam fahrende Züge allenfalls auch eine solche von 100 m angenommen. Aehnlich wie bei den von der Westinghouse-Company eingeführten, zur Bestimmung der Zugsgeschwindigkeiten dienenden Taschenchronometern kann der Zeitzeiger auch an der Brettmann'schen Geschwindigkeitsuhr ganz nach Erforderniss auf 0 eingestellt und beliebig angehalten oder wieder laufen gelassen werden, und der Locomotivführer ist auf diese Weise in Stand gesetzt, nach Belieben die Zugsgeschwindigkeit festzustellen, indem er den Zeitzeiger auf 0 – den höchsten Punkt im äusseren Theilkreise – einstellt und ihn wieder loslässt, bis der Wegzeiger auf einen Theilstrich des engeren Theilkreises gelangt, sodann den Zeitzeiger neuerlich anhält, sobald der Wegzeiger zwei Zehntel Umdrehung, d. s. 200 m zurückgelegten Weges, anzeigt. Die Geschwindigkeit, welche an jener oder zunächst jener Stelle des äusseren Theilkreises angeschrieben steht, an welcher der Zeitzeiger beim obigen Vorgehen angehalten wurde, gibt die Fahrgeschwindigkeit in der Stunde an, und der Locomotivführer kann sie also direct ablesen. Textabbildung Bd. 299, S. 279 Brettmann's Geschwindigkeitsuhr. Die Theilung für den Zeitzeiger wird durch Berechnung der Bogenstücke in bekannter Weise gewonnen, nämlich durch die Formel t=\frac{720}{x}, wobei t die Secunden bedeutet, welche ein Zug braucht, um mit einer Geschwindigkeit von x Kilometer in der Stunde eine Strecke von 200 m zurückzulegen. Danach werden beispielsweise den Fahrgeschwindigkeiten von 90, 80, 70, 60, 50, 40, 30, 20... km am Theilungskreise des Zeitzeigers 8,00, 9,00, 10,28, 12,00, 14,4, 18,00, 24,00, 26,00... Secunden entsprechen, wenn als Grundmaass für die Beobachtung 200 m Weglänge vorausgesetzt wird, was eben bei den Apparaten für Personen- und Schnellzüge stets der Fall ist. Für Güterzugslocomotiven reicht es aus, den Beobachtungsweg nur auf 100 m festzusetzen, da das Zifferblatt eine hinreichende Grösse besitzt, um auch bei diesem verminderten Grundmaass genügend deutliche Ablesungen der Fahrgeschwindigkeiten zu gestatten. Dass für solche Apparate die Berechnungsformel für die Bogenstücke des äusseren Theilkreises nicht unter Zuhilfenahme der früher gültigen Formel, sondern nach der Formel t=\frac{360}{x} zu geschehen hat, ist selbstverständlich. Auf dem Zifferblatte jeder Brettmann'schen Locomotivgeschwindigkeitsuhr steht auch noch angeschrieben, für welchen Locomotivtreibraddurchmesser die Bewegungsübertragung angepasst und für welchen Beobachtungsweg (200 oder 100 m) die Geschwindigkeitsscala bemessen ist. Angefertigt werden die hier geschilderten Vorrichtungen bei C. W. Julius Blancke und Co. in Merseburg, und steht beispielsweise eine für den Beobachtungsweg von 200 m eingerichtete Geschwindigkeitsuhr bereits seit drei Jahren mit bestem Erfolge auf einer vierachsigen Schnellzugslocomotive (Halle a. d. S.) in Benutzung.