Titel: Allgemeine Fragen der Technik.
Autor: P. K. von Engelmeyer
Fundstelle: Band 312, Jahrgang 1899, S. 2
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Allgemeine Fragen der Technik. Von Ingenieur P. K. von Engelmeyer, Moskau. (Fortsetzung von Bd. 311 S. 149.) Allgemeine Fragen der Technik. Von den allgemeinsten Fragen über die gesellschaftliche Funktion der Technik und einzelner Zweige derselben schreiten wir nun zu der ebenfalls grundlegenden Frage, was die Maschine ist und welche gesellschaftliche Funktion ihr zukommt? Wie früher, so halten wir auch hier vorläufig nur eine flüchtige Uebersicht über die früheren Litteraturerscheinungen. Bei einer früheren Gelegenheit habe ich darauf hingewiesenZeitschr. d. V. d. Ingenieure, 1898 H. 43., dass alle unsere Vorgänger bei der Behandlung des Maschinenproblems einen und denselben Fehler begangen haben, nämlich: sie glaubten jeder für sich das Problem in seiner Gesamtheit zu erfassen und wurden nicht gewahr, dass sie nur einzelne Seiten desselben zum Ausdruck brachten. Derweil diese Schriftsteller meist zugleich auch Lehrer und Professoren waren, so entwickelten sich aus ihren Bemühungen verschiedene Schulen der Maschinenlehre, welche, jede für sich allein, die Lösung des Maschinenproblems in Anspruch nahmen. Aus der unter solchen Umständen schwer zu beseitigenden Polemik entstanden Streitfragen, welche die Anhänger der einen Schule verhinderten, die Leistungen der anderen unbefangen zu würdigen. Denn diese Gedankenhöhe erreichen wir nur, indem wir uns in die Geschichte der Maschinenlehre ruhig und vorurteilsfrei Vertiefen. Die Maschine wurde bisher unter vier Gesichtspunkten der Betrachtung unterzogen, und wir unterscheiden danach vier Schulen der Maschinenlehre: 1. die technologische, 2. die kinematische, 3. die konstruktive und 4. die wirtschaftliche. In der oben genannten Arbeit habe ich in aller Kürze dargelegt, dass es gar nicht schwer ist, die drei ersten, technischen Lehren zu einer einheitlichen synthetischen Maschinenlehre zu verknüpfen. Hier soll die für die Technik so wichtige Frage eingehender behandelt werden. Es sollen nun die früheren Aeusserungen folgen, welche die verschiedenen Schulen kennzeichnen. Der Anhang zu Reuleaux' Kinematik soll uns dabei am meisten an die Hand gehen. Wir beginnen mit der technologischen Maschinenlehre. Diese Schule beschäftigt sich mit der von der Maschine zu verrichtenden Arbeit, wobei der Schwerpunkt der Ansicht in der Lösung einer technologischen und nicht einer nur mechanischen Aufgabe zu suchen ist. Als den Begründer der technologischen Maschinenlehre dürfen wir bereits Vitruvius nennen, welcher sagt: „Machina est continens ex materia conjunctio, maximas ad onerum motus habens virtutes.“ Die Beschränkung auf das Lastenbewegen, die er der Maschinen aufgäbe beimisst, darf man ihm selbstverständlich nicht verargen. Das volle Licht konnte ja nur nach der Ausbildung der Technologie hineingebracht Werden. Der dunkle Trieb nach demselben ist indes auch bei den Begründern der kinematischen Maschinenlehre unverkennbar. Am geeigneten Platz werden wir die betreffenden Aeusserungen vollständig wiedergeben. Wir werden sehen, dass sie zwar alle nur das kinematische Element ausdrücken sollen, dabei aber auch das technologische hereinziehen wollen. So will Leupold mittels der Maschine „zu einer vorteilhaften Bewegung gelangen“. Aehnlichen Ausdrucks bedient sich auch Poppe. Giulio will mit dem Werkzeuge der Maschine „irgend eine Arbeit ausführen“. Bei Laboulaye, der in der Maschinenarbeit lediglich nur Uebertragung und Umformung der Bewegungen und Kräfte sehen will, sticht indessen das technologische Element noch deutlicher durch, denn er stellt der rein mechanischen Maschinenleistung noch eine „Rücksicht auf das zu erreichende Ziel“ zur Seite. Aus demselben Bestreben stellt auch Kaiser der Maschine das Ziel auf, die kinematische Leistung „nach bestimmten Zwecken hervorzubringen“. Denselben Trieb verrät auch Poncelet (1839): „Die industriellen und technischen Maschinen haben den Zweck, gewisse Arbeiten mit Hilfe von Motoren oder bewegenden Kräfte, welche uns die Natur darbietet, zu entwickeln.