Titel: Elektrotechnik.Die mit der Kraftstation combinirte elektrische Locomotive.
Fundstelle: Band 308, Jahrgang 1898, S. 16
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Elektrotechnik.Die mit der Kraftstation combinirte elektrische Locomotive. Die mit der Kraftstation combinirte elektrische Locomotive. Es war in der Revue industrielle vom 23. April 1891, wo Heilmann mit dem anfänglich sehr entfremdenden Vorschlage an die Oeffentlichkeit getreten ist, jedem Eisenbahnzuge eine als Kraftstation eingerichtete Locomotive anzuhängen, welche den von ihr erzeugten Strom an mehrere im Zuge vertheilte Motorwagen abgeben sollte. In dieser Form kam nun bekanntlich Heilmann's Idee allerdings nie zur Ausführung, dafür aber konnte eine von ihm nach obigem Grundsatze entworfene, d.h. eine mit einer Kraftstation combinirte Locomotive, welche theils in der Schweiz, theils in Frankreich ausgeführt worden war, bereits zu Beginn des Jahres 1894 seitens der Französischen Westbahn in Versuch genommen werden. Diese erste, auf einer für den Dampfbetrieb eingerichteten Vollbahn in Verwendung gelangte elektrische Locomotive, welche sich also vor allen sonstigen elektrischen Locomotiven darin auszeichnet, dass sie die erforderliche elektrische Energie nicht durch Vermittelung irgend einer Stromzuleitung von einer entfernten Kraftanlage bezieht, sondern ihre eigene Kraftstation mit sich führt, besass (vgl. D. p. J. 1894 291 276; 1895 295 229; 1896 299 99, 302 37) 600 und ein Dienstgewicht von 120 t. Dieselbe wurde, da die bis dahin durchgeführten Vorproben günstige Ergebnisse nachwiesen, auf der Linie Mantes-Paris in den regulären Dienst eingestellt und führte hier den mit Abzug des Locomotivgewichtes 180 bis 190 t schweren Expresszug mit einer mittleren Geschwindigkeit von 65 km/Std. Auch in dieser praktischen Verwendung hatte sich die neuartige Zugsforderungsmaschine, trotz des Misstrauens, welches ihr ursprünglich entgegengebracht wurde, und ungeachtet der vielfach absprechenden Urtheile, welchen sie unterworfen war, während mehrerer Monate genügend bewährt, um die Generaldirection der Französischen Westbahn noch im J. 1894 zu bestimmen, in ihren eigenen Werkstätten den Bau zweier weiterer Heilmann-Locomotiven in Angriff nehmen zu lassen, bei welchen alle jene Verbesserungen und Abänderungen zur Ausführung gelangen sollten, die sich nach den mit der ersten Type gewonnenen Erfahrungen als wünschenswerth oder nothwendig ergaben. Bekanntlich ist der Hauptvorwurf, welcher gegen die Heilmann-Locomotive erhoben wurde, der, dass durch die zweimalige Umwandlung der Kraft Verluste unvermeidlich seien, was einen augenscheinlichen Nachtheil gegenüber der gewöhnlichen Dampflocomotive bedeutet. Diese allerdings unleugbaren Verluste werden jedoch, wie Heilmann geltend macht, durch die weit günstigere Dampfausnutzung reichlich aufgewogen, welche seine Locomotive erstens vermöge der Anwendung einer stationären Verbundmaschine, sowie zweitens dadurch erzielt wird, dass die Geschwindigkeit der Dampfmaschine von jener des Fahrzeuges unabhängig ist. Als Zugförderungsmittel an und für sich darf die Heilmann-Locomotive der gewöhnlichen Dampflocomotive aber insofern als entschieden überlegen gelten, als an der ersteren der Schwerpunkt tiefer gelegt, die Kraft auf eine grössere Zahl Triebachsen vertheilt und – weil die angetriebenen Achsen stets unmittelbar in die kreisende Bewegung versetzt werden – die ungünstige Wirkung hin und her gehender Massen vollständig vermieden ist. Wohl wird bei den gewöhnlichen Dampflocomotiven gleichfalls getrachtet, die Nachtheile der Kolbenbewegungen durch Anwendung möglichst grosser Triebräder thunlichst wegzubringen, allein dabei muss mehr oder minder immer auch eine Verlangsamung der Kolbenbewegungen und eine dementsprechende Verringerung der Pferdestärken mit in den Kauf genommen werden. Bei der Heilmann-Locomotive ist die Dampfmaschine aufs Vollkommenste ausbalancirt und zufolge der Anordnung von sechs Kolben sind durch Bocken oder