“ Nun lassen wir eine Reihe ähnlicher Definitionen folgen, deren Urheber wir der technologischen Maschinenlehre zuzählen müssen. Bresson: „Eine Maschine ist ein Werkzeug, welches den allgemeinen Zweck hat, die Wirkung einer Kraft von deren Angriffspunkt dahin zu übertragen, wo sie wirken soll, um einen Widerstand zu überwinden und eine Leistung zu vollbringen, deren Ausführung durch unmittelbar darauf zu verwendende Kräfte schwierig und zuweilen unmöglich wäre.“ Haton: „Eine jede Maschine ist ein Apparat, welcher dazu bestimmt ist, einen Motor mit einem zu bearbeitenden Stoff in Beziehung zu setzen.“ Schrader: „Eine Maschine ist eine Vorrichtung zur Abänderung einer gegebenen Kraft.“ Wernicke: „Eine Maschine ist eine Verbindung von Körpern, die den Zweck haben, mittels einer disponiblen Kraft irgend eine Arbeit zu verrichten.“ Weisbach: „Maschinen heissen alle künstlichen Vorrichtungen, mittels welcher Kräfte eine Wirkung äussern, verschieden von derjenigen, welche sie ohne diese geäussert haben würden.“ Nun sind wir an unsere Zeit gelangt. Rühlmann entwickelt in seiner allgemeinen Maschinenlehre die beiden Elemente der Maschinenarbeit, das technologische und das kinematische. Indem er sich aber hierbei nicht die nötige Klarheit verschafft, schwankt er zwischen beiden Schulen. Seiner ersten Definition, einer rein kinematischen, begegnen wir später. In der zweiten spricht er schon von „bestimmten mechanischen Arbeiten“. Die Erläuterung zu der letzteren klingt aber rein technologisch: „Der erste und Hauptzweck aller Maschinen ist Unterstützung, Ersparung oder Ersatz an Menschenkräften; ein weiterer Zweck: Erhöhung der Quantität, Qualität und Wohlfeilheit der Arbeit.“ Mit dieser Aeusserung macht Rühlmann auch einen Schritt in die ökonomische Maschinenlehre. Grashof steht ebenfalls in der Mitte zwischen der kinematischen und der technologischen Schule, indem er in seiner Theorie der Getriebe u.s.w. sagt: „Zum Begriffe der Maschine dagegen, wie er hier und im folgenden stets verstanden wird, gehört wesentlich auch der Zweck und die Wirksamkeit der äusseren Kräfte. Der Mechanismus wird zur Maschine dadurch, dass gewisse Glieder desselben auf gewisse Weise von äusseren Kräften angegriffen werden, von denen die einen vermöge ihrer Grössen und der Wege ihrer Angriffspunkte die Arbeit leisten sollen, die zur Ueberwindung der anderen für die entsprechenden Wege ihrer Angriffspunkte aufzuwenden ist: eine Maschine ist ein Mechanismus zum Zwecke einer bestimmten mechanischen Arbeitsleistung.“ Entschiedener drückt sich Th. Beck aus, indem er die rein kinematische Definition der Maschine, die Reuleaux gegeben (und zu der wir später kommen), kritisiert: „Ferner drückt die Definition Reuleaux' nicht aus, dass die Maschine den Zweck habe, eine bestimmte mechanisch-technische Arbeit zu verrichten, sondern bezeichnet als deren Zweck nur die Erzeugung einer bestimmten Bewegung. Dass aber nicht nur die Bestimmtheit der Bewegung d.h. des Weges bei der Bewegung, sondern auch die Ueberwindung bestimmter Widerstände oder, mit einem Worte, die Verrichtung einer mechanischen Arbeit Zweck der Maschine sei, darin stimmen fast alle anderen Autoren überein (?). Durch die Reuleaux'sche Definition aber wird der Unterschied zwischen Mechanismus und Maschine gänzlich verwischt, und die Vermengung dieser beiden Begriffe führt zu manchen ungerechtfertigten Schlüssen.“ Alsbald schlägt Beck folgende Definition vor: „Eine Maschine ist eine künstliche Verbindung widerstandsfähiger Körper, welche zur Verrichtung einer bestimmten mechanisch-technischen Arbeit dient und zu diesem Zweck so eingerichtet ist, dass durch sie mechanische Kräfte genötigt werden können, unter bestimmten Bewegungen zu wirken.“ Wie nahe stand Beck am Ziel! Dieses zu erreichen, verhinderte ihn jedoch der Ausdruck „mechanisch-technische Arbeit“. Da nun dieser nicht allgemein üblich ist, so kann sich darunter jedermann denken, was er will. Popper gibt in seinem bereits besprochenen Buche zwar keine Definition der Maschine, indessen fand er ein treffliches Wort zur Bezeichnung der maschinellen Arbeit. Er sagt: „Es ist bekannt, dass man die Maschine bezüglich ihrer Leistungen im allgemeinen nicht nach der rein mechanischen Masseinheit von Meterkilogramm oder nach Pferdekräften beurteilen darf, denn sehr viele Maschinenkonstruktionen leisten qualifizierte Arbeit, d. i. solche, die der Mensch überhaupt gar nicht im stande wäre durchzuführen, z.B. bezüglich der Regelmässigkeit oder Schnelligkeit der Bewegung oder Feinheit u.s.w.“ Den Ausdruck „qualifizierte Maschinenarbeit“ heben wir mit Nachdruck hervor. Ferner lesen wir: „Auch ein elektrisches Bogenlicht können wir in Lichteinheiten, in Normalkerzen, ausdrücken, und dennoch ist elektrisches Bogenlicht ein qualifiziertes Licht; es ist durchaus nicht derselbe Effekt, ob man 10000 Normalkerzen noch so nahe nebeneinander stellt oder ob man den wenige Millimeter grossen elektrischen Lichtbogen hervorruft u.s.w.“ Bekanntlich beziehen die Oekonomisten den Ausdruck „qualifizierte Arbeit“ auf den Menschen, um jene Handarbeit zu bezeichnen, die eine spezielle Ausbildung erheischt, so dass ein qualifizierter Arbeiter nicht durch jeden besten ersetzt werden kann. Für die Maschinenarbeit ist der Ausdruck wie geschaffen, denn kann ein Mensch sich zu verschiedener qualifizierter Arbeit nicht leicht ausbilden, so kann eine Spezialmaschine im allgemeinen noch schwieriger zu einer neuen Arbeit umgebaut werden. Der entschiedenste Verteidiger der technologischen Maschinenlehre ist E. Hartig, dem die Ausbildung der mechanischen Technologie so viel zu verdanken hat. Er hat die technologische Seite der Maschinenarbeit in seinen „Studien in der Praxis des kaiserlichen Patentamtes“ (1890) erst zur vollen Würdigung gebracht. Zur Definition der Maschine gelangt Hartig durch eine Reihe Definitionen, die wir wiedergeben: „Werkzeug ist ein körperliches lebloses Gebilde, welches an einem anderen Körper (Werkstück, Werkstoff), denselben berührend, dessen Gebrauchswert unter Umsetzung mechanischer Arbeit umändern hilft, ohne hierbei im Werkstücke selbst aufzugehen oder auf eine andere Art zu fortgesetzter Bethätigung unfähig zu werden“Als Vorgängerin dieser Ansicht nennen wir eine interessante Arbeit von H. Fischer (Civilingenieur, 1878 S. 535), wo derselbe eine eigentümliche Auffassung des Werkzeuges und des Rezeptors vorschlägt. Seinen Standpunkt kann man sich folgendermassen kurz versinnlichen: Was verrichtet jedes Werkzeug? Es überführt einen Rohstoff in einen Gebrauchsstoff. Die Umkehrung dieses Vorganges schreibt Fischer dem Rezeptor zu, nämlich: „Gebrauchsstoffe in Rohstoffe zurückzuführen“. Folgendes Beispiel erklärt den Gedanken: Man denke sich ein Wassergefälle und einen daran arbeitenden Rezeptor, etwa ein