Schlingen u.s.w. hervorgerufene, schädliche Nebenwirkungen ausgeschlossen. Wird sie mit anderen, für Vollbahnen bestimmte Fahrzeuge dieser Gattung, wie etwa mit der elektrischen Locomotive der Baltimore-Ohio-Eisenbahn (vgl. D. p. J. 1895 297 240; 1896 299 121; 1897 305 88) oder mit der Baldwin-Westinyhoiis-Locomotive (vgl. D. p. J. 1897 305 88) u. dgl. verglichen, so erscheint ihre Freibeweglichkeit und die Ersparung der kostspieligen Kraftanlagen sammt Stromzuführungen als ausgesprochener Vortheil; dementgegen ist der gewöhnlichen elektrischen Locomotive das todte Gewicht erspart, welches die Heilmann-Locomotive an der Last des Kessels, der Dampfmaschinen und Dynamomaschinen mitzuschleppen habe. Allerdings lässt sich auf letzteres wieder entgegnen, dass bei einer Locomotive von 1350 , was die neueste Heilmann'sche Type erreichen soll, eine bedeutende Belastung der Triebachse als Adhäsionsgewicht erforderlich wird, wenn die Locomotive, wie beim Anfahren oder bei der Bergfahrt auf starken Steigungen, mit voller Kraft zu arbeiten hat. Ersichtlichermaassen verringern sich die Nachtheile des grossen Eigengewichtes in demselben Maasse, als letzteres für die Adhäsion gebraucht wird. Alle angeführten Umstände und die bisher gewonnenen Erfahrungen zusammengenommen zeigen, dass Heilmann's Project an sich keineswegs so anfechtbar erscheint, als manche seiner Kritiker rundweg erklärt hatten. Die neuere Heilmann-Locomotive wird von einem eigenthümlich geformten Blechrahmen getragen, der auf zwei achträdrigen Drehgestellen ruht. Die Länge des Locomotivkörpers beträgt 18,5 m und die steife Radbasis 25,2 m; die Vorderseite ist nicht an dem vom Kessel eingenommenen, sondern am anderen Ende. Es hat also der Kessel seinen Platz auf dem rückwärtigen Radgestelle, während in der vorderen Hälfte des Locomotivraumes die Dampfmaschinen und die Generatoren nebst den anderen noch zugehörigen Einrichtungen untergebracht sind. An den beiden Seiten des Kessels befinden sich die Behälter für zusammen 7 t Speisewasser und ebenso liegen neben dem Heizerstande, rechts und links, Behälter für Kohle. Jener Theil, wo die Maschinen sich befinden, ist zum Schütze derselben und der Bedienungsmannschaft von einem aus Stahlblech hergestellten Gehäuse umschlossen, welches zur Herabminderung des Luftwiderstandes vorn eine eigenartige, pfeilförmige Stirnwand besitzt. Bei der ersten Heilmann-Locomotive war ein Leninscher Stahlkessel (vgl. D. p. J. 1892 286 257) von 7,9 m Länge und 1,93 m Durchmesser, 2,25 qm Rostfläche, 18,06 qm Feuerbox- und 127,11 qm Siederohrheizfläche in Verwendung genommen; bei dem jetzigen Modell wurde wieder auf die gewöhnliche Locomotivkesselform zurückgegriffen, doch ist die Feuerbox aus Kupfer nach dem Belpaire'schen System ausgeführt. Im Ganzen sind 351 Siederohre vorhanden, welche je eine Weite von 40 mm und eine Länge von 3,75 m besitzen; die Rostfläche beträgt 3,33 qm und die gesammte Heizfläche des Kessels 185,80 qm. Letzterer kann bei einem Drucke von 14 k/qc 13500 k Dampf in der Stunde liefern. Die den Hauptstrom erzeugenden Dynamomaschinen werden mittels einer sechskurbeligen Willems-Verbunddampfmaschine angetrieben, bei welcher die Cylinder in zwei über einander liegenden Gruppen zu je drei angebracht sind, und zwar befinden sich die mit 30 cm Durchmesser ausgeführten Hochdruckcylinder oberhalb und die Niederdruckcylinder mit 48 cm Durchmesser unterhalb. Die Gesammtleistung beträgt 1500 . Da die Kurbeln an der Welle bei 0°, 120°, 240°, 240°, 120° und 0° angreifen, so ist die Umdrehungsbewegung der Welle trotz der hohen Geschwindigkeit von vollkommenster Gleichförmigkeit. Zwei Gleichstromdynamomaschinen sind direct mit der Dampfmaschinenwelle verbunden, d.h. auf jedem der beiden Wellenenden sitzt je ein Brown'scher gezahnter Ankerring. Die beiden bei Brown, Boveri and Company erzeugten Dynamomaschinen sind sechspolig und liefern 450 Kilo-Watt bei 500 Volt und 400 Umdrehungen in der Minute; es beträgt sonach die Leistung der beiden Dynamomaschinen zusammen 1200 . Der Erregungsstrom für die beiden Generatoren wird von einer eigenen, vierpoligen Brown'schen Dynamomaschine gewonnen, welche bei 550 Touren 140 Ampère × 110 Volt liefert und von einer besonderen, kleinen Willans'schen Dampfmaschine von ungefähr 28 ihren Antrieb erhält. Von den früher erwähnten, gewöhnlich in Parallelschaltung arbeitenden beiden Hauptdynamomaschinen ist der Strom zu einem Schaltbrett geführt, von wo derselbe zu den acht Motoren weiter geht. Von den letzteren sitzt je einer auf jeder Achse der beiden Radgestelle der Locomotive. Die Motoren haben je vier Pole mit zwei wagerecht gestellten Feldern; zu den Feldwickelungen sind isolirte Kupferstreifen verwendet. Der Anker sitzt auf einer hohlen, über die Radachse geschobenen Stahlwelle, welche an einem Ende eine Scheibe trägt; letztere überträgt die Bewegung auf die Radachse durch Vermittelung einer elastischen Kuppelung, nämlich mittels dreier kräftiger Bügel, welche zwischen die Speichen des gegenüber befindlichen Rades hineinreichen und hier durch je zwei einander entgegenstehende, am Rade festgemachte Schneckenfedern klammerartig gehalten werden. Zwischen Radachse und Ankerwelle ist genügend Luft und desgleichen besitzen die Stemmfedern hinreichende Elasticität, um dem Anker selbst in seinen äussersten Leistungen ein gewisses Maass freie Bewegung zu gestatten. Für gewöhnlich sind sämmtliche Motoren zu einander parallel geschaltet und jeder derselben hat seine eigene Speiseleitung, sowie am Schaltbrette seinen eigenen Umschalter; für langsame Fahrt oder bei schweren Zügen können sie jedoch mittels eines Controllers auch zu vieren gruppirt werden. Ein besonderer achtfacher Umschalter ermöglicht es, mit einem Griff in sämmtlichen Motoren die Stromrichtung momentan zu wechseln. Die Geschwindigkeit kann mit Hilfe eines Rheostates regulirt werden, der im Hauptstromwege der Generatoren liegt. Strommess- und Controlapparate, sowie sämmtliche Umschaltevorrichtungen sind zweimal vorhanden, und zwar befindet sich die eine Gruppe am vorderen Ende der Locomotive und die andere in unmittelbarer Nähe der Dampfkesselfeuerung; die erstbezeichneten Apparate kommen für gewöhnlich, nämlich beim Vorwärtsfahren, und letztere beim Rückwärtsfahren zur Benutzung. Das Gewicht der dienstbereiten Locomotive beträgt 124 t, erhöht sich aber für längere Fahrtouren, in welchen Fällen noch ein 45 t schwerer Wassertender beigegeben wird, auf 169 t. Die Versuche mit den Locomotiven der geschilderten neueren Construction wurden auf den Linien der Französischen Westbahn am 12. November 1897 begonnen; dieselben sind derart geplant, dass die Locomotive nach und nach mit Zügen von 150, 200, 250 und 300 t mit den Fahrgeschwindigkeiten von 30, 50, 60 und 100 km/Std. ausprobirt werden soll. Begonnen haben die Probefahrten am vorbezeichneten Tage mit einem 150 t schweren Zug und 30 km/Std. Fahrgeschwindigkeit. Die Erbauer der Locomotive versprechen sich übrigens mit aller Zuversicht jetzt schon, dass dieselbe als äusserste Leistung einen 400 t schweren Zug mit einer Fahrgeschwindigkeit von 100 km/Std. werde ziehen können. Seitdem berichtet indessen schon die Schweizerische Bauzeitung vom 20. November 1897 S. 161, die Versuche mit der Heilmann-Locomotive neuerer Construction hätten so günstige Erfolge ergeben, dass die Generaldirection der Französischen Westbahn sich zur Anschaffung einer Anzahl weiterer solcher Locomotiven veranlasst findet. Letztere sollen 18 m lang werden, 202 t Dienstgewicht haben und im Stande sein, mit einer mittleren Fahrgeschwindigkeit von 100 km/Std. einen Zug von 600 t Gewicht zu befördern. Der durchschnittliche Raddruck wird beiläufig 7,5 t betragen. Die neubestellten Locomotiven sollen zur Zeit der Weltausstellung 1900 auf der Linie Paris-Havre in Dienst gestellt werden. Ganz besonders bemerkenswerth darf es gelten, dass laut eines Berichtes der amerikanischen Zeitschrift Railway. and Engineering-Review die Heilmann'sche Idee auch in Amerika, allerdings in