Wasserrad. Nun besitzt das obere Wasser einen um so viel grösseren Gebrauchswert, als der Rezeptor vom unteren entzogen hat.. Der Ausdruck „den Gebrauchswert umändern“ wäre ganz gut, wenn er der Technologie und nicht der Oekonomie angehörte. Aehnliche aus fremden Wissenszweigen entnommene Ausdrücke passen wohl in Erläuterungen nicht aber in endgültige Definitionen, die streng in den Grenzen einer Wissenschaft immer bleiben sollen. Alsdann kommt Hartig zu dem Rezeptor, statt dessen er den Namen Triebzeug vorschlägt: „Triebzeug ist ein lebloses körperliches Gebilde, welches von einem dasselbe berührenden überschüssig energiebegabten anderen Körper mechanische Arbeit unter Ausführung solcher Bewegungen empfängt, die zur Bethätigung eines Werkzeuges geeignet und bestimmt ist.“ Ferner kommt der Mechanismus zur Sprache: „Mechanismus ist ein künstliches körperliches Gebilde, welches innere Bewegungen zulässt, die vermöge der Gestalt und Widerstandsfähigkeit sich berührender, ihm selbst ausschliesslich angehöriger Oberflächen eindeutig beschränkt sind.“ Steht ein Mechanismus still, so heisst er einfach Mechanismus. Wird er getrieben, so nennt ihn Hartig Getriebe. „Getriebe ist ein Mechanismus im Leerlaufe.“ „Leerlauf ist derjenige Thätigkeitszustand eines Mechanismus, bei welchem die eingeführte mechanische Arbeit durch die inneren Bewegungswiderstände aufgezehrt wird.“ „Arbeitsgang ist derjenige Thätigkeitszustand eines Mechanismus, bei welchem von der eingeleiteten mechanischen Arbeit ein Ueberschuss zu weiterer Verwendung nach aussen abgegeben wird.“ Und endlich: „Maschine ist ein Mechanismus im Arbeitsgange.“ „Maschine ist ein Getriebe im Arbeitsgange.“ Der Ausdruck „Arbeitsgang“ soll offenbar die technologische Seite der Maschinenarbeit in den Vordergrund stellen. Und doch muss man sagen, dass er nicht vollkommen befriedigt, wenigstens in der immer noch rein mechanischen Fassung, die ihm Hartig's Definition verleiht. Dass aber Hartig auf dem bezeichneten Standpunkt steht, beweisen zwei Aeusserungen, die wir in seinen „Studien“ finden: „Hieraus ergeben sich drei verschiedene allgemeine Betrachtungsweisen der Maschine, die technologische, die kinematische und die formal-konstruktive“ (56). „Eine Wissenschaft, Maschinen zu erfinden, gibt es daher nicht, wohl aber eine Wissenschaft, erfundene Maschinen nach ihrem Arbeitsgange zu erkennen (mechanische Technologie), eine Wissenschaft der Untersuchung derselben im Leergange (Kinematik) und eine Wissenschaft von der im Stillstand befindlichen und nun in ihre körperlichen Bestandstücke zerlegbaren Maschine (Konstruktionslehre); jede hat ihre Berechtigung, denn derselbe Gegenstand kann von verschiedenen Seiten und in verschiedenen Zuständen wissenschaftlich untersucht werden, nur sind die verschiedenen Standpunkte gewissenhaft auseinander zu halten“ (150). Will man in der technologischen Definition der Maschine den letzten Schritt machen, so muss man in dieselbe den zur Zeit üblich gewordenen Ausdruck „technischer Effekt“ oder „die Lösung einer technischen Aufgabe“ als Zweck der Maschine und als Hauptmerkmal ihres Arbeitsganges hineinbringen. Allerdings muss vorausgesetzt werden, dass diese Ausdrücke allgemein bekannt sind. In jeder Definition stützt man sich notwendigerweise auf als bekannt geltende Begriffe. Mit unserem Vorschlag bleiben wir wenigstens in den Grenzen der Technologie und der Technik allgemein. Was die eigentliche sprachliche Formel betrifft, so werden wir zu ihr später kommen, wenn wir die synthetische Maschinenlehre zur Sprache bringen; denn alle genannten Schulen entwickeln nur Teilansichten derselben. (Fortsetzung folgt.)