einer etwas abgeänderten Anordnung, und zwar für den Neben- und Kleinbahnbetrieb, selbständig aufgetaucht und gleichfalls mit Erfolgen praktisch verwerthet worden ist, die eine zunehmende Verbreitung solcher Locomotiven in Aussicht stellen. Als Constructeur Patton vor beiläufig 7 Jahren Versuche mit einer Locomotive vornahm, die an Stelle einer Dampfmaschine durch eine Gasmaschine angetrieben wurde, kam er nämlich zur Ueberzeugung, dass mit Rücksicht der Veränderlichkeit der erforderlichen Zugkraft und in Anbetracht der Nothwendigkeit, die Fahrtrichtung nach Bedarf ändern zu können, ein entsprechend elastischer Vermittler zwischen der Gasmaschine und der Radachse eingefügt werden müsse. Auf diese Weise gelangte Patton gleich Heilmann auf die Idee, die Gasmaschine lediglich zur Erzeugung elektrischer Energie zu verwenden und erst der letzteren die Zugförderung zu überantworten; ausserdem benutzte er zur Verwerthung der im Verlaufe des Locomotivdienstes verfügbar werdenden Kraftüberschüsse mitgeführte Accumulatoren. Die ersten einschlägigen Versuche wurden bereits 1892 vorgenommen, zu einer praktischen Anwendung kam es jedoch erst 1897, wo eine Patton'sche Locomotive beim Bau einer Vorortebahn in Chicago zur Verwendung gelangte. Dieselbe hatte ein Gewicht von 11000 k und enthielt einen mit einer Dynamomaschine direct gekuppelten Benzinmotor von 18 , ferner eine Accumulatorenbatterie von 92 Zellen mit 150 Ampère-Stunden Capacität und einen Elektromotor von 35 . Beim Stillstande oder auf Thalfahrten wurde die Batterie geladen, welche ihrerseits die Dynamomaschine zu unterstützen hatte, sobald die Leistung des Benzinmotors den erforderlichen Kraftaufwand nicht zu decken vermochte. Der Generator hatte Nebenschlusserregung, vermöge welcher das System in Stand gesetzt war, sich selbsthätig zu reguliren. Die täglichen Betriebskosten betrugen angeblich nur 25 Proc. von jenen der früher für die gleichen Zwecke in Benutzung gestandenen Dampflocomotive. Auf Grund der mit obiger Locomotive gewonnenen Erfahrung hat Patton kürzlich eine zweite, etwas grössere nach demselben Principe erbaut; bei derselben treibt ein Raymond'scher Gasolinmotor von 25 eine mit ihm direct gekuppelte Crocker-Wheeler'sche Nebenschlussdynamomaschine, welche 15 Kilo-Watt zu 220 Volt liefert. Eine Accumulatorenbatterie von 100 Zellen und 200 Ampère-Stunden dient als Aushilfe. Zwei Elektromotoren von je 35 treiben zwei Locomotivachsen durch einfache Zahnradübersetzung an. Auf dem Dache der Locomotive befindet sich ein Behälter für 110 l Gasolin, sowie ein zweiter Behälter für 330 l Kühlwasser. Letzteres kreist selbsthätig durch ein System von Kühlröhren und es ist anschliessend daran mit Hilfe entsprechend angeordneter Verbindungsröhren und Schlauchkuppelungen die Füglichkeit gewonnen, den Rundlauf des Kühlwassers zu Heizzwecken über die Anhängewagen zu leiten. Eine zweite, ganz gleiche Locomotive ist bereits wieder in Herstellung begriffen, während die soeben geschilderte, erste, seitens einer Eisenbahngesellschaft in Cedar-Falls angekauft wurde. Eben jetzt hat Patton den Entwurf einer dritten Type unter den Händen, welche bedeutend grösser werden und 400 leisten soll. Dieser amerikanische Bericht über die günstige Entwickelung der Patton-Locomotive und jener über das thatsächliche Gedeihen der Heilmann-Locomotive auf der Französischen Westbahn lassen für die mit der Kraftstation combinirten elektrischen Locomotiven, trotz ihrer anscheinenden Complicirtheit, eine beachtenswerthe Zukunft erhoffen, und zwar sowohl hinsichtlich der Verwendbarkeit auf Klein- und Nebenbahnen als hauptsächlich auf Vollbahnen, wo es wesentlich ins Gewicht fällt, dass eben nur im Wege der Heilmann-Locomotive ein elektrischer Betrieb auf bestehenden Linien angebahnt werden kann und das Mittel geboten ist, mit der elektrischen Zugkraft weitgehendere Versuche anzustellen, ohne vorher die Schienenwege einer Aenderung unterwerfen oder kostspielige Kraft- und Stromzuführungsanlagen errichten zu